Читать книгу Und du bist nicht da - Kerstin Teschnigg - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеAnna
Ich wach auf und versuche mich vorsichtig durchzustrecken. Wie erwartet tut mir heute noch immer alles weh. Wenn ich ehrlich bin, sogar mehr als gestern. Ich steige aus dem Bett und gehe zum Fenster um den Vorhang zu öffnen. Meine Schürfwunden sehen nicht wirklich gut aus. Es zieht und brennt fürchterlich. Ich reibe mir die Augen und wuschle meine Haare mit den Händen durch. Nachdenklich streiche ich mit dem Zeigefinger über meine Wange. Ich schließe meine Augen und lächle.
Kurz nach acht gehe ich nach unten in die Küche und mache mir eine Tasse Kakao. Durch das offene Küchenfenster sehe ich Mama die im Garten arbeitet. Es wird heute wieder heiß, die Sonne strahlt schon ausgelassen und der Duft der warmen Luft fährt durch meine Nase. Ich nippe an meiner Tasse. Keine Ahnung ob ich so zum See kann. Mir tut alles weh, vermutlich wäre es besser im Haus zu bleiben.
„Guten Morgen“, lächelt mich Mama an, die mit einer Schüssel voll Gemüse in die Küche kommt.
„Guten Morgen“, erwidere ich ihr Lächeln. Sofort sieht sie musternd auf meine Wunden.
„Das sieht nicht so gut aus Anna.“
„Das ist nichts. Es sieht schlimmer aus als es ist.“
„Dein Vater meinte er muss den Vorderreifen von deinem Rad tauschen. So kannst du nicht mehr damit fahren.“
Ich nicke wortlos und bin froh darüber ihm weder gestern Abend, noch heute Morgen begegnet zu sein.
„Du solltest heute aber sowieso nicht in die Sonne gehen und schon gar nicht ins Wasser.“
„Ich kann mich in den Schatten setzen. Ella wartet doch auf mich.“
Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Du bist auch ganz blass. Bleib heute besser zu Hause.“
Auch wenn ich es nicht zugeben will, Mama hat vermutlich Recht. Die Sonne und die Hitze würden mir heute nicht wirklich guttun. Ich seufze hörbar. Gerade heute möchte ich so gerne wie selten zuvor an den See. Nachdem ich Ella angerufen habe, die es ziemlich schade findet, dass ich nicht komme, aber froh ist, dass bei meinem Sturz nicht mehr passiert ist, stelle ich mich unter die kalte Dusche. Das kühle Wasser läuft über meine Schultern, ich greife mir an den Kopf der immer noch ein bisschen weh tut. Ob er heute auch wieder am See ist? Er hat so ein schönes Lächeln. Ich schließe meine Augen und amte durch. Es ist doch gar nicht wichtig ob er dort ist oder nicht. Ich sollte mich nicht damit beschäftigen. Wozu auch? Ich steige aus der Dusche und betrachte mich in ein Handtuch gewickelt vor dem Spiegel. Ich bin froh, dass meine Haare nach einer mir heute unverständlichen Aktion vor ein paar Monaten wieder länger geworden sind. Damals habe ich mir eingebildet sie müssen abgeschnitten werden. Ich bin nach der Schule in einen Frisörsalon in Graz gegangen. Einfach so. Ohne viel darüber nachzudenken. Es waren bestimmt mehr als fünfzehn Zentimeter. Mein Vater hat fast durchgedreht, als ich so nach Hause kam. Nein, nicht fast, er hat definitiv durchgedreht. Jetzt sind sie zumindest wieder soweit nachgewachsen, dass ich sie zusammenbinden kann. Ich würde so gerne ein paar Strähnchen in mein fades dunkelbraun machen lassen, aber auch das würde bei meinem Vater nicht gut ankommen. Ich schüttle den Kopf und sehe dabei mein Spiegelbild an. Ich bin jetzt fast achtzehn und komme mir vor wie ein Baby. Wie ein Vogel eigensperrt in einem goldenen Käfig. Ja ich habe alles was ich brauche, eigentlich sogar mehr. Doch was ich will, bekomme ich nicht. Meine beiden Brüder sind lange aus dem Haus, beide sind viel älter als ich. Als Nachzüglerin sitze ich jetzt in diesem Haus und hasse mein Dasein manchmal wirklich. Ich beneide meine Brüder die im Ausland leben. Paul ist Kellermeister auf einem großen Weingut im französischen Burgund und Sebastian lebt schon lange in New York, wo er für ein große Softwarefirma arbeitet. Er hat eine Amerikanerin geheiratet und inzwischen ein kleines Mädchen, das ich noch nie live gesehen habe. Die beiden sehen wenig Anlass zurück in die Steiermark zu kommen. Meine Mama leidet sehr darunter. Sie würde ihre Enkelin gerne sehen und ihre Söhne auch. Keine Ahnung ob ich auch weg gehe wenn ich die Matura in der Tasche habe. Ich bin schon froh, dass ich auf die Ortweinschule gehen durfte. Mama musste Papa dafür wochenlang gut zureden. Kunst und Design, was für ein Blödsinn hat er immer wieder gesagt und er ist bei seiner Meinung geblieben. Ich hätte besser etwas Bodenständiges machen sollen. Künstler. Fotos machen. Wozu soll das gut sein? Das höre ich fast jeden Tag. Ich liebe allerdings genau das. Es macht mir Spaß die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen und durch die Linse einer Kamera lässt sich das sehr gut umsetzten. Die Welt ist so viel mehr als man mit den Augen sehen kann. Viele Dinge sind schön, auch wenn man das nicht auf den ersten Blick erkennt.
