Читать книгу Kuss der Wölfin - Band 1-5 (Spezial eBook Pack über alle Teile. Insgesamt über 1300 Seiten) - Katja Piel - Страница 27
Оглавление21. Kapitel
In den Wäldern bei Bedburg, Sommer 1590
«Da musst du noch viele Menschen abschlachten, mein Lieber.»
Marcus hatte sich Raffaelus' Rudel größer vorgestellt. Es bestand lediglich aus Utz, einem wilden Kämpfer, Roderik, der in der Rangordnung unterhalb von Utz stand, dem jungen Adam und Marina, Raffaelus' Gefährtin. Über alle herrschte Raffaelus und lenkte die Geschicke des Rudels. Ein Aufbegehren gegen ihn gab es nicht. Das war anders als Imaginas sanfte Hand oder auch die unberechenbaren Launen von Marcus' ehemaligem Lehrherren. Marcus lernte sehr schnell, was verboten war und was erlaubt, obwohl ihm die Unterordnung manchmal schwerfiel.
Gleich in der ersten Nacht kam Marina zu ihm auf das Lager gekrochen. Mit großer Unbekümmertheit wohnte sie ihm bei, als wären nicht vier Männer um sie herum, die mit hungrigen Augen zusahen. Zuerst fühlte Marcus sich unbehaglich, doch die Kraft seiner Lenden überraschte ihn selbst und riss ihn mit. Als sie begann, sich an ihm zu reiben, dachte er noch an Sibil. Als sie dann mit einem tiefen Stöhnen auf ihm kam, hatte ihr langbeiniger, graziler Körper die Erinnerung an seine tote Gefährtin abgewischt.
In der kommenden Nacht näherte er sich ihr, weil das Verlangen ihn trieb, da schlug sie ihn mit der Faust nieder, so stark, dass er benommen gegen die Wand sackte. So lernte Marcus, dass sie sich ihm jederzeit nähern durfte, das gleiche Privileg aber nicht umgekehrt galt.
Der einzige, den sie sich nicht nahm, war Adam. Der rangniedrigste Werwolf wurde tagsüber oft missachtet und grob beiseite geschubst. Nachts lag er immer alleine auf seinem Lager, doch wenn Raffaelus sich an Marcus befriedigte, wie er es in der ersten Nacht getan hatte, lag er mit offenen Augen und starrte herüber.
Tagsüber suchte Adam Marcus' Gesellschaft. Raffaelus bemerkte das und schickte die beiden zusammen los, um den Wald nach Hirschen, Wildschweinen und Menschen auszukundschaften. Die Zeit der Jagden hatte begonnen, und Raffaelus wollte nicht, dass ein besonders kapitaler Hirsch eine Jagdgesellschaft in Richtung der Höhle lockte.
"Wie ist es, ein Wandler zu sein?", fragte Adam, während sie durch den Wald schlenderten.
"Mühsam", sagte Marcus. "Es gibt so viele Verbote. Du darfst keine Menschen töten, du darfst keine Werwölfe töten, andere Wandler auch nicht, du darfst nicht einmal Tiere töten, es sei denn, du bist hungrig. Niemand darf wissen, dass es dich gibt. Du musst dich von den Uneingeweihten fern halten."
"Das müssen wir auch", gab Adam zu bedenken. "Aber wir können freier leben", wandte Marcus ein. "Wir nehmen uns, was uns zusteht! Wer weiß, vielleicht kommen wir eines Tages aus unseren Verstecken und beanspruchen unseren Platz. Und wir sind stärker. Seit ich meinen ersten Menschen erlegt habe, fühle ich mich stark. Machtvoll. Ich habe keine Angst mehr."
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass du jemals Angst hattest", sagte Adam mit einem bewundernden Seitenblick.
"Doch, hatte ich. Vor meinem Lehrmeister, vor der Dunkelheit, vor wilden Tieren... ich bin so froh, dass Raffaelus mich geholt hat. Ich wusste ja gar nicht, was mir bei Imagina entgeht." Adam nickte unschlüssig. "Manchmal tun die Menschen mir leid. Sie sind uns so ausgeliefert."
"Warum tötest du sie dann?"
