Читать книгу Und du bist nicht da - Kerstin Teschnigg - Страница 10
Kapitel 7
ОглавлениеAnna
Ich liege im Bett und sehe zu wie der Minutenzeiger sich unaufhörlich im Kreis bewegt. Es ist kurz nach zwölf. Mein Gesicht fühlt sich heiß an, in meiner Nase pocht es. Mein Kissen ist ein wenig blutig. Mama hat mir vorhin eine Suppe auf den Tisch gestellt, aber ich mag nichts. Irgendwie würde ich gerne duschen, aber ich habe Angst mich im Spiegel anzusehen. Darum bleibe ich liegen. Kurz denke ich an Julian. War es nur der Alkohol, oder macht er sich wirklich nichts aus mir? Bin ich wirklich das Flittchen für das mich mein Vater hält? Ich drehe mich auf die Seite, meine Schulter tut weh. Dann schließe ich meine Augen.
Schritte in meinem Zimmer wecken mich. Ich öffne ganz vorsichtig meine Augen, als ich sehe, dass es mein Vater ist, schließe ich sie schnell wieder und stelle mich weiterschlafend. Er legt etwas auf meinen Schreibtisch. Dann kommt er zum Bett und bleibt neben mir stehen. Ich halte die Luft an. Geh weg. Geh einfach weg. Er atmet hörbar durch und streicht über meine Schulter. Es kostet mich viel Überwindung sie nicht wegzuziehen und weiter ruhig zu bleiben. Dann geht er aus dem Zimmer. Ich atme durch und richte mich auf. Mein Handy liegt am Schreibtisch. Schlechtes Gewissen. Toll. Wie kann man nur so ein Mensch sein? Mit seinem Verhalten hat er schon meine Brüder aus dem Haus vertrieben, wie kann es sein, dass man so ignorant ist? Mama sagt, er war nicht immer so. Es hat mit dem Trinken angefangen. Dann fing er an zu spielen. Wir haben darum fast den Hof verloren. Früher hatten wir einen großen Weinbetrieb mit viel Grundbesitz. Es ist alles drauf gegangen. Zum Glück konnten wir das Haus behalten. Ich habe von all dem nicht viel mitbekommen, weil ich noch zu klein war, aber ich kann mich immer nur an den autoritären Vater erinnern, wobei das noch freundlich ausgedrückt ist. Er hat mich noch nie liebevoll angesehen, oder in den Arm genommen. Da war kein nettes Wort oder gar ein Lob aus seinem Mund. Es ist schrecklich, aber ich hasse ihn. Wie kann ich Hilfe von Gott erwarten, wenn ich meinen eigenen Vater hasse?
Mühsam krabble ich aus dem Bett und stecke mein Handy an das Ladekabel. Es ist schon fast fünf Uhr geworden. Ich brauche dringend eine Dusche. Wehmütig schaue ich aus dem Fester. Wofür das alles? Ich sehe meinen Vater wegfahren. Es ist wie ein schwerer Stein der von mir abfällt. Er muss auf eine Baustelle in der Nähe von Wien. Das bedeutet, dass er erst Ende der Woche wieder zurückkommt. Ein paar Tage Ruhe. Ich gehe ins Badezimmer und putze ohne in den Spiegel zu sehen meine Zähne. Dann steige ich unter die Dusche. Mir tut alles weh, mein Gesicht brennt. Das warme Wasser tut trotzdem gut. Ich wickle mich in ein großes Badetuch und mache einen Handtuchturban auf meinem Kopf. Dann nehme ich allen Mut zusammen und schaue in den etwas beschlagengen Spiegel. Ich halte die Luft an. Meine Nase ist aufgeschlagen und unter dem rechten Auge bin ich ein bisschen blau, sonst nur rot. Meine Schulter verfärbt sich auch bläulich. Ich senke meinen Blick. Diese Woche werde ich also nicht aus dem Haus gehen. So nicht. Es ist nicht der Schmerz der mich demütigt, es ist mein Anblick.
„Du weinst jetzt nicht mehr“, sage ich meinem Spiegelbild und versuche alles wie immer zu machen. Ich creme mich ein und trockne meine Haare. Dann ziehe ich mich an. Mama sitzt in der Küche. Sie sieht mich kurz an, ihre Augen füllen sich sofort mit Tränen.
„Anna…Ich…“, stammelt sie, ich unterbreche sie sofort.
„Nein Mama…Hör auf…Du kannst nichts dafür. Es ist ja nicht so schlimm.“
„Nicht so schlimm?“ Mama schüttelt den Kopf. „Es ist schrecklich, fürchterlich. Nicht im Worte zu fassen und ich kann dir nicht helfen. Mir bricht es das Herz Anna. Ich kann dich gar nicht ansehen.“
Ich setze mich neben sie und lege meinen Kopf auf ihre Schulter. Sagen tue ich nichts mehr.
„Es geht so nicht weiter. Ich will, dass du einen Internatsplatz in Graz bekommst, damit du zumindest unter der Woche ein normales Leben führen kannst. Ich kann nicht für dich sorgen, so wie ich das tun sollte.“
Ich sehe auf und schüttle den Kopf. „Natürlich kannst du das, das darfst du nicht sagen. Du kannst nichts dafür! Ich will nicht ohne dich sein. Außerdem würde er es gar nicht erlauben, das weißt du doch.“
Sie seufzt und drückt mich wieder an sich. „Du hast nichts gegessen. Ich mach dir schnell etwas warm.“ Sie streicht sanft über meine schmerzende Wange.
Ich löffle ein bisschen Suppe und Mama erzählt mir, dass Sebastian angerufen hat. Lilly, seine Tochter hat angefangen zu laufen. Ganz stolz erzählt sie mir alles.
„Ich werde sehen, dass du nach der Matura zu ihm fliegen kannst“, meint sie wehmütig.
Ich nicke nur. Ja das wäre toll. Amerika. New York. Vielleicht. Träumen kann man ja. Aber heute habe ich einfach keine Kraft darüber nachzudenken. Ich habe ewig nicht mehr ferngesehen und nachdem Mama und ich allein sind, lege ich mich aufs Sofa und zappe ein bisschen herum. Es tut fast nicht mehr weh, nur noch mein Herz schmerzt. Seufzend wickle ich mich in die Kuscheldecke. Mama hat mich vorhin gefragt was war, aber ich will nicht darüber sprechen. Bald ist er sowieso weg.