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2.3.3 Soziale Szenestrukturen

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Da die Writer illegal agieren, gibt es kaum Informationen zur sozialen Zusammensetzung der Szene. Anhaltspunkte über Altersstrukturen, Milieuzuschreibungen und Geschlechtsspezifika stammen überwiegend aus qualitativen Studien mit Writern oder ausführlicheren Erfahrungsberichten von Writern selbst. So findet sich beispielsweise bei KARL, der ehemals selbst unter dem Pseudonym STONE aktiv war, eine Einschätzung zu den durchschnittlichen Altersstrukturen der Writer: Er gab 1986 aus eigener Erfahrung 13 bis Mitte 20 als Alter der Akteure an (KARL 1986: 41). Die Mannheimer Ermittlungsgruppe Graffiti nennt 1999 17 bis 23 als durchschnittliches Alter der Akteure, wobei die untere Grenze bei zehn Jahren, die obere Grenze bei etwa 25 Jahren liege (WILLMS 1999: 6).1 Diese Angaben beziehen sich allerdings eher auf die Anfangszeit der deutschen Szene. Etwas aktuellere Erkenntnisse liefern RHEINBERG UND MANIG 2003. In einer in Deutschland durchgeführten Studie zu den Anreizen des Graffitisprühens ergab sich bei 294 Probanden ein Altersmittel von 18,82 Jahren, wobei der jüngste Akteur 14 und der älteste 34 Jahre als Alter angab (RHEINBERG UND MANIG 2003: 230).2 SCHNEIDER stellt 2010 fest, dass der Großteil der Akteure zwischen 14 und 25 Jahre alt ist (71f.). Auch wenn sich mit diesen Angaben nur vorsichtige Tendenzen für die aktuelle Zusammensetzung der Szene formulieren lassen, so zeichnet sich dennoch das Bild ab, dass aktive Writer typischerweise im Teenager- oder im jungen Erwachsenenalter sind. Ältere Writer verabschieden sich oftmals vom illegalen Writing und halten sich stattdessen an legale Wände oder sie vermarkten ihre Werke sogar als Auftragsarbeiten auf dem Kunstmarkt (SCHNEIDER 2010: 72).

Über die Geschlechterverteilung in der deutschen Szene gibt es meines Wissens keine aktuellen Studien. Die Ermittlungsgruppe Graffiti der Polizei Mannheim gibt 1999 an, dass männliche Jugendliche „mit mehr als 90 % den Hauptteil der aktiven Szene ausmachen“ (WILLMS 1999: 5). Auch qualitative Interviews aus den 90er-Jahren ergeben eine deutliche Dominanz männlicher Sprüher. So ist in DOMENTAT 1994b zu lesen, dass es in der deutschen Szene nur wenige Frauen gibt. Zudem hätten die Sprüherinnen in der Szene teilweise einen schweren Stand. Einige Sprüherinnen stellten zwar auch heraus, keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern bemerkt zu haben, andere sprachen vor DOMENTAT jedoch von Aktionen der männlichen Sprüher, die sie in den lokalen Szenen gezielt ausgrenzen sollten (DOMENTAT 1994b: 72f.).3

Umfassendere Erkenntnisse gibt es zu Frauen in den Londoner und New Yorker Szenen.4 2001 erschien MACDONALDS ethnographische Studie „The Graffiti Subculture: Youth, Masculinity and Identity in London and New York“, in der sie die männliche Dominanz in der Graffitiszene herausstellt und nach Erklärungsansätzen sucht.5 MACDONALD zeigte dabei u.a. auf, dass junge Frauen in stereotype Rollenklischees gedrängt werden, die sie als „timid, delicate little thing with absolutely no fear threshold and a tendency to burst into tears at the slightest hint of danger“ darstellten (2001: 130). Sich von diesem Bild zu befreien, habe sich für die jungen Frauen als schwierig erwiesen. Insgesamt stellte MACDONALD heraus, dass die männlichen Sprüher primär anhand ihrer Graffitis beurteilt worden sind, während bei den weiblichen Sprüherinnen auch stark das Erscheinungsbild bewertet wurde: „[M]ale writers tend to pay more attention to what the female writer does with her body than her spray can, that is, her sexual activities, rather than her subcultural ones.“ (MACDONALD 2001: 146f.)

Obwohl Sprüherinnen vermutlich bis heute in der Minderheit sind, sprechen sich die Autoren neuerer Publikationen insgesamt für eine Etablierung weiblicher Sprüherinnen in der Szene aus. Davon zeugt auch der Bildband „Graffiti Woman“ (GANZ 2008), in dem Graffitis weiblicher Akteurinnen aus der ganzen Welt zusammengestellt sind. In der Einleitung zu diesem Band spricht sich GANZ gegen die Vorstellung aus, Graffiti sei ausschließlich eine Männerdomäne (2008: 10):

Schon von Beginn an waren Frauen genauso aktiv, wenn auch in der Unterzahl. […] Die Graffiti-Literatur hat den Eindruck noch unterstützt, indem sie sich fast nur mit Männern beschäftigte. Eine wirklich umfassende Darstellung der weiblichen Graffiti- und Street-Art-Szene von ihren Anfängen bis heute wäre also ein hoffnungsloses Unterfangen, da es kaum eine Dokumentation gibt. (GANZ 2008: 10)

Nach GANZ gab es stets Frauen in der Graffitiszene, über die in Publikationen jedoch kaum berichtet wurde. PABÓN (2013) betont, dass insbesondere das Internet6 dazu beigetragen habe, dass Frauen in höherem Maße an den Szeneaktivitäten partizipieren:

The shift to the Internet is definitively reordering the dynamic of participation and visibility for female graffiti writers. With the availability of the Internet, female graffiti writers are not only performing their countercultural identities and demonstrating their belonging, but they are also building and sustaining their communities and crews through the openness enabled precisely by the technology itself. (PABÓN 2013)

Auch MACDONALD konstatiert in einem Beitrag von 2016, dass sich die Szenestrukturen seit ihrer Studie im Jahr 2001 verändert haben (191). Die internetbasierte Kommunikation mache es für weibliche Sprüherinnen besser möglich, sich zusammenzuschließen und auszutauschen. Des Weiteren habe sich seit 2000 die Street-Art stetig weiterentwickelt, die Frauen für das „urban art movement“ gewinnen konnte (MACDONALD 2016: 191).7 Künstlerisch ambitionierte Frauen würden eher im Bereich der Street-Art aktiv werden, weil diese Bewegung gegenüber Frauen toleranter sei und die „Männer nicht so sehr das Bedürfnis haben, ihre Männlichkeit hervorzuheben“ (GANZ 2008: 11).8

Zum Milieu, aus dem die Writer stammen, finden sich in der Graffitiforschung keine verlässlichen Informationen. SCHNEIDER gibt in ihrem Beitrag zur Graffitiszene im Sammelband „Leben in Szenen“ (HITZLER UND NIEDERBACHER (Hg.) 2010b) an, dass die Akteure tendenziell „überwiegend der Mittel- und Oberschicht“ entstammen und beschreibt den durchschnittlichen Bildungsstand als „überdurchschnittlich“ (71f.).9 Eine ähnliche Formulierung findet sich bei MÜLLER UND JÄGER: Diese beziehen sich in ihrer Studie zur Essener Graffitiszene auf die Aussage eines Jugendrichters, nach der die verurteilten Sprüher „nicht im Arbeitermilieu groß geworden“ seien und eher „der Mittel- und Oberschicht“ entstammen würden (1998: 230f.). Die Ermittlungsgruppe Graffiti der Polizei Mannheim gibt hingegen an, dass Writer aus allen gesellschaftlichen Schichten stammen und sowohl „in gehobenen Wohnvierteln als auch in Gebieten, die als soziale Problemzonen gelten“, wohnen (WILLMS 1999: 6). Dies deckt sich mit den Erkenntnissen von SNYDER (2016), der Feldforschung zum New Yorker Graffiti betrieb und feststellte, dass die Szene sehr heterogen zusammengesetzt ist und sich daher keine Kategorisierungen vornehmen lassen: Die Writer bilden eine „multi-class, race, ethnic, religious and lingual culture of younger and older people“ und definieren sich nicht über ethnische oder religiöse Zugehörigkeiten, sondern über das Graffitisprühen (SNYDER 2016: 206).

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