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4. Kapitel Baxter´s Creek und ein Waffenschrank im Klo ...

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Die fünfzig Meilen bis Baxter´s Creek waren fast wie im Flug vergangen. Es war kurz vor Mittag, als sie sich über die Interstate von Osten her dem Stadtrand näherten. Es schien, dass mit jeder Meile, die sie der Stadt näher kamen, die Szenerie düsterer wurde.

Autos und Trucks waren achtlos am Straßenrand abgestellt - oder mitten auf der Fahrbahn. Kreuz und quer. Einige Fahrzeuge standen in der falschen Richtung. Offensichtlich hatten die Fahrer mitten auf der Interstate gewendet, um von der Stadt wegzukommen. Doch es war zu spät gewesen. Hier mussten sich unglaubliche Szenen abgespielt haben. Leichenkadaver lagen auf der Fahrbahn. Abgetrennte Beine, hier einige Arme, dort ein Torso. Sogar Köpfe lagen herum, die noch immer vor sich hinzukauen schienen. Kurz darauf passierte der Camper einige Wagen, in denen Untote saßen. Opfer der Katastrophe, die von den Sicherheitsgurten an ihre Sitze gefesselt waren. In einem Wagen saß eine ganze Familie. Auf dem Rücksitz war ein Babyzombie zu sehen, der wild in seinem Sitz tobte. Charlotte hatte sich angewidert abgewendet.

Wieder saß Roland am Steuer, der das Wohnmobil im Schritttempo vorsichtig an kreuz und quer stehenden Wagen und Lkws vorbei steuerte. Am Horizont war Rauch zu sehen, aus einem Hochhaus schlugen Flammen, doch es schien niemand mehr da zu sein, der sie löschen konnte. Da waren keine Feuerwehrsirenen zu hören, nichts. Nur ein seltsames Rumoren hing in der Luft, wie ein Stöhnen aus unendlich vielen Kehlen.

Roland ließ das Wohnmobil ausrollen und hielt schließlich an. Er ließ genügend Abstand zu den umherstehenden Wagen. Kein Untoter sollte sie überraschen können.

„Was hast du vor?“, fragte Charlotte.

Er schenkte ihr einen schnellen Blick. „Wir fahren hier durch die Gegend, als wären wir auf einem Betriebsausflug.“ Er wies durch die Frontscheibe nach draußen. „Schaut euch das an! Überall sind lebende Tote. Und was machen wir? Kurven hier ohne Waffen herum und vertrauen auf unser Glück.“

Charlotte legte ihm die Hand auf den Arm. „Deshalb will ich ja, dass wir bei mir zu Hause vorbeisehen. Sam hat Waffen!“

„Schön und gut, aber keiner von uns hatte jemals eine Waffe in der Hand. Ich zumindest nicht“, stellte Peter trocken fest. „Durchladen, draufhalten und fertig ...! Ja, ich weiß, Hollywood zeigt ja, wie einfach das ist.“

In der Ferne waren drei Gestalten zu sehen, die torkelnd über die gegenüberliegende Fahrbahn nach Osten wankten. Es schienen zwei Männer und eine Frau zu sein, oder das, was von ihnen übrig war. Die rechte Gesichtshälfte der Frau schien von einem Schuss regelrecht weggerissen worden zu sein. Einem der Männer fehlte ein Arm, bei dem anderen hingen die Gedärme heraus, über die er hin und wieder stolperte. Es hätte komisch wirken können, wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre.

Sich unbedingt ruhig verhalten!, hatten Harold und Justin gewarnt. Keine lauten Stimmen, keine schnellen Bewegungen.

„Wir müssen hier von der Straße runter, ich denke, dass es zur City hin immer schwieriger wird, an den Autos vorbeizukommen. Es gibt am Bachelors Park eine Abzweigung, die führt uns zu einer Umgehungsstraße, auf der meistens weniger Verkehr ist“, sagte Charlotte ruhig. „Dann sind wir in fünfzehn bis zwanzig Minuten bei mir zu Hause.“

Roland, der den Motor hatte laufen lassen, gab vorsichtig Gas. Das Wohnmobil rollte langsam an. Die drei Untoten auf der gegenüberliegenden Fahrbahn schienen sie nicht zu bemerken, dann jedoch änderten sie ihre Richtung und hielten auf den Camper zu.

„Fahr einfach weiter“, sagte Charlotte.

