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G. Vereinbarkeit mit EU-Recht

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Der Tatbestand von § 1, der eine Auslandsbeziehung voraussetzt, wirft die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung mit den Grundfreiheiten[821] des EG-Vertrages auf, denn auf den ersten Blick könnte aus der Anwendung von § 1 eine Schlechterstellung des Auslandsfalles folgen, was den Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbot widersprechen könnte. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages beinhalten neben dem Schutz vor Diskriminierung auch ein allg Beschränkungsverbot, mithin das Gebot, auch nicht diskriminierende Maßnahmen zu unterlassen, soweit sie die Ausübung der Grundfreiheiten unverhältnismäßig erschweren. Korrekturen nach § 1 betreffen den Bereich der direkten Steuern und diese fallen nach stRspr des EuGH[822] zwar in die (alleinige) Zuständigkeit der Mitgliedstaaten; die Mitgliedstaaten dürfen ihre Befugnisse jedoch nur unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben. Der Begr[823] zur FVerlV lässt sich der lapidare Hinweis entnehmen, die Vereinbarkeit mit dem Europarecht wurde mit dem Erg überprüft, dass insoweit keine Bedenken bestehen.[824]

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Gemeinschaftsrechtliche Bedenken hat der BFH[825] in seiner Entsch v 29.11.2000 geäußert. In dieser Entsch verneinte der BFH eine Geschäftsbeziehung iSv § 1 bei einer von einer Konzern-Obergesellschaft abgegebenen Garantieerklärung. Er hat ausgeführt, dass die Annahme einer „Geschäftsbeziehung“ und eine hierauf gestützte Erhöhung der Einkünfte der Klägerin aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht bedenklich wäre, wenn die leistende Muttergesellschaft im Inland und die Tochtergesellschaft im EG-Ausland ansässig sei. Denn bei einem vergleichbaren reinen Inlandsfall könnte der Gewinn der Klägerin nicht um ein fiktives Entgelt für die Abgabe der Garantieerklärung erhöht werden. Eine Schlechterstellung der Klägerin allein deshalb, weil es sich bei der Tochtergesellschaft um eine niederländische Gesellschaft handele, wäre im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit nicht zu rechtfertigen. Ggf könnte sie zudem gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs verstoßen. Jedenfalls entspreche die Annahme, dass es sich bei dem zu beurteilenden Vorgang nicht um eine „Geschäftsbeziehung“ handele, den Anliegen des Gemeinschaftsrechts besser als die ansonsten vorzunehmende Erhöhung der Einkünfte nach § 1. Es handele sich mithin um eine „gemeinschaftsfreundliche“ Handhabung, die auch unter diesem Gesichtspunkt den Vorzug verdiene.

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In seiner Entsch v 21.6.2001 bejahte der BFH[826] ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit von § 1 mit der Niederlassungsfreiheit und der Freiheit des Kapitalverkehrs. Er führte aus, die in der Ungleichbehandlung liegende Diskriminierung zeige sich darin, dass derjenige StPfl, der Geschäfte mit einem nahe stehenden Geschäftspartner in einem EU-Mitgliedstaat tätige, steuerlich ungünstiger behandelt werde als ein solcher StPfl, der entspr Geschäfte im Inland betreibe. Dem einen werde ein fiktives Entgelt als Gewinnaufschlag hinzugerechnet, dem anderen hingegen nicht. Zwar könne eingewandt werden, dass bei einem innerstaatlichen Vorgang zugleich eine entspr Gewinnminderung auf Seiten des nahe stehenden Geschäftspartners entfalle; die fehlende Gewinnerhöhung bei dem leistenden StPfl und die fehlende Gewinnminderung beim Leistungsempfänger glichen sich somit aus. Es lasse sich jedoch zumindest ernstlich bezweifeln, dass mit einer derartigen Gesamtwürdigung die abw Behandlung von Auslandssachverhalten gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt werden könne.

