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12. Kapitel Joshua - Schwanengesang für einen Freund

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Jack war Eis holen gegangen, während Joshua noch einmal die letzten Tagebucheinträge von Hensen am Laptop im Schnellverfahren überflog. Ein schweres Gewitter zog über das Land und hatte Sturzregen gebracht. Blitze zerrissen die Dunkelheit, sehr rasch gefolgt von heftigem Donner. Es war gegen 23:00 Uhr.

„Bist du noch online?“, fragte Jack, als er mit dem Eis zurückkam. „Draußen rollen jede Menge Militäreinheiten über die Interstate, und irgendjemand in der Lobby unten hat gemeint, auch die Nationalgarde wäre auf dem Weg nach Kansas City ...“

„Nein“, entgegnete Joshua, der die Stelle in den Aufzeichnungen gefunden hatte, nach der er gesucht hatte. „Warte.“

Joshua klickte einige lokale Online-Magazine an, wurde aber nicht fündig. Nur das Übliche: Stars, meistens der unteren Kategorie, die mal wieder dafür gesorgt hatten, dass die Welt wusste, mit wem sie jetzt ein Verhältnis hatten oder so. Ach, da war ja wieder diese Prominente mit dem Monster-Popo ... Aber nichts wirklich Relevantes.

„Einer in der Lobby meinte, es hätte in Kansas City, Columbia und St. Louis Terroranschläge gegeben, mit etlichen Toten.“

Joshua nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Es lief eine Sondersendung. Am unteren Rand des Bildschirmes war ein Laufband eingeblendet, das eine Telefonnummer zeigte. Er aktualisierte den Browser-Cache, und nun wurden die Sondermeldungen auch auf dem Laptop angezeigt. Es war von Angriffen die Rede, aber die Meldungen widersprachen sich zum Teil. Auf dem Bildschirm wurde eine In-Screen-Aufnahme eingeblendet, die Kansas City zeigte. Ein Reporter versuchte, einen Polizisten vor die Kamera zu bekommen, doch das Medienteam wurde zurückgedrängt. Joshua zappte schnell durch die Kanäle. Ein anderer Sender berichtete, dass die Angreifer erschossen worden wären. Irgendwo aus dem Off waren Schreie zu hören. Stimmen redeten wahllos durcheinander. Schüsse, noch mehr Geschrei. Dann das verwirrte Gesicht einer Reporterin. „Mehrere Schüsse konnten den Angreifer nicht stoppen. Es ist unglaublich. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen. Oh mein Gott, er hat die Frau gebissen. Ausblenden, ausblenden, schnell ...“

Joshua nahm sein Handy und wählte Mary-Anns Nummer, die innerhalb von Sekunden das Gespräch annahm.

„Josh, ich kann jetzt nicht. Hier ist die Hölle los! Offensichtlich haben wir es wieder mit Terroristen zu tun. Und diesmal richtig: New York, Philadelphia, Boston ... Ich melde mich, sobald ich kann, aber ...“

„Nein, Mary-Ann hör mir zu. Das sind keine Terroranschläge, nicht im üblichen Sinne ...“

Schnell berichtete er von den Tagebüchern.

„Du meinst, da besteht wirklich ein Zusammenhang?“, fragte Mary-Ann.

„Ja“, erwiderte Joshua mit fester Stimme. „Und Jack und ich gehen davon aus, dass in den Eiskernproben etwas war. Und was immer es ist, es wurde fast über die ganze Welt verteilt. Harry Hensen und die anderen des Teams haben sich offensichtlich mit irgendetwas infiziert, obwohl sie nicht gebissen wurden. Hörst du? Sie wurden nicht gebissen. Das lässt nur den Rückschluss zu, dass durch die Tiefenbohrung irgendetwas freigesetzt wurde.“

„Aber die Eiskernproben waren doch versiegelt, mit denen kam doch niemand in Berührung“, entgegnete Mary-Ann schnell. „Zumindest hat man das bei Ice Core Scientific gesagt. Denkt ihr, dass die lügen?“

„Nein!“, sagte Joshua schnell. „Die Aufzeichnungen der Tagebücher von Hensen sprechen für sich. Gut, natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass der Kerl einfach total durchgedreht war. Aber ich ... Jack und ich glauben es nicht. Die Quarantäne-Bestimmungen wurden befolgt. Die Station desinfiziert. Hier ist man äußerst sorgfältig vorgegangen sein. Aber irgendetwas muss in der Station freigesetzt worden sein. Gibt es Nachrichten aus anderen Ländern?“

Mary-Ann atmete heftig. „Die Nachrichtenticker sind am Rotieren. In Europa und Asien soll es zu ähnlichen Zwischenfällen gekommen sein. Überall ist von Terroranschlägen die Rede. Aber ich bin skeptisch. Die Beschreibung der Attacken erinnert an die Ausschreitungen in den Krankenhäusern und Altenheimen. Die Menschen drehen durch. Sie schlagen und treten. Und sie beißen um sich, so, als wären sie alle tollwütig geworden. Hier! Eben kommt eine Meldung rein, dass ...“ Mary-Ann zögerte. Joshua konnte sie heftig atmen hören. „Die Erschossenen stehen wieder auf! Das ist doch nicht möglich. Ein Journalist aus New York spricht davon, dass unbedingt ein Kopfschuss nötig ist, um die Angreifer endgültig niederzustrecken.“

„Es hängt mit dem zusammen, was Ice Core Scientific aus der Antarktis mitgebracht hat“, sagte Joshua mit fester Stimme. „Ich bin mir sicher. Was sollen wir jetzt tun?“

„Handelt auf eigene Faust“, sagte Mary-Ann. „Was war mit der Pressestelle auf Whitehawk Air Force Base?“

„Lügen“, erwiderte Joshua schnell. „Man kann es auch ein Zurechtbiegen der Wahrheit nennen. Die haben die Rivalität von Hensen und Porters als Vorwand benutzt, den Zwischenfall zu kaschieren. Hensen und Porters haben sich aber hundertprozentig nicht gegenseitig angegriffen, sondern die Soldaten auf dem Stützpunkt. Und ich wiederhole noch einmal: Hensen hält in seinen Unterlagen eindeutig fest, dass er nicht gebissen wurde. Davon gehen wir aus! Natürlich könnte es sein, dass es zu einem späteren Zeitpunkt in der Quarantäne noch einen Zwischenfall gab, aber das ist Spekulation. Hensen hat sich mit irgendetwas infiziert - und wohl auch die anderen. Die Tagebucheinträge werden mit jedem Tag verwirrender, so, als hätte Hensen die Kontrolle über sich verloren. Er spricht von einer unglaublichen Wut, dann von Apathie. Ich denke, dass das Verhalten, was wir jetzt über die Bildschirme flimmern sehen, genau das ist - eine unmenschliche, animalische Wut, die durch irgendetwas ausgelöst wird, was in der Antarktis verborgen war. Vielleicht über Jahrmillionen oder länger ... Die Antarktis war vor Urzeiten subtropisch. Vielleicht handelt es sich um Mikroben, etwas, das möglicherweise Äonen geruht hat. Und ...“

„Ja, ja, Josh, das ist alles sehr, sehr interessant, aber wie kann es sein, dass die Erschossenen wieder aufstehen?“, unterbrach ihn Mary-Ann ungeduldig. „Und was soll das mit den Kopfschüssen?“

Joshua atmete heftig durch. „Weil die Toten zurückkehren!“, stieß er dann hervor. „Ich habe keine andere Antwort. Bartley vertritt diesen Standpunkt. Ja, ja, ich weiß, wie das klingt. Aber das sind keine Terroranschläge, das ist etwas ganz anderes.“

„Gut ...“ Mary-Anns Stimme ließ keinen Rückschluss darauf zu, was sie wirklich dachte. „Josh. Du und Jack, ihr entscheidet selbst. Wollt ihr nach Boston zurück - gut. Wollt ihr weiter vor Ort recherchieren - auch gut. Aber passt auf euch auf! Hörst du?“

„Werden wir“, sagte Joshua noch, da hatte Mary-Ann bereits die Leitung getrennt.

Joshua und Jack sahen sich nachdenklich an. Eine Hubschrauberstaffel überflog das Motel. Ob sie in Richtung Whitehawk Air Force Base unterwegs war?

Jack hatte sich einen Whisky eingegossen. Er gab zwei Eiswürfel dazu und setzte sich dann auf das Bett.

„Und was machen wir jetzt? Im Ernst, ich habe vorhin versucht, einen Artikel zu formulieren, aber das klingt alles nur paranoid. Liebe Leute, wir von KFC-2000 haben die Antwort auf all eure Fragen. Nein, diesmal sind es nicht die bösen Terroristen. Diesmal sind es die Toten. The Dead walk ... Also haltet die Knarren bereit. Und denkt daran, nur ein Kopfschüsschen bringt die Erlösung ...

Joshua lachte, doch es klang nicht fröhlich. „Ich weiß. Ich bin auch nicht bereit, meinen Artikel in der gegenwärtigen Form freizugeben. Und weißt du was, ich denke, dass man uns ganz schnell die Daumenschrauben ansetzen wird, wenn wir das online stellen oder auf Sendung gehen ...“

„Spielt das noch eine Rolle?“, fragte Jack. „Mary-Ann hat uns doch explizit die freie Wahl gelassen.“

„No, no“, erwiderte Joshua schnell. „Das gilt für die weitere Recherche, du kennst Mary-Ann. Von der Veröffentlichung des Artikels war bis jetzt nicht die Rede.“

„Und wenn wir es trotzdem tun?“ Jacks Blick war hart.

„Und wenn wir eine Panik auslösen?“

„Dafür ist es zu spät, das habe ich im Urin.“ Jack blickte zu den Fenstern. Die Hubschrauberstaffel war noch immer zu hören. „Denke an das, was im Gemeinschaftsraum in der Antarktis stattgefunden haben muss. Und potenziere das alles um einen Faktor unbekannt. Die Eiskernproben wurden in x-Länder versandt. Das Einsatzteam setzte sich aus Mitgliedern aus verschiedenen Ländern zusammen. Dann die Meldungen jetzt aus Europa und Asien. Irgendetwas hat begonnen, und die Menschen müssen darauf vorbereitet sein ...“

Joshua schüttelte den Kopf. „Scheiße, ich weiß nicht, wie wir das halbwegs seriös rüberbringen sollen. Und wie ...“

„Ruf Mary-Ann an!“

Joshua zögerte einen Moment, dann wählte er erneut die Nummer, doch Mary-Ann ging nicht mehr an ihr Handy, nur die Sprachbox lief. Joshua wollte gerade eine Nachricht hinterlassen, dass sie vorhatten, den Artikel zu bringen, als er sich doch dagegen entschied.

„Und?“, fragte Jack.

„Die Sprachbox. Mary-Ann geht nicht mehr ans Handy. Weiß der Teufel, was da los ist ...“

Sie saßen sich schweigend gegenüber, dann gab Joshua erneut eine Nummer ein.

„Wen?“, fragte Jack.

„Bartley.“

„Denkst du, dass er uns helfen wird? Er hat doch selbst gesagt, dass er mehr oder minder kaltgestellt wurde.“

„Das war einmal, aber die Zeiten haben sich geändert. Ich gehe davon aus, dass Bartley eins und eins zusammenzählen kann. Es spielt keine Rolle mehr, ob er observiert wird, ob man ihm Schwierigkeiten machen wird. Das sind alles nur noch Peanuts, wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, und ...“

Obwohl es nach 23:00 Uhr war, hatte Joshua einen Moment später Bartley in der Leitung. Schnell berichtete er von den Tagebucheinträgen, von seinem Gespräch mit Mary-Ann, doch Bartley unterbrach ihn. Sie sollten nach Kansas City kommen, so schnell wie möglich. Und sie sollten in einem Lokalsender zusammen mit Bartley auf Sendung gehen. Die Menschen mussten informiert werden, egal, wie unglaublich alles klang.

„Wie ziehen wir es auf?“, fragte Jack, als Joshua das Gespräch mit Bartley beendet hatte.

„So einfach wie möglich. Nur auf den Kopf zielen, ob mit einer Waffe oder mit einem Messer. Egal mit was. Und sich nicht beißen lassen. Und Menschenmassen meiden.

„Wirst du von lebenden Toten reden?“

„Nein, wir ziehen die Sache so wissenschaftlich wie möglich durch. Eine Expedition in die Antarktis, ein unbekanntes Virus oder ein Mikroorganismus. Wutanfälle, Aggression ... Ich weiß noch nicht genau. Komm, packen wir unsere Sachen und verschwinden hier ...“


Es war zehn Minuten später.

Sie wollten gerade in ihren Mietwagen steigen, als ein Wagen mit quietschenden Reifen neben ihnen anhielt. Ein völlig aufgelöst wirkender Mann stieg aus und warf die Tür mit Wucht ins Schloss.

„Die Interstate ist gesperrt! Die lassen keinen mehr durch, verflucht! Meine Frau erwartet ein Kind, und ich komme nicht von hier weg.“

Joshua und Jack ließen den Mann vorbei, der vor sich hinfluchend in Richtung Lobby eilte.

„Verflucht, wie kommen wir nach Kansas City ...“, sagte Joshua mehr zu sich selbst.

„Der Helikopter-Verleih an der Ausfallstraße“, kam ihm Jack zu Hilfe. „Als wir von Elenor Hensen losgefahren sind, ist mir das Schild an der Interstate aufgefallen. Ein Shuttle-Service zwischen Kansas City und Columbia. Wird nicht billig werden, Mary-Ann wird uns wahrscheinlich umbringen für die Spesenabrechnung, aber was bleibt uns sonst ...“

„Steig ein!“, sagte Joshua nur.


Sie sollten niemals ankommen.

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