Читать книгу Antinatalismus - Karim Akerma - Страница 15

Aufklärung und Schuld

Оглавление

Mit unserem Handbuch zum Antinatalismus verorten wir uns in der Tradition philosophischer Aufklärung. Es klärt darüber auf, dass die scheinbar „normalste“ Sache der Welt: dass es Menschen gibt und dass Menschen hervorgebracht werden, bei näherem Hinsehen fragwürdig ist. Denn in letzter Instanz ist es die Fortpflanzung, die dazu führt, dass immer neue Generationen von Menschen sich vor immer neue und wiederkehrende alte unlösbare Probleme gestellt sehen und die Conditio in/humana perpetuiert wird.

Nun wäre es natürlich allzu simpel, den Eltern dieser Welt alle Schuld für Miseren zuzuschreiben. Zumindest in fortgeschrittenen Industriegesellschaften lebende Eltern stehen häufig auf dem Standpunkt, nur das Beste für ihre Kinder zu wollen. Und zu diesem Besten gehöre dann, dass man die Kinder zuallererst erzeugt. – Wobei übersprungen wird, dass ein ontoethischer Fehlschluss vorliegt, wenn Personen vermeinen, Nichtexistierenden etwas Gutes zu tun, indem sie den Existenzbeginn dieser Nichtexistierenden bewirken.

Antinatalisten konzedieren, dass einige gute Argumente für Nachkommen zu bedenken sind: etwa die Erwägung, dass ein plötzlich und weltweit einsetzender radikaler Geburtenstopp die Lebensqualität aller existierenden Menschen – im Unterschied zu einem allmählicheren Verebben – deutlich mindern könnte. Zugleich sind Antinatalisten jedoch der Auffassung, dass sich oftmals uneingestandene egoistische Motive hinter Kinderwünschen verbergen und dass die Argumente gegen die Fortpflanzung insgesamt weitaus stärker wiegen als pronatale. Antinatalisten beziehen dabei keine feindliche Haltung gegen Eltern – oder Personen, die Eltern werden wollen –, sondern versuchen, sie mit Argumenten davon zu überzeugen, dass es besser ist, keine weiteren Kinder hervorzubringen.

Unsere Kategorie der Elternschuld trifft durchaus nicht alle Eltern aller Zeiten gleichermaßen, sondern greift richtiggehend erst dort, wo Eltern – und insbesondere Frauen – zum einen über ein gewisses Maß an nativistischer Selbstbestimmung verfügen und zum anderen sich dessen vergewissert haben, was ihren Kindern bevorsteht, wenn sie welche hervorbringen. Genuine Elternschuld unterstellen wir bei reflektierten Personen des Informationszeitalters, die sich gegen vorhandene eigene Zweifel pronatal entschieden haben oder sogar mit der antinatalistischen Moraltheorie bekannt geworden sind und sich dennoch fortpflanzen. Ein guter Vergleichsmaßstab ist hier der ethische Vegetarismus: Wer in einer traditionalen Gesellschaft oder in einem carnivoren Umfeld aufgewachsen ist, macht sich über die ethisch nicht zu rechtfertigenden Konsequenzen des Fleischkonsums womöglich keine Gedanken. Einmal mit den Argumenten des ethischen Vegetarismus bekannt geworden, handelt diese Person wider eine erreichbare bessere ethische Einsicht, wenn sie weiterhin Fleisch konsumiert. Analoges gilt für die Fortpflanzung: Personen, die Gelegenheit hatten oder die Notwendigkeit verspürten, die Option der Nachkommenlosigkeit zu bedenken oder mit der antinatalistischen Moraltheorie bekannt wurden, laden Elternschuld auf sich, wenn sie sich wider besseres antinatalistisches Wissen fortpflanzen.

Aufklärung, nativistische

Antinatalismus

Подняться наверх