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Auch das FG Düsseldorf[827] äußerte gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegen die Zurechnung von fiktiven Zinseinahmen, denn eine Besteuerung beim Inländer durch Hinzurechnung erfolge nur im Auslandsfall. Das FG Düsseldorf setzt sich in seiner Entsch auch mit der von der FinVerw erhobenen Rechtfertigung zu der von ihr vorgenommenen Einkünftezurechnung auseinander. Die FinVerw machte insoweit geltend, mit § 1 sei der Grundsatz des Fremdvergleichs des Art 9 MA im dt Steuerrecht umgesetzt worden und der Grundsatz der Gewinnabgrenzung und Einkünftezuordnung zwischen den Staaten sei int anerkannt.[828] Nach Ansicht des FG Düsseldorf könne damit die Benachteiligung der Auslandsinvestition gegenüber der Inlandsinvestition nicht zweifelsfrei gerechtfertigt werden. Der Senat habe auch Bedenken, ob zwingende Gründe des Allgemeininteresses § 1 gerechtfertigt erscheinen ließen und ob § 1 nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung des von Deutschland angestrebten Zieles erforderlich sei. Das FG Düsseldorf schließt sich damit den schon in der Lit geltend gemachten Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 1 mit EG-Recht an.[829]

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Rehm/Nagler[830] setzten sich mit der weiteren Argumentation der FinVerw auseinander, nach der § 1 die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse nach internationalen Grundsätzen vornehme, der EuGH in der Rs Gilly[831] dies gebilligt habe und die Vorschrift daher nicht gemeinschaftsrechtswidrig sei. Nach zutreffender Auffassung Rehm/Naglers kann das Urt des EuGH in der RS Gilly[832] nicht in dieser Weise verstanden werden. Aus dem Urteil folge vielmehr, dass auch nach Aufteilung des Besteuerungsrechts die Besteuerung von Auslandsbeziehungen beim jeweiligen StPfl zu den Inlandskonditionen erfolgen müsse, da der sich aus dem EG-Vertrag ergebende Anspruch auf Inländerbehandlung (auch) sowohl bzgl der Aufteilung, als auch der Ausübung des Besteuerungsrechts gelte.

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Wassermeyer/Baumhoff/Greinert[833] sehen in § 1 einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit und gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs und weisen darauf hin, durch die vorgenommenen Verschärfungen des § 1 iRd UntStRefG 2008[834] werde die Ungleichbehandlung von ausl und inländischen Sachverhalten erheblich ausgeweitet, was einen Verstoß von § 1 gegen EG-Recht noch wahrscheinlicher mache.[835] Der EG-Vertrag beinhaltet Grenzen,[836] die bei Korrekturen nach § 1 zu beachten sind und die im Gesetz nicht ausreichend beachtet wurden. Strunk/Kaminski[837] empfehlen daher, schon in Betriebsprüfungen auf dieses Problem hinzuweisen und anschließend zu prüfen, inwieweit ein Verständigungsverfahren beantragt werden sollte oder gegen die Steuerbescheide Rechtsmittel eingelegt werden sollten.