"Ich muss doch nach Raffaelus' Regeln spielen. Außerdem muss ich noch stärker werden. Ich bin manchmal schrecklich wütend, aber dann gibt es gleichzeitig eine kleine Stimme in mir, die mich zum Nachdenken auffordert. Die will ich loswerden."
"Du willst so sein wie Raffaelus? Groß, stark, wild?"
"Ja!" Marcus lachte. "Da musst du noch viele Menschen abschlachten, mein Lieber."
Sie gingen weiter durch den Wald und stöberten Wild auf, das vor ihnen floh. Anfangs widerstand Marcus dem Jagdreiz, doch als schließlich ein Reh vor ihm floh und sein weißer Spiegel wie ein Hohn vor ihm durch den Wald hüpfte, konnte Marcus nicht anders. Er stürzte sich in seine Halbgestalt und setzte dem Reh nach. Mit seinen gewaltigen Pranken riss er den Boden auf, während er rannte. Ein kurzer Sprint, ein Sprung, und das Reh zappelte unter ihm. Genüsslich biss er ihm die Kehle durch und schüttelte den Kadaver, bis das Leben aus ihm gewichen war. Er beschnupperte das wilde Tier und knabberte vorsichtig an dessen Fell. Er hatte keinen Hunger, und seit das Reh nicht mehr zappelte, war es plötzlich nicht mehr interessant. Dann hatte Adam aufgeholt und ging neben Marcus in die Knie. "Das dürfen wir nicht!", flüsterte er. Marcus verwandelte sich zurück, damit er sprechen konnte. "Ich kann aber nicht immer warten, bis Raffaelus mir die Jagd erlaubt", sagte er. "Er hat mich wild gemacht. Jetzt muss ich es auch sein."
"Aber wenn er es erfährt..." Marcus grinste. "Das muss er doch nicht." Adam sah ihn unsicher an. Seine Augen waren sehr blau, und sein Mund voll und geschwungen wie der eines Mädchens. Kaum ein Bartflaum war auf seinen Wangen sichtbar. Sein Körper war warm und nah.
Marcus warf ihn ins Moos und drehte ihn auf den Bauch. Dann stieg er über ihn und presste ihn mit seinem ganzen Gewicht gegen den Boden. Es gelang ihm nicht so schnell wie seinerzeit Raffaelus bei ihm, in Adam einzudringen, dafür wehrte Adam sich auch nicht. Er lag unter Marcus, stöhnte in den Waldboden und ließ sich nehmen. Er war unglaublich eng, und Marcus meinte, vor Lust zu zerspringen. Er ließ seinem Verlangen freien Lauf und stieß heftig in Adam, stöhnend, wie Raffaelus auf ihm gestöhnt hatte. Als er sich entlud, schrie er auf, wie Raffaelus geschrien hatte. Und Adam schien die gleiche Lust zu empfinden wie Marcus damals.
Am nächsten Tag töteten sie gemeinsam einen kapitalen Hirsch. Sie fraßen nur wenig davon und überließen den Rest den tierischen Wölfen im Wald. Ein paar Tage später rannten sie gemeinsam eine weite Strecke und kamen in der Abenddämmerung am Waldrand heraus. Eine Schafherde weidete dort, und ein Hund schlug scharf an, als sie sich unter den Bäumen näherten. Unruhe verbreitete sich in der wolligen Menge der Tierleiber. Die Schafe blökten und drängten sich aneinander. Der Schäfer, der unter einem Baum gesessen hatte, stand auf und machte eine Steinschleuder bereit. Dann ging er in Richtung Waldrand, die Augen wachsam auf die Schatten unter den Bäumen gerichtet.
Marcus verwandelte sich. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Adam ihm folgte. Kaum war Marcus in seiner Tiergestalt angekommen, flutete der Angstgeruch der Schafe seine Nase. Er konnte sehen, wie sie zitterten und das Weiße in ihren Augen zeigten. Er konnte nicht widerstehen. Es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam, blutüberströmt und völlig ausgepumpt. Um sich herum erstreckte sich eine Hügellandschaft zerfetzter, aufgerissener Tierkadaver. Er sah hinüber zu Adam, der im Gras lag, noch in Tiergestalt, und hechelte. In seiner Halbgestalt ging Marcus zu ihm hinüber. Etwas war anders. Er fühlte sich nicht nur durch und durch befriedigt, sondern auch stärker und größer als zuvor. Eine Kraft pulsierte durch sein Blut, als könnte er mit bloßen Klauen Bäume ausreißen. Er sah sich um. Zwischen den Schafen lag der Schäfer, zu Unkenntlichkeit zerfleischt. Seine Gedärme quollen bläulich schimmernd auf das zertrampelte, blutgetränkte Gras. Marcus ließ sich neben Adam fallen. Beide gleichzeitig wechselten sie in ihre Menschengestalt. Auch Adam war von Blut bedeckt.
