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5. Kapitel Cindy - letzte Neuigkeiten ...

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Sie wollten gerade in den Camper einsteigen und sich auf den Weg machen, als eine Frau aus dem Nachbarhaus auf sie zugelaufen kam. Sie blieb zitternd vor ihnen stehen. Die Frau schien verwirrt und sah sich immer wieder gehetzt um, als erwartete sie jeden Augenblick einen Angriff von Untoten.

Es war Cindy Mulhouse, eine attraktive Vierzigjährige, die als Sozialarbeiterin an der Hobart Highschool arbeitete. Charlotte und Sam hatten kaum Kontakt zu ihren Nachbarn gehalten. Sam hatte es nicht gewollt. Und als Charlotte damals doch zu der Poolparty der Millers gegangen war, hatte er sie am Abend brutal grün und blau geschlagen. In den ersten Monaten, als Cindy und ihr Lebenspartner in das Nachbarhaus gezogen waren, war es Cindy gewesen, die Charlotte hin und wieder auf einen Kaffee eingeladen hatte. Aber Sam konnte die Sozialschlampe, wie er sie nannte, nicht ausstehen. Und so hielt Charlotte den Kontakt zu Cindy auf die Zeiten beschränkt, wenn Sam nicht da war. Irgendwann war es Cindy gewesen, die Charlotte auf ihre Eheprobleme angesprochen hatte und ihr vorschlug, einen Therapeuten aufzusuchen, aber Charlotte hatte abgelehnt und Cindy dabei fast flehend in die Augen gesehen, das Thema nicht wieder anzusprechen, vor allem nicht, falls Sam in der Nähe wäre.

„Ich dachte, hier wären alle tot“, brachte Cindy stockend hervor. Sie legte Charlotte die Hände auf die Schulter und drückte sie dann an sich. „Gott tut das gut, jemand Lebendigen zu sehen. Ich dachte wirklich, hier wären alle tot, seit ... Henry ist niemals zurückgekommen, weißt du.“ Henry war ihr Lebenspartner, ein Lehrer von der Highschool. Sie waren seit etwas über zwei Jahren zusammen und hatten im Frühjahr heiraten wollen. „Er war in der Stadt unterwegs. Ich ... ich hoffe, dass er tot ist und nicht als Untoter umherwandert. Mein Gott ...“ Sie löste die Umarmung und nickte Roland und Peter zu.

Charlotte schilderte in kurzen Worten, dass sie mit ihren alten Freunden die letzten Wochen über auf einer Trekking-Tour im Mark-Twain-Nationalpark unterwegs war und erst heute zurückgekehrt sei. Dass sie vor Sam geflüchtet war und geplant hatte, die Staaten zu verlassen, ließ sie dabei außen vor, aber sie ahnte, dass Cindy auch so Bescheid wusste. Sie hatten ja oft genug bei Kaffee und Kuchen über Sam und seine Wutausbrüche gesprochen.

„Ist Sam noch im Haus ...?“, fragte Cindy. „Ich meine, als die Katastrophe anfing, ist er eines Abends früh nach Hause gekommen. Du hattest mir erzählt, dass er im Manöver wäre. Und ich fand es komisch. Du warst weg, und kurze Zeit später kamen einige eurer ... seiner Kumpels vom Militär vorbei. Sie waren nur kurz im Haus und verließen es bald danach mit jeder Menge Waffen. Ich hielt mich versteckt. In der Stadt herrschte Chaos, dann die Meldungen im Netz und im Fernsehen. Es gab schlimme Plünderungen, als die ganze Sache anfing. Sam fuhr mit den anderen mit, kam aber am nächsten Tag früh morgens noch einmal zurück. Er hatte seinen Wagen direkt in die Garage gefahren. Offensichtlich wollte er nicht, dass man wusste, dass er hier war. Er hat mit einem Gewehr auf mich gezielt und mir angedroht, mich zu erschießen, als er mich am Fenster sah, Charlotte! Dann habe ich euch kommen sehen. Ich ... ich weiß nicht mehr weiter.“

Charlotte rang sich ein Lächeln ab und legte Cindy sanft die Hand auf den Arm. „Sam ist tot, Cindy, das ist vorbei, er wird niemals wieder irgendjemanden bedrohen“, sagte sie mit seltsam ruhiger Stimme. „Er wurde gebissen ...“ Sie wollte nicht weiter über Sam nachdenken, nicht über ihn reden.

„Wir sind auf dem Weg zur Whitehawk Air Force Base“, fuhr Charlotte kurz darauf fort. „Wir suchen nach einer Möglichkeit, nach Deutschland zurückkehren zu können. Auf Whitehawk Air Force Base soll eine Safe Zone eingerichtet worden sein. Das ist bestimmt besser, als hier in der Stadt zu bleiben - mit all den Untoten. Und ...“

„In die Safe Zone?“, stieß Cindy hervor. „Oh nein, tut das nicht. Die Safe Zones sind eine Lüge. Im Netz grassieren die schlimmsten Gerüchte. Die Kontrollen waren am Anfang viel zu lasch. In vielen Safe Zones ist die Seuche ausgebrochen! All die vielen Menschen auf engstem Raum ... Es soll zu schrecklichen Massakern gekommen sein, als die Soldaten wild in die Menge feuerten. Sie setzten sogar Flammenwerfer ein, heißt es. Und ...“

„Beruhige dich!“, sagte Charlotte leise. Sie sah Cindy fest in die Augen.

„Gut.“ Cindy schluckte. „Aber es kommt noch schlimmer, Charlotte. In Japan kam es offensichtlich zu einer Kernschmelze. Einer der alten Reaktoren in Fukushima scheint nur notdürftig geflickt worden zu sein, und der ist durchgegangen. Was da genau vor sich geht, weiß keiner. Aber Tokio soll mittlerweile eine tote Stadt mit radioaktiv verstrahlten Untoten sein. Japan ist verloren, und man kann nur hoffen, dass die Untoten nicht schwimmen können. Und dann diese schreckliche radioaktive Wolke ...“

„Scheiße“, murmelte Roland und warf Peter einen schnellen Blick zu.

„Es ist nirgendwo sicher, glaubt mir“, sagte Cindy. „Bleibt doch hier. Ich habe etliches an Vorräten, die Kühltruhen sind voll, und wir haben doch den Panic Room unten im Keller, Charlotte, das weißt du doch! Selbst wenn Plünderer kommen sollten, im Panic Room wären wir sicher, da kommt niemand rein, wir haben sogar eine autarke Sauerstoffversorgung, und ...“ Cindy zitterte, während sie redete, ihre Pupillen wirkten unnatürlich groß. Sie wollte gerade zu einem weiteren Redeschwall ansetzen, als Charlotte energisch den Kopf schüttelte: „Nein! Cindy, versteh doch, wir wollen unter allen Umständen zurück nach Deutschland, wir werden nicht in den Staaten bleiben, wir wollen unbedingt zurück!“

Cindy schluchzte und verbarg kurz das Gesicht in den Händen, dann sah sie wieder auf. Tränen liefen ihr die Wangen herab. „Aber da ist es auch nicht sicher, in Europa soll es grauenhaft sein, heißt es in den Blogs. Nein, bleiben wir doch hier - zusammen. Irgendwann muss dieses Chaos doch ein Ende haben. Es wird einen Wirkstoff geben, einen Impfstoff, irgendetwas ... Wir können hier überleben, zusammen. Oh, bitte. Ich werde hier noch verrückt. Ihr könnt so viel zu Essen haben, wie ihr wollt, alles - aber bitte, bleibt hier!“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Vielleicht wird es einen Impfstoff geben, irgendwann, aber darauf können wir nicht warten.“

Cindy schluchzte erneut auf und wandte dann das Gesicht ab. Ihr Blick ging in die Ferne, ganz weit weg.

Es vergingen einige Momente, bis Peter fragte: „Funktioniert ihr Internet-Anschluss noch, Ma´am?“

Sie wischte sich über die Augen und sah ihn dann blinzelnd an. „Ja, aber seit ein paar Tagen wird es immer schwieriger, eine Online-Verbindung aufzubauen. Der Strom fällt auch immer öfter aus. Aber wenn Sie online gehen wollen, können Sie es gerne versuchen.“

„Genau das, und machen wir besser, dass wir von der Straße kommen“, sagte Roland, der sich mit einem ungemütlichen Gefühl im Nacken umsah. Ihm war, als wäre das Raunen und Stöhnen in der Ferne lauter geworden. Es war unheimlich.

„Ja, finde ich auch“, sagte Charlotte, die sich ähnlich unwohl fühlte. Für einen Moment war ihr wieder Sam vor ihrem inneren Auge erschienen. Sie wusste, dass sie von ihm träumen würde - von diesem Gesicht, das zwar wie ihr Mann aussah - und doch so ganz anders war: lebend tot ... Sie ließ den Blick kurz die Straße rauf- und runterschweifen, sah zu den Nachbarhäusern. Doch niemand sonst war auf die Straße gekommen, glücklicherweise auch keine Untoten.

Kurz darauf betraten sie Cindys Haus. Sie führte sie in ihr Arbeitszimmer, wo ein 17-Zoll-Laptop auf einem Computerarbeitstisch stand.

Cindy fuhr den Laptop hoch, loggte sich ein und kontrollierte die WLAN-Verbindung. Der Rechner war online. Sie öffnete den Browser und kurz darauf verschiedene Seiten von Bloggern, die über die Katastrophe berichteten. Dann machte sie den Platz frei und ließ Peter an den Rechner. Er öffnete zusätzliche Tabs und suchte nach Informationen über Deutschland, dann nach Meldungen über die radioaktive Wolke in Japan. Viele der Meldungen widersprachen sich. Einerseits hieß es, Deutschland sei - wie der Rest von Europa - verloren. Dann wieder gab es Einträge, dass Frachtmaschinen nach wie vor das Achsenkreuz Frankfurt/Flughafen anflogen. Ähnlich verhielt es sich mit Japan. In einem Blog gab es eine Grafik, die zeigte, das Japan gänzlich dem Untergang geweiht war. An anderer Stelle hieß es dagegen, es sei nur minimale Radioaktivität ausgetreten, alles wäre im Griff und das japanische Militär würde nach wie vor gegen die Herden der Untoten vorgehen - und sie auch zurückschlagen.

Peter wechselte erneut auf einen anderen Tab und wollte sein E-Mail Account im Web abrufen, doch die Seite gab nur eine Fehlermeldung aus. Also nicht!

Roland tat es ihm kurze Zeit darauf gleich, doch auch seine Web-Accounts waren nicht verfügbar.

„Das bringt uns alles nicht weiter“, stellte Peter, der erneut am Rechner Platz genommen hatte, nach einer Weile fest. „Die Blogs verbreiten mehr Paranoia als Information. Religiöse Spinner, Fanatiker. Einerseits Berichte über die totale Vernichtung, dann wiederum Durchhalteparolen.“ Er machte eine kurze Pause und sah die anderen der Reihe nach an. „Ich denke, es bringt nichts, wenn wir weiter hier herumsitzen. Machen wir, dass wir auf die Whitehawk Air Force Base kommen. Dort besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, nach Hause kommen zu können. Und selbst wenn sie mich in den Container eines Frachtflugzeugs stecken, es ist mir wurscht. Ich will nach Deutschland, ganz egal wie.“

„Aber hier sind wir in Sicherheit“, meinte Cindy leise. Offensichtlich wollte sie um jeden Preis verhindern, dass die drei sie alleine zurücklassen würden. Sie würde sie nicht zur Whitehawk Air Force Base begleiten, nicht in diese verfluchte Safe Zone gehen. Die anderen mussten doch erkennen, dass es hier sicherer war ...

Peter sah ihr in die Augen. „Ich habe einen kleinen Sohn, er ist erst ein paar Monate alt. Alles, was mich treibt, ist die Sorge um dieses Kind. Ich werde verrückt bei dem Gedanken, dass diesem kleinen Wurm etwa zustoßen könnte und ich hätte nichts unternommen.“

„Und wenn er tot ist - oder verwandelt ...?“, erwiderte Cindy mit schwacher Stimme.

„Dann habe ich es zumindest versucht!“ Peters Stimme klang rau. Du warst viel zu lange passiv, hast dich treiben lassen. Im Grunde genommen war dir doch alles egal. Du hattest genügend Geld, dein gutes, bequemes Leben. Und dann kam der Tag X, und da war plötzlich dieses Kind. Und alles war anders.

„Bei mir verhält es sich ähnlich“, sagte Roland, der Charlotte einen schnellen Blick zuwarf, die überrascht war, dass Peter einen kleinen Sohn hatte. Auch ihr hatte Peter nichts von seinem Sohn erzählt.

Charlotte nickte. „Ja“, sagte sie schließlich. „Wir alle haben da wohl einiges gutzumachen, was die Vergangenheit angeht.“ Sie dachte an ihre Familie, mit der sie gebrochen hatte. All die Jahrzehnte ohne Kontakt. Sie hatte sich den Briefen verweigert, sich von allem abgekapselt. Bis zu diesem einen Tag - sie wusste selbst nicht genau, wie und wann es geschah - als ihr bewusst geworden war, wie sehr sie ihre Familie vermisste. Ihre Mutter war mittlerweile weit über achtzig. Da blieb nicht mehr viel Zeit. Und sie wollte ihre Schwester wiedersehen, unbedingt. Als Kinder waren sie fast wie Zwillinge gewesen, durch dick und dünn gegangen. Dann war Sam gekommen, und mit ihm hatte sich alles geändert. Nun, sagte sich Charlotte. Das lag nicht nur an Sam, das lag auch an dir, liebe Charlotte. Du wolltest es so! Du hast es mit dir machen lassen! Und jetzt bereust du. Und vielleicht wirst du bezahlen ...

Charlotte kehrte aus den Gedanken zurück und schenkte Cindy einen festen Blick, die sie verzweifelt ansah. „Du wirst hier auf Dauer nicht alleine überleben, Cindy. Komm mit uns!“, sagte sie mit fester Stimme, es klang fast beschwörend.

„Ich kann nicht, das weißt du doch.“ Cindy schüttelte resigniert den Kopf. Tränen schimmerten erneut in ihren Augen. „Ich kann einfach nicht. Meine Panikattacken, wenn da zu viele Menschen sind. Ich kann das einfach nicht.“ Ihr Blick war hoffnungslos.

Charlotte wusste nur zu gut, was Cindy meinte. Cindy litt schon seit Jahren an Panikattacken. Mit einzelnen Schülern zu arbeiten, stellte kein Problem für sie dar, aber wenn sie vor eine Schulklasse treten musste oder ein größeres Publikum hatte, war es schnell vorbei. Sie bekam dann keine Luft mehr, und ihr Herz raste wie verrückt. Mehr als einmal war sie während eines Vortrages umgekippt. Ihr waren einfach die Beine weggeknickt, dann war ihr Schwarz vor Augen geworden. Das Problem war: Keine Therapie hatte bis jetzt Wirkung gezeigt. Nein, Cindy würde nicht zur Whitehawk Air Force Base mitkommen. Und sie konnten nichts für Cindy tun. Sie würde hierbleiben und irgendwann sterben, hoffentlich, denn die Alternative wäre, als Untote zurückzukehren.

Charlotte wollte etwas sagen, Cindy trösten, doch sie schwieg. Es gab einfach nichts zu sagen, nichts, außer leeren Worten, die eh nichts geändert hätten.

Peter registrierte, dass einer der eher seriösen Blogs seine Feeds aktualisiert hatte. „Pech gehabt“, murmelte er leise. „Es gibt tatsächlich eine radioaktive Wolke, die westwärts zieht - über den Pazifik. Die Prognosen gehen von einer Nordströmung aus. Die Westküste Kanadas dürfte am stärksten betroffen sein, aber auch der Westen der USA wird aller Voraussicht nach nicht ungeschoren davonkommen. Ich denke, wir sollten aufbrechen.“

„Man kann vor einer radioaktiven Wolke nicht davonlaufen“, sagte Cindy schnell, dann sah sie erneut zum Fenster raus, und wieder schien ihr Blick ins Nichts zu gehen.

„Das nicht, aber darum geht es auch nicht. Nicht mehr!“, sagte Peter mit fester Stimme. „Noch können wir handeln! Wir sind mobil. Noch sind wir gesund. Mag sein, dass diese Scheißwelt den Bach runtergeht, aber ich bin nicht bereit, einfach aufzugeben und die Hände in den Schoss zu legen und auf das Ende zu warten ... Und ich will zu meinem Sohn!“

Eine halbe Stunde später saßen Charlotte, Roland und Peter im Camper und verließen Baxter´s Creek Richtung Whitehawk Air Force Base. Cindy blieb zurück. Sie hatte nicht am Fenster gestanden, als sie losgefahren waren ...

Tempus Z

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