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Hingegen beantworten Naumann/Sydow/Becker/Mitschke[838] die Frage der Europarechtmäßigkeit des § 1 positiv. Sie beschränken die Prüfung eines möglichen Verstoßes des § 1 gegen die europäischen Grundfreiheiten auf die Niederlassungsfreiheit. Bei § 1 handele es sich um eine Vorschrift, deren Anwendungsbereich auf beherrschende Beteiligungen zugeschnitten sei und danach ausschließlich am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu prüfen ist.[839] Eine Beteiligung von mehr als 25 % reiche für einen sicheren Einfluss aus.[840] Daher sei im Bereich des § 1 grds die Niederlassungsfreiheit die einschlägige Grundfreiheit, da im Regelfall eine Beteiligung von mindestens 25 % vorliege.[841] § 1 entfalte keine, die europäische Niederlassungsfreiheit beschränkende Wirkung, weil schon keine verbotene Ungleichbehandlung vergleichbarer Rechtssubjekte vorliege. Vielmehr würden im Gegenteil aufgrund der Anwendung des § 1 ungleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden, woraus die Erlaubnis der Ungleichbehandlung folge. Dieses sei die Folge der Nichtanwendbarkeit von § 1 in einem reinen Inlandsfall. Im Inland habe eine nicht fremdvergleichskonforme Abrechnung von Geschäftsbeziehungen zwischen zwei Gesellschaften keine steuerliche Auswirkung. Weder habe sie eine wettbewerbsverzerrende Wirkung auf den Konzern noch eine Auswirkung auf das Gesamtsteueraufkommen eines Staates. So würden zB zu geringe Einkünfte aufgrund zu niedriger, nicht fremdvergleichskonformer Preise dadurch ausgeglichen, dass keine entspr steuermindernden Aufwendungen beim anderen Unternehmen anfielen. Das Steuerergebnis des Konzerns bliebe im Inlandsfall daher insgesamt gleich.[842] In einem Fall mit Auslandsbezug gelte dagegen als Prüfungsmaßstab für die Fremdüblichkeit stets § 1. Jedoch sei dies dem Umstand geschuldet, dass eine mögliche Gewinnminderung nicht durch die Besteuerung des Äquivalenz bei der empfangenden Gesellschaft ausgeglichen werden könne, weil Deutschland insoweit das Besteuerungsrecht fehle. Im Ergebnis ermöglicht es die Anwendung des § 1, das Substrat zu besteuern, welches Deutschland nach der international vereinbarten Aufteilung der Besteuerungsrechte zustünde. Ohne diese Vorschrift könnte der wirtschaftlich angemessene Gewinn, zB durch Abrechnung zu niedriger Abrechnungspreise sonst endgültig zu niedrig ausgewiesen sein. In grenzüberschreitenden Fällen bestünde mithin die Notwendigkeit, auf der Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes den Gewinn zu ermitteln, der unter wirtschaftlich üblichen Umständen zu besteuern gewesen wäre, um steuerlich motivierte Verzerrungen des Wirtschaftshandelns zu vermeiden und gleichzeitig nationale Besteuerungsrechte abzusichern.[843]

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ME greift die Argumentation von Naumann/Sydow/Becker/Mitschke[844] zu kurz. Lediglich bei isolierter Betrachtung einer Geschäftsbeziehung und der stets im Inland eintretenden Rechtsfolge, dass bei Vereinbarung nicht fremdvergleichskonformer Preise zweier sich nahe stehender Inlandsgesellschaften das Konzernsteuerergebnis im Inland unberührt bleibt, mag die Auffassung Früchte tragen. Werden für den Inlandsfall die Parameter zB dergestalt geändert, dass sich eine der nahe stehenden Personen in einer Gewinnsituation, sich die andere der nahe stehenden Personen hingegen in einer Verlustsituation befindet, kann durch die Vereinbarung nicht fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise das inländische Besteuerungssubstrat durch die Verlustnutzung sehr wohl beeinträchtig werden. Verschärft wird die steuermindernde Auswirkung auf das inländische Konzernsteuerergebnis durch Abschluss von Ergebnisabhörungsverträgen und die daraus resultierende Errichtung von Organschaften. Derartige Konstruktionen waren in der Vergangenheit auch häufig bei den wirtschaftlichen Tätigkeiten der öffentlichen Hand anzutreffen und sind allgemeinhin als sog steuerlicher Querverbund bekannt geworden.

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Auch Goebel/Küntscher[845] kommen – jedenfalls iE – zu der Vereinbarkeit der fremdvergleichsbasierenden Verrechnungspreisvorschriften in § 1 Abs 1 mit den europäischen Grundfreiheiten. Zwar sei der Vorschrift eine diskriminierende Wirkung nicht abzusprechen, diese sei jedoch wegen der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsgrundlagen der Mitgliedsstaaten als zwingender Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Zudem könne die Verhältnismäßigkeit der Vorschriften in § 1 Abs 1 als gegeben angenommen werden.

