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11 – In dem Lokal

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schlug Sophie ein köstlicher Duft entgegen, und es war anheimelnd warm. Die fünfzehn oder zwanzig Minuten zwischen ihrem Eintreten und dem Moment, in dem eine vor Hitze noch brutzelnde Pizza vor ihr auf den Tisch gestellt wurde, bedeuteten für sie Folter. Es war später Nachmittag, und sie hatte seit dem Kaffee und dem Croissant am Morgen nichts gegessen. Der allgegenwärtige Essensgeruch steigerte ihren Hunger zu blanker Gier. Sie wurde unruhig, spielte mit dem Besteck, scharrte mit den Füßen und blickte immer wieder in Richtung der Küche. Trenck war nach der Bestellung zunächst verschwunden, um sich auf der Toilette ein wenig ansehnlicher zu machen und um Cora einen Napf Wasser in das überheizte Auto zu bringen. Als er zurückkehrte, trug er nicht mehr den schmutzigen Kapuzenpullover, sondern nur noch ein Jeanshemd zu seinen Arbeitshosen. Er bemerkte Sophies Verfassung.

»So schlimm?«, fragte er.

»Ja.« Mein Gott bin ich leicht zu durchschauen, dachte sie. Aber egal. Ich habe Hunger. Das muss mir nicht peinlich sein. Der Zimmermann ist ein netter Kerl. Dem ist es gleich, wie dick der Hintern einer Zufallsbekanntschaft ist und wie viel sie noch draufpackt.

Sophie war zutiefst erleichtert, als endlich ein Teller vor sie hingestellt wurde. Sie machte sich entschlossen über die Pizza her, obwohl die zunächst noch glühend heiß war, und aß sie ohne Pause zur Hälfte auf. Dann war ihr schlimmster Hunger gestillt und sie konnte sich entspannen. Sie und Trenck sprachen nicht, bis Sophie bei einem Griff nach ihrem Glas wieder einmal seinem Blick begegnete.

»Was ist?«, sagte sie.

Er lächelte. Lächeln machte ihn nicht jungenhaft. Er lächelt wie ein Mann, dachte sie.

Sie sagte: »Beobachten Sie mich? Schmatze ich, schnaufe ich beim Essen, schlinge ich? Habe ich Käsefäden im Gesicht?«

Er lachte. »Nein. Sie essen ganz manierlich. Ich finde es schön, wie sie essen.«

»Schön?«

»Besser gesagt, ich finde es schön, endlich mal zusammen mit einer Frau zu essen, die nicht verdrossen in einem Salat stochert, den sie bestellt hat, weil sie fürchtet, von einer Portion Fritten dick zu werden.«

»Mit wem gehen Sie denn sonst essen? Mit Models?«

»Nicht mehr. Irgendwann ist mir mal aufgegangen, dass Frauen, die nichts essen, nicht nur dünn und wegen des dauernden Hungers unausstehlich schlecht gelaunt werden, sondern auch dumm.«

Sophie witterte eine Pointe und lieferte Trenck bereitwillig das Stichwort. »Wie, dumm?«

»Hirn besteht überwiegend aus Fett«, sagte er betont ernsthaft. »Wenn man länger hungert oder gewaltsam abnimmt, dann verliert man auch Hirnmasse. Menschen auf Diät verblöden innerhalb kürzester Zeit.«

Das fand Sophie witzig. Sie hob ihr Glas. »Cheers, Will Trenck«, sagte sie lachend. »Das war wirklich das Netteste, was Sie einem dicken Mädchen beim Essen erzählen konnten.«

»Cheers, Sophie Schatz. Sie sind nicht dick. Danke für die Einladung.«

Sie tranken und wandten sich wieder ihren Tellern zu. Sophie aß jetzt, halb gesättigt, weniger konzentriert, und wenn sie sicher war, dass er es nicht bemerkte, studierte sie den Mann, der ihr gegenübersaß. Da waren seine Hände, schöne Hände, die so angenehm zufassten, und seine sehnigen Unterarme. Sophie stellte ohne Begehrlichkeit fest, dass sie sie erotisch fand. Trenck aß ohne Hast. Er saß mit geradem Rücken am Tisch, eine Serviette auf dem Schoss, obwohl sie nur aus billigem Papier war und er staubige Arbeitshosen trug. Er gebrauchte sein Besteck mit den Ellenbogen am Körper, ohne die Arme auf den Tisch zu lehnen, benutzte die Serviette, bevor er trank, und fasste sein Glas am Stiel an. Das alles tat er völlig ungezwungen. Er hatte Tischmanieren, fand Sophie, die sie so bei einem Zimmermann, also bei einem gewöhnlich eher raubeinigen Typ von Mann, nicht erwartet hätte. Aber das wiederum war wohl ein Vorurteil von ihr, oder? Warum sollte ein Zimmermann keine Manieren haben?

Außerdem ist er freundlich, sogar charmant, aber nicht aufdringlich, fuhr sie in Gedanken mit der Aufzählung ihrer Beobachtungen fort. An mir als Frau ist er nicht interessiert, warum auch, aber er will mich auch nicht loswerden. Dazu hätte er schon längst Gelegenheit gehabt, und ich hätte es ihm nicht übelgenommen. Er redet nicht mehr als nötig, das ist sehr angenehm, und nicht über sich selbst – aber, na ja, wir kennen uns auch kaum, und ich habe ihn nichts gefragt. Er spricht nicht wie die anderen Leute in der Gegend, also ist er vermutlich nicht von hier. Er ist mindestens so alt wie ich, eher älter, aber anscheinend nicht verheiratet (niemand wartet mit dem Abendessen auf ihn). Aber so gut, wie der aussieht, mit Manieren, Charme und allem, hat er sicher eine Freundin.

