Читать книгу Tempus Z - Jo Caminos - Страница 13

7. Kapitel Joshuas Story - altes Eis ...

Оглавление

Am Vorabend vor Day Z - Boston, Massachusetts


Er sah, dass Mary-Ann gerade das Redaktionsbüro betreten hatte und zielstrebig auf seine Ecke zuhielt. Mein Herzchen früh morgens um neun! Troublemarker on the way ..., stöhnte er im Stillen. Es war zu spät, seinen Schreibtisch zu verlassen. Also tat er zumindest so, als sei er in einen Artikel vertieft, obwohl er wusste, dass sich seine Chefin nicht darum scheren würde, ob irgendeiner ihrer Angestellten mit irgendetwas beschäftigt war. Sie hatte oberste Priorität, immer und jederzeit.

„Josh - hast du dir die Geschichte über den Vorfall in der Antarktisstation mittlerweile angesehen?“, kam sie ohne ein Guten Morgen, wie geht es! direkt zur Sache. Auch das war typisch Mary-Ann Parker. Und es war zugleich eine ihrer größten Stärken: fokussiert sein, der Geschichte auf den Grund gehen, nichts Redundantes zulassen ...

Joshua Cunningham schwang mit seinem Stuhl herum und lächelte sie an. „Auch dir einen schönen Morgen, Mary-Ann. Und ja, ich habe mir die Notiz angesehen. Und nein, das dürfte keine große Story sein.“

Gemeint war eine schon etwas ältere Reuters-Meldung von vor ein paar Wochen, dass es in einer Forschungsstation in der Antarktis zu einem Zwischenfall gekommen war, in deren Verlauf die gesamte wissenschaftliche Besatzung ums Leben gekommen war. Das entsandte Rettungsteam hatte nur noch die Leichen bergen können. Es wurde vermutet, dass es bedingt durch Einsamkeit und Isolation zu einer Art Lagerkoller gekommen war.

Mary-Ann sah Joshua in die Augen. Dann erschien auf ihren Lippen dieses unscheinbare und doch so gefährliche Lächeln, mit dem er schon mehr als einmal Bekanntschaft gemacht hatte.

„Da ist mehr dran, Schatz. Vertraue mir, ich hab das im Gefühl.“

Joshua erwiderte nichts. Es war nicht gut, sich mit Mary-Anns Gefühlen anzulegen, besonders dann nicht, wenn es um eine Story ging. Die Frau hatte ein untrügliches Gespür, wenn an einer Geschichte mehr dran war, als es den Anschein hatte.

„Was hältst du von der Randnotiz, dass bei einigen der toten Wissenschaftler Bissspuren vorhanden waren? Menschliche Bissspuren ...“, fuhr Mary-Ann fort.

„Was soll ich davon halten“, entgegnete er skeptisch. „Die Leute sind durchgedreht. Die Isolation, Schneestürme, unmenschliche Kälte. Irgendetwas hat irgendeinen zum Durchdrehen gebracht, und dann sind sie sich gegenseitig an den Hals gegangen. Kratzen, Beißen ... was weiß ich, wozu Menschen fähig sind, wenn sie durchdrehen. Ich weiß nicht genau, worauf du hinauswillst, Mary-Ann? Bei den Forschungsarbeiten handelte es sich um Tiefenbohrungen, wie sie seit Jahren durchgeführt werden. Nichts Außergewöhnliches. Es wurde kein Gold gefunden, kein neues Element entdeckt. Lediglich Eis aus der Zeit, als die heutige Antarktis subtropisch war - also vor Äonen oder so.“

„Oder so. Genau. Und was ist mit den beiden Typen von der Rettungseinheit, die nach der Rückkehr erkrankt sind. Hast du diesen Zwischenfall übersehen?“

Joshua stutzte. Davon wusste er nichts. Ihm wurde heiß. Wenn Mary-Ann eines hasste, dann das, wenn nicht weit genug oder tief genug recherchiert wurde, wenn nicht allen Querverbindungen nachgegangen worden war, egal, wie unwahrscheinlich sie auch waren.

„Okay“, fuhr sie etwa leiser fort. Sie warf ihm einen Folder mit Notizen auf den Schreibtisch. „Schau dir das an. Es sind Memos über einen Zwischenfall im Westen von Missouri, auf einer Air Base ... White ... Whitehawk Air Force Base, ja genau ... Um es kurz zu machen und dir die Arbeit etwas zu erleichtern, was natürlich nicht meine Aufgabe ist ... - zwei Spezialisten sind auf dem Stützpunkt durchgedreht. Sie wurden erschossen. Und jetzt rate mal, was sie vorher gemacht haben bzw. wo sie vorher waren? Bingo! Sie gehörten zu dem Rettungsteam, das in der Antarktis unterwegs war.“ Mary-Ann machte eine kurze Pause. „Bis heute Abend will ich etwas Brauchbares haben, Josh. Meine Nase juckt, und sie juckt nur, wenn an einer Geschichte mehr dran ist.“

Sie nickte ihm zu, machte dann auf dem Absatz kehrt und verließ das Büro. Joshua war augenblicklich auf der Hut. Wenn Mary-Anns Stimme diesen leisen, aber sehr bestimmten Tonfall annahm, war Vorsicht angesagt. Im Stillen ärgerte er sich, dass er die Geschichte nicht ernst genommen hatte. Vielleicht saß er deshalb noch hier in seiner Ecke im Großbüro und wurde nicht erst seit gestern bei Beförderungen regelmäßig übergangen, obwohl er sich im Grunde genommen sehr gut mit Mary-Ann verstand, aber sie war eben nur eine aus der Chefetage, da gab es andere - und denen war er zu lax. Ihm fehlte einfach der Biss ...

Also gut, sagte er sich. Gehen wir die Sache noch einmal von vorne an. Er breitete die Folien, Fotos und Notizen vor sich auf dem Schreibtisch aus. Querverbindungen, Namen, Adressen ... Er wusste, es würde heute spät werden. Sehr spät wahrscheinlich. Julie - seiner Lebenspartnerin - würde das nicht passen. Aber, wann passte ihr überhaupt etwas, in letzter Zeit, eigentlich immer ...? Er drängte die Gedanken an Julie zurück. Es gab einen Job zu tun ...


Es war kurz vor zwanzig Uhr. Joshua stand am Fenster von Mary-Anns Büro und ließ den Blick über die Silhouette von Boston schweifen. Ihm knurrte der Magen, sein Mund fühlte sich pelzig an. Mary-Ann war noch immer in einer Konferenz mit den Abteilungsleitern, aber er widerstand der Versuchung, das recherchierte Material einfach auf ihrem Schreibtisch zu platzieren und nach Hause zu gehen. Viel hatte er nicht herausgefunden. Die Telefonate mit der Pressestelle der Air Base waren wenig ergiebig gewesen, gleiches galt für den Versuch, bei Ice Core Scientific mehr über die Tiefenbohrungen herauszufinden.

Mary-Ann kam ins Büro. Sie sah müde aus, abgekämpft. Schweigend nahm sie hinter ihrem Schreibtisch Platz und forderte Joshua dann auf, sich ebenfalls zu setzen.

„Der Tag war die Hölle. Die Alten scheinen den Aufstand zu proben, und in einigen Krankenhäusern scheinen Patienten auf Randale aus zu sein“, sagte sie mehr zu sich selbst. Sie winkte ab. „Also ...“

Joshua hatte den Folder mit dem recherchierten Material geöffnet. Die Unterlagen dienten ihm lediglich als Gedächtnisstütze. Mary-Ann konnte es nicht leiden, wenn ihre Redakteure zu viel ablasen. Sie bevorzugte die freie Rede und vor allem den offenen Blick.

„Leider weniger, als ich es mir wünschte“, sagte Joshua. „Die Pressestelle auf Whitehawk Air Force Base hält sich bedeckt. Interna werden nicht nach außen gegeben. Datenschutz, persönliche Rechte, der ganze Kladderadatsch ... Man hat mich auf das offizielle Dossier verwiesen. Die beiden Spezialisten waren für die Rettungsmission freigestellt und wurden von Ice Core Scientific bezahlt, das ausführende Forschungsunternehmen. Die psychologischen Profile sprechen von fadenscheinigen ehelichen Problemen, die zum Konflikt geführt hätten. Im Kansas City Inquirer fand ich einen Kommentar, dass beide Spezialisten befreundet waren, aber miteinander konkurrierten.“ Joshua warf einen schnellen Blick auf ein zweites Blatt und fuhr dann fort. „Seltsam ist dabei, dass die Spezialisten nicht aufeinander losgegangen sind, sondern Kollegen angegriffen haben. Es ist die Rede von tobsuchtsartigen Anfällen - mit Bissattacken ... Aber dieser Hinweis wurde nicht bestätigt. Es hieß, beide wären erschossen worden. Allerdings gibt es nichts, was darauf hinweist, dass sie selbst Waffen eingesetzt hätten. Der Inquirer musste einen Widerruf drucken, offensichtlich hat man vonseiten der Militärs interveniert. Was Ice Core Scientific angeht, bin ich auch nicht sehr viel weitergekommen. Es soll sich um Routinebohrungen handeln, die in die Forschung gehen, weltweit ... Auch hier wurde der große, geheimnisvolle Deckmantel ausgebreitet, was allerdings nicht außergewöhnlich ist. Die Antarktis ist ein strittiges Thema. Niemand hat ein Recht darauf, alle wollen sie ... Stichwort: Rohstoffressourcen ...“

Schwall nicht!, durchfuhr es ihn, als er Mary-Anns Blick auf sich ruhen sah. „Interessant könnte noch sein, dass die Proben an verschiedene Forschungseinrichtungen weltweit verschickt wurden, sagte ich ja bereits ...“ Joshua räusperte sich, als er Mary-Anns ironischen Blick wahrnahm. Er redete einfach weiter. Lass dich nicht durch sie verwirren! Sie liebt das! „Es handelt sich hier wohl um eine wissenschaftliche Zusammenarbeit von verschiedenen Instituten. Ice Core Scientific übernimmt dabei die Logistik, d. h. Flüge, Ausstattung der Wissenschaftsstation etc. - die Bohrproben selbst gehen dann an verschiedene Institute. Sogar nach China ... Wonach genau geforscht wird, wollte man mir natürlich nicht sagen. Grundlagenforschung, Erdvergangenheit ...“

Joshua sah Mary-Ann in die Augen. Das ist ihr nicht genug!

Seltsamerweise lächelte sie. „Ice Core und das Konsortium halten dicht, das ist nichts Neues. Ein Großteil der Finanzierung soll - was natürlich nicht öffentlich ist - von den Chinesen kommen ... Und das sieht man hier bei uns nicht gerne. Nein, mich interessiert vielmehr, warum die beiden Spezialisten erschossen wurden. Da wurde mir zu viel herumgebügelt: Pressedementis, korrigierte Statements vonseiten des Inquirer. Nö, Leute, dafür bin ich zu lange im Geschäft ...“ Sie schien mehr mit sich selbst zu reden, schwang mit ihrem Sessel herum und ließ den Blick über die Skyline schweifen.

„Du machst dich mit Jack auf den Weg und siehst dich vor Ort in Missouri um. Kansas City - der Inquirer, andere Blätter ... jedem Fitzelchen geht ihr nach. Jack soll Fotos schießen, viele Fotos, auch auf der Air Base ...“ Mary-Ann war mit ihrem Sessel wieder herumgeschwungen. Ihr Blick war hart.

„Die lochen uns ein“, meinte Joshua. „Auf der Air Base kennen die da keinen Spaß, ich muss dich wohl nicht an die Geschichte in Washington erinnern, als Jack und ich eine Woche im Bau festsaßen ...“

„Berufsrisiko, und wozu gibt es überhaupt den ganzen neumodischen Schnickschnack. Keiner muss die Kamera sehen, nicht wahr ...“, erwiderte sie salopp. „Ach so, Josh, Wende dich im Inquirer nicht an den neuen Chefredakteur, ich hatte vergessen, das heute Morgen zu erwähnen.“

„Nicht an McKiney?“

„Nicht an McKiney. Der Kerl ist ein Arsch. Wende dich an Big Bobby Bartley. Fast zwei Meter groß, ziemlich schwarz, ziemlich fett, unglaublich clever und einer der besten Journalisten, die ich kenne. Und abgesehen davon: ein ganz feiner Mensch ... Ich habe eure Flüge schon buchen lassen. Ihr fliegt morgen früh um 8:00 Uhr mit Southwest Airlines. Danke, das wäre alles.“

Damit war er entlassen. Er fischte seine Unterlagen zusammen und wollte gerade gehen, als ihm ihre Bemerkungen über die Redaktionskonferenz noch einmal in den Sinn kamen.

„Was ist eigentlich mit den Krankenhäusern und Altenheimen?“, fragte er fast beiläufig, als er die Tür erreicht hatte. „Du hast so etwas vor dich hingemurmelt, als du vorhin hereingekommen bist.“

Mary-Ann antwortete nicht sofort. Sie hatte die Lippen geschürzt und schien nachzudenken.

„Tobsuchtsanfälle und Bissattacken. Ein paar zu viele ... in zu kurzer Zeit. Aber vielleicht sehe ich auch nur Gespenster und stelle Verbindungen her, wo es keine gibt.“

Das ist eher unwahrscheinlich, dachte Joshua. Ein ungutes Gefühl saß ihm im Nacken. Und das hing nicht damit zusammen, dass er Julie erklären musste, dass er morgen früh für den Sender nach Kansas City aufbrechen würde.

Tempus Z

Подняться наверх