Roland warf ihr einen schnellen Seitenblick zu. Die Bemerkung hättest du dir schenken können!, dachte er, sagte aber nichts. Charlotte musste immer das letzte Wort haben.

Zehn Minuten später hatten sie die Abzweigung erreicht und befanden sich kurz darauf auf einer Umgehungsstraße, die im weiten Bogen zu den äußeren Neubauvierteln führte, wo sich auch das Haus von Charlotte und Sam befand. Das Ausmaß der Katastrophe war nicht mehr zu übersehen. Leichen oder Untote lagen auf den Bürgersteigen, auf der Straße, in Hauseingängen oder vor Geschäften. Nirgendwo waren Überlebende zu sehen. Fast schien es, als würde Baxter´s Creek nur noch von Untoten bewohnt. Eine Stadt der Untoten. In einer toten Welt? Wie viel Menschen gab es noch? Und, wo waren sie?


„Was für Waffen hat Sam?“, fragte Roland, als sie das Haus von Charlotte erreicht und angehalten hatten.

Charlotte verzog die Lippen. „Ein ganzes Arsenal. Natürlich durfte das keiner wissen, aber er und seine Kumpels waren an den Wochenenden oft in den Wäldern unterwegs, um zu jagen. Aber frag mich nicht, was sie gejagt haben.“

Oder wen?, fügte sie noch in Gedanken hinzu, doch das sagte sie nicht laut.

Sie sahen sich um, bevor sie den Camper verließen. Eine unheimliche Stille erfüllte den frühen Vormittag, nur durchbrochen durch ein seltsames Stöhnen und Raunen, das aus allen Richtungen zu kommen schien. Die Sonne brannte aus einem stahlblauen Himmel. Alles sah friedlich aus. Friedlich und ruhig, wenn da dieses Stöhnen aus der Ferne nicht gewesen wäre.

Peter blickte zum Nachbarhaus, an dessen Fassade sich Efeu rankte. Ihm war, als hätte er etwas bemerkt. War da eine Bewegung hinter der Gardine? Er sah noch einmal hin, doch da war nichts. Er hatte sich wohl getäuscht. Lautlos bewegten sich die drei auf den vorderen Teil der Veranda zu, die Charlottes Haus umgab, und huschten dann zur Vordertür. Charlotte schloss leise auf, und kurz darauf standen sie in der Diele.

„Was ist mit eurem Internetanschluss? Ich würde doch gerne nachsehen, ob da irgendwelche Mails gekommen sind,“ fragte Peter, als Charlotte schon auf der Treppe war, die in den Keller führte. Als sie bei Harold und Justin waren, hatten sie vollkommen vergessen, danach zu fragen. Sie hatten sich nur schnell auf den Weg machen wollen. Sonja - tot, erschossen, weil sie zu einer Untoten geworden wäre. Dazu eine Welt, in der die Untoten sich auf dem Vormarsch befanden ... Zu viel war in zu kurzer Zeit über sie hereingebrochen. Aber vor allem: Die Welt, die sie einmal kannten, gab es nicht mehr.

Charlotte winkte kurz ab. „Schauen wir nachher nach, holen wir uns zuerst die Waffen. Ich will so schnell wie möglich hier raus!“ Man konnte förmlich spüren, wie nervös sie war. Sie musste wirklich eine höllische Angst vor ihrem Mann haben.

Peter nickte kurz, dann folgten Roland und er ihr über die Treppe nach unten. Kurz darauf standen sie in einer weiß gefliesten Toilette, deren linke Wand mit hellen Holzpaneelen versehen war. Charlotte drückte gegen ein Paneel, und eine gut kaschierte Tür öffnete sich lautlos.

Ein versteckter Raum!, dachte Roland.

„War als Panic Room gedacht“, kommentierte Charlotte lakonisch, die die erstaunten Blicke ihrer Freunde registriert hatte. „Aber mangels Masse haben wir ihn niemals fertiggestellt. Das Sicherheitsschloss und die autarke Sauerstoffversorgung hätten ein kleines Vermögen gekostet. Aber für Sam hat der Raum schließlich ja doch seinen Zweck erfüllt. So konnte er sich sein kleines geheimes Waffenlager anlegen ... Und ...“ Sie hatte das Licht angeschaltet und stutzte.

