Читать книгу Kuss der Wölfin - Band 1-5 (Spezial eBook Pack über alle Teile. Insgesamt über 1300 Seiten) - Katja Piel - Страница 26
Оглавление20. Kapitel
Herbst 2012, Frankfurt Sachsenhausen
«Wie ist das eigentlich so? Eine Wandlerin zu sein?»
Ein paar Tage später stand Sam vor meiner Tür. Ich fiel fast in Ohnmacht. Katja war schon morgens bei mir gewesen, und ich hatte nicht mit weiterem Besuch gerechnet. Draußen wurde es schon dunkel. Ein Herbststurm riss die Blätter von den Bäumen, und Sam brachte einen Schwall kalter Luft mit, als er mein kleines Gefängnis betrat.
„Sam!“ Ich fiel ihm um den Hals und presste mein Gesicht an seine Schulter. Er schloss die Arme um mich und drückte mich an sich.
„Anna, Liebste, ich habe dich so vermisst.“ Er ließ seine Schuhe an der Tür und ging die Stufen zu meinem Wohnraum hinunter. Seine Haare waren feucht, und er roch nach Regen. Ich folgte ihm, ganz benommen von seiner plötzlichen Anwesenheit. „Wie komme ich zu der hohen Ehre deines Besuches?“
„Ich habe meinen Vater so lange bearbeitet, bis er mir deine Adresse gegeben hat. Er konnte verstehen, dass diese Isolation schrecklich für dich sein muss. Außerdem... nun ja, ich denke, er hat gemerkt, dass du nicht nur eine Bekannte und Nachbarin meiner Freundin bist.“
„Oh. Er wird doch nicht...“
„Nein, nicht mein alter Herr. Er hat sich noch nie in meine Privatangelegenheiten gemischt.“ Er sah sich um, musterte das Doppelbett in der Schlafnische, den großen Fernseher und den Blick hinaus in den verwilderten Garten.
„Nett hast du's hier.“
„Ja, wenn ich mal vor die Tür könnte, dann wäre es noch viel netter. Kaffee?“
„Lieber ein Glas Rotwein, wenn du hast.“ Ich hatte tatsächlich. Es gab eine kleine Vorratskammer, in der neben Konservendosen und H-Milch auch zwei Flaschen Wein standen. Als ich etwas davon eingoss, war es ein lieblicher Rosé, aber das störte uns nicht.
„Wir werden heute nicht übereinander herfallen“, schwor ich ihm, als wir anstießen. „Prost.“
Mit den Gläsern verzogen wir uns aufs Sofa. Kuscheln war erlaubt, und ich wäre am liebsten in ihn hinein gekrochen. Ich schmiegte mich an ihn, und er legte seinen Arm um mich.
„Was gibt es Neues?“, fragte ich. „Du musst mir alles erzählen.“ Er rutschte unbehaglich herum. „Leider nicht so viel. Ein paar Wächter sind angereist, das sind aber eher so rüstige Rentner. Den Venatio fehlt der Nachwuchs. Das Rudel haben wir nicht mehr gesichtet, allerdings stand in der Zeitung ein Artikel über Wölfe im Taunus. Ein Jäger hat entsprechende Spuren gefunden und ein totes Reh, das von Raubtieren gerissen und angefressen wurde. Jetzt wird diskutiert, ob es sich auch um große, verwilderte Hunde handeln könnte.“ Ich biss mir auf die Lippe. „Das Rudel ist also jedenfalls noch in der Gegend?“
„Davon ist auszugehen. Und damit bist auch du nach wie vor in Gefahr, wenn du einen Fuß auf die Straße setzt. Mein Vater will eine Detektei beauftragen, die dein Haus beschattet, um zu sehen, ob andere es ebenfalls beschatten.“
„Du hättest nicht herkommen sollen. Das ist gefährlich!“ Er lachte und küsste mich zart auf die Stirn. „Du weißt nicht, was du willst. Erst heulst du mir die Ohren voll, dass ich zu dir kommen soll, und wenn ich dann da bin, ist es auch wieder nicht recht.“
