Читать книгу Halbe-Halbe, einmal und immer - Kathrin Brückmann - Страница 22
20 – In dem allgemeinen Trubel,
Оглавлениеder mit Besuchen von Großeltern, Onkeln, Tanten, Nichten und Neffen, von Freunden und Kollegen der Eltern um das neue Kind entstand, hätte Sophie fast eine E-Mail an sie von der Volksbank Küstrow übersehen. Im Betreff stand »Grobitzer Landstraße 210; Objekt Nr. …bla bla … bitte rufen Sie uns an.« Sophies Herz hüpfte: Die Bank musste einen Käufer für ihr altes Haus gefunden haben. Freudig erregt rief sie an. Der Mann, mit dem sie sprach, war nicht der Raucher. Die Stimme klang jung.
»Frau Schatz«, sagte die junge Stimme nach der Begrüßung, »aus betrieblichen Gründen bereinigen wir zurzeit unser Immobilienangebot, und haben …«
»Moment«, sagte Sophie: »Mit wem spreche ich? Sie sind nicht der, mit dem ich vor ein paar Wochen zu tun hatte.«
»Nein, der Herr, äh … ist bei uns ausgeschieden. Ich leite jetzt die Immobilienabteilung. Wir bereinigen zurzeit unser …«
Sophie wusste, was ›bereinigen‹ zu bedeuten hatte. Ihre Laune sank schlagartig. Vor ihrem inneren Auge sah sie den neuen Leiter der Immobilienabteilung der Volksbank Küstrow vor sich: einen übereifrigen, aufstiegsorientierten Typen, nicht älter als sie selbst, der einen für seine Verhältnisse zu teuren Anzug trug und dazu billige Schuhe. Sie unterbrach ihn zum zweiten Mal.
»Machen Sie es kurz, Herr Wie-war-noch-mal-Ihr-Name. Sie werfen mich raus, nicht wahr? Sie wollen das Haus nicht länger anbieten.«
»Wir müssen unsere Immobilienvermittlung wirtschaftlich betreiben«, sagte der junge Mann. »Aufträge, bei denen unser Aufwand für die Vermittlung kalkulatorisch größer ist als die zu erwartende Provision, können wir nicht bearbeiten. Wäre Ihr Objekt gebrauchsfertig renoviert, sähe das natürlich anders aus.«
Wäre mein Haus renoviert, dann bräuchte ich dich und deine Bank nicht, dachte Sophie.
»Wenn es einmal renoviert ist«, sagte der junge Mann, als hätte er Sophies Gedanken gelesen, »stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Heute sind Sie besser bei einem Immobilienmakler aufgehoben. Wir schicken Ihnen Ihren Vermittlungsauftrag und die Schlüssel zusammen mit der Kündigung in den nächsten Tagen zu.«
Sophie legte auf.
Alles zurück auf Anfang. Sie ließ das Gespräch mit dem Mann von der Volksbank zwei Tage lang sacken, auch mit der vagen Hoffnung, dass ihr vielleicht in dieser Zeit irgendetwas Geniales einfallen oder gar ein Wunder geschehen würde. Aber das tat es nicht. Schließlich suchte und fand sie im Internet zwei Immobilienmakler, die in und um Küstrow aktiv waren. Sie überlegte, die beiden anzumailen, verwarf den Gedanken aber wieder. Bei E-Mails und Post konnte man nicht sicher sein, wann oder ob sie überhaupt gelesen wurden, und auch nicht, ob man überhaupt eine Antwort bekam. Sophie wollte und konnte nicht warten. Telefonieren kam ebenfalls nicht infrage. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie einfach es war, einen Anrufer abzuwimmeln. All das im Kopf, und nachdem sie einige Zeit mit sich selbst gerungen hatte, beschloss sie, noch einmal nach Küstrow zu fahren – nicht ohne Hintergedanken, einen, den sie fast nicht zu denken wagte. Denn wenn sie einmal dort war, dann konnte sie vielleicht (vielleicht …) den netten Zimmermann mit den schönen Augen, dem hübschen Hund und dem alten Landrover anrufen. Und vielleicht würde er sich ja nicht rausreden oder entschuldigen, sondern noch einmal mit ihr essen gehen und sie noch einmal in seinem klapprigen, aber behaglich warmen Auto spazieren fahren. Im Grunde war es der Hintergedanke, der Sophie den entscheidenden Schubs gab. Bis die Kündigung des Vermittlungsvertrags und die Schlüssel ihres Hauses bei ihr ankamen, war im Haushalt ihrer Gastgeber wieder Normalität eingekehrt. Um den kleinen Robert herum hatte sich eine Routine eingespielt. Sabine musste nicht mehr auf einem Kissen sitzen und konnte Mariechen selbst in den Kindergarten bringen.
Sophie packte einen kleinen Rollkoffer, um zum zweiten Mal nach Brandenburg zu fahren.