Читать книгу Sich einen Namen machen - Julia Moira Radtke - Страница 38
3.2 Die Funktionen der Namen 3.2.1 Mono- und Direktreferenz
ОглавлениеNouns refer to concepts. […] Names refer to objects. (GÄRDENFORS 2014: 132)
In der onomastischen Literatur werden verschiedene Funktionen von Namen genannt, wobei je nach Namenklasse eine Funktion überwiegen kann, während eine andere in den Hintergrund tritt.1 Übereinstimmend wird für Namen jedoch eine besondere Referenzleistung angenommen, die in ihrem „sprachliche[n] Bezug auf nur ein Objekt, auf ein bestimmtes Mitglied einer Klasse“ besteht (NÜBLING ET AL. 2015: 17, Hervorh. i.O.). Auf diesen grundlegenden Funktionsunterschied bezieht sich auch das oben stehende Zitat von GÄRDENFORS (2014), das im Folgenden erläutert wird.
Appellative bieten im Sprachsystem die Möglichkeit, auf eine Gattung oder Klasse Bezug zu nehmen, d.h. auf eine Vielzahl von Objekten, Personen oder Sachverhalten, die ein Bündel gemeinsamer Eigenschaften aufweisen (DUDEN – „Die Grammatik“ 2016: 152). Diese Vorstellung gemeinsamer Eigenschaften bzw. gemeinsamer Merkmale stammt aus der strukturalistischen Semantiktheorie und basiert auf der Annahme, dass sich die Bedeutung von Wörtern oder Morphemen als Bündel semantischer Merkmale, quasi als Merkmalsliste, fassen lässt (GLÜCK UND RÖDEL 2016: 426). Ein Appellativ wie Frau nimmt demzufolge auf Objekte Bezug, die diejenigen Merkmale aufweisen, die im mentalen Lexikon unter Frau gespeichert sind. Darunter fallen etwa Merkmale wie [+ menschlich, + weiblich, + erwachsen].
Wenn GÄRDENFORS sagt, dass Nomen auf Konzepte referieren, dann argumentiert er aus einer kognitiven Perspektive heraus. Als Konzepte werden hier „mentale Informationseinheit[en] im Langzeitgedächtnis“ verstanden, über die Menschen ihr Weltwissen abspeichern und ordnen (GLÜCK UND RÖDEL 2016: 369). Nach GLÜCK UND RÖDEL wird „[d]ie reale Welt […] in mental repräsentierte K[onzepte] übersetzt“, wobei „von individuellen Objektmerkmalen abstrahiert wird und gemeinsame Merkmale von Objekten ausgefiltert werden“ (2016: 369). Das Konzept von Baum kann man sich dementsprechend als das Wissen darüber, was ein Baum ist und wie man Entitäten als Bäume erkennt, vorstellen (TAYLOR 2003: 43). Das Wissen, das ein Konzept ausmacht, kann sich dabei auf ganz unterschiedliche Eigenschaften der Entität beziehen, z.B. auf Größe, Form, Geräusch, Geschmack etc. (GÄRDENFORS 2014: 25).2 Wenn GÄRDENFORS sagt, dass Nomen auf Konzepte referieren, dann bedeutet das, dass sie – ohne syntaktische Einbettung – keine spezifische Referenz herstellen, sondern auf eine Kategorie referieren (GÄRDENFORS 2014: 117).
Im Gegensatz dazu weisen Namen ein anderes Referenzpotenzial auf, denn sie referieren nicht auf eine Kategorie, sondern auf ein Objekt (GÄRDENFORS 2014: 132).3 NÜBLING ET AL. bezeichnen diese besondere Referenzweise von Namen treffend als „Monoreferenz“, weil sich der materielle Ausdruck (ob phonisch oder graphisch) auf ein einziges Denotat bezieht (2015: 33). So kann mit Namen wie Angela Merkel oder Theresa May schnell und eindeutig auf die jeweiligen Personen referiert werden. LAUR stellt daher Folgendes fest:
Ohne Namen gibt es für uns keinen rechten Zugriff […]. Von einem in anonymer Dunkelheit verharrenden Gegenstand oder Wesen könnten wir nicht recht sprechen. Wir könnten es auch nicht richtig erfassen. (LAUR 1989: 102)
Dieser Aussage ist insofern zu widersprechen, als natürlich auch über unbekannte Objekte gesprochen werden kann. Mit definiten Beschreibungen (z.B. diese Politikerin, die Frau da) und Indikatoren (z.B. sie) stellen alle Sprachen Mittel bereit, um auch auf namenlose Objekte eindeutig Bezug nehmen zu können (NÜBLING ET AL. 2015: 23). Allerdings ist der artikulatorische Aufwand dabei in der Regel höher (NÜBLING ET AL. 2015: 24ff.).4 LAUR ist jedoch zuzustimmen, wenn er sagt, dass Namen es dem Sprecher ermöglichen, einzelne Objekte aus der „anonyme[n] Dunkelheit“ herauszuheben. Denn mit der Benennung wird das Objekt mit einer Art starren Markierung versehen, mit der die Referenz fortan schnell, eindeutig und situationsunabhängig erfolgen kann.5 Der sprachliche Ausdruck Angela Merkel referiert beispielsweise auch auf die Person, wenn sie nicht in Sichtweite ist. Die Verbindung zwischen Name und Denotat muss allerdings erlernt werden, weil vom Objekt nicht auf den Namen geschlossen werden kann. Der Name lässt sich nicht aus Merkmalen des Referenten ableiten (NÜBLING ET AL. 2015: 32).
Damit Namen diese besondere Referenzweise leisten können, muss die Relation Name – Objekt konstant bleiben, d.h., es muss eine gewisse Stabilität dieser Zuordnung gegeben sein. Namenwechsel sind zwar möglich, allerdings „muss die Umbenennung erst der gesamten Sprechergruppe bekannt sein, um die ungestörte Kommunikation (wieder) zu ermöglichen“ (ROLKER 2009: 4). Bei einigen Namenklassen wird die Referenz daher in einem mehr oder weniger formellen6 Akt fixiert. NÜBLING ET AL. bezeichnen dies als „Referenzfixierungsakt“ (2015: 43). Die spezifischen Umstände des Aktes – wer oder was benannt wird, wer die Benennung initialisiert und ob oder wie die Benennung schriftlich fixiert wird – hängen auch von kulturellen Gegebenheiten ab.7
In der kognitiven Grammatik (LANGACKER 2008) findet sich ein weiterer Aspekt, der bei der Beschreibung der onymischen Referenzleistung relevant gemacht werden kann.8 Dabei geht es um das „nominal grounding“ (LANGACKER 2008: 272ff.), also die Verankerung von Substantiven als Nominalphrasen (NPs) in der konkreten Sprechsituation. Namen zeichnen sich dadurch aus, dass sie kein Grounding benötigen, wohingegen andere Substantive als NPs – so erläutert LANGACKER (2008) in seinem Kapitel zur „Nominal and Clausal Organization“ – typischerweise sprachlich verankert werden:
The primary function of lexemes is classificatory. As fixed expressions, they provide an established scheme for apprehending the world in terms of culturally sanctioned categories of proven relevance and utility. By contrast, the primary function of a nominal or a finite clause is referential. It directs attention to a particular thing or process accorded a certain epistemic status in relation to the ground. Through grounding, its characterization of the profiled entity serves to distinguish it from other members of its category and identify it for immediate discourse purposes. (LANGACKER 2008: 264, Hervorh. i.O.)
Dies schließt an die oben erläuterten Überlegungen zur kognitiven Semantik (nach GÄRDENFORS 2014) an, wonach Substantive auf Kategorien und nicht auf einzelne Objekte referieren.9 In der Sprachverwendung geht es jedoch häufig um konkrete Referenzobjekte, d.h., der Kommunikationspartner muss einzelne Entitäten identifizieren können. Aus LANGACKERS Zitat geht hervor, dass in diesem Fall „grounding elements“ zum Einsatz kommen, die die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf das vom Produzenten intendierte Objekt lenken (LANGACKER 2008: 259). Diese Grounding-Elemente leisten in NPs bzw. finiten Sätzen die Verankerung in der Sprechsituation (SMIRNOVA UND MORTELMANS 2010: 118).
A grounding element specifies the status vis-à-vis the ground of the thing profiled by a nominal or the process profiled by a finite clause. (LANGACKER 2008: 259)
Das nominale Grounding, um das es hier geht, kann mit Artikeln, Demonstrativpronomen und quantifizierenden Ausdrücken erfolgen (LANGACKER 2002: 30).10 Es handelt sich dabei um Elemente mit einer relativ „abstrakte[n], schematische[n] Bedeutung“ (SMIRNOVA UND MORTELMANS 2010: 120), weshalb sie ganz universell in verschiedenen Sprechsituationen zum Einsatz kommen können. In einer NP wie diese Pflanze zeigt das Demonstrativpronomen diese beispielsweise an, dass es sich um ein Objekt (der Kategorie Pflanze) handelt, das sich in der Nähe des Produzenten befindet, möglicherweise verbunden mit einer Zeigegeste oder einer gemeinsamen Blickrichtung. Denkbar ist auch, dass es sich um eine Art der Wiederaufnahme handelt und den Gesprächsteilnehmern bereits bekannt ist, um welche Pflanze es sich handelt. In jedem Fall zeigt der Sprecher durch das Pronomen an, dass auf eine bestimmte Pflanze referiert wird.11 Wenn ein solches Grounding ausbleibt, ergibt sich nach LANGACKER daraus folgende Konsequenz:
If left ungrounded, this content has no discernible position in their mental universe and cannot be brought to bear on their situation. It simply floats unattached as an object of idle contemplation. (LANGACKER 2008: 259)
Nominale Strukturen ohne Grounding verbleiben demzufolge als eine Art ungenutzte Ressource. Sie aktivieren beim Rezipienten zwar ein Konzept, aber es lässt sich kein Bezug zu einem konkreten außersprachlichen Gegenstand herstellen.12 Anders funktionieren Namen, die sich gerade dadurch auszeichnen, für ihre spezifische Referenzleistung kein Grounding zu benötigen:
The name Jack, for example, carries with it the supposition that within the relevant group (e.g. family) there is just one person referred to in this manner. The name can thus be thought of as defining a type – the type ‘person named Jack’ […]. Since the name itself singles out the only instance, there is no need for separate grounding. (LANGACKER 2008: 317, Hervorh. i.O.)
Die besondere Referenzweise von Namen lässt sich in einer kognitiven Perspektive dementsprechend auch daran festmachen, dass sie für ihren sprachlichen Bezug keine Grounding-Elemente benötigen. Nach LANGACKER ist der Name selbst in der Lage, die Instanz – also das konkrete Referenzobjekt – zu identifizieren (2008: 316). Er benötigt keine zusätzlichen Verankerungselemente, da er ohnehin unabhängig vom Kontext (im Idealfall) auf nur ein Objekt referiert. Diese Feststellung lässt den Schluss zu, dass Namen eine maximal spezifische Referenz ermöglichen.
In der onomastischen Literatur wird noch eine weitere referenzielle Besonderheit von Namen herausgestellt, die NÜBLING ET AL. als „Direktreferenz“ bezeichnen (2015: 18f.). Mit diesem Terminus ist gemeint, dass Namen auf ein Objekt referieren, ohne dass dabei eine Bedeutung aktiviert wird (HARNISCH UND NÜBLING 2004: 1902).
Abb. 12: Die spezifische onymische Referenzweise (aus: NÜBLING ET AL. 2015: 18)
NÜBLING ET AL. zeigen das Prinzip der Direktreferenz anschaulich am Beispiel der Stadt Münster auf (2015: 18). Wie in Abb. 12 zu sehen ist, referiert der Ausdruck Münster auf die Stadt, ohne dabei die Semantik zu aktivieren, mit der Münster als Appellativ verknüpft ist. Denn wenn ein Wort zum Namen wird, gilt, dass „[t]he former lexical meaning (if there ever was one) ceases to exist“ (NYSTRÖM 2016: 40). Die lexikalische13 bzw. konzeptionelle Bedeutung des zugrunde liegenden Appellativs Münster wird deaktiviert und ist daher in der Abbildung gestrichen.14 Zur Semantik der Namen finden sich in der Literatur allerdings unterschiedliche Annahmen, weshalb dieser Aspekt im nächsten Abschnitt (3.3) nochmals gesondert aufgegriffen wird.