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4.2. Die Entstehung der beiden wichtigsten griechischen Zeugen (A.-T. und LXX) und die anderen Textzeugen von Ester 4.2.1. A.-T. und LXX
ОглавлениеDie zwei wichtigsten griechischen Versionen von Ester – A.-T. und LXX – haben ihre je eigene komplexe Textgeschichte. Sie sind voneinander unabhängige Übersetzungen, die auf teilweise unterschiedlichen hebräischen Texten basieren.
Proto-A.-T.Wir haben gesehen, dass diejenigen Passagen des A.-T., die zur „gemeinsamen Erzählung“ gehören (1,1–21; 2,1–18; 3,1–13.15; 4,1–4.6–12; 5,1–2*.13–24; 6,1–23; 7,1–16.21bβ.33b.34a), recht wortgetreue Übersetzungen von Proto-Ester sind.
Proto-LXXDie Übersetzer der Proto-LXX, d. h. der LXX vor der Hinzufügung der sechs Zusätze, hatten anscheinend keine direkte Kenntnis des Proto-A.-T. Sie gingen recht frei mit dem protomasoretischen hebräischen Text um, der eine Überarbeitung von Proto-Ester war.
Der Vergleich von Ester 2,18A.-T. mit 2,18LXX zeigt, dass diese beiden Übersetzungen nicht unmittelbar voneinander abhängen und dass sie unterschiedliche hebräische Vorlagen voraussetzen.
Ester 2,18A.-T./LXXWie oben gezeigt, ist der griechische A.-T. καὶ ἤγαγεν ὁ βασιλεὺς τὸν γάμον τῆς Εσθηρ ἐπιφανῶς καὶ ἐποίησεν ἀφέσεις πάσαις ταῖς χώραις (= Und der König feierte Esters Hochzeit auf prachtvolle Weise, und er gewährte allen Provinzen eine Amnestie) eine Übersetzung des hebräischen Texts von Proto-Ester ohne die protomasoretischen redaktionellen Ergänzungen: ויעשׂ המלך משׁתה גדול לאסתר והנחה למדינות עשׂה (= Der König hielt ein großes Festmahl für Ester, und er gewährte den Provinzen eine Amnestie).
Die LXX-Fassung dieses Verses, καὶ ἐποίησεν ὁ βασιλεὺς πότον πᾶσιν τοῖς φίλοις αὐτοῦ καὶ ταῖς δυνάμεσιν ἐπὶ ἡμέρας ἑπτὰ καὶ ὕψωσεν τοὺς γάμους Εσθηρ καὶ ἄφεσιν ἐποίησεν τοῖς ὑπὸ τὴν βασιλείαν αὐτοῦ (= Und der König gab sieben Tage lang ein Fest für alle seine Freunde und die Streitkräfte, und er feierte Esters Hochzeit, und er schenkte denen, die in seinem Reich waren, eine Amnestie), ist eine Übersetzung aus dem Hebräischen, die sehr nah am masoretischen Konsonantentext ist: ויתן משׂאת כיד המלך אסתר והנחה למדינות עשׂה כל־שׂריו ועבדיו את משׁתה ויעשׂ המלך משׁתה גדול ל (= Der König hielt ein großes Festmahl für alle seine Fürsten und Diener, Esters Festmahl. Er gewährte den Provinzen eine Amnestie und er bewilligte eine Schenkung, wie es sich für den König geziemt). Die LXX setzt die unterstrichenen protomasoretischen redaktionellen Ergänzungen voraus (πᾶσιν τοῖς φίλοις αὐτοῦ καὶ ταῖς δυνάμεσιν entspricht כל־שׂריו ועבדיו, und καὶ ἄφεσιν ἐποίησεν τοῖς ὑπὸ τὴν βασιλείαν αὐτοῦ entspricht והנחה למדינות עשׂה ויתן משׂאת כיד המלך).
Außerdem sind in den parallelen Passagen von LXX und A.-T. das Vokabular und die griechische Syntax nicht identisch. Auch wenn die Übersetzer von A.-T. und LXX verstehen, dass es sich um Esters Hochzeitsmahl handelt, wenn ihre Quelle von Esters Festmahl spricht, verwenden sie dennoch nicht dieselben Ausdrücke. Man vergleiche nur A.-T. ἤγαγεν … τὸν γάμον τῆς Εσθηρ ἐπιφανῶς mit LXX ὕψωσεν τοὺς γάμους Εσθηρ. Ähnlich erwähnt der A.-T. am Schluss die Amnestie mit dem Satz καὶ ἐποίησεν ἀφέσεις …, während es in der LXX καὶ ἄφεσιν ἐποίησεν … heißt.
Die beiden unterschiedlichen und nicht direkt voneinander abhängigen griechischen Texte existierten von Anfang an nebeneinander. Der Proto-A.-T. verbreitete sich wahrscheinlich schon früh in den griechischsprachigen jüdischen Gemeinden der ägyptischen Diaspora. Die Proto-LXX geht wahrscheinlich auf die Hasmonäerzeit zurück.
Zusätze in A.-T. und LXXUrsprünglich waren Proto-A.-T. und Proto-LXX unabhängige Übersetzungen, doch die Einfügung der sechs Zusätze in beide Texte zeigt eine direkte literarische Abhängigkeit, denn die griechischen Formen der Zusätze A–F im A.-T. und in der LXX sind recht nahe beieinander. Die Zusätze B und E wurden wahrscheinlich zuerst in die LXX eingefügt. Demgegenüber wurden die Gebete von Ester und Mordechai (Zus. C), Esters Begegnung mit dem König (Zus. D), Mordechais Traum und seine Interpretation (Zus. A und F) zuerst in den Proto-A.-T. eingefügt.84 Kopisten oder Redaktoren nahmen dann die Ergänzungen in die andere Textfamilie auf, vermutlich in der Absicht, einen Text zu erstellen, der alle mit Ester und Mordechai verbundenen Traditionen vereint.
Der Schluss des A.-T.Abschließend zeigt die Analyse des Schlusses von Proto-Ester,85 dass 7,17–21.33a.34bA.-T. späte Zufügungen zum hebräischen Proto-Ester-Text oder zum Proto-A.-T. waren, um die Hauptmotive der Kapitel 8–10 in MT/LXX zusammenzufassen, und dass noch später die Verse 7,35–38A.-T. und 7,39–52A.-T. dem Proto-A.-T. in direktem Zusammenhang mit dem griechischen Text der LXX hinzugefügt wurden.