Читать книгу Sich einen Namen machen - Julia Moira Radtke - Страница 40
3.2.3 Charakterisierung
ОглавлениеWenn im folgenden Abschnitt das Charakterisieren als eine Funktion von Namen vorgestellt wird, so mag dies zunächst irritieren, denn der Fachterminus Direktreferenz besagt gerade – wie in Abschnitt 3.2.1 erläutert wurde –, dass Namen einen sprachlichen Zugriff auf ein Objekt leisten, ohne dieses zu charakterisieren. An dieser Stelle muss daher zwischen verschiedenen Namenklassen differenziert werden: Wie bereits herausgestellt, sagen prototypische Namen wie Ruf-, Familien- und auch Ortsnamen nichts über das Referenzobjekt aus. Andere Namenklassen – etwa im kommerziellen Bereich – funktionieren hingegen anders: Sie machen ein Referenzobjekt nicht nur identifizierbar, sondern haben gleichzeitig eine werbende Funktion. KOSS weist darauf hin, dass Namen für Produkte1 regelrecht „gemacht“ werden (KOSS 2008: 43), oftmals werden sie sogar von Agenturen entwickelt. Die Namen werden dabei gezielt ausgewählt, um bestimmte gedankliche Verknüpfungen aufzurufen. Diese sog. Konnotationen werden definiert als
[i]ndividuelle (emotionale) stilistische, regionale u.a. Bedeutungskomponenten eines sprachlichen Ausdrucks, die seine Grundbedeutung überlagern und die – im Unterschied zur konstanten begrifflichen Bedeutung – sich meist genereller, kontextunabhängiger Beschreibung entziehen […]. (BUSSMANN 2008: 362)
Konnotationen sind damit abhängig von verschiedenen Faktoren wie dem individuellen emotionalen und stilistischen Empfinden eines Sprechers oder Hörers. Sie sind kaum überindividuell beschreibbar, sondern an den jeweiligen Erfahrungs- und Wissenshorizont eines Individuums gebunden.
Einen engeren Konnotationsbegriff vertritt MAAS, der davon ausgeht, dass Konnotationen durch vorgängige Verwendungen entstehen: „Jede Ausdrucksweise ist quasi indexikalisch gebunden an einen Praxiszusammenhang, den sie im Erfahrungshorizont des Sprechers/Hörers symbolisch bindet – dessen Form sie konnotiert.“ (1985: 74, Hervorh. i.O.) Sprachliche Ausdrücke rufen demzufolge – neben der konzeptionellen Bedeutung – auch diejenigen Verwendungskontexte auf, in denen sie geäußert oder gehört wurden.
In der onomastischen Literatur wird typischerweise ein weiterer Konnotationsbegriff zugrunde gelegt, wonach es sich um „zusätzliche individuelle oder überindividuelle (soziale, kulturelle) Bedeutungsassoziationen“ handelt (NÜBLING ET AL. 2015: 34). Wie VAN LANGENDONCK UND VAN DE VELDE zeigen, kann bei Namen dabei noch genauer differenziert werden. Sie unterscheiden verschiedene Arten von Konnotationen, von denen insbesondere zwei hier genauer beschrieben werden (2016: 31f.).2 Sie formulieren für den ersten Typ, dass „names with a transparent etymology can give rise to associative meanings related to the name form“ (VAN LANGENDONCK UND VAN DE VELDE 2016: 31). Von diesem Prinzip, dass Namen mit einer transparenten Semantik bestimmte Assoziationen aufrufen können, wird beispielsweise bei Waren- und Firmennamen Gebrauch gemacht, indem diese aus prestigehaltigen Lexemen und Onymen gebildet werden.3 Der Name Olympia für eine Handelsfirma, die technische Geräte vertreibt, erinnert an die Olympischen Spiele und ruft Konnotationen von Sieg und sportlicher Leistungsstärke auf. Die Namen Triumph (Name eines Unterwäschehersteller), Brillant (Lampen) und Diamant (Fahrräder) konnotieren als Appellative ebenfalls positive Eigenschaften, die der Kunde auch für das Produkt annehmen soll (LÖTSCHER 1987: 312).4 Ähnlich wirken auch Warennamen, die aus Bezeichnungen hoher gesellschaftlicher Ämter gebildet werden:
Wenn Autos, Fernsehgeräte oder Füllfederhalter als Diplomat, Konsul, Ambassador oder Kommodore/Commodore bezeichnet werden, dann wird damit nahegelegt, daß diese Produkte auch Ansprüchen so hochgestellter Persönlichkeiten genügen würden. (LÖTSCHER 1987: 312, Hervorh. i.O.)
Die Namen wecken Assoziationen an gehobene gesellschaftliche Stellungen und Macht, was den potenziellen Kunden positiv auf das Produkt einstimmen soll.5 Der Grundgedanke dieser Namenart besteht demzufolge darin, dass die Namen motiviert sind, also auf Eigenschaften des Namenträgers schließen lassen.
Weniger offensichtlich ist diese Wirkung bei semitransparenten Warennamen: Der Warenname Wella erinnert etwa noch an das Lexem Welle, Schauma an Schaum. Weniger transparent erscheinen Namen beispielsweise durch
die Veränderung […] der Buchstabenfolge, die Erweiterung oder Verstümmelung eines Lexems, die Verbindung oder Verschmelzung zweier Lexeme zu einem neuen Wort, sei es mit oder ohne eigene lexikalische Bedeutung, oder die Verwendung fremdsprachiger sprechender Namen. (LAMPING 1983: 42)
Mit abnehmender Transparenz wird auch die Semantik schwächer wahrgenommen: Wenn sich die Schreibung vom zugrunde liegenden Lexem entfernt, tritt damit die lexikalische Bedeutung in den Hintergrund. Dazu findet sich auch eine treffende Aussage bei KALVERKÄMPER, der feststellt, dass „eine graphische Anomalität (wenn man die normierte Graphie des Appellativs als ,normal‘ zugrunde legt) […] einen Verfremdungseffekt hervorruft“, sich der Name durch graphische Veränderung also vom Appellativ entfernt (1978: 324). Eine ähnliche Wirkung kann – darauf weist LAMPING in oben stehendem Zitat hin – auch durch die Verwendung fremdsprachlicher Lexeme erzeugt werden, weil dadurch die Semantik weniger offensichtlich wird.
Durch eine „transparent etymology“ (VAN LANGENDONCK UND VAN DE VELDE 2016: 31) hervorgerufene Konnotationen lassen sich nicht nur für Warennamen annehmen, sondern auch für andere Namenarten wie Spitznamen6 und literarische Namen.7 Für sie gilt weniger der „werbende“ Charakter, der hier für Warennamen als zentral erachtet wurde, sie können jedoch ebenfalls transparent sein und somit einen Aussagegehalt besitzen (LAMPING 1983: 42, ASCHENBERG 1991: 44ff.).8 In der Literatur zu den literarischen Namen wird auf einen weiteren Konnotationstyp verwiesen, den VAN LANGENDONCK UND VAN DE VELDE als „emotive meanings“ bezeichnen (2016: 32). Von diesem Konnotationstyp kann ausgegangen werden, wenn ein Name das Referenzobjekt „über seine Materialität“ (ASCHENBERG 1991: 46) charakterisiert. VAN LANGENDONCK UND VAN DE VELDE nennen als Beispiel diminutive Suffixe in Rufnamen wie Jan-tje oder Marie-ke, die verniedlichend wirken (2016: 32). ASCHENBERG (1991: 52ff.) und ELSEN (2008: 47) beziehen sich insbesondere auf die lautliche Materialität eines Namens:
Sprachbenutzer [können] mit Lauten, Buchstaben bzw. ihren Kombinationen gewisse Assoziationen verbinden […]. Die Ergebnisse sind nicht zufällig zustande gekommen und widersprechen der Vorstellung von reiner Arbitrarität zwischen Zeichen und Bedeutung. Es ist wohl von gewissen Tendenzen zu sprechen, von einer Randerscheinung, die nicht in strikte Regeln zu fassen ist. (ELSEN 2008: 47)
ELSEN verweist bei ihrer Analyse literarischer Namen insbesondere auf die Rolle der Vokale und stellt – auch unter Bezugnahme auf experimentelle Studien von ERTEL (1969) – fest, dass [i] mit Merkmalen wie klein und schwach und [a] mit groß und stark korreliere (2008: 46). Auch Autoren selbst verwiesen bei Befragungen zu Benennungsmotiven für ihre Figuren häufig auf lautsymbolische Aspekte. Sie gaben an, je nach Charakter der Figur eher wohlklingende oder missklingende Namen gewählt zu haben (DEBUS 2012: 209).9 In der Literatur zu den Warennamen sind ebenfalls Überlegungen zur lautlichen Wirkung zu finden. Hohe Sonorität (Maoam, Beba) werde eher mit Sanftheit, niedrige Sonorität und stimmlose Konsonanten im Auslaut (Thomapyrin, Spontex) eher mit Härte verbunden (LÖTSCHER 1987: 317).10 An dieser Stelle muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Wirkung von Lauten nur schwer objektivierbar ist. Sowohl DEBUS (2002: 69f., 2012: 209) als auch ELSEN (2008: 47) weisen darauf hin, dass es in der europäischen Forschung kaum Untersuchungen zur Lautsymbolik gibt.11
Wenn Spitznamen, Warennamen und literarische Namen einen semantischen Gehalt besitzen können, ergibt sich die Frage, ob bei diesen Namen überhaupt von Direktreferenz und Inhaltslosigkeit gesprochen werden kann. Denn für prototypische Namen wurde herausgestellt, dass sie auf ein Objekt „ohne ‚Umweg‘ über die Aktivierung einer potentiellen Bedeutung, einer prototypischen Gegenstandsvorstellung“ referieren (NÜBLING ET AL. 2015: 18). Aus diesem Grund ist die Inhaltsseite von de Saussures Zeichenmodell in der Abbildung oben durchgestrichen. KANY kam aufgrund dieses Paradoxes bereits 1995 zu der Schlussfolgerung, „daß die traditionelle These von der Inhaltslosigkeit der Eigennamen (EN) nicht aufrechtzuerhalten ist“ (1995: 512).
In Einklang bringen lassen sich diese beiden Aspekte, wenn streng zwischen Form und Funktion des Namens unterschieden wird. Denn ein Name mit einer „transparent etymology“ hat zwar die gleiche Form wie ein Wort mit einer konzeptuellen Bedeutung (in der Regel ist es ein Appellativ) – und diese kann bei der Referenz auch durchaus mitwirken, dies ändert jedoch nichts an der spezifischen Referenzweise des Namens. Er referiert trotzdem auf genau ein Objekt, ohne dass dafür semantische Merkmale benötigt werden. Wäre die Semantik bei der Referenzweise aktiviert, würden Wörter wie Ambassador und Diamant als Gattungsbezeichnungen auf Botschafter und Diamanten referieren – und nicht auf ein Uhrenmodell von Hugo Boss und einen Fahrradhersteller. Dieser Zusammenhang von Name und Denotat leitet sich nicht aus den Merkmalen der Objekte ab, sondern muss gelernt werden. KANYS Aussage, ist daher insofern zuzustimmen, als Namen durchaus aus bedeutungshaltigem Material gebildet werden können. Ihre Funktionalität, den eindeutigen Bezug auf ein Denotat herzustellen, ist von einer konzeptuellen Bedeutung jedoch entkoppelt.12 LEYS ist daher ebenfalls zuzustimmen, wenn er die These aufstellt „dass es die alleinige Funktion des Eigennamens ist, zu referieren und dass er dazu kein einziges semantisches Merkmal braucht“ (LEYS 1979: 72).