Читать книгу Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann - Страница 38
Monolog ist auf Wirkung fixiert
ОглавлениеEs sind also zwei Dinge auseinanderzuhalten: Zum einen die sofortige Wirkung einer Rede, und diese wird oft magisch verklärt gesehen. Das Reiz-Reaktions-Schema, das diesem Denken zugrunde liegt, ist eine Illusion. (Die Fischer-Rede hat weder die Entscheidung der Delegierten noch die der Bundesregierung, die sich schon längst entschieden hatte, herbeigezaubert.)
Zum anderen gibt es die längerfristige Wirkung. Diese besteht zum Beispiel darin, dass sie später wieder aufgenommen und diskutiert wird, dass sie im Nachhinein selbst zum Mythos wird und in vielen argumentativen Texten behandelt wird. Fischers Ausspruch Nie wieder Auschwitz! aus dieser Rede, Martin Luther Kings I have a dream …, Angela Merkels Beteuerung: Wir schaffen das! – viele Redeausschnitte sind weiter zitiert und diskutiert worden. Diese Art des Weiterlebens einer Rede mag erstrebenswert sein und sie sogar zu einem literarischen Werk machen. Sie muss nur klar getrennt werden von der angeblichen sofortigen Wirkung. Diese ist in den wenigsten Fällen zu belegen, und wer auch nur ein wenig Sinn für demokratische Auseinandersetzung hat, wird keinen Wunsch nach solchen Reden verspüren.
Es könnten noch viele Reden zitiert werden, die deshalb als „erfolgreich“ gelten, weil der Redner sein Privileg, zu einer großen Menge zu sprechen, missbraucht hat, um mit Scheinargumenten, schönen Worten oder Ablenkungsmanövern zu brillieren. Deshalb sind die großen Vorbilder der destruktiven Rhetorik meistens politische Redner, Fernsehmoderatorinnen, Pressesprecher – Menschen, deren Beruf es ist, ihre eigene Position in der Auseinandersetzung mit anderen zu behaupten. Wenn sie aber nicht gerade reden, üben sie ihre Macht auf ganz andere Weise aus als durch rhetorische Kunstwerke.
Das Problem ist nicht, dass es Situationen gibt wie Feierstunden oder Wahlkampfveranstaltungen, bei denen eine Rede gehalten wird, um eine Stimmung zu produzieren. Das Problem ist, dass diese Art Rede als Ideal auch auf alle anderen Gelegenheiten des öffentlichen Redens übertragen wird. Dass manchmal versucht wird, dem politischen oder weltanschaulichen Gegner in einer Rede mit Verzicht auf rationale Argumentation eine Niederlage zu verpassen, ist nicht unser Thema, sondern dass diese Art des Redens verherrlicht wird und auch als Maßstab für die Ansprache des einfachen Referenten vor seinem Fachpublikum genommen wird.
Daran zeigt sich die Tendenz zum Monolog
Rahmen: Beiträge des Publikums sind nicht vorgesehen. Die Qualität der Rede wird unabhängig von der Redlichkeit ihrer Mittel beurteilt.
Diskurs: Die Rede versteht sich nicht als Beitrag in einem Prozess der gegenseitigen Verständigung, sondern als Wunderwaffe, die den Gegner in einem Zug schachmatt setzt.
Form: Gegenseitiges Zuhören ist erschwert. In der Rede werden keine Dialogangebote gemacht. Der Redner vermeidet den Kontakt mit dem Publikum.
Argumentation: Rationale, plausible und emotionale Argumentation werden austauschbar behandelt.
Wirkung: Rednerin und Publikum rechnen mit einer unmittelbaren, unidirektionalen Wirkung der Rede.
Monologische Rhetorik bezieht ihren Nimbus durch die rhetorische Tradition, die einen Typ Rede in den Mittelpunkt stellt: die Überzeugungsrede vor Gericht oder im politischen Forum. Der Erfolg einer solchen Rede misst sich daran, dass die Rednerin die Mehrheit des Publikums auf ihre Seite zieht; es geht um Sieg oder Niederlage, die Mittel heiligen den Zweck. Eine Betrachtungsweise, die diese Art des Redens lehrt, verdient den Namen destruktive Rhetorik. Sie zählt auf den Missbrauch der asymmetrischen Rollenverteilung und auf deren Verherrlichung. Konstruktiv aber spricht, wer akzeptiert und erkennbar macht, dass seine Rede höchsten das zweitwichtigste Ereignis der Kommunikation ist. Ihr übergeordnet ist der Diskurs, in den sie sich einfügt.