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Für die Vereinbarkeit der Besteuerung von Funktionsverlagerungen gem § 1 Abs 3 mit den europarechtlichen Grundfreiheiten vertritt auch das BMF[846] im Grundsatz eine positive Auffassung. Insoweit kann der Begr für die Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs 1 in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen wörtlich entnommen werden: „Es ist geprüft worden, ob die Rechtsverordnung mit Europarecht vereinbar ist, mit dem Ergebnis, dass insofern keine rechtlichen Zweifel bestehen. Da die Rechtsverordnung dem Fremdvergleichsgrundsatz lediglich – ausgehend von den neuen gesetzlichen Regelungen des § 1 Abs 3 – weiter präzisiert, besteht kein Anhaltspunkt für europarechtliche Bedenken. Die Ausgestaltung der Regelungen entspricht den Anforderungen des EG-Vertrages.“ Dagegen kommt Rolf[847] insoweit zu dem Ergebnis, dass die Auffassung des BMF fehl geht und die Besteuerung von Funktionsverlagerungen weder mit der Niederlassungs- noch mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist.

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Mit seiner Entsch in der Rs SGI[848] hat der EuGH zu den Verrechnungspreiskorrekturen im Rahmen von Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen Aussagen zu der Vereinbarkeit derartiger – ausschließlich in grenzüberschreitenden Fällen geltenden – Korrekturvorschriften gemacht. Die daraus resultierende Präzisierung und möglicherweise auch Klarstellung für die rechtsdogmatische Einordnung von Verrechnungspreiskorrekturvorschriften und deren Vereinbarkeit mit den EU-Grundfreiheiten ist von großer rechtspraktischer Bedeutung für die gemeinschaftsrechtliche Würdigung des § 1. Der EuGH[849] erkannte in seinem Urteil vom 21.1.2010 in der Rs SGI in einer Verrechnungspreiskorrekturvorschrift (Maßnahme), die nur grenzüberschreitende Sachverhalte erfasst, eine die Niederlassungsfreiheit verletzende Maßnahme. Nach Auffassung des EuGH kann eine verletzende Maßnahme gerechtfertigt sein, wenn mit der verletzenden Maßnahme ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

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Untersuchungsgegenstand in der genannten Entsch ist eine Regelung des belgischen Einkommensteuergesetzbuches gewesen, die mit dem Regelungsinhalt in § 1 im Kern vergleichbar ist. Danach werden den Gewinnen eines in Belgien ansässigen Unternehmens im Grundsatz Vorteile hinzugerechnet, die dieses in Belgien ansässige Unternehmen einer ausländischen unmittelbar oder mittelbar verflochtenen Gesellschaft gewährt hat und diese Vorteile außergewöhnlicher oder unentgeltlicher Natur sind.[850]

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Der in der Rs SGI zu beurteilende Sachverhalt betraf im Wesentlichen ein Darlehen, das der belgische Darlehensgeber (SGI) einer mit ihm verflochtenen ausländischen Gesellschaft (Recydem SA) zinslos zur Verfügung gestellt hatte.

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Der EuGH[851] entschied zu der belgischen Regelung, dass die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Notwendigkeit der Verhinderung der Steuerumgehung zur Zulässigkeit der gesetzlichen Regelung führt. Die Vorschrift sei gerechtfertigt, weil sie durch die Korrektur von Gewinnverlagerung dem belgischen Staat erlaube, seine Steuerhoheit auszuüben und dadurch für eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz als EU-Abgrenzungsmaßstab (§ 4 EU-Schiedsverfahrenskonvention) zu sorgen. Zudem sei die zu prüfende Vorschrift geeignet, die Übertragung von Einkünften auf Gesellschaften zu verhindern, die in Mitgliedstaaten mit den niedrigsten Steuersätzen ansässig sind oder in denen diese Einkünfte nicht besteuert werden, die Steuerumgehung zu vermeiden. Insoweit werde mit der Regelung ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt und sei auch durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt. Die belgische Regelung gehe auch nicht über das hinaus, was zur Erreichung der vorgenannten Ziele erforderlich sei, wenn dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werde, Beweise für die wirtschaftliche Begründetheit des Geschäftsabschlusses und die Angemessenheit der Geschäftsbeziehungen zu erbringen, und eine mögliche Verrechnungspreiskorrektur sich auf den Teil des vereinbarten Entgelts beschränke, der über bzw unter dem Verrechnungspreis liege. Ob diese Voraussetzungen durch die jeweils streitige Norm erfüllt seien, sei durch nationale Finanzgerichte zu klären.

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Mit seiner Entsch in der Rs SGI[852] hat der EuGH den Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab der steuerlichen Kontrolle grenzüberschreitender Leistungen allgemeinhin akzeptiert. Der Anwendungsbereich des Fremdvergleichsgrundsatzes ist aber auf künstliche Konstruktionen, die manipulativen Gewinnverlagerungen dienen, beschränkt. Zudem besteht der EuGH auf Möglichkeiten, mit denen sich der Steuerpflichtige exkulpieren kann und mithin den Gewinnverlagerungen wirtschaftliche Gründe zugrunde legen kann[853] und sieht damit für Großunternehmen die Möglichkeit für gegeben, vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichende Leistungsentgelte und Bedingungen legitimieren zu können. Die Ratio integrierter Großunternehmen bestehe nämlich gerade darin, innerhalb des Konzerns langfristige spezifische Leistungsbeziehungen aufzubauen, deren Effizienzgründe einem Fremdvergleich entgegenstünden. Dieser Befund zwinge dazu, innerhalb der EU über Alternativen zum klassischen Fremdvergleich nachzudenken. Dabei biete es sich an, die personelle Zuordnung von Gewinnen zwischen den Konzernunternehmen von der territorialen Zuordnung dieser Gewinne an die betr Steuerhoheiten abzukoppeln. Während jede Konzerngesellschaft ihre eigenen – nach betriebswirtschaftlichen Regeln ermittelten – Gewinne versteuern müsse, sollte den Staaten weitergehend das Recht eingeräumt werden, „Synergierenten“ steuerlich zu erfassen, die ausländische Konzernunternehmen aus der Nutzung günstiger Konditionen in ihren Leistungsbeziehungen mit inländischen Konzernunternehmen bezögen. Dies erfordere allerdings eine Neujustierung der Regeln über die beschränkte Steuerpflicht.

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Becker/Sydow[854] übertragen die Aussagen des EuGH[855] auf § 1 und kommen zu dem Ergebnis, dass auch die Vorschrift des § 1 eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit beinhaltet. Insb unter Einbezug der Aussage des EuGH, nach der die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsrechter nicht zu Disposition von Unternehmen bzw Unternehmensgruppen stehen darf, weil es sonst zu einer Wahlfreiheit der Unternehmen kommt, selbst zu bestimmen, in welcher Höhe in welchem Staat die Gewinne der Unternehmen besteuert werden, kommen Becker/Sydow zu einer Rechtfertigung der Beschränkung des § 1. Ohne eine Korrekturmöglichkeit, wie sie § 1 vorsieht, müsste Deutschland die Verlagerung von Steuersubstrat bei der Bemessung der Ertragssteuern sonst endgültig hinnehmen. Der andere Mitgliedstaat dürfte dagegen die späteren Gewinne besteuern, die überhaupt erst dadurch ermöglicht wurden, dass Deutschland die Anfangsinvestition steuermindernd berücksichtigt hat. Zudem sehen Becker/Sydow die Regelung in § 1 als verhältnismäßig an. In Deutschland stünden den Steuerpflichtigen iRd Betriebsprüfung aber auch durch § 90 Abs 3 AO sowie durch die Möglichkeiten der außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtswege Möglichkeiten offen, Beweise für die Angemessenheit von Verrechnungspreisen vorzulegen. Zudem ergebe sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs 1, dass mögliche Korrekturen nur bis zur Höhe von Fremdvergleichspreisen vorgenommen werden können. Was die Bestimmung von Fremdvergleichspreisen betreffe, orientiert sich Deutschland an den Arbeiten der OECD. Sollte in einem Einzelfall eine Fremdvergleichskorrektur nicht dem Fremdvergleich entsprechen, sei dies durch gerichtliche Verfahren oder Verständigungs- und Schiedsverfahren zu klären und bedeute nicht, dass § 1 europarechtlich berührt wäre. § 1 sei daher eine zur Wahrung einer international ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte und zur Verhütung von Steuerumgehungen dienende verhältnismäßige Regelung, die den EG-rechtlichen Anforderungen voll umfänglich Stand halte, was durch die Entsch des EuGH in der Rs SGI bestätigt wurde.

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Eine differenziertere Auffassung zu der Rechtfertigung der Verletzung der Niederlassungsfreiheit durch § 1 vertritt Andresen.[856] Berücksichtige man die jüngere BFH-Rechtsprechung zu zinslosen Darlehen an nahe stehende Personen im Ausland, müsse man daran zweifeln, dass durch die Anwendung des § 1 auf diese Fälle eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erreicht werde bzw Steuerumgehungen verhindert werden könnten. Dies liege daran, dass nach Auffassung des BFH bei Finanzierungen, welche die finanzierte Gesellschaft überhaupt erst in die Lage versetzten, die ihr zugedachte Konzernfunktion wahrzunehmen, davon auszugehen sei, dass Eigenkapital geflossen sei, dessen unentgeltliche Überlassung sich einer Korrektur unter dem Fremdvergleichsmaßstab entziehe. Ähnliches würde bei der Schätzung von Verrechnungspreisen durch die Finanzverwaltung gelten, deren Ergebnis nicht vom Fremdvergleichsgrundsatz gedeckt sei.[857] Auch in solchen Fällen seien die vom EuGH entwickelten Rechtfertigungsgründe für den Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit wohl nicht erfüllt. Ein ähnliches Phänomen sei die von der Finanzverwaltung unterstellte Annahme, dass inländische Unternehmen ihre unter ihrem Namen registrierten Marken nahe stehenden Personen im Ausland nicht unentgeltlich zur Verfügung stellten und daher ein Entgelt im Schätzungswege ermitteln würden. Angesichts dieser Beispiele des fortgesetzten Grundfreiheitsverstoßes durch § 1 dürfte die Diskussion über die Vereinbarkeit des § 1 mit dem EG-Vertrag keineswegs beendet sein.

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Englisch „wagt“ die Prognose, Bestimmungen wie diejenigen des § 1 Abs 3 S 4 und 7, die generell den Median bzw – wenn auch theoretisch widerlegbar – den Mittelwert innerhalb der Bandbreite als Bezugspunkt wählen, seien als unverhältnismäßig zu verwerfen. Wenn nämlich eine Preisfestsetzung am für den Steuerpflichtigen günstigeren oberen bzw unteren Rand nicht mehr als unüblich und somit iSd EuGH-Rechtsprechung als missbräuchlich beurteilt werden könne, sei es nur konsequent, auch eine Berichtigung ihrem Umfang nach auf die Zurückführung an diesen äußeren Rand des Vertretbaren zu begrenzen. Denn mehr könne der nationale Fiskus nicht unter Verweis auf das Territorialitätsprinzip und den Schutz seiner berechtigten Steueransprüche vor nicht durch wirtschaftliche Erwägungen der Ressourcenallokation im Binnenmarkt zu rechtfertigende Gestaltungen beanspruchen, nur darauf aber könne nach Ansicht des EuGH eine Rechtfertigung gründen. Weitergehende Zugriffsmöglichkeiten seien auch nicht unter den Aspekten steuerlicher Kohärenz oder finanzwissenschaftlicher Äquivalenzüberlegungen angezeigt. Aus dem gleichen Grund reduzierte sich das in § 1 Abs 3 S 8 vorgesehene Ermessen im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten auf Null.