"Du hast den Schäfer erwischt", flüsterte Adam. Marcus nickte und sah entspannt in den Abendhimmel. Der Rausch ebbte langsam ab. Das Gefühl war so großartig gewesen wie damals, als Raffaelus ihm seinen ersten Menschen gegeben hatte.
"Wenn Raffaelus das erfährt, tötet er dich", raunte Adam. "Und mich gleich mit."
"Er wird es nicht erfahren", versprach Marcus. "Und selbst wenn? Wir sind zu zweit! Ich werde sicher nicht warten, bis er mir wieder einen Menschen zuteilt. Ich kann nehmen, was mir gefällt."
"Das wird er nicht dulden..."
"Hör auf, so ängstlich zu sein! Komm, wir suchen dir auch einen Menschen. Hier muss irgendwo ein Dorf in der Nähe sein. Ich habe vorhin Rauch gerochen. Danach wirst du dich besser fühlen, glaub mir."
"Aber..."
"Adam! Wenn er dich sowieso umbringt, sobald er es erfährt, dann solltest du vorher wenigstens deinen Spaß haben."
Der harsche Ton zeigte seine Wirkung. Adam kam gehorsam auf die Füße und folgte Marcus. Dieser Abend war der letzte im Leben eines Bauern, der am Waldrand Gras für sein Vieh schnitt.
Das am nächsten gelegene Dorf war nach wenigen Tagen ausgeweidet. Ein Dutzend Dörfler hatten sie erwischen können, bevor die restlichen begannen, sich hinter hohen Palisaden zu verbarrikadieren. Sie zogen also weiter ins nächste Dorf, wo die Menschen noch nichtsahnend waren. Adam wurde fröhlicher, seine Muskeln schwollen und sein Blick verlor das Untertänige. Er gefiel Marcus immer besser, je häufiger sie zusammen auf ihre geheimen Raubzüge gingen. Bevor sie zum Rudel zurückkehrten, badeten sie jedesmal in einem Teich oder wuschen sich im Bach, um verräterische Spuren zu beseitigen. Dennoch hatte Marcus das Gefühl, dass Raffaelus sie beide beobachtete. Nachts kam er zu Marcus auf sein Lager und nahm ihn hart und grob, wie um ihm seine Dominanz zu beweisen. Was Marcus sich gefallen lassen musste, gab er am nächsten Tag an Adam weiter, der immer noch mit großer Hingabe alles akzeptierte, was von Marcus kam.
Marcus wusste, dass er für eine Weile seine Raubzüge aufgeben musste, um Raffaelus wieder in Sicherheit zu wiegen. Bei jedem Ausflug schwor er sich, dass dieser der letzte sein würde, doch am nächsten Tag trieb es ihn wieder hinaus, auf der Suche nach dem Rausch. Bis es eines Tages kam, wie es kommen musste. Sie waren weit gelaufen. Bedburg war schon in der Ferne zu sehen. Sie hatten sich einen Bauernhof ausgesucht, auf dem es nicht nur fette Kühe und das Bauernpaar gab, sondern auch eine dralle, beinahe erwachsene Tochter. Marcus hatte Lust auf Brüste. Er würde die Kleine verschonen, wenn sie ihm zu Willen war. Verborgen im hohen Gras schlichen sie sich an und fielen dann wie Tod und Verderbnis über den Hof her. Sie zerfleischten Bauer und Bäuerin, und während Adam im Kuhstall verschwand, verwandelte sich Marcus zurück in einen Menschen und ging das Mädchen suchen.
Er fand sie in der Scheune, wo sie sich zitternd im Stroh versteckte. Sie hatte nichts gesehen, konnte sich aber wahrscheinlich denken, dass ihre Eltern tot waren - erst die Schreie, und jetzt schrien nur noch die Kühe. Er trat vor sie hin. Sie starrte ihn entsetzt an. Blut schoss in sein Geschlecht, und mit wenigen Schüben hatte es sich in seiner Hand voll aufgerichtet.
