Читать книгу Antinatalismus - Karim Akerma - Страница 20
ОглавлениеAbtreibung
Abtreibungen sind zugleich Ausdruck und Folge der Conditio in/humana und stehen in der Fluchtlinie ungewollter Schwangerschaften im Zuge androgener oder biogener Vergewaltigung.
Abtreibung und Nichtexistenzerhellung
Zumal in Zeiten, in denen Abtreibungen legal sind, hätte jeder, der geboren wurde, kurz nach dem Lebensbeginn ein frühes Ende finden können. Jeder mag sich somit fragen, ob nicht zutrifft: Eine Welt, in der man niemals zu existieren begonnen hätte, ist besser als eine Welt in der man – ein schmerzempfindlicher Fötus – hätte abgetrieben werden können. Bereits der Schauder vor der Abtreibung begründet einen Vorrang des Niedagewesenseins.
Abtreibung als Fluchthilfe
In seinem Roman „Zeit der Reife“ kontrastiert Sartre das brutale Geschehen und die erschreckenden Worte um eine Abtreibung mit dem, was bevorsteht, wenn keine Abtreibung vorgenommen wird, sondern das Kind zur Welt kommt:
„Sie sah Matthieu mit verstörten Augen an:
‚Nach der Operation gaben sie mir ein kleines Paket und sagten: Sie werden das in einen Gulli werfen. In einen Gulli. Wie eine tote Ratte. Matthieu!’ Sie drückte heftig seinen Arm: ‚Sie wissen nicht, was Sie da vorhaben.’
‚Und wenn Sie ein Kind in die Welt setzen, wissen Sie’s dann?’, fragte Matthieu zornig.
Ein Kind: ein Bewusstsein mehr, ein kleines betörtes Licht, das im Kreis flöge, sich an den Wänden stieße und nicht mehr entkäme.“ (Sartre, Zeit der Reife, S. 52)
Abtreibung als Verdienst
Ganz in der Linie Sartres widmet die Schriftstellerin Esther Vilar eine Abtreibung zu einer Wohltat um: „Für ihn, den Phantasievollen, Sensiblen ist Schwangerschaftsabbruch fast schon das Gegenteil von Sünde, findet er es doch hundertmal weniger verwerflich, ein befruchtetes Ei zu vernichten, als ein Kind seinem von Tag zu Tag wahrscheinlicher werdenden Strahlentod auszuliefern.“ (Vilar, Die Erziehung der Engel, S. 160)
Nicht nur wahrscheinlich, sondern unverbrüchlich ist es, dass wir überhaupt sterben, oftmals ähnlich grauenvoll wie der Strahlenverseuchte. Somit dürfen wir formulieren: Die Zerstörung eines empfindungslosen Embryos ist um Größenordnungen weniger verwerflich, als so zu handeln, dass ein Mensch ausgetragen und dem unabdingbaren Altern, Erkranken, Dahinsiechen und Sterben ausgeliefert wird.
Abtreibung und Aussterben
Alle Staaten gewähren ihren Bürgern den Spielraum, nicht zu zeugen. Zahlreiche Staaten gestatten es ihren Bürgern, Zeugungen zu revidieren. In letzter Instanz ist die Legitimität der Abtreibung eine staatlich erteilte Lizenz für das Aussterben der Menschheit.
Zudem gilt: Wo mit der Abtreibung die Zerstörung von Embryonen oder die Tötung von Föten zulässig ist, muss die Nichthervorbringung von Menschen – die niemandem schadet – erst recht zulässig sein.
Jandl, Ernst (1925–2000)
Ganz im Sinne des Prinzips der Thrakischen Trauer bringt Jandl hier zum Ausdruck: Besser, alles – bereits in utero – hinter sich zu haben als noch vor sich:
„zur abtreibung
lieber gestorben als geboren sein“ (Ernst Jandl, selbstporträt…, S. 35. Fund: GK)
Frisch, Max (1911–1991)
Hier verarbeitet Frisch das Phänomen, dass nicht wenige Mütter für die Dauer ihrer Schwangerschaft von nativistischer Skepsis erfüllt sind und sich eine genuine Mutter-Kind-Bindung erst dann ausbildet, wenn sie das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt biopsychisch überwältigt:
„Schwangerschaftsunterbrechung: eine Konsequenz der Kultur, nur der Dschungel gebärt und verwest, wie die Natur will. Der Mensch plant. (…) Wieviele Kinder sind wirklich gewollt? Etwas anderes ist es, dass die Frau eher will, wenn es einmal da ist, Automatismus der Instinkte, sie vergisst, dass sie es hat vermeiden wollen…“ (Frisch, Homo faber, S. 105 und 106)
Diese Mutter-Kind Bindung weist eine Analogie zum bionomischen Grundsatz auf: Niemand wollte zu existieren beginnen; aber nachdem wir einmal da sind, müssen wir wollen.