„Es ist sowas von recht.“ Meine Stirn prickelte, dort wo er mich geküsst hatte. Ich musste nur den Kopf heben, um seine Lippen mit meinen zu berühren. „Ich überlege, ob ich mich für den Orden melde“, sagte er. „Freiwillig.“ Ich fuhr hoch. „Warum? Weißt du, worauf du dich da einlässt? Was für eine blöde Idee!“ Er grinste und zog mich wieder näher. „Zartgefühl, du hast einen Namen. Und natürlich weiß ich nicht wirklich, worauf ich mich einlasse. Das weiß man vorher nie. Aber gerade du müsstest doch sehen, dass es eine gute Sache ist. Wir brauchen Wächter. Vielleicht ist der Überfall auf dich nur der Anfang.“
„Ein Leben als Wächter ist gefährlich. Stressig. Du bist immer auf dem Sprung, jederzeit kann ein Ruf dich erreichen...“
„Das ist ungefähr so, als wäre ich Mitglied beim THW oder der Freiwilligen Feuerwehr. Und tausende Menschen machen das.“
„Nur ohne die Monster.“ Er seufzte und strich über mein Haar. „Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich weiß nicht, was mit Alexa werden soll. Wie viele Lügen kann ich ihr erzählen, ohne dass es unsere Beziehung völlig aushöhlt?“ Er wirkte auf einmal sehr traurig, und ich wechselte das Thema. Zum einen, weil ich ihn wieder aufmuntern wollte, zum anderen aber, weil ich es schwer ertrug, wenn er von Alexa sprach. Ich hatte Sam nur ein paar wenige, kostbare Stunden. Sie hatte ihn die ganze restliche Zeit. Ich wollte nicht, dass sie in unser winziges Idyll eindrang.
Ich ließ ihn von der Uni erzählen, von Partys und Prüfungen. Obwohl ich noch nicht einmal eine Woche weg war, erschienen mir seine Erzählungen wie Echos aus einem früheren Leben. Irgendwann waren alle Neuigkeiten ausgetauscht, und der Wein ging in unseren Gläsern zur Neige. Wir wollten beide nicht, dass Sam schon ging. Ich legte eine DVD ein, und wir sahen uns einen belanglosen Liebesfilm an. Immer, wenn das Pärchen sich küsste, küssten wir uns auch. Küssen war ja fast wie kuscheln, also erlaubt. Irgendwann begann das Pärchen, sich auszuziehen, und es wurde auf diese verschämte amerikanische Art angedeutet, was sie miteinander taten.
„Nur kuscheln“, flüsterte ich, während Sam sich an mich presste und seine Lippen kaum von meinen lösen konnte. „Nur kuscheln...“
Wir kuschelten uns aus unseren Klamotten, und diesmal gab es keine übrigen Kleidungsstücke, keine Bettdecke, die etwas verhüllte. Wir entdeckten uns Zentimeter für Zentimeter. Er küsste mich zart und strich mit vorsichtigen Händen über meine Brüste. Zwischen meinen Schenkeln erwachte das lustvolle Pochen. Hätte er mich dort angefasst, ich wäre binnen einer Minute gekommen, doch ich sah in seinen Augen, dass er das nicht wollte. Nicht schnell, hastig, kein Sex zum Trösten. Echten, guten, ausgiebigen Sex, weil wir es so beschlossen hatten, ohne Entschuldigung, und danach würde keiner sagen könne, es wäre eben so passiert. Während das Pärchen im Film sich stritt – es war noch fast eine Stunde bis zum Ende des Films, viel zu früh für ein Happy End, legte Sam sich auf mich. Sein Gewicht presste mich tief in das weiche Sofa, seine Erektion drückte sich an meinem Bauch, aber er bewegte sich kaum, lag nur auf mir, küsste mich und versuchte, so viel meines Körpers zu berühren, wie nur möglich war. Meine Beine rieben an seinen. Ich spürte seine Muskeln. Mittlerweile wusste ich, dass er regelmäßig joggte, und das wirkte sich auch auf seinen Hintern sehr positiv aus.