Ich helfe Mama ein bisschen in der Küche, danach verkrieche ich mich in meinem Zimmer. Der Tag scheint endlos zu sein, die Zeit vergeht einfach nicht. Gerade als ich in den Garten gehen will, weil es ein bisschen kühler geworden ist, klopft es an meiner Tür. Ella steckt den Kopf ins Zimmer.
„Hey…Wie geht es dir?“, fragt sie und zieht beim Anblick meiner Schürfwunden die Augenbrauen hoch.
„Hey…Geht schon…Wie schön, dass du vorbeikommst!“ Ich springe auf und falle ihr um den Hals.
„Scheiß Fahrrad…“, murmelt sie und mustert meine Verletzungen. „Kommst du morgen wieder mit zum See?“
„Ich wäre heute schon gern gekommen, aber Mama meinte das wäre nicht so gut.“
Ella nickt seufzend.
„War etwas Besonderes heute?“, frage ich vorsichtig, während wir nach unten gehen. Ich nehme zwei Eis für uns aus dem Gefrierfach, bevor wir in den Garten gehen. Wir setzen uns auf die Bank unter dem schattigen Kirschbaum. Ella schüttelt den Kopf.
„Nein…Ohne dich ist es ja sowieso fad.“
Ich nicke. „Waren die Jungs die am Herzoghof wohnen auch wieder dort?“ Meine Stimme ist ganz leise und die Frage fast beiläufig.
„Ja. Die waren auch dort.“
„Aha. Janine auch?“
„Ich glaub schon. Seit wann interessiert dich Janine?“
„Sie interessiert mich nicht.“
Ella beugt sich neugierig zu mir. „Und darum fragst du mich nach ihr?“
Verlegen zupfe ich an meinem Shirt. „Einer von den Jungs hat mir gestern geholfen nach dem Sturz.“ Ich merke wie meine Wangen heiß werden.
„Ok…Und?“, Ella sieht mich grinsend an.
„Er war nett“, füge ich hinzu.
„Nett…Ach so. Und darum bist du jetzt so rot geworden?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ja…Nett.“
Sie grinst weiter und verdreht die Augen.
„Er wollte mich sogar nach Hause bringen“, schwärme ich. „Aber das ging nicht. Du weißt doch, mein Vater hätte durchgedreht, wenn mich ein Bursche herbringt. Obwohl…Er war gar nicht zu Hause.“
Ella grinst immer noch breit. „Er gefällt dir. Es ist also der, der mit Janine herumhängt. Wie kann er nett sein, wenn er mit dieser Schlampe etwas anfängt?“
Wieder zucke ich mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es ist sowieso Zeitverschwendung darüber nachzudenken. In ein paar Tagen ist er wieder weg.“
„Ja, stimmt. Aber wenn er so nett ist.“ Ella gibt mir einen kleinen Schubs.
Ich muss lächeln. Trotzdem versuche ich der Sache nicht mehr Bedeutung als nötig zu schenken. Ella bleibt noch ein bisschen, aber wir reden nicht mehr über das Vorgefallene. Ich beschließe sie noch ein Stück zu begleiten. Sie schiebt ihr Fahrrad, wir schlendern unsere Auffahrt hoch. Papa biegt ein und hält neben uns an.
„Servus Ella“, begrüßt er sie, während er mich musternd ansieht. „Servus Anna. Mama hat mir von deinem Unfall gestern erzählt. Wie geht denn das auf einer kerzengeraden Straße?“
„Hallo…Ja… Weiß ich auch nicht.“ Ich senke meinen Blick.
