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Kapitel 18
ОглавлениеJulian
Mein Vater hat mich abgeholt. Ich bin froh wieder zu Hause zu sein, auch wenn ich nicht daran denken will, was ich zurücklassen musste. Doch ich muss daran denken. An sie. Pausenlos. Seit ich in den Wagen gestiegen bin, habe ich fast nicht gesprochen, ich sehe nur auf meine Hände und zupfe an meinem Fingernagel.
„Aussehen tust du ja gut, aber auch wenn du es jetzt schon mehrfach betont hast das es nicht so wäre, mit dir stimmt doch etwas nicht Julian“, meint Dad und fährt direkt in die Garage.
Ich seufze. Mir ist nicht gut. Gar nicht gut. Alles fühlt sich Scheiße an. Von Scheitel bis zur Sohle.
„Ich bin müde und ich fühle mich gerade nicht so. Sonst nichts“, murmle ich und steige aus.
Jetzt noch alle begrüßen, erzählen, gemeinsam essen. Ich weiß nicht ob ich das schaffe. Mum ist zum Glück noch bei irgendeinem Termin, auch wenn ich mich schon freue sie zu sehen.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit unter der Dusche stand und so halbwegs alle Taschen ausgeräumt habe, gehe ich nach unten. Auf der Treppe bleibe ich stehen und sehe nach draußen, hinüber zum Hotel. Es ist wie immer toll beleuchtet, wir haben es wirklich schön. Im Vergleich zur Steiermark ist es hier wie gewohnt nicht besonders warm. Morgen werde ich hinunter zum See gehen, ich liebe die Ruhe dort. Ich atme ein und vorsichtig aus. Es bleibt mir nicht erspart alles über die Reise zu erzählen. Mum lächelt mich immer wieder an. Mit dem Mum Lächeln. Ich bin mir sicher, sie hat schon bemerkt, dass es mir Scheiße geht, auch wenn ich nichts sage. Catriona geht gleich nach dem Essen auf ihr Zimmer, wie immer muss sie noch dringend telefonieren. Ihr Freund Tim der in London lebt fehlt ihr, auch wenn sie in Kürze sowieso wieder dort sein wird. Wenn alles gut geht wird sie im nächsten Jahr ihren Abschluss machen und dann im Hotel mitarbeiten. Plötzlich verstehe ich sie, wie es sich anfühlt den Menschen den man liebt nicht an seiner Seite zu haben. Ich weiß nicht wie ich es ohne Anna aushalten soll. Die letzten Tage waren schon Horror. Jetzt bin ich auch noch tausende Kilometer weit von ihr entfernt, zusätzlich will sie nichts mehr von mir wissen. Wieder dieser Schmerz in meinem Bauch. Ich starre in mein Wasserglas, als Dad mir einen Whisky vor die Nase stellt. Das macht er normalerweise nie. Mum setzt sich auch wieder an den Tisch und lehnt sich abwartend zurück.
„Also?“, sagt sie mild.
Ich sehe sie an, dann schließe ich kurz meine Augen.
„Anna…Es ist wegen Anna…“
„Das Mädchen aus der Steiermark, du hast mir ja am Telefon schon von ihr erzählt. So ernst?“, meint Mama.
Ich nicke wortlos und nehme einen großen Schluck vom Whisky der etwas brennt. „Sie ist so unglaublich, so besonders.“ Kopfschüttelnd sehe ich auf. „Mum…Dad…Wenn ich in den letzten Jahren undankbar war, dann tut mir das leid. Ihr seid tolle Eltern, mir geht es gut, ich habe immer alles was ich brauche…“
Dad unterbricht mich. „Julian, du machst mir Angst.“
„Nein Dad…Anna…Ihr Vater, ich habe sie gesehen…Was er ihr antut und ich kann nicht helfen…Ich wollte sie mitnehmen…Aber…“ Jetzt bringe ich kein Wort mehr heraus. Alles bricht zusammen. Mum steht auf und reibt mir den Rücken.
„Beruhige dich bitte. Was tut ihr Vater ihr an?“
Ich atme durch und erzähle meinen Eltern alles. Was Anna durchmacht und wie ich mich in sie verliebt habe, wie wichtig sie mir ist. Dad nickt, so als würde er mich verstehen, Mum hält meine Hand.
„Das ist ja fürchterlich“, murmelt sie. „Und du glaubst sie würde hierherkommen? Sie geht doch noch zur Schule, so einfach ist das nicht. Volljährig ist sie ja auch noch nicht.“
„Sie wird nicht herkommen“, stoße ich mit letzter Kraft aus. „Weil ich so ein Volltrottel bin. Ich habe mit einer anderen geschlafen, also nicht gleichzeitig, aber zu dem Zeitpunkt war schon so viel mehr zwischen uns. Ich erinnere mich nicht einmal daran, weil ich total besoffen war an meinem Geburtstag. Ich hatte Angst sie zu verlieren, deshalb habe ich nichts erzählt.“
„Oh…Nicht gut…“, Dad gießt noch einmal Whisky nach. „Ich nehme an sie hat es dann doch herausbekommen und das kam nicht gut an.“
Ich nicke und wische mir mit dem Handrücken eine Träne weg. Komischerweise fühlt es sich jetzt ein klein wenig leichter an, auch wenn sich immer noch alles zusammenkrampft sobald ich an Anna denke. An ihr hübsches Gesicht, ihre zarte Haut, ihre seidigen Haare. Ein warmer Schauer läuft mir den Rücken hinunter, ich kippe den letzten Schluck Whisky hinunter.
„Lass ihr ein paar Tage, dann ruf sie noch einmal an. Vielleicht denkt sie dann anders.“ Mums Worte klingen beruhigend, doch ich glaube nicht daran, dass sich in den nächsten Tagen etwas ändert. Anna will bei ihrer Mutter sein, das verstehe ich sogar, auch wenn die Opfer die sie bringen muss komplett irre sind. Sie wird achtzehn und denkt wie eine erwachsene Frau. Ihr fehlt die Leichtigkeit für gewisse Dinge, die Freude ihr Leben wie eine hübsche junge Frau zu erleben. Ohne Angst etwas falsch zu machen, ohne Sorgen und vor allem ohne die Demütigungen die sie mitmacht. Auch wenn ich selbst noch nicht auf eigenen Beinen stehe, ich wäre gerne der Mann, der ihr die Liebe und Wärme schenkt, die sie braucht. Ich werde es versuchen. Irgendwie muss ich es schaffen, auch wenn ich weiß wie sehr ich sie enttäuscht habe.