Zwischen uns sammelte sich die Hitze, er begann zu schwitzen. Sam stützte sich auf die Ellenbogen, was auf dem engen Sofa nicht ganz einfach war, und richtete sich auf. Er küsste meine Lippen, mein Kinn, meinen Hals, und arbeitete sich langsam hinunter zu meinen Brüsten, die ich ihm erwartungsvoll entgegen reckte. Mit der Zungenspitze umspielte er erst meine eine, dann die andere Brustwarze, bis sie beinahe schmerzhaft steif abstanden. Den Kopf zwischen meinen Brüsten, grinste er zu mir hinauf, doch ich wollte nicht klein beigeben und betteln. Ich zerwuschelte seine Haare und drückte ihn an mich, während ich langsam begann, meinen Unterleib zu bewegen. Er stöhnte unterdrückt, als sein bestes Stück zwischen unseren Körpern massiert wurde. Bevor es ihm zu gut gefiel, drückte ich seinen Kopf weiter nach unten. Er verstand und tauchte ab. Als ich seine Zunge zwischen den Schenkeln spürte, stöhnte ich unwillkürlich auf und suchte nach etwas, um mich festzuhalten. Ich erwischte die Kante des Sofatisches. Klirrend ging ein Glas zu Bruch, aber ich achtete kaum darauf. Zielsicher tauchte Sam seine Zunge in mein pulsierendes Lustzentrum. Mein Stöhnen war ihm wohl Ermutigung genug, denn gleich darauf spürte ich seine Finger, wie sie meine Furchen weiter öffneten. Mit leisen schmatzenden Geräuschen fuhr seine Zunge durch meine Spalte, und ich hob ihm verlangend mein Becken entgegen, damit er tiefer kam. Ich war gerade dabei, meinen Rhythmus für den Endspurt zu finden, als er auftauchte und zu mir hinauf lächelte. „Jetzt du.“ Er kam auf die Knie und ließ sich auf dem Sofa nach hinten fallen. Sein Glied stand erwartungsvoll in die Höhe. Ich zögerte kurz und schluckte den Frust eines knapp verpassten Orgasmus. Ich blies nicht besonders gerne, ich hatte zu viele ungewaschene Kerle erlebt, die Frauen gnadenlos gegen ihre Mitte pressten, aber Sam sah so glücklich und erwartungsfroh aus, dass ich ihm die Bitte nicht abschlagen wollte. Ich erhob mich auf alle Viere und beugte mich über seine Mitte. Er roch gut nach Schweiß und Lust. „Ich schlucke nicht“, sagte ich. „Schsch“, flüsterte er. „Du machst nur das, was du willst. Etwas anderes will ich selber gar nicht.“ Probeweise leckte ich an seiner Erektion entlang, und er stöhnte und erzitterte unter mir. Ich umschloss seinen Schaft mit der Hand und nahm die Spitze in den Mund. Sofort begann er, in mich zu stoßen. Ich ging mit dem Kopf rückwärts, damit er mich nicht in den Rachen stieß. Nach etwas ungeschicktem Positionieren – meine letzte solche Erfahrung lag fünfzig, sechzig Jahre zurück – fiel ich mit ihm in einen Rhythmus. Während ich seine Erektion in meiner Wangentasche hin und her gleiten ließ, beobachtete ich ihn. Seine Brust hob und senkte sich. Kleine Schweißperlen glitzerten auf dem schmalen Streifen dunkler, wolliger Haare, der von seiner Brust bis hinunter zu mir führte. Sein Gesicht verriet totale Hingebung, und seine Hände hatte er in den Sofabezug gekrallt. Das Stöhnen wurde lauter. Ich überlegte, ob ich zulassen sollte, dass er in meinen Mund kam, um ihm diesen Augenblick zu schenken, da stoppte er sich selbst und zog sich aus meinem Mund zurück. „Pause“, keuchte er, „sonst...“ Ich schwang ein Bein über ihn und hockte mich auf ihn. Sofort wanderten seine Hände zu meinen Brüsten. Ich brachte meine Scham direkt über ihn und schob seinen Penis vorsichtig in mich hinein. Dann begann ich ihn zu reiten. Das Pärchen auf der DVD schrieb sich SMS und wartete im Sonnenuntergang aufeinander. Ich ließ mich an Sams Erektion hinauf und hinunter gleiten. Ich war so erregt und nass, dass der erlösende Orgasmus immer knapp außerhalb der Reichweite war. Plötzlich umfasste Sam meine Hüften und zog mich noch tiefer. Seine Bauchmuskeln spannten sich an, seine Stöße wurden kraftvoller. Ich spannte meine Muskeln rund um ihn an, und plötzlich durchfegte mich ein Orkan der Lust. Ich schrie und packte seine Schultern, während ich mich auf ihm krümmte. Gleichzeitig schoss er seine erlösende Ladung in mich und sank keuchend auf das Sofa zurück. Ich legte mich auf ihn und spürte, wie sein Herz raste. Ich war total erledigt. „Wir sind nicht übereinander hergefallen“, murmelte ich. „Wir haben uns echt Zeit gelassen.“ Er lachte leise und zerzauste mein Haar. Auf der DVD lief der Abspann. Sein Schweiß trocknete auf meiner Haut, und nach einer Weile begann ich zu frieren. Widerstrebend löste ich mich von Sam und ging hinüber in das kleine Badezimmer, um ein Bad einzulassen. Ich gab einen kräftigen Schuss Kokos-Shampoo dazu, und bald breitete sich ein angenehm süßlicher Duft in dem kleinen Raum aus. Ich lehnte mich an die Badtür und schaute zu Sam hinüber, der sich immer noch nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, auf dem Sofa räkelte.
