Читать книгу Und du bist nicht da - Kerstin Teschnigg - Страница 14
Kapitel 11
ОглавлениеAnna
Der Tag verging schleppend. Mein Gesicht schaut heute noch ein bisschen schlimmer als gestern aus, aber damit habe ich gerechnet. Der zweite Tag ist immer der Schlimmste, danach wird es besser. Ja, es ist traurig, aber ich kann inzwischen aus Erfahrung sprechen. Zumindest habe ich heute den ganzen Tag Mathe gepaukt und meine gefakten Bespiele gelöst. Langsam verstehe ich diese öden Gleichungen. Ich schließe mein Heft und starre ein Loch in die Luft. Allmählich wird es dämmrig. Heute war ein schöner Tag, aber mit dem Baden am See wird es auch die nächste Zeit nichts werden. Ich lehne mich zurück und amte durch. Er fehlt mir. Sofort krampft sich mein Herz gefolgt von meinem Magen zusammen. Ich stehe auf und gehe hinunter, Mama sperrt gerade den Hühnerstall ab.
„Kannst du mich hinfahren?“, frage ich vorsichtig.
„Wohin Anna?“, meint Mama und putzt sich die Hände ab.
„Zu Julian, auf den Herzoghof.“
Sie lächelt, dann nickt sie. „Sicher. Willst du dich noch umziehen?“
Ja, ich bin nicht im Datelook, aber das ist auch nicht nötig. Ich bin wie ich bin, darum schüttle ich den Kopf. „Ich hole nur noch mein Handy.“
Meine Haare bürste ich doch noch schnell durch. Mama wartet schon im Wagen und lächelt immer noch. Mein Herz klopft. Ich möchte ihm sagen, dass ich seine Entschuldigung von gestern Abend annehme. Es ist nicht fair unhöflich zu sein. Er war nie so wie an dem Abend, darum will ich mal nicht so sein. Mein Puls wird immer schneller, je näher wir zum Hof der Herzogs kommen.
„Soll ich dich dann später wieder abholen kommen?“, fragt Mama und hält in der Hofauffahrt an.
„Ich ruf dich an, aber ich weiß nicht ob das ziemlich schnell sein wird, oder doch länger dauert.“
Sie streicht sanft über meine Wange. „Das macht nichts. Ruf einfach an. Bis später.“
„Ja…Bis später.“ Ich steige aus und winke ihr noch kurz hinterher. Meine Knie sind wackelig. Sehr wackelig. Langsam gehe ich Richtung Ferienhaus. Es ist leise, aber ich höre Stimmen je näher ich komme. Julians Freunde sitzen vor dem Haus und unterhalten sich, er ist allerdings nicht dabei. Schüchtern gehe ich näher.
„Hi Anna!“, begrüßt mich einer von ihnen. Weil es schon dämmrig ist, bleiben meine Verletzungen im Gesicht unentdeckt, worüber ich froh bin. Ich hasse diese Blicke, vor allem wenn sie mitleidig sind.
„Hi…“, grüße ich freundlich zurück.
Bevor ich fragen kann, meint er sofort, Julian wäre im Haus. Zweites Zimmer links. Ich soll gleich durchgehen. Ich nicke nur und hoffe alles richtig verstanden zu haben, schließlich spricht er nicht deutsch so wie Julian. Zögerlich gehe ich ins Haus. Vor der zweiten Tür links bleibe ich stehen. Mein Herz pumpt und meine Hände schwitzen ein bisschen. Ich klopfe leise an.
„Get off“, höre ich ihn motzen. Toll. Ich klopfe noch einmal und öffne die Tür vorsichtig ein Stück. Bevor ich sie ganz öffnen kann, reißt er sie von innen auf und beginnt wütend auf Englisch etwas zu stänkern. Als er aufsieht, hält er sofort inne. Er lächelt sogar ein bisschen.
„Anna…Sorry…Ich dachte es ist schon wieder Sam…“, entschuldigt er sich.
Ich lächle auch ein bisschen, aber verlegen.
„Läuft nicht so zwischen uns beiden im Moment, was?“, fügt er noch hinzu und senkt seinen Blick.
„Nicht?“, frage ich leise nach.
Er zuckt seufzend mit den Schultern. „Komm doch rein…Ich finde in deiner Gegenwart irgendwie nicht die richtigen Worte“, meint er, und befreit einen Stuhl auf den ich mich offensichtlich setzten soll von Klamotten. Keine Ahnung ob ich mich hinsetzen will, darum bleibe ich stehen, gleich wie er. Ich möchte etwas sagen, doch bevor ich das tun kann greift er nach meiner Hand.
„Nein…Warte…Zuerst ich. Ich habe dich blöd angefasst, das wollte ich nicht, also ich will dich schon anfassen, aber nicht so und ich glaub ich habe Dinge gesagt, die sind anders aus meinem Mund gekommen als ich es wollte…“
Ich habe Schwierigkeiten seinen Worten zu folgen. Deutsch und Englisch mischen sich, alles geht Durcheinander. Er ist ganz verwirrt. Ich muss lächeln und drücke seine Hand etwas fester. Er hält inne und sieht mich an.
„Ich weiß…Ich bin dir nicht mehr böse…Ist schon gut…“, sage ich leise.
Er atmet erleichtert aus. „Ich trinke normalerweise nie so viel…Es ist mir peinlich…“
„Nein…Vergiss es“, schüttle ich den Kopf.
