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Augusta

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Meine Mutter hatte begonnen, mögliche Reiseziele für den Sommer 2004 mit rotem Kugelschreiber einzukringeln, und ich fragte Mr Sánchez, ob Spanien ein guter Ort zum Urlaubmachen wäre.

»Die Costa del Sol sollte man unbedingt meiden«, sagte er. »Da wimmelt es von Engländern!«

Und wir lachten verschwörerisch, einig darin, wie langweilig die Engländer waren. So langsam fragte ich mich, ob ich vielleicht in Wahrheit Spanierin war und vom Storch (haha) nur am falschen Ort abgeworfen worden war. Über Sex wusste ich natürlich inzwischen eine ganze Menge – und zwar nicht nur von den Szenen aus Stimmen im Wind. Nein, das Internet hatte Einzug gehalten – jedenfalls in den Häusern anderer Leute. Meine Eltern setzten dagegen weiter auf Papier. Meine Mutter hatte uns ein Buch über Sex gekauft, das sie uns in die Hand drückte mit den Worten, wie wundervoll es sei, ein Baby zu bekommen, ein großes Privileg für jede Frau.

»Nicht für jede«, sagte ich. »Manche Frauen können keine Kinder bekommen.«

Da warf sie mir den »Du wieder!«-Blick zu, also sagte ich nichts davon, dass das Privileg auch Leid bedeuten konnte oder dass für Barbara Cook jeder Tag als Mutter Liebe und Leid bedeutete, sodass die beiden ein und dasselbe wurden. Ich verkniff mir auch zu sagen, dass Liebe wohl das allergrößte Wort der Welt war und wir im Laufe eines Lebens nie dahinterkommen würden, was es bedeutete. Und dass wir, wenn wir Liebe in eine Waagschale und Leid in die andere legen würden, unsere Meinung womöglich ändern und feststellen müssten, dass Leid viel stärker wog. Dann überlegte ich, ob Liebe und Leid nicht vielleicht in dieselbe Waagschale gehörten. Und dass man das eine nicht ohne das andere haben konnte. Aber dann konnte ich mich nicht entscheiden, was in der anderen Waagschale liegen sollte. Aber nichts von alldem sprach ich aus, während meine Mutter uns über die Risiken der Tamponbenutzung aufklärte, allen voran über die Gefahr des toxischen Schocksyndroms.

»Und davon abgesehen«, sagte sie am Ende ihrer Ausführungen, »kann es sehr schmerzhaft sein, wenn ihr sie einführt in eure. Einführt in eure. In eure

Das Wort wollte einfach nicht rauskommen.

»Scheide«, sagte ich.

Vor lauter Schreck, das Wort ausgesprochen zu hören, quetschte meine Mutter die Packung extradünner Binden in ihrer Hand zusammen und lenkte auf das Thema Ferien um. Sie legte die Binden beiseite und holte ihren Spiralblock hervor, der als Urlaubsplaner diente.

»Spanien soll sehr sicher sein«, sagte ich. »Und ich könnte mein Spanisch verbessern, in der Bretagne haben wir ja auch Französisch geübt.«

Spanien, notierte meine Mutter und unterstrich es doppelt.

Das Ferienhaus der Familie Alvárez befand sich nicht an der Costa del Sol, sondern der Costa de la Luz, erklärte ich meiner Mutter. In einem Dorf am Strand namens La Higuera. Was Feigenbaum bedeutet. Higos sind Feigen, und das H wird nicht ausgesprochen.

Da Diegos Familie im nächsten Jahr im August für eine Hochzeit nach Argentinien fliegen wollte, bestand die Möglichkeit, ihr Ferienhaus mit Feigenbäumen im Garten zum Freundschaftspreis zu mieten. Sie selbst wollten dann erst in der Weihnachtszeit wieder hinfliegen.

Mein Vater sagte: »In Spanien ist alles anders. Lola sonnt sich im Garten angeblich ohne Badeanzug. Wahrscheinlich machen die das da alle so. Und im Sommer ist es richtig heiß. Drückend. Vielleicht ist das alles nichts für uns.«

Er hatte recht.

Für ihn war es nichts.

Aber gemeinsam, verbündet und verschworen, würden wir ihn schon rumkriegen.

Ich halte kurz inne und blicke mich um, während ich dies schreibe, hier in La Higuera, dreizehn Jahre nach unserem ersten Besuch. Wie sehr ich an diesem Ort hänge, an den Feigenbäumen und Palmen, der warmen Luft und den wilden Winden.

Da waren wir – unschuldig und naiv.

Und so aufgeregt.

»Noch zwei Monate«, sagte ich zu Julia und machte wieder ein Kreuz in den Kalender, den wir innen an die Kleiderschranktür gehängt hatten.

»Werden wir verändert sein, wenn wir zurückkommen?«, fragte Julia.

»Na klar«, sagte ich lächelnd.

Ich weiß noch, wie wir packten für Spanien, die Koffer aufgeklappt auf dem Bett. Sonnenstrahlen fielen durchs Fenster und erhellten die Zimmerecke, wo ein kleines Eckregal stand, immer noch steht. Darauf unsere Preise – all meine Schulpokale aus falschem Silber, die Rosette vom Reitturnier am oberen Brett und Julias goldene, ballettschuhförmige Tanztrophäen. Ich erinnere mich an die schwirrenden Staubkörnchen im Licht, unsere Hautschuppen.

Ich blicke hinunter auf meine Hand, meine Haut, sie ist braun von der Sonne, denn ich lebe jetzt hier.

Die Haut meiner Hand.

Mano auf Spanisch.

Mano mano mano – Man-ometer - Man-över - Mann-über-Bord - Man-o-ti. Ach nein, Manati heißt das.

Manatis, Rundschwanzseekühe – delfinartige Wesen mit runden Nasen. Wie die Pilotwale in der Straße von Gibraltar, als wir mit dem Boot von Tarifa ablegten.

An jenem Tag.

Die andere Hälfte der Augusta Hope

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