„Kommst du mit in die Wanne?“, fragte ich ihn, und er stimmte träge zu. Die Wanne war nicht besonders groß, und wir mussten uns eng ineinander verschlingen, um beide hineinzupassen. Sam setzte sich nach hinten, und ich mich vor ihn zwischen seine Beine. Er legte die Arme um mich, und ich ließ mich in das warme Wasser sinken. Eine Weile schwiegen wir, und ich spielte mit den Schaumbergen. Sam war ungewöhnlich nachdenklich. „Wie ist das eigentlich so?“, fragte er irgendwann. „Eine Wandlerin zu sein? Ich meine, wie fühlt es sich an?“
„Ich weiß nicht“, sagte ich. „Ich kenne den Unterschied nicht. Für mich fühlt es sich ganz normal an.“
„Ich stelle es mir wie eine gespaltene Persönlichkeit vor.“
„Hm... nicht wirklich. Es gibt keine Trennung zwischen der Wölfin und mir. Wir sind miteinander verschmolzen. Wenn ich in Menschengestalt bin, habe ich trotzdem ihre feine Nase und ihr gutes Gehör – ein bisschen was davon, zumindest. Und wenn ich in Wolfsgestalt bin, kann ich immer noch denken wie ein Mensch. Zumindest eingeschränkt. Die Sinneseindrücke sind viel intensiver, und sie lösen auch Instinktreaktionen aus. Ich muss mich dann ziemlich beherrschen. Das ist mühsam, aber auch ziemlich wichtig, wenn man in der Nähe von Straßen herumläuft. Ein bisschen wie... aufpassen beim Sex, damit man nicht schwanger wird, oder zumindest stelle ich es mir so vor.“ Er strich zärtlich über meine Haare. „Du hast nie beim Sex aufgepasst?“
„Nein. Geborene Wandler können keine Kinder bekommen – oder zeugen. Das können nur gebissene. Und auch nur, wenn sie vorher schon schwanger sind. Wusstest du nicht?“
„So genau habe ich mich bisher nicht damit beschäftigt.“ Er rückte sich hinter mir in der Wanne zurecht und umfasste mich fester. „Wie ist es, so lange zu leben?“ Ich strich mir Schaum von den Schultern und seufzte. „Wie schon? Lang. Ich wünschte manchmal, wir müssten uns nicht verstecken. Es ist auf die Dauer unwürdig. Ich altere nicht. Zumindest nicht für das menschliche Auge sichtbar. Das heißt, ich muss alle zehn, fünfzehn Jahre verschwinden und irgendwo ein ganz neues Leben anfangen, bevor es jemandem auffällt.“
„Das heißt, du hast schon um die vierzig Leben geführt?“
„Nein. Ich habe mit über vierzig Leben herumprobiert. Ich bin ja nie bis zum Schluss geblieben.“
„Was war da alles dabei?“ Ich dachte nach. „In den Sechzigerjahren war ich ein Model, das hast du schon herausgefunden. Während des zweiten Weltkrieges war ich in Frankreich und habe für die Resistance gearbeitet. Ich war die Geliebte eines Sturmbandführers und habe die Franzosen mit Informationen versorgt. In der Weimarer Republik war ich Salonsängerin... davor Fotografin... die erste Frau übrigens, die sich mit dieser neuen Technik befasst hat. Davor... die Geliebte mehrerer einflussreicher Männer, manchmal auch die Ehefrau... Apothekengehilfin... Schankwirtin... Marketenderin... die ganz frühen habe ich vergessen. Während des dreißigjährigen Krieges habe ich in den Wäldern gelebt, kaum jemals in menschlicher Gestalt. Das waren schlimme Zeiten, im siebzehnten Jahrhundert. Es gab immer wieder Pestwellen, die ganze Dörfer entvölkerten... Ich war sehr verwildert, als die Zeiten wieder ruhiger wurden, und kam als Mensch kaum mehr zurecht. In dieser Zeit war ich die Waldfrau. Ein Jagdbaron hat mich aufgenommen und zivilisiert, wie er es nannte. Das war damals auch dringend nötig. Ich bin dem Mann heute noch dankbar.“