Er verdreht genervt die Augen. „Das Fahrrad habe ich heute in den Ort zum Reparieren gebracht, jetzt musst du halt ein paar Tage ohne auskommen.“
Ich nicke. „Danke…Ja… Ich gehe zu Fuß.“
„Oder du bleibst einfach daheim.“
Ohne meine Antwort abzuwarten fährt er weiter. Ich schließe kurz meine Augen. Das wäre ihm das Liebste. Mich daheim einsperren. Sicher. Ella kommentiert die Ansage meines Vaters nicht, sie kennt ihn lange genug.
„Ich kann meine Mama morgen fragen ob sie uns zum See fährt, wenn du willst.“
„Es geht auch zu Fuß. So weit ist es ja nicht. Treffen wir uns vorne an der Kreuzung zur Hauptstraße?“
Sie nickt und drückt mich zum Abschied. Gerade als sie losradeln will, höre ich ein Moped. Ich höre es schon ehe ich es sehe und trotzdem beginnt mein Herz sofort schneller zu schlagen. Ella bleibt noch einmal stehen und sieht mich mit großen Augen an.
„Vielleicht ist er das?“ Ihre Augen verdrehen sich dabei vielversprechend.
Noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hat, weiß ich das er es ist. Ich erkenne ihn.
„Er ist es…“, murmle ich leise.
Ella schmunzelt und fährt los. Ich will ihr noch hinterherrufen wie sie mich jetzt einfach so allein hier stehen lassen kann, doch da ist sie schon dahin und die Vespa hält neben mir. Er nimmt seinen Helm ab, fährt sich durch die Haare und lächelt mich an. Ich muss zusehen, dass mir der Mund nicht offensteht.
„Hi“, lächelt er immer noch. Dabei strahlen seine Augen, mir wird ganz komisch.
„Hallo“, erwidere ich und habe Angst, dass meine Stimme versagt.
„Bist du ok? Ich habe dich heute nicht am See gesehen.“ Er sieht auf mein Bein.
Ich nicke zaghaft und weiß nicht Recht was ich sagen soll. In einer klaren Sekunde fällt mir ein, dass ich mich bedanken sollte.
„Danke für deine Hilfe gestern. Das war echt nett.“
„Ich habe nicht wirklich geholfen. Du wolltest dir ja nicht helfen lassen.“
„Doch…Es war echt nett von dir. Ist ja nichts passiert.“
Er legt seinen Kopf zur Seite. Seine Augen strahlen. Wow….
„Anna, nicht wahr?“
Das Anna sagt er dabei nicht wie es hier bei uns ausgesprochen wird, sondern mit seinem englischen Akzent. Das klingt irgendwie besonders. Ich nicke.
„Kommst du mit? Wir wollen noch grillen bei unserem Ferienhaus.“
Mir bleibt fast das Herz stehen. Ich? Mit ihm mitfahren? Gott…
„Ich?... Ich kann nicht…Leider…aber Danke für die Einladung“, sage ich fast ein bisschen zu schnell.
Er zuckt etwas enttäuscht mit den Schultern. Ich würde schon gern. Ja. Sicher. Zwar nicht in meinem Aufzug und nicht ganz so spontan, aber natürlich will ich ja sagen.
„Darf ich dich denn heute nach Hause bringen?“
Ein weiterer Stich. Ich bekomme fast keine Luft. Möglichst unbemerkt hole ich Luft.
„Ich habe nur ein paar Meter“, sage ich dann schnell.
„Ok.“ Wieder scheint er enttäuscht über meine Abfuhr zu sein.
Er setzt seinen Helm auf und ich befürchte gerade alles falsch gemacht zu haben. Eine seltsame Panik steigt in mir auf. Wenn er jetzt wegfährt, was dann?
„Aber ich komme morgen wieder zum See“, sage ich darum schnell. Es klingt so plump, dass mir sofort die Schamesröte ins Gesicht steigt.
„Morgen?“ Er lächelt wieder. Zum Glück. Ich nicke.
„Ok. Dann sehen wir uns morgen“, meint er.
Wieder nicke ich. Vermutlich viel zu offensichtlich und euphorisch. Ich kann nichts mehr sagen und meine Knie fühlen sich etwas wackelig an. Er startet die Vespa, ich bekomme kaum Luft, so komisch fühle ich mich.
„Ich heiße übrigens Julian“, sagt er noch und zwinkert mir dabei zu. „Bis morgen Anna.“
Ich kann nichts mehr sagen. Er fährt los. Julian. Nicht wie Julian, sondern wie das englische Julian. Ich sehe ihm perplex hinterher. Er dreht sich noch einmal um und winkt mir zu. Verlegen erwidere ich es. Wie von selbst gehe ich los. Julian. Wow… Er sieht so gut aus. Braungebrannt. Coole Haare. Lässige Shorts. Unglaublich schöne Augen. Wow…