Читать книгу Und du bist nicht da - Kerstin Teschnigg - Страница 17
Kapitel 14
ОглавлениеJulian
Ich streiche sanft über Annas Rücken. Es ist so wunderbar sie zu berühren. Ich kann gar nicht damit aufhören. Und es ist unglaublich mit ihr zu schlafen, auch damit kann ich gar nicht aufhören. Sie ist schon viel lockerer geworden und ich glaube es ist mehr aus dem Kribbeln vom ersten Mal geworden. Zumindest hatte ich gerade eben das Gefühl es hätte ihr ziemlich gut gefallen. Ihr Körper hat gebebt, das war so heiß, ich konnte mich kaum beherrschen. Ich küsse sanft ihre Schulter, ja ich weiß was ihr gefällt. Mein Blick fällt auf die Narbe die sie am Schulterblatt hat. Das war sicher ihr Arschloch Vater. Vorige Woche war so toll, weil es für ihre Mum kein Problem war, wenn sie mal länger bei mir blieb. Doch jetzt ist er wieder da und ich möchte auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Er soll auch nicht wissen, dass wir uns immer noch treffen. Sie dreht sich zu mir und lächelt mich an. Immer wieder zieht sich bei ihren Blicken alles in mir zusammen, es ist fast unheimlich, aber ich kann es nicht abstellen. Ich streiche noch einmal über ihr Schulterblatt.
„War er das?“, frage ich leise.
Sie schließt die Augen, was eine Antwort überflüssig macht.
„Warum?“
„Wegen der Mathe Note“, sagt sie und beginnt sanft mit ihrem Zeigefinger über meine Brust zu streichen. „Es war eine spitze Kante an der ich aufgekommen bin. Ich bin eine Enttäuschung für ihn hat er gesagt, das hat viel mehr wehgetan als das Loch in meiner Schulter.“
Ich weiß, dass meine Fragerei für sie nicht angenehm ist und mich schmerzt jedes Wort, trotzdem will ich es wissen.
„Schlägt er deine Mutter auch?“
„Jetzt nicht mehr. Sie war sehr krank.“ Wieder schließt sie ihre Augen und atmet dabei durch. „Sie wäre fast gestorben.“ Ihre Stimme ist ganz erstickt. Ich greife nach ihrer Hand und ziehe sie auf meine Brust. „Brustkrebs“, fügt sie noch hinzu. „Mama würde es nicht schaffen, wenn er sie wieder so zurichten würde. Ich pass auf sie auf.“
In mir baut sich ein schreckliches Gefühl auf. Es ist wie ein Druck, der sich über mich legt. Was ist denn nur los? Wie kann es so etwas überhaupt geben? Ich weiß gar nicht was ich darauf sagen soll.
„Warum verlässt sie ihn nicht?“, entkommt mir auf einmal. Ich weiß sofort, dass es eine blöde Frage ist.
„Weil sie niemanden hat. Er würde sie fertig machen. Sie hat Angst.“
„Ich habe auch Angst. Angst um dich“, flüstere ich und küsse ihre Stirn. „Ich werde dich mitnehmen.“
Sie sieht auf und zieht die Augenbrauchen hoch. „Wohin denn?“
„Zu mir nach Hause. Es würde dir gut gehen. Ich liebe dich und kann keinen klaren Gedanken fassen, schon gar nicht, wenn ich daran denke was ist, wenn ich weg bin.“
Sie schmunzelt ein wenig. „Wir kennen uns doch noch gar nicht richtig. Was soll ich in Schottland machen? Ich muss meine Schule hier abschließen und meine Mama braucht mich. Außerdem, du studierst doch in London. Es ist echt schön wie du dich sorgst, aber es ist nun einmal wie es ist. Ich gehöre hierher. Du kommst aus einer anderen Welt, auch wenn ich keine Luft bekomme beim Gedanken daran, dass du bald nicht mehr bei mir sein wirst.“
„Nein Anna…Deine Welt ist anders. Es ist nicht fair...“ Ich atme tief durch. „Ich lass dich nicht hier zurück.“
Sie zuckt seufzend mit den Schultern.
„Und Anna, sag nicht wir kennen uns nicht. Ich hatte noch nie das Gefühl jemanden so zu kennen wie dich, auch wenn ich täglich etwas Neues an dir entdecke und ich entdecke auch genauso oft etwas Neues an mir. Das machst du.“
Sie lächelt, aber ich bin ein wenig gekränkt. Ihre Worte fühlen sich komisch an, so als würde bald alles vorbei sein. Ich bin mir sicher, meine Mum würde sie sehr gerne aufnehmen, wenn ich erst erzