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Joseph Roths ›Trotta-Romane‹

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Eine Epoche, die aus ihrer läppischen Lächerlichkeit unmittelbar in ein blutiges Grauen hineintänzelte – eine Epoche, die so verlogen war, daß sie die Wahrheit ihres eigenen Untergangs gar nicht mehr erlebte. (Roth 4, 502)

Ingeborg Bachmann hat bestätigt, daß sie mit ihrer letzten Erzählung an Joseph Roths sogenannte ›Trotta-Romane‹ Radetzkymarsch (1932) und Die Kapuzinergruft (1938) anschließt. In einem Interview antwortet sie auf die Frage, ob sie das Thema Österreich dort wieder aufnehmen möchte, wo Joseph Roth es hinterlassen habe: »Ich habe nicht umsonst seine Figur des Trotta wieder aufgegriffen. Ich will sie weiterführen. Roths »Kapuzinergruft« endet damit, daß dieser Trotta, als 1938 die Deutschen kommen, weiß, daß seine Welt untergeht. Bei Roth erfahren wir nun, daß er sein Kind ins Exil nach Paris schickt. Nun habe ich mir überlegt: was geschieht weiterhin mit diesem jungen Trotta? Bei mir geht sein Leben weiter in den fünfziger Jahren, das habe ich in dieser Erzählung ausschnittsweise aufgeschrieben.« (Bachmann, GuI 121f.)

Joseph Roth galt als der große Beschwörer und Verklärer der k.u.k.-Monarchie. Sein künstlerisches Schaffen fällt exakt in die Zwischenkriegszeit, die Claudio Magris als deutlichste Epoche des habsburgischen Mythos bestimmt hat,116 und seine Texte wurden bis in die Mitte der sechziger Jahre nahezu ausschließlich als Verklärung Alt-Österreichs rezipiert.117 Die Verfilmung des Radetzkymarsches durch Michael Kehlmann im Jahre 1965 entfachte eine heftige Diskussion in bezug auf Roths politische Ansichten und markiert eine Zäsur im tradierten Roth-Bild.118 Die Roth-Renaissance setzte dann durch die Erstpublikationen der Romane Der stumme Prophet (1966) und Das Spinnennetz (1967), der Briefausgabe (1970) und der feuilletonistischen Sammlung Der Neue Tag (1970) ein.119 Die Niederschrift und die Veröffentlichung des Simultan-Bandes fallen in diese Zeit und können als Bachmanns Beitrag zu Roth und dessen Verhältnis zur österreichischen Tradition verstanden werden.

Bachmanns Reminiszenzen an Roths österreichische ›Staatsromane‹ sind in der Folge mehrfach Gegenstand von Untersuchungen gewesen.120 Es wurde der Vorwurf erhoben, Bachmann verkläre – wie Roth – die österreichische Vergangenheit in dieser Erzählung: »Der anachronistische Bezug zum Alt-Österreich Roths impliziert eine unhistorische Rezeption Roths«121 oder es sei »Bachmann’s most ›patriotic‹ prose piece«122 Almut Dippel hingegen zeigt in ihrer Untersuchung, daß Bachmann Roths Werk nicht verklärt, sondern kritisch fortschreibt. Darüber hinaus hat sie die Verklammerung der Simultan-Erzählungen herausgearbeitet, und zwar aus der Perspektive der Rothschen Romane Radetzkymarsch und Kapuzinergruft als Prätexte.123 Anknüpfend an diese Studie soll Bachmanns Simultan-Zyklus im Kontext des »Todesarten«-Projekts als souveräner, Malina ebenbürtiger Text gelesen werden, der als zuletzt entworfene und abgeschlossene Publikation die Summa ihres Werkes darstellt. Drei Wege zum See habe, so Robert Pichl, gar den »Charakter eines Resümees aus dem gesamten Spätwerk, in dem die Dichterin die Summe aus ihrem Welt- und Menschenbild und dessen formkünstlerischen Vermittlungsmöglichkeiten zieht«.124 Insbesondere die Schlußerzählung, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung zur literarischen Tradition steht, zeige, »wie kunstvoll dabei gender-Problematik, Geschichtsbewußtsein, Intertextualität und österreichische Tradition von Ingeborg Bachmann miteinander verflochten werden«125.

Die Herausgeber des »Todesarten«-Projekts begründen die Aufnahme des Zyklus’ mit den vielschichtigen Verknüpfungen zu Malina wie den fragmentarisch gebliebenen Romanen und unterstreichen seine generelle Bedeutung für Bachmanns Spätwerk. Simultan ist einer der wesentlichen Texte aus Ingeborg Bachmanns großangelegtem Projekt: der Comedie humaine der Nachkriegszeit in Österreich.

Mythenreiche Vorstellungswelt und ererbter Alptraum.

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