"Zieh dich aus", befahl er dem Mädchen. Das nickte zitternd und zog sich die Kutte über den Kopf.
"Weiter." Sie ließ ihr Hemd folgen und weinte dabei. Ihre Brüste waren groß und schwer wie Vollmonde. Er kniete sich über sie und spreizte ihre Schenkel. Als sie zu schreien begann, dachte er zuerst, es sei wegen seiner Härte, die er gleich in sie hineinstoßen würde. Dann spürte er die Hand auf der Schulter, und eine gewaltige Kraft schleuderte ihn rückwärts ins Stroh.
"Glaubst du wirklich, du kannst mich zum Narren halten?", herrschte Raffaelus ihn an. "Hältst du dich wirklich für so klug? Du kleines lüsternes Stück Dreck! Ich werde dich lehren, meine Befehle zu missachten!" Eine Faust schlug in Marcus' Gesicht ein. Sie hatte die Wucht eines Schmiedehammers und brach ihm die Nase. Marcus heulte auf und krümmte sich zusammen. Weitere Tritte und Schläge ließen ihn durchs Stroh rollen. Er versuchte, auf die Knie zu kommen, aber Raffaelus schleuderte ihn immer wieder zu Boden. Unter seinen Schlägen platzte Marcus' Haut auf. Plötzlich war es sein eigenes Blut, das ins Stroh tropfte. Er versuchte, sich zu wehren, aber es war, als hätte er ein Dutzend Männer gegen sich. Schließlich warf sich eine andere Gestalt dazwischen - Adam. "Lass ihn in Ruhe, Raffaelus!" Raffaelus hielt tatsächlich inne. Durch einen Schleier von Blut beobachtete Marcus, wie die beiden Männer sich mit Blicken maßen.
"Sieh an", sagte Raffaelus ruhig. "Der kleine Adam wird erwachsen. Nun, dann schlage ich vor, du gehst und suchst dir ein eigenes Rudel! Verschwinde! Lass dich nie wieder blicken! Wenn ich dich noch einmal in meinem Revier sehe, töte ich dich."
Adam wich zurück. Sein Blick ging zwischen Raffaelus und Marcus hin und her. "Denk nicht einmal daran", sagte Raffaelus. "Deine Strafe wird sein, alleine zu leben. Du bist der Verstoßene. Marcus bleibt bei mir. Ich brauche einen Mann zu meinem Vergnügen, und die anderen sind nicht nach meinem Geschmack."
"Das kannst du nicht machen", sagte er tonlos. "Ich habe nur... Er hat..." Raffaelus lachte rauh. "Sag du mir nicht, was ich tun kann. Ich zähle bis drei. Wenn du dann noch da bist, töte ich dich. Eins..." Adam sah zu Marcus, bohrte seinen Blick in den des anderen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte Marcus eine Entscheidung getroffen. Er blieb sitzen und schüttelte den Kopf. "Zwei..." Adam streckte die Hand nach Marcus aus. Der sah weg.
Mit dem Jungen gehen? Allein in den Wäldern würden sie irgendwann ein Versorgungsproblem bekommen. Sie würden immer weiterziehen müssen, auf der Hut vor Bütteln, Jägern, Wächtern und Wandlern. Nein. Nicht sein Leben. "Drei!" Raffaelus machte einen mächtigen Satz auf Adam zu, doch dieser hatte in den letzten Wochen an Kraft gewonnen. Er schnellte rückwärts, duckte sich unter Raffaelus' Klauen hinweg, sprang aus der Scheune und rannte. Raffaelus sah ihm nach. Dann drehte er sich zu Marcus und hielt ihm die Hand hin. Marcus ergriff sie, und Raffaelus zog ihn unsanft vom Boden hoch. "Erwische ich dich noch einmal bei der winzigsten Kleinigkeit, die ich dir nicht erlaubt habe, töte ich dich auf der Stelle", sagte er. "Verlass dich darauf." Marcus nickte. Diese Grenze würde er nicht überschreiten.
Tief in den Wäldern verspürte Adam einen Hass, wie er ihn bis zu diesem Tag nicht gekannt hatte.