„Das heißt, du kannst auch lange Zeit in Wolfsgestalt leben?“
„Theoretisch ja. Praktisch birgt es die Gefahr, dass der Wandler zu tief in die Tiergestalt rutscht. Das Denken fällt schwerer, die Instinkte sind lebhaft, es ist ein einfaches Leben. Man weiß immer, was man zu tun hat: jagen, fressen, schlafen. Während meiner Ausbildung wurde uns eingeschärft, nie zu lange in Tiergestalt zu bleiben, um nicht den Kontakt zum Mensch zu verlieren. Obwohl ich das manchmal als Verlockung empfinde. Einfach so lange in Tiergestalt zu bleiben, bis ich vergessen habe, dass ich auch menschlich bin. Das muss ungeheuer erholsam sein.“
„Was für ein trauriger Gedanke. Ein bisschen wie Selbstmord. Wenn ich mich selbst vergesse, dann gibt es mich ja nicht mehr wirklich, oder?“
„Irgendwie schon.“
„Tu's nicht. Ich würde dich so vermissen.“
„Nein. Versprochen.“ Ich umfasste seine Arme und küsste seine nasse Haut. Er ließ den Kopf nach vorne sinken und atmete gegen meine Schulter. „Warum hast du dir vorher nie einen Eingeweihten gesucht?“, fragte er. „Keine Ahnung. Die, die ich traf, waren für mich nicht attraktiv. Und wer weiß, wie viele ich verpasst habe, von denen ich's nicht wusste... man bindet es sich ja auch nicht gegenseitig auf die Nase. Außerdem bleibt immer das Problem: Er altert, ich nicht.“
„Und ein anderer Wandler? Ihr hättet gemeinsam alle zehn Jahre neu anfangen können.“
„Herzlein, es gibt nicht gerade einen Heiratsmarkt für Gestaltwandler. Und wenn du von allen Wandlern die Werwölfe abziehst, und von den reinen Wandlern die Idioten, und die Schwulen, und die Frauen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich den einen passenden treffe, extrem gering. Selbst wenn man so lange suchen kann wie ich.“ Er drückte einen zarten Kuss auf meine Schulter. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht nerven. Es ist nur... ich denke eben nach über solche Dinge.“
„Ist schon gut.“
„Ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, so zu leben.“
„Das glaube ich dir.“
„So ein normales Leben muss dir im Vergleich total langweilig vorkommen. Familienkind, Schule, Abitur, nette Eltern, Hund, Ruderclub... das einzig Ungewöhnliche an mir ist der Tod meiner Mutter vor ein paar Jahren. Und das ist wiederum wahrscheinlich nur für mich ungewöhnlich. Gesamt betrachtet ist das ein total banales Schicksal.“
„Wie ist sie denn gestorben?“
„Sie hatte einen Unfall in einem Parkhaus. Sie fuhr in ihrem Golf die Auffahrt hoch, und ein Bentley hat sie von links gerammt. Volles Tempo. Fahrer betrunken. Sie war sofort tot.“
„Oh mein Gott. Das ist ja furchtbar.“
„Für mich schon. Für den Rest der Welt ist sie nur eine Nummer in einer Unfallstatistik.“ Ich drehte mich in der engen Wanne um, damit ich Sam in die Augen sehen konnte. Wasser platschte über den Rand auf den Boden.
„Mir tut das ganz schrecklich leid, Sam.“ Er seufzte. „Ja. Mir auch.“ Er sah sehr jung aus mit seinen nassen Haaren, die ihm ausnahmsweise glatt am Kopf lagen, und den großen grünen Augen. Plötzlich spürte ich den Altersunterschied von vierhundertzwei Jahren. Ich nahm ihn in die Arme und bettete seinen Kopf an meiner Schulter. Er hielt mich fest und seufzte ein wenig in meine Schulter, dann begann er, mir kleine Küsse auf die Haut zu drücken.
