Читать книгу Die andere Hälfte der Augusta Hope - Joanna Glen - Страница 9
Augusta
ОглавлениеDie Frage der Machtverteilung führte zu einer Zerreißprobe im Willow Crescent, als das Komitee ein Jahr nach dem ersten Handarbeitsmarkt mit frischem Elan zur Planung des zweiten zusammentrat.
Denn als Janice Brown laut überlegte, ob Graham auf dem Markt wirklich gut aufgehoben sei, stand Barbara Cook einfach vom Tisch auf. Dabei blieb sie mit ihrem indischen Wickelrock hängen, der aufging und eine große weiße Unterhose mit einer teigigen Pobacke entblößte.
Eine schreckliche Stille legte sich über die Runde, als die Haustür krachend ins Schloss fiel.
Meine Mutter sagte: »Oje.«
Dann behaupteten alle, in einem Komitee müsse man auch unangenehme Themen ansprechen und dürfe vor der Wahrheit nicht die Augen verschließen, und es sei nun einmal Tatsache, dass Graham Cook die Käufer vom Kaufen abschreckte.
Julia und ich saßen still und brav daneben. Julia presste gerade Blumen in einer Holzpresse und ich blätterte in meinem Buch über lateinische Redewendungen, als ich mich sagen hörte: »Wenn der Markt dazu da ist, Graham Cook zu helfen, sollte es euch nicht so wichtig sein, wie viel Geld seine Schule bekommt, sondern dann lasst ihr ihn einfach dabei sein.«
Julia hob eine Hand, wie meine Mutter es immer tat, wenn mein Vater ihr im Auto nicht früh genug auf die Bremse getreten war.
Meine Mutter saß völlig unbewegt da, als hätte jemand bei ihr den Pausenknopf gedrückt, und dann ergriff Hilary Hawkins das Wort: »Mir hat nie jemand gesagt, dass es darum geht, Geld für Graham Cooks Schule zu sammeln.«
»Und wer hat das Geld letztes Jahr bekommen?«, fragte ich meine Mutter. »Ist es nicht an seine Schule gegangen?«
Jetzt nahm Julia meine Hand, was »Klappe halten« bedeutete.
»Ich weiß gar nicht«, sagte meine Mutter. »Ich hab die Kasse nicht gemacht. Janice Brown war Schatzmeisterin.«
Julia sah meine Mutter an und dann mich und dann wieder meine Mutter, und da wusste ich, meine Mutter hatte meinen Vater angeschwindelt, damit er zustimmte, den Markt in unserem Garten abzuhalten.
»Wir können ja dieses Jahr einen Anteil spenden«, sagte Janice Brown, die rot geworden war und mir einen bitterbösen Blick zuwarf, als meine Mutter gerade nicht hinsah. Von Liebe deinen Nachbarn, wie es auf den weißen Plastiksäcken stand, in denen sie immer unsere Altkleider für afrikanische Kinder sammelte, konnte bei ihr in dem Moment nicht die Rede sein.
Nach diesem plötzlichen Aufruhr machte sich eine noch größere Stille breit, und in diese Stille brach Zuglärm. Wir ließen den Zug unsere Stille sprengen, wir waren schon daran gewöhnt. Wir wussten nicht, dass Barbara Cook spazieren gegangen war, um sich zu fangen. Wir wussten nicht, dass sie auf der anderen Seite dessen wartete, was jeder in Hedley Green nur seufzend den Übergang nannte.
Der Bahnübergang von Hedley Green war immer wieder in den Nachrichten – er ließ Menschen Babys im Auto zur Welt bringen und Abiturprüfungen verpassen; für Schuljungen stellte er, wie manche es ausdrückten, eine zu große Verlockung dar, und immer wieder waren Sträuße vertrockneter Rosen am Zaun zu sehen, an der Stelle, wo ein Junge namens Specki Jenkins beim Spielen mit seinen Kumpels ums Leben gekommen war. Das heißt, wir sollten ihn, seit er tot war, nur noch Franky Jenkins oder noch besser Francis nennen, denn so war er getauft.
Seine Mutter hatte eine Gedenktafel an der Schranke angebracht, und man sah sie oft dort stehen, wie sie sie polierte, den vorbeifahrenden Zügen nachsah und auf die Gleise starrte, als gäbe es eine kleine Chance, dass Specki Jenkins nach einem sehr langen Versteckspiel doch noch aus dem hohen Gras gelaufen käme.
Für Francis Jenkins, 1980–1992, der hier am Übergang starb und jetzt bei den Engeln ist.