„Und wo sind jetzt die Waffen?“, fragte Peter ironisch. Ihm war klar, dass hier schon jemand gewesen war. Vielleicht war Sam bei Ausbruch der Katastrophe zurückgekehrt, um sich für das, was kommen mochte, zu wappnen. Oder jemand hatte eingebrochen, der von dem Waffenarsenal wusste - oder war durch Zufall darauf gestoßen ...

Die Waffenhalterungen an den Wänden waren leer, gleiches galt für die beiden Schränke an der Wand. Auf dem kleinen Tisch an der linken Wand lagen einige leere Munitionsschachteln.

Charlotte schluckte. Der Dreckskerl hat die Fliege gemacht! Sie meinte Sam, der bereits einige Verfahren wegen unerlaubten Entfernens von der Truppe und Alkoholmissbrauch über sich hatte ergehen lassen müssen. Trotzdem hatten sie ihn nicht rausgeschmissen. Nun denn, das Militär war wohl auch nicht mehr das, was es einmal war - in einer anderen Zeit, in einer besseren ...?

„Und jetzt?“, durchbrach Roland die eingetretene Stille.

„Und jetzt besorgen wir uns etwas, mit dem wir auch umgehen können“, entgegnete Charlotte mit einem schmalen Grinsen auf den Lippen. „Kommt mit! Wir haben einen Werkzeugraum, da liegt genügend Zeugs herum, mit dem man den Untoten den Garaus machen kann.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief die Treppe zurück, dann durch einen Quergang, der vor einer Stahltür endete, die in einen Raum mit niedriger Decke führte.

„Okay, hier haben wir Hämmer und einige Äxte“, murmelte Charlotte vor sich hin. Sie ließ den Blick über die Werkzeugwand schweifen, dann hin zu den Schränken. „Und die nehmen wir auch mit“, sagte sie.

Roland und Peter warfen sich skeptische Blicke zu. „Kannst du mit einer Kettensäge umgehen?“, fragte Peter.

„Oh ja“, erwiderte Charlotte grinsend. „Das kann ich, und auch mit der Axt. Was glaubt ihr, wie oft ich mir in meiner Fantasie vorgestellt habe, meinen lieben Sam mit der Kettensäge zu bearbeiten? Oder mit der Axt ... Oder mit beidem ...“

Und das ist die Wahrheit und bestimmt kein Scherz!, dachte Roland etwas irritiert. Diese Ehe musste wirklich die Hölle gewesen sein.

„Ihr haltet mich für etwas durchgeknallt, ich weiß“, merkte Charlotte an, als Roland und Peter sich an die Arbeit machten, das für sie passende Werkzeug auszuwählen. Keiner der beiden erwiderte etwas darauf. Schweigend nahmen sie einige Äxte, mehrere Messer und Skalpelle und auch einige Hämmer und legten sie vor sich auf den Werkzeugtisch.

„Irgendetwas, womit wir das Zeug transportieren können?“, fragte Peter.

„Bin schon dabei“, hörte er Charlotte sagen, die zwei große, mit Schaumstoff gepolsterte Werkzeugkoffer aus einem Regal zog und auf dem Boden abstellte.

Nach einigen Minuten waren sie fertig. Das Zeug musste nur noch in den Camper geschafft werden. Roland und Peter nahmen jeweils einen Koffer und wollten sich auf den Weg machen. Charlotte zögerte kurz.

„Ich schaue noch kurz oben im Bad vorbei. Es müssten noch Antibiotika, Schmerzmittel und sonst was da sein, das man irgendwann brauchen kann. Wer weiß, wozu es gut ist. Ich befürchte, die Drugstores haben geschlossen ...“ Es sollte ein Scherz sein, doch keiner lachte. „Bringt ihr schon mal die Koffer ins Auto. Ach so, hinten in der Garage sind noch zwei große Kanister mit Benzin. Die nehmen wir auch mit. Am besten füllt ihr jetzt schon den Tank auf. Und danach schauen wir nach, ob der Computer noch online ist, okay? „

Roland und Peter nickten und machten sich auf den Weg.

Charlotte sah ihnen schweigend nach. Ein seltsames Gefühl hatte sie erfasst, es war fast so, als würde ihr das Grauen erst jetzt zur Gänze bewusst. All die Toten, der Leichengeruch - und vor allem: das allgegenwärtige Stöhnen und Raunen in der Ferne. Egal, wie schwach es war. Die Geräuschkulisse war da.