„Aber was ist passiert? Dein Vater? Er war das doch? Warum?“, fragt er vorsichtig.
Ich senke meinen Blick. „Er hat mich erwischt, als ich mitten in der Nacht nach Hause kam. Können wir bitte nicht mehr darüber reden.“
Kurz ist es ganz still. „Oh Anna…“, amtet er dann hörbar aus und zieht mich zeitgleich in seine Arme. Er drückt mich ganz fest an sich und auch wenn meine Schulter dabei ein bisschen wehtut, ist es das beste und schönste Gefühl der vergangenen Tage. Er schmiegt seine Wange an meine und reibt zärtlich meinen Rücken. Er ist immer noch unrasiert, was ungewohnt ist. Dann löst er sich und streicht über meine blaue Stelle im Gesicht. Immer noch sagt er nichts und ich bin froh darüber, aber er lächelt ein wenig, auch wenn ich in seinen Augen erkenne, dass er Mitleid hat. Auch wenn ich das nicht will, ich fühle mich plötzlich so geborgen. Ich lächle auch. Dann küssen wir uns. Lange. Zuerst ganz sanft, dann intensiver. Irgendwann sieht er nervös auf.
„Ich möchte nicht, dass du wegen mir Schwierigkeiten bekommst, du solltest vermutlich nicht hier sein.“
„Er ist die ganze Woche nicht da. Alles ist gut.“
Er sieht mich nachdenklich an. „Alles ist gut? Ich weiß nicht?“
„Doch Julian. Alles ist gut. Bringst du mich jetzt trotzdem nach Hause, oder soll ich meine Mutter anrufen, damit sie mich abholt?“
„Sicher bring ich dich, aber morgen sehen wir uns doch wieder?“
„Ich hoffe schon. An den See will ich aber so nicht.“
„Das macht nichts. Ich muss auch nicht hin.“ Er streicht wieder über meine Wange und hält dabei meine Hand. „Überleg dir einfach etwas anderes.“
Auf dem Weg nach Hause umschlinge ich ihn ganz fest. Ich möchte ihn eigentlich nie wieder loslassen, auch wenn ich weiß, dass es unausweichlich ist. Ich will ihn gar nicht danach fragen wie lange er noch hier ist. In seiner Nähe ist alles besser. Wenn ich so darüber nachdenke, glaube ich mich noch nie so gefühlt zu haben. Es ist ein gutes Gefühl. Ein atemberaubendes Gefühl. Ich drücke meine Nase in seinen Rücken und schließe kurz meine Augen, als wir auch schon da sind. Ich steige ab, er auch. Mama schaut kurz aus dem Fenster und lächelt wieder.
„Wenn dein Vater nicht hier ist, darf ich dich morgen abholen kommen?“
„Ja, das wäre toll. So um zehn? Oder komm doch schon um neun. Dann können wir zuvor noch gemeinsam frühstücken. Ich mach uns Spiegeleier“, schlage ich vor.
Er zieht seine Augenbrauen ungläubig hoch, nickt dann aber. „Das klingt ganz toll. Ich freue mich jetzt schon darauf.“
„Ich mich auch“, etwas verlegen über seinen Blick kratze ich mich an der Stirn.
Er nimmt mir den Helm ab und umarmt mich. Ich will ihn nicht gehen lassen. Ich erwidere seine Umarmung und lasse ihn danach zögerlich los. Schnell gibt er mir noch einen Kuss.
„Dann bis morgen“, hauche ich noch, als er schon wieder aufsteigen will, doch er kommt noch einmal näher.
„Anna…Ich…“, stammelt er.
„Ja? Was denn?“
Er greift nach meiner Hand und schließt kurz die Augen, dann öffnet er sie wieder.
„I love you Anna…“
Mir steht bestimmt der Mund offen und ich bekomme kurz keine Luft. Darum atme ich ganz vorsichtig durch.
„Was?“, frage ich mit piepsiger Stimme.
„Ich liebe dich Anna“, wiederholt er und lächelt dabei zufrieden.
Meine Wangen fühlen sich heiß an, heute im positiven Sinne und in meiner Stirn pocht es seltsam, so als würde das Blut wie wahnsinnig durch meinen Körper rauschen. Ich kann nur nicken und ich glaube ich lächle auch. Es ist, als hätte die Erde sich für einen Moment nicht gedreht. Dann lässt er meine Hand los und fährt weg. Einmal dreht er sich noch um, ich hebe immer noch perplex meine Hand. Dann gehe ich hinein und lehne mich an die Haustür. Ich bekomme fast keine Luft. Er liebt mich. Er liebt mich!?
„Anna?“ Mama schaut aus der Küche. „Alles ok?“
Ich nicke in Zeitlupe. „Ja…Alles ok.“
„Habt ihr euch ausgesprochen?“
Wieder nicke ich. Sie kommt näher und verdreht die Augen.
„Anna Schatz“, säuselt sie und sucht meinen Blick.
Ich versuche wieder zu mir zu kommen und gehe an ihr vorbei an die Küche.
„Ja, ja, alles perfekt. Ich habe ihn zum Frühstück eingeladen, ist das ok?“
„Natürlich. Hast du noch Hunger?“, meint sie und mustert mich immer noch.
„Nein…Kein Hunger. Ich geh schlafen.“
Ich bin total in Trance und dieses Gefühl verändert sich auch den Rest des Abends nicht. Er liebt mich. Ich schlafe mit einem Lächeln ein.