„Sag mal... du hattest ja vermutlich mit ein paar hundert Kerlen Sex...“
„So viele werden es nicht gewesen sein, aber schon so einige.“
„Hat sich etwas verändert über die Jahre? War der Sex im achtzehnten Jahrhundert anders als heute?“
„Warum willst du denn das wissen?“
„Na, hör mal – werde ich jemals im Leben wieder die Gelegenheit zu so einer Recherche bekommen? Augenzeugenberichte sind immer das Beste!“
„Ich dachte, du studierst Pädagogik?“
„Sexualpädagogik ist ein wichtiger Teilbereich.“ Ich lachte und zauste sein Haar, bis es wieder wie gewohnt zu allen Seiten abstand. „Dann bin ich also nichts als ein Forschungsobjekt für dich?“
„Ja, genau. Ich forsche wahnsinnig gerne an dir herum.“ Er tauchte seine Hand unter und schickte sie auf eine zarte Forschungsreise. Ein angenehmer Schauer lief über meinen Rücken. „Erzähl doch mal“, murmelte er. „Wie war das früher so?“
„Ganz früher hat man nicht viel darüber nachgedacht“, sagte ich etwas atemlos. „Für Frauen waren das eheliche Pflichten, und die Kerle haben nicht viel unternommen, damit es uns gefiel. Frauen, die Spaß dabei hatten, wurden schief angeschaut.“
„Und? Wurdest du?“ Ich lachte. „Ja. Ich war schon immer ein lüsternes Weib.“
„Und sonst?“
„Na ja... moderner Sex ist um Klassen besser. Im achtzehnten Jahrhundert war es mal eine Weile recht freizügig... da lebte ich eine Zeitlang als Mätresse eines englischen Adeligen. Er veranstaltete Partys, die geradezu ausarteten... es gehörte zum guten Ton, sich so schnell wie möglich ins Fegefeuer zu vögeln. Das war aufregend. Und damals hat es mich auch nicht gestört, dass nur alle paar Monate mal gebadet wurde, wenn überhaupt...“ Sam verzog das Gesicht. „Schmutziger Sex, sozusagen.“
„Oh ja. Und wie.“
„Und sonst?“
„Die Kirche saß lange mit am Bettrand. Sex bitte nur, um Kinder zu bekommen. Mir wurde das einige Male zum Verhängnis – die Männer wurden ungehalten, wenn sich herausstellte, dass ich ihnen keinen Stammhalter bescheren konnte...“
„Ach ja, hmmm“, murmelte er in meine feuchten Haare. Ich hob die Schultern. „Hattest du schon mal eine längere Beziehung zu einem Mann?“
„Du stellst Fragen...“ Er lehnte sich in der Wanne zurück und strich sich Wasser aus dem Gesicht. „Findest du? Ich versuche einfach, an dich heranzukommen, Anna. Sex ist doch nur Sex. Dadurch lernt man einen Menschen doch nicht kennen. Und bei dir habe ich das Gefühl... der Sex ist toll, aber der Rest ist oberflächlich. Nicht du als Person. Sondern das, was du der Welt zeigst, ist oberflächlich.“
„Das macht die Übung.“
„Kannst du dich überhaupt noch so richtig auf jemanden einlassen?“
„Ich weiß nicht. Ich versuche es.“ Plötzlich war mir elend. Ich saß mit dem tollsten Mann der Welt in der Wanne, und es stand eine Mauer zwischen uns, die sich nicht abtragen ließ. „Aber ist oberflächlich nicht genau das, was du willst?“, fragte ich ihn. „Immerhin hast du eine feste Freundin, und ich bin nur der Seitensprung.“
„Ich weiß nicht“, sagte er und sah auf einmal so unglücklich aus, wie ich mich fühlte. „Eigentlich bin ich nicht der Typ für oberflächliche Seitensprünge. Du bist etwas Besonderes. Als hätte ich lange auf dich gewartet…“ Ich kuschelte mich an ihn und schloss die Augen. Ich wollte nicht weiter reden. Wir würden uns nur zu einer Entscheidung bringen, die keiner von uns im Augenblick treffen konnte oder wollte.
Als das Wasser kalt wurde, stiegen wir aus der Wanne und zogen uns an. Es war klar, ohne dass wir es besprechen mussten, dass Sam nicht über Nacht bleiben würde. Wir verabschiedeten uns unter der Tür mit einem langen Kuss und einer innigen Umarmung, dann verschwand er in der Nacht.
Hätte ich ihm sagen sollen, dass es mir mit ihm auch so ging? Dass er etwas Besonderes war? Traurig schloss ich die Tür.