Читать книгу Kuss der Wölfin - Band 1-5 (Spezial eBook Pack über alle Teile. Insgesamt über 1300 Seiten) - Katja Piel - Страница 35
Оглавление29. Kapitel
In den Wäldern bei Bedburg, Sommer 1590
«Jesus, Maria und alle Heiligen!»
Äste schlugen ihm ins Gesicht, während er rannte. Er brach durchs Gestrüpp, sprang über umgestürzte Bäume und rutschte in einer kleinen Lawine aus loser Erde einen Abhang hinunter. Weg, weg, weg, trommelte es im Takt seiner Schritte hinter seiner Stirn. Und: Hass, Hass, Hass. Die anfängliche Enttäuschung, der Schock waren längst gewichen.
Marcus' herablassenden Blick würde er nicht vergessen. Sein Blick, als er Adam seine Entscheidung mitgeteilt hatte: Er, Marcus, würde bei Raffaelus bleiben. Adam musste das Rudel verlassen.
Seine Lungen schmerzten, die Sicht wurde trüb. Als ihm ein feiner Menschengeruch in die Nase zog, wusste er nicht mehr, in welchem Körper er sich nun befand. Egal. Adam wechselte die Richtung und folgte dem Geruch. Er war ein Monster, verstoßen und verachtet, also wollte er auch wie eines leben.
Als er schließlich vor dem Haus eines Köhlers ankam, war die Sonne bereits hinter den Bäumen versunken. Gespenstisches Zwielicht lag über den kalten Kohlemeilern. Adam brach in das Haus der Köhler ein wie das Jüngste Gericht, und wie dieses richtete er jeden einzelnen Sterblichen. Und wie sie starben. Die Frau zuerst: Sie war dabei gewesen, einen Teig zu kneten. Mehl fiel von ihren Fingern, als sie schreiend die Arme erhob. Ihre Halsschlagader pochte ihn an, ihr heißes Blut rief ihn. Sie senkte die Hand zum Tisch und tastete nach einem Messer, doch er sprang vor sie auf die Tischplatte und fletschte die Zähne. Ihr Gekreisch füllte seine Ohren. Er hechtete los und riss ihr die Kehle auf, beugte seinen Kopf und ließ ihr warmes Blut in seinen Mund rinnen. Als sie nicht mehr zuckte, nahm er schnuppernd die Fährte des Köhlers auf.
Der Mann kam ihm hinter dem Haus entgegen, eine Mistgabel vor sich, mit der er in Adams Richtung stocherte. Adam spürte einen Anflug von Erheiterung. Als ob dieses jämmerliche Werkzeug, zusammen mit ein paar wilden Drohungen, ihn bremsen könnte.
Er senkte den Kopf und fletschte die Zähne. Sein eigenes Knurren drang ihm wie Donnergrollen aus der Kehle. Noch nie hatte er sich so mächtig gefühlt, so strotzend vor Kraft.
"Jesus, Maria und alle Heiligen! Ausgeburt der Hölle, geh zurück in dein Feuer! Du kannst uns nichts anhaben, wir leben gottgefällig ..." Irrtum, dachte Adam, bevor er den Kopf des Köhlers von dessen Schultern riss. Ich kann, und wie ich kann.
Als matte, rote Fontäne schoss das Blut des Köhlers in den verhangenen Abendhimmel.
Jesus, Maria und die Heiligen hatten wohl nicht zugehört.
Erst viel später wandelte er sich zurück, blieb auf dem feuchten Waldboden sitzen, lehnte sich an einen Baum und untersuchte seinen Bauch. Er hatte nicht bemerkt, dass die Zinken der Mistgabel ihn aufgespießt hatten. Zum Glück begannen die Wunden bereits zu heilen.
Auf seinem nackten Körper klebte Blut, eine Mischung aus seinem eigenen und dem seiner Opfer. Die Müdigkeit hinderte ihn daran, sich einen Bachlauf zu suchen, um sich zu säubern. Er saß einfach nur da und starrte in die Finsternis. Das starke Gefühl war verflogen.
Warum war er nur so dumm gewesen? Hatte er tatsächlich geglaubt, Marcus hätte ihn geliebt? Wieder einmal war er hintergangen worden. Mit der Faust hieb er auf den Waldboden, so dass die Blätter an seinem Handballen kleben blieben, doch die Geste befriedigte ihn nicht. Die Wut kam nicht zurück.
Er versuchte, sich zu verwandeln. Zu seinem Entsetzen blieb er auf halber Strecke stecken: Seine Arme, lang und mit klauenbewehrten Pranken, berührten den Boden, doch seine Wirbelsäule war noch die eines Zweibeiners. Seine Sinne waren die eines Wolfes, doch sein Verstand schlief nicht.
Er machte einen Schritt und bemerkte, wie die Kraft in seinen Hinterläufen schwoll. Ein Satz brachte ihn auf einen nahen Felsen. Er war eine Bestie, entstiegen aus dem hintersten Winkel der Hölle. Sein Äußeres spiegelte nur seine Seele.
Er warf den Kopf in den Nacken und heulte, doch eine Antwort blieb aus.