Warum verbringt er dann seine Zeit hier mit mir?

Er ist schwul, dachte Sophie, und dann: Komm schon, Sophie Schatz, nicht alle netten, unverheirateten Männer mit Manieren sind schwul. Zimmermänner sind nicht schwul. Oder?

Irgendwann waren ihre Teller geleert und abgetragen, und sie saßen nur noch vor ihren Gläsern. Die Aussicht, dass der ereignisreiche Nachmittag mit dem netten Zimmermann bald vorüber sein würde, gefiel Sophie gar nicht. Sie überlegte, wie sich der Moment, in dem sie aufstehen und gehen mussten, noch ein wenig hinauszögern ließe. Zugleich fürchtete sie aber auch, aufdringlich zu erscheinen, Trencks Freundlichkeit und Geduld zu strapazieren. Vielleicht wollte er ja gehen, ließ es aber nicht erkennen. Aus Höflichkeit. Wegen der Manieren und so …

Versuch macht kluch, dachte Sophie und sagte: »Kaffee?« Dabei forschte sie in Trencks Gesicht nach Anzeichen von Ungeduld oder Widerwillen. Aber da war nichts – oder nichts, das sie erkennen konnte.

»Gern«, antwortete er. Er wirkte entspannt, vielleicht etwas müde. Als sie bestellt hatten, suchte Sophie nach einem Vorwand, mit dem sie eine Unterhaltung in Gang bringen und am Laufen halten konnte. Es fiel ihr nichts ein außer …

»Verstehen Sie etwas von alten Häusern, Will?« Mein Gott, bin ich lahm, dachte sie, aber zu ihrer Erleichterung ging Trenck auf die Frage ein.

»Ja und nein. Theoretisch weiß ich, wie man alte Häuser restauriert. Praktisch habe ich nur mit ihnen zu tun, wenn sie abgerissen werden.«

»Wie muss ich mir das vorstellen?«

»Ich berge das Holz, das in ihnen steckt. Erst finde ich heraus, wo ein altes Haus abgerissen werden soll. Dann verhandele ich mit der Abrissfirma oder dem Bauleiter, damit ich brauchbares Holz vor dem Abriss ausbauen kann, oder mit einem Baggerfahrer, damit er es mir aus den Trümmern fischt. Das sortiere und säubere ich, und manches säge ich noch in Form oder glatt. Dann verkaufe ich es wieder.«

»Wer kauft so was?«

»Antik-Holz ist was für Liebhaber und Spezialisten. Reiche Leute, die in einem neuen Haus offen liegende Deckenbalken oder Türstürze aus dreihundert Jahre altem Eichenholz haben wollen. Kunsttischler, die antike Möbel nachbauen oder reparieren, und Restaurateure, die in historischen Gebäuden Treppen, Täfelungen oder Bibliothekseinrichtungen wiederherstellen.«

»Klingt wie ein gutes Geschäft«, sagte Sophie.

»Nicht wirklich. Manches verkauft sich, manches nicht. Manches Holz brächte richtig Geld, wenn es aufzutreiben wäre. In Ihrem Haus zum Beispiel gibt es Dielen, die sind wertvoll wie Gold.«

»Echt? Wo denn?«

»Im oberen Stockwerk.«

»Ich war nicht oben«, sagte Sophie.

Trenck legte den Kopf schief und musterte sie. »Richtig froh scheint Sie Ihr Erbe nicht zu machen«, sagte er.

»Das ist wahr. Ich habe eine Ruine geerbt. Und Schulden.«

»21.406 Euro?«

»Und 52 Cent.«

»Das ist doch nicht so viel Geld«, sagte Trenck.

»Für mich schon. Möglicherweise kommt noch was dazu, die Kosten für die Bestattung, Erbschaftssteuer, was weiß ich.«

»Ihre Erbschaftssteuer wird sich in Grenzen halten. Das Finanzamt kann das Haus in seinem jetzigen Zustand nicht hoch bewerten.«

»Immerhin etwas«, sagte Sophie. »Ich hoffe nur, ich finde einen Käufer und komme wenigstens null für null aus der Sache heraus.«

»Sicher. Hier in der Gegend sind immer Leute unterwegs, die alte Häuser billig kaufen, sie ein bisschen aufhübschen und dann reichen Berlinern teuer als Zweitwohnsitz andrehen.«

»Nett von Ihnen, dass Sie mir Mut machen, Will«, sagte Sophie.

»Gern. Wollen Sie auch noch einen Tipp von einem erfahrenen Schuldenmacher?«

»Untertauchen?«

»Ratenzahlung. Bestehen Sie beim Finanzamt und auch sonst auf Ratenzahlung. Dann können Sie Steuern und Schulden in bequemen kleinen Raten aus ihren laufenden Einnahmen abzahlen.«

»Laufende Einnahmen?« Sophie musste lachen. «Ich bin arbeitslos, Will. Ich bekomme nicht mal Arbeitslosengeld, weil ich für eine Abfindung selbst gekündigt habe.«

»Na dann …«, sagte Trenck grinsend, »viel Glück.«

Sie lachten beide.

»Cheers, Will Trenck«, sagte Sophie und hob ihr Glas mit einem letzten Schluck Wein. »Auf Glück.«

»Cheers, Sophie Schatz. Und auf Ratenzahlung.«

Sie saßen noch eine Weile und tranken ihren Kaffee, ohne zu sprechen, denn es gab nichts mehr zu sagen, aber wenn sich ihre Blicke trafen, lächelten sie einverständig. Sophie fühlte sich gut. Sie war satt, ihr war warm, sie war in angenehmer Gesellschaft. Einen schöneren Abschluss für diesen verrückten Tag hätte sie sich nicht vorstellen können.

Halbe-Halbe, einmal und immer

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