Читать книгу Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann - Страница 42
Der Schwerpunkt liegt auf Verständigung
ОглавлениеIst es nicht merkwürdig, dass wir in der Gesprächsführung mit einer überwältigenden Zahl von Lehrbüchern, Instituten und Autoren konfrontiert sind, die gewaltfreie, auf gegenseitiges Verstehen und Zusammenarbeiten ausgerichtete Kommunikationstechniken vermitteln, weil einen diese weiter bringen als einseitige Manipulationstechniken? Dass aber eine Rede vor Publikum beurteilt wird, als ob es um Sieg und Niederlage ginge? Ist es denn wirklich notwendig, dass wir, sobald wir als Einzelpersonen vor einer Gruppe stehen, unsere Vorstellung von Dialog und Gewaltfreiheit vergessen?
Dass Dialog besser ist als Monolog, braucht – außerhalb diktatorischer Kontexte – keine langen Begründungen. Dennoch ist der Zwang zum Monolog so stark, dass man ihn oft auch da befolgt, wo er gar nicht besteht oder wenigstens aufgeweicht werden könnte. Ein gutes Beispiel geben alle Formen von Lehrvorträgen ab – von der kurzen Instruktion im Beruf bis zur Vorlesung an der Universität. Niemand ist gezwungen, einen Sachvortrag als Deklamation zu zelebrieren, ohne Rücksicht auf die fragenden Gesichter und Zwischenbemerkungen der Zuhörenden. Wenn auch für das eigentliche Gespräch oft keine Gelegenheit besteht, gibt es doch überall die Möglichkeit, einzelne dialogische Elemente einzubauen. Noch besser – und gerade in Lehrsituationen leicht durchführbar – ist eine Überführung der monologischen Situation in eine dialogische.
Gerade das versuchten die Verantwortlichen von TED ein Jahr nach der Auseinandersetzung mit Nick Hanauer ( Kapitel 3 | Vorgaben des Veranstalters). Bei einem TEDx-Event in London92 propagierte der Journalist und Autor Graham Hancock die Legalisierung einer bestimmten bewusstseinserweiternden Droge. Weil die Rede inhaltlich kontrovers war – aus Sicht der etablierten Wissenschaft unsinnig – wollte die Leitung von TED sie zunächst auf ihrer Website unterdrücken. Dann suchte sie nach Wegen, sie so zu kommentieren, dass ihre kontroverse Position erkennbar würde. Statt die Ideen Hancocks nur zu verbreiten, stellten sie sie forumartig zur Diskussion. Das Publikum sollte eigene Kommentare hochladen können. Die Debatte würde im besten Fall dazu führen, dass die Ideen nicht nur hinterfragt würden, sondern dass man gemeinsam weiterdenken würde. Die Verantwortlichen versuchten damit im Nachhinein, die Nachteile des monologischen Konzepts zu beheben. Das Ziel war, aus dem Monolog einen Dialog zu machen.
Dummerweise ist eine solche Handlung suspekt, wenn sie von einem Unternehmen kommt, dessen Geschäftsmodell ansonsten darin besteht, allen möglichen Rednern eine Plattform zu bieten. Ins Gewicht fiel zudem, dass das Video eine Zeitlang nicht nur auf der TED-Homepage, sondern auch auf dem YouTube-Kanal von TED zu sehen gewesen war. Dass es damit aus dem leicht zugänglichen sozialen Netzwerk entfernt und in eine weniger beachtete Ecke des Internets gestellt wurde, nahm man TED weitherum übel.
Monolog eignet sich für reine Propaganda, Dialog für gemeinsames Nachdenken. Monolog ist persuasiv, Dialog ist konstruktiv. Für einen, der eine Glaubensüberzeugung verbreiten will, ist Monolog das Mittel der Wahl. Den Veranstaltern war das in diesem Fall nicht geheuer, und sie hatten Recht. Pech für sie war, dass sie die Marke TED gerade auf monologischen Produkten aufgebaut hatten. Bis sie mit ihrem Forum kamen, hatte die Kritik längst auf anderen Kanälen Fahrt aufgenommen.