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Zweifel an der Vereinbarkeit der Vorschriften zur Funktionsverlagerung im Konzern mit dem Europarecht in Ausprägung der Niederlassungsfreiheit äußern auch Goebel/Küntscher.[858] Sie erkennen in der Regelung über die Funktionsverlagerung eine Einschränkung von inländischen Steuerpflichtigen, die eine grenzüberschreitende Funktionsverlagerung durchführen. Die Regelung über die Funktionsverlagerung könne nicht zur Vermeidung missbräuchlicher Gestaltungen herangezogen werden, denn die Verlagerung einer Funktion beinhalte die Aufnahme oder Erweiterung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat. Auch die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und die damit einhergehende Notwendigkeit, den Mitgliedsstaaten das Recht zur Ausübung ihrer Steuerzuständigkeit zu gewähren und in diesem Sinne die in ihrem Staatsgebiet erwirtschafteten Gewinne einer Besteuerung zu unterwerfen[859] könne gleichfalls nicht dienlich sein, den Einklang mit den europäischen Grundfreiheiten herzustellen. Auf dem Prüfstand stehe die Besteuerung eines am Ertragswert der Funktion bemessenen Transferpakets. Eben dieses ermittle sich nicht aus in Deutschland generierten Gewinnen, sondern aus den zukünftigen Ertragsaussichten, die der verlagerten Funktion im Ausland zugesprochen werden. Da folglich keine Besteuerung erzielter Gewinne erfolge, könne diese Regelung auch nicht in den Schutzbereich der Besteuerungshoheit für generierte Gewinne einbezogen werden. Eine Rechtfertigung anhand des Arguments der Wahrung einer Besteuerungsbefugnis der Mitgliedsstaaten für in ihrem Hoheitsgebiet generierten Gewinne könne daher nicht erfolgen. Daran könne auch die sog Escape-Klausel des § 1 Abs 3 S 10 nichts ändern, weil diese Möglichkeit dem Steuerpflichtigen umfangreiche zusätzliche Mitwirkungspflichten und damit Kosten aufbürde.

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Mit Urt v 25.6.2014[860] sah der BFH die Anwendung des §§ 1 Abs 1 aF als nicht unionsrechtswidrig an. Er argumentierte, die belastende Wirkung der Rechtsnorm beschränke sich im Streitfall darauf, dem Umstand einer unentgeltlichen Darlehensgewährung der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaft durch Ansatz eines fremdvergleichgerechten Leistungsentgelts Rechnung zu tragen. Der BFH schließt sich der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „SGI“ an, nach der eine Einkünftekorrektur wie in § 1 vorgesehen, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein kann, da sie zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Notwendigkeit der Verhinderung einer Steuerumgebung gerechtfertigt sein kann. Allerdings ließ der BFH in seiner Entscheidung ausdrücklich offen, ob § 1 in diesen Fällen auch verhältnismäßig ist. Er konstatierte, im Streitfall sei dies nicht zu entscheiden. Im entschiedenen Fall ging es um die Korrektur einer unentgeltlichen Darlehensgewährung auf der Grundlage des allgemeinen Fremdvergleichs. Dieser habe nach Auffassung des BFH zwar Einfluss auf die Preisbildung, indem er diese aufgrund der wirtschaftlichen Verpflichtung der Geschäftspartner ausschlöße, nicht aber sachbezogene wirtschaftliche Gründe der Parteien, so dass die Einkünftekorrektur als Maßnahme zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte geeignet und jedenfalls nicht unverhältnismäßig sei.

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Aus der Entscheidung kann nun nicht der Schluss gezogen werden, dass der BFH die Regelung in § 1 aF grds und in jedem Fall als mit dem AEUV für vereinbar hält. Das kann schon unschwer daraus geschlossen werden, dass sich der BFH ausdrücklich nicht mit der Verhältnismäßigkeit der Einkünftekorrektur beschäftigt hat. Vielmehr lässt sich die Aussage des BFH lediglich auf vergleichbare Sachverhalte übertragen.

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Eine andere Aussage hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 1 mit dem AEUV kann auch nicht der Entscheidung des 10. Senats des BFH vom 5.2.2014[861] entnommen werden. Am Ende des Urteils weist der BFH in seiner Begründung lediglich darauf hin, dass der EuGH in der Rechtssache des „SGI“[862] über eine vergleichbare Norm im belgischen Recht entschieden habe, dass die Berührung der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls (Sicherung der Steuerhoheit) gerechtfertigt sein kann. Das nationale Gericht müsse sich davon überzeugen, dass die Regelung nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele in ihrer Gesamtheit erforderlich ist. Dabei ist entscheidend, dass dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werde, wirtschaftliche Gründe für die Bedingungen des Geschäfts darzulegen, und sich die steuerliche Berichtigung auf dasjenige beschränkt, was ohne das nähere Verhältnis vereinbart worden wäre. Dazu führt der 10. Senat des BFH aus, es spreche einiges dafür, dass die Regelung des § 1 diese Voraussetzungen erfülle.[863]

Außensteuergesetz Doppelbesteuerungsabkommen

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