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Parfait

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Ich erzählte Víctor, wenn ich es nach Spanien geschafft hätte, wollte ich Lehrer oder Arzt, Künstler oder Dichter werden.

»Dann fangen wir mal mit der Kunst an«, sagte er. »Dabei kann ich dir helfen.«

Er ging hinter sein Häuschen und holte eine alte Staffelei, einen verschmierten Farbkasten und ein paar Zeichenstifte aus dem Vorratsschrank.

Zuerst musste ich Bilder spanischer Meister aus Víctors Kunstgeschichtsband abzeichnen. Dann durfte ich mit Pastellfarben arbeiten und danach Ölfarben probieren.

In seinem Bildband über europäische Gegenwartskünstler stieß ich auf das Foto eines Malers namens Sami Terre. Er hatte meine Hautfarbe und ganz viele lange schwarze Zöpfchen. Er stammte aus einem Drecksloch am Brüsseler Stadtrand, so nannte er es, und hatte als Graffitisprayer angefangen.

Ich zeigte das Foto Gloria und Douce: »Könnt ihr mir die Haare auch so machen?«

»Für wen willst du dich denn so hübsch machen?«, fragte Gloria.

Ich schüttelte den Kopf.

Sie machten sich an die Arbeit, zusammen mit Amie Santiana, die auf dem Gehöft nebenan wohnte und sich mit Frisuren auskannte.

Als ich am nächsten Tag aus der Hütte trat, kam ich mir tatsächlich etwas größer vor. Wenn ein Sami Terre berühmt geworden war und in Büchern stand, obwohl er in einem Drecksloch geboren war, konnte jeder es schaffen. Sogar ich.

Gegenüber in der Akazie gurrten Brillentauben – grrrrrrrr, u-UU-u. Ich holte das Hochzeitsfoto meiner Eltern aus der Erinnerungskiste. Ich fand auch ein Kärtchen, das mein Vater meiner Mutter in der Hochzeitsnacht geschenkt hatte.

»Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann«, stand darauf, »den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.«

Eine gute Entscheidungshilfe.

Es gab etwas, das ich ändern konnte.

Den Ort, an dem wir lebten.

Ich hatte den Mut dazu, das wusste ich.

Ich malte das Foto ab – meine Eltern an ihrem Hochzeitstag, Arm in Arm, mein Vater in einem dunklen Anzug und meine Mutter in einem seidig glänzenden Brautkleid, geliehen vom baptistischen Priester.

»Sag mir, dass es richtig ist, wenn ich weggehe«, bat ich meinen Vater auf dem Foto, aber es kam keine Antwort.

Ich arbeitete tagelang an dem Porträt, hängte abends eine alte Matte darüber und sagte allen, sie dürften es nicht angucken, noch nicht.

Und wenn mir vom Bananenpflücken die Arme noch so wehtaten, ich malte weiter.

Dann war das Bild fertig.

Víctor kam mit dem Fahrrad zu uns, alle versammelten sich, was mich plötzlich befangen machte, aber dann zog ich die Matte herunter.

»Du bist ein Genie«, sagte Víctor. »Ein Naturtalent! Bleib hier, aus dir wird mal ein berühmter burundischer Maler.«

Die anderen starrten auf meine Mutter und meinen Vater, vielleicht in der Hoffnung, dass sie aus dem Bild treten und wieder mit uns in der Hütte leben würden.

»Damit können wir unterwegs Geld verdienen«, erklärte ich. »Mit Porträts.«

»Ich komme nicht mit«, sagte Pierre. »Ich bleibe hier und ziehe in den Kampf.«

»Kampf?«, fragte ich. »Du willst in die Schlacht ziehen?«

»In den Kampf, mit allem, was dazugehört.«

Mein Vater auf der Staffelei mit seinen zwinkernden Augen und seinen Wangen, diesen »Halt auch die andere hin«-Wangen, hörte kurz auf zu zwinkern.

»Was würde Pa dazu sagen?«, fragte ich.

»Und was hat es ihm genützt? Dass er nicht zurückgeschlagen hat? Dass er den Kreislauf durchbrochen hat?«, erwiderte Pierre.

Wilfred starrte weiter das Bild an.

Die Mädchen sahen traurig drein.

Víctor schwieg.

»Wann gehts los?«, fragte Zion.

Dann gingen wir leise, einer nach dem anderen, aus der Hütte. Meine Eltern blieben auf der Staffelei und warfen sich weiter verliebte Blicke zu.

»Geduld, mein Kleiner«, sagte ich und fing an, mit ihm herumzutanzen, um selbst wieder fröhlicher zu werden. So stellte ich mir damals Flamenco vor. Inzwischen weiß ich, dass Flamenco ganz anders geht.

»Tanzt mit!«, rief ich den Mädchen zu. »Man schwingt die Hüften so und hebt die Arme so und dreht sich so – und die Frauen haben schmetterlingsbunte Kleider an.«

»Und wenn man Lust hat, darf man immer Olé rufen!«, sagte Zion.

Gloria winkte ab: »Tanzt ihr Jungs weiter. Ich gucke lieber zu.«

Douce nickte.

Wenn Zion und ich allein waren, sagten wir andauernd Olé, wir hatten auch unser Spezial-High-five – von oben nach unten. Das war unser Zeichen, dass wir an unsere Reise glaubten.

»Olé olé olé olé.«

Die andere Hälfte der Augusta Hope

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