Sie schüttelte die düsteren Gedanken ab, verließ den Werkzeugraum und lief die Treppe zum ersten Stock hoch, blieb dann aber auf dem Treppenabsatz stehen und lauschte. Ihr war, als hätte sie etwas gehört. War da etwas gewesen?

„Hallo!“ Ihre Stimme klang ihr fremd, und irgendwie kam sie sich dämlich vor; wie ein kleines Kind, das um die nächste Ecke den Schwarzen Mann erwartet.

Die Vormittagssonne fiel durch die Scheiben am Ende des Flurs und erschuf zwei Lichtbahnen, in denen Staubpartikel zu tanzen schienen.

Da war es wieder! Kam das aus dem Schlafzimmer? Charlotte schlug das Herz bis zum Hals. War Sam etwa doch im Haus? Oder sonst jemand? Einbrecher ...?

Sie zögerte und lauschte. Das Blut pochte wie wild in ihren Schläfen. Nur keinen Herzkasper kriegen!, machte sie sich selber Mut. Sam war auf der Air Force Base. Er musste einfach dort sein! Sie war wie gelähmt, sah die Treppe runter, den Flur entlang, horchte, lauschte. Nichts.

Geh einfach ins Bad! Schnapp dir die Medikamente und hau dann ab!, schrie es in ihr. Natürlich blieb sie stehen. Ihr Hals war trocken. Sie musste wissen, ob da jemand im Schlafzimmer war. Ob er da war ... Sam. Sie hatte nichts, mit dem sie sich hätte wehren können. Die Kettensäge war mittlerweile im Auto, gleiches galt für den Rest des Werkzeugs. Sollte sie noch einmal nach unten gehen und eine der übrig gebliebenen Äxte holen? Mit der kleinen Axt konnte sie gut umgehen. Mehr als einmal hatte sie früher beim Campen damit herumhantiert.

Endlich löste sie sich aus der Erstarrung und bewegte sich lautlos auf die Schlafzimmertür zu. Sie ging in die Hocke und wollte durch das Schlüsselloch sehen, doch der Schlüssel steckte von innen. Sie richtete sich wieder auf und legte den Kopf an die Tür. Da war etwas! War das ein Atmen? Was, wenn ein Zombie da drin war. Lauf weg! Lauf einfach weg!, schrie es in ihr. Sie blieb stehen und registrierte, wie sich ihre Hand auf die Türklinke legte. Sie konnte nicht anders. Sie musste wissen, wer da drin war. Sie drückte die Klinke nach unten und schob die Tür ganz vorsichtig etwas nach innen. Der Raum lag im Halbdunkel. Die Rollos waren fast ganz unten. Sie spähte durch den schmalen Spalt und sah zum Bett. Da lag jemand. Oder waren es nur die Kissen? Sie gab sich einen Ruck und öffnete die Tür leise gerade so weit, dass genügend Licht in den Raum fiel, damit sie besser sehen konnte.

Snoopy! Sie hätte beinahe laut gelacht. Es war ihr alter Plüsch-Snoopy, den sie immer dann auf ihrem Bett platzierte, wenn Sam nicht da war. Snoopy, den er so sehr hasste. Sam hatte ihn finden sollen, wenn er aus dem Manöver zurückgekehrt war. Er wäre ausgerastet. Dann hätte er sie gesucht, um sie zu schlagen. Doch sie wäre schon längst weg gewesen. Und Sam hätte getobt.

Charlotte schüttelte den Kopf. Sie hatte ihren letzten Abschiedsgruß für Sam einfach vergessen.

Sie lauschte erneut, doch da war nur Stille. Da war nichts. Wahrscheinlich hatten ihr die Nerven einen Streich gespielt, was angesichts der Situation kein Wunder war. Leise schloss sie die Tür, drehte sich dann um und ging zum Bad.

Medikamente!, sagte sie sich. Mach voran, die andern warten auf dich!

Sie öffnete die Tür zum großen Bad und hielt auf den Spiegelschrank mit den Medikamenten zu. Und dann sah sie ihn im Spiegel, seitlich neben der Tür.

Sam ...!


„Wo bleibt Charlotte nur“, murrte Peter. Er betrachte nachdenklich die Axt, die auf seinem Schoß lag. Einen Ast zu spalten, war eine Sache, das Ding gegen einen Menschen - auch wenn er tot war - zu richten, etwas völlig anderes.

„Wir sind tolle Kämpfer, nicht wahr“, bemerkte Roland stirnrunzelnd. „Sonja - tot. All die anderen ... Untoten. Die Zerstörungen, der Gestank. Ich glaube, ich realisiere erst jetzt, in was für einem Albtraum wir hier gelandet sind.“

„Nein“, erwiderte Peter. „Realisieren tun wir gar nichts, denn das hier kann kein Mensch begreifen - Untote ... Ich ... ich muss die ganze Zeit an zu Hause denken.“ Er machte eine kurze Pause. „Weißt du, ich muss die ganze Zeit an meinen kleinen Sohn denken. Er ist jetzt drei Monate alt, und die Mutter wollte nicht, dass ich ihn sehe. Wir hatten eine kurze Beziehung. Eigentlich nichts Ernstes, nach meiner Scheidung ... Aber das Kind ... Mir geht der Kleine einfach nicht aus dem Kopf. Ich wollte nie irgendeine feste Beziehung, nicht diese Klammer, nicht diese Fessel, aber als ich diesen kleinen Wurm zum ersten Mal auf dem Arm hielt ... Das war etwas ganz Besonderes. Diese großen blauen Augen, sein Lächeln. Ich muss einfach zurück, muss sehen, ob ich noch was für sie tun kann. Für ihn ...“

Roland blickte etwas überrascht. Peter hatte niemals zuvor erwähnt, dass er Vater geworden war. Und das, obwohl sie über drei Wochen gemeinsam im Mark-Twain-Nationalpark verbracht hatten. Peter hatte immer so getan, als wäre die Beziehung zu seiner derzeitigen Favoritin oder eher Nicht-Favoritin mittlerweile vorbei. Aus und finito ...

Peter lehnte sich im Sitz zurück. Tränen schimmerten in seinen Augen. „Kinder können einen verdammt fertigmachen. Besonderes, wenn sie gar nicht geplant sind. Dann sind sie plötzlich da, und du kannst dir eine Welt ohne sie nicht mehr vorstellen.“

Roland legte ihm kurz die Hand auf den Arm, sagte aber nichts. Er sah zur Uhr. Irgendwie war er nervös. Wo blieb Charlotte?


Charlotte stöhnte. Sie hatte sich abgerollt und war gegen die Badewanne geknallt. Ihr Kopf dröhnte. Das, was einmal ihr Mann gewesen war, beugte sich über sie, die Arme nach ihr ausgestreckt. Charlotte konnte den Biss an seinem Hals sehen. Ansonsten sah er aus, wie sie Sam in Erinnerung hatte. Der gut aussehende, muskulöse Mann mit Stoppelhaarschnitt. Die vollen Lippen, die so brutal lächeln konnten, wenn er zuschlug. Die mächtigen Fäuste, die sie so oft malträtiert hatten. Aber die Augen waren anders, es waren nicht mehr diese unglaublich blauen Augen, die oft so kalt und heimtückisch geblitzt hatten, wenn er nicht das bekommen hatte, was er hatte haben wollen. Es waren Augen, die irgendwie gelblich wirkten, fast wölfisch - oder einfach nur ... tot.

Charlotte warf sich zur Seite, doch Sam - oder das, was von ihm übrig war - hatte sie am Fußknöchel gepackt und hielt sie fest. Sie strampelte, trat, versuchte, sich zu befreien, doch gegen Sam hatte sie nie eine Chance gehabt, niemals zuvor - und jetzt auch nicht ... Tausend Gedanken und kein Gedanke. Erinnerungsblitze, Flashs. Ihr Atem raste. Sam hatte den Mund geöffnet. Sein Zahnfleisch wirkte schwärzlich. Sein Kiefer schnappte nach ihr. Er will mich beißen!, schrie es ihn ihr. Harold und Justin hatten erzählt, dass die Untoten nicht nur bissen, sondern im Fressrausch ihre Opfer auch ausschlachteten, sich von den Lebenden ernährten.

Das Messer!, schoss es ihr durch den Kopf. Das Messer, das sie im Kosmetikschränkchen unter den Handtüchern versteckt hatte. Ein langes Fleischermesser, das sie sich vor langer Zeit zugelegt hatte, nachdem Sam sie das letzte Mal im Bad vergewaltigt hatte. Sam kümmerte sich nie um Hausarbeit. Handtücher interessierten ihn nicht. Und die brave Charlotte leistete niemals Widerstand ... Fast überall im Haus hatte Charlotte Messer versteckt. In der Nachttischkommode, bei den Bügelsachen, im Waschraum. Messer, an die sie sich geklammert hatte und die sie doch niemals gegen Sam verwendet hatte. Irgendwann bekam sie es mit der Angst zu tun, dass Sam ihr doch auf die Schliche kommen könnte und sie mit ihren eigenen Messern ermorden würde. Meine Frau wollte mich töten!, konnte sie ihn mit Unschuldsmiene sagen hören. Ich hatte keine andere Wahl ...

Charlotte wirbelte herum, so weit es der Griff von Sam zuließ, und zog sich über den Boden hin zum Kosmetikschrank. Ein paar Zentimeter noch. Sam gab gutturale Laute von sich. Ein unmenschliches Knurren, das eher nach einem Tier klang. Sein Atem stank. Er stank. Nach Verwesung, nach Tod. Sein Hosenlatz war verschmiert. Noch ein paar Zentimeter. Charlotte bekam keine Luft mehr. Wenn sie jetzt die Besinnung verlor ... Nein, Mädchen, du hast Pech. Du wirst nicht sterben. Es ist schlimmer. Du wirst als teilgehacktes, teilgefressenes Etwas zurückkehren. Dabei siehst du so schon beschissen genug aus, mit deinen Mikrotitten und deinem nicht vorhandenen Flacharsch, Honey. Sie versuchte, Luft zu holen, sich zu konzentrieren, Kraft zu schöpfen. Mit einem Ruck zog sie das Bein an den Körper. Und Sam ließ tatsächlich los. Offensichtlich stand es mit der Koordination der Untoten nicht zum Besten. Einem lebenden Sam wäre so etwas nicht passiert. Er hätte sie mit einem Arm hochgehoben und ihren Kopf gegen die Badewanne geklatscht, dass sie die Englein hätte singen hören können. Bimm, Bamm ... Und er hätte gelacht und solange weitergemacht, bis Charlotte vor Schmerz die Besinnung verloren hätte - und selbst dann noch nicht aufgehört.

Irgendwie gelang es ihr, die Tür des Kosmetikschränkchens zu öffnen. Verzweifelt fischten ihre Finger zwischen den Handtüchern. Wo war das verdammte Scheißding? Wo nur? Sie zuckte zusammen, als sie sich an der Klinge schnitt. Da war es! Ihre Finger bekamen das Messer zu greifen. Sie stöhnte auf, als die Klinge erneut in ihre Hand schnitt. Nein, oh nein ... Doch irgendwie bekam sie dann doch den Griff zu fassen. Das Messer lag schwer in ihrer Hand. Charlotte keuchte. Die Zeit schien stillzustehen. Sie drehte sich um, wandte sich Sam zu, der ganz nah war. Sie würgte, als sein fauliger Atem ihr ins Gesicht schlug. Sie sah - tote Augen, ein aufgerissenes Maul, ein wild zuschnappender Kiefer. Sie hörte - Stöhnen, Raunen und etwas, das fast nach den perversen Sex-Geräuschen ihres Mannes klang. Sams Kopf kam näher, noch näher. Charlotte stand förmlich neben sich. Da lag sie am Boden, gegen das Kosmetikschränkchen gelehnt, das Messer krampfhaft in der Hand. Wie aus dem Nichts erschienen zwei Gestalten in der Tür. Roland und Peter. Wie in Zeitlupe kamen sie auf sie zu, wollten Sam packen, ihr helfen, sie retten. Dann riss der Film. Und anstatt Zeitlupe gab es ein schnelles Vorspulen. Charlotte sah ihren Arm, das Messer, das regelrecht auf Sams Gesicht zuflog. Dann die Klinge, die ins rechte Auge drang. Dunkles Blut spritzte hervor. Sam kippte zur Seite und gab weiter stöhnende Laute von sich, sein Kiefer schnappte unkontrolliert. Und Charlotte bohrte das Messer noch tiefer in die Augenhöhle, drehte den Griff, riss Wunden, noch tiefere Wunden, die selbst den Untoten töten konnten, hoffte sie, bettete sie fast - in diesem seltsamen Moment. Sie zog das Messer zurück, stach noch einmal zu. Sie wusste nicht, dass sie schrie, dass sie schimpfte und fluchte. Und dann lag Sam einfach nur da und regte sich nicht mehr. Und der Kiefer hatte aufgehört, nach ihr zu schnappen. Ein blutverschmiertes stinkendes Etwas, das einmal ihr Mann war.

Roland half Charlotte auf die Beine. Peter behielt Sam im Auge, ob er sich vielleicht doch noch einmal regen würde. Er hielt die Axt fest umgriffen, um im Falle des Falles sofort zuschlagen zu können, und er würde nicht zögern, nicht bei diesem Ding, das da am Boden lag.

„Das hat er nicht verdient“, stieß Charlotte hervor.

Roland warf Peter einen schnellen Blick zu. Da hatte der Dreckssack von Ehemann endlich das bekommen, was er verdiente, und das blöde Weib heulte noch um ihn. Frauen waren wirklich nicht zu verstehen ...

„Das hat er nicht verdient!“, heulte Charlotte erneut auf und starrte Roland mit tränenerfüllten Augen an. Rotz lief ihr aus der Nase. „Der Dreckskerl hätte leiden sollen. Lange leiden. Das ging alles viel zu schnell!“

Sie standen reglos im Badezimmer und starrten auf die Leiche von Sam. Peter hatte ein Handtuch über Sams Gesicht ausgebreitet.

„Komm“, sagte Roland schließlich und legte Charlotte den Arm um die Schulter. „Lasst uns hier verschwinden.“

Charlotte nickte und wischte sich den Rest von Rotz aus dem Gesicht. Sie atmete tief durch und richtete sich dann auf. „Die Medikamente ...“, sagte sie leise, „... die sollten wir nicht vergessen.“ Sie stutzte. Ihr war, als hätte sie etwas vergessen. „Ach so, das Internet ... Peter, Roland ... schaut unten mal im Wohnzimmer nach, da steht Sams Laptop. Das Passwort ist einfach Charlotte, ich denke nicht, dass Sam es geändert hat, dafür war er viel zu bequem. Ich wasche mir noch mal kurz übers Gesicht, ich bekomme einfach nicht diesen Leichengeruch aus der Nase. Es ist zu widerlich.“

Peter und Roland nickten ihr kurz zu, dann gingen sie nach unten ins Wohnzimmer, um nach dem Laptop zu sehen.


Eine seltsame Ruhe hatte Charlotte plötzlich erfasst, als sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. Ihr Peiniger war tot. Ihr Mann war tot. Er lag da am Boden, ein getöteter Untoter, das Gesicht durch ein Handtuch verdeckt. Hast du überhaupt jemals was für ihn empfunden? Hast du Sam jemals geliebt? Vielleicht - irgendwann vor Ewigkeiten. Sie fühlte sich in diesem Augenblick nur noch leer. Und doch war da etwas in ihr: eine Gewissheit. Niemals wieder würde ein Mann Hand an sie legen. Das war vorbei. Endgültig. Und würde jemals wieder in ihrem Leben, egal, wie lange es noch währte, ein Mann versuchen, ihr Gewalt anzutun, sie würde nicht mehr zögern. Sie würde zurückschlagen, sie würde zustechen, sie würde ihm dermaßen in die Weichteile treten, dass er sich nicht so schnell wieder davon erholen würde, vielleicht niemals. Und das war gut so ...


Als sie kurze Zeit später nach unten kam, standen Peter und Roland schon abfahrbereit in der Diele.

„Und - habt ihr Mails?“, fragte Charlotte.

Peter zuckte die Achseln. „Da war kein Laptop. Nirgendwo. Habt ihr sonst wo im Haus noch einen Computer?“

Charlotte sah ihn erstaunt an: „Nein, ihr wisst ja, dass ich nicht unbedingt der Nerd bin, nur Sam hatte ein Laptop.“ Sie schürzte die Lippen. „Weiß der Henker, was der Kerl mit dem Laptop angestellt hat. Ich will es ehrlich gesagt auch gar nicht so genau wissen ...“

„Ist egal“, meinte Roland. „Kommt, gehen wir. Ich fühle mich einfach nicht wohl mit der Leiche dort oben ...“

Sie sahen sich kurz an, dann verließen sie das Haus.

Charlotte wusste, dass sie niemals hierher zurückkehren würde. Es war sowieso niemals ein Zuhause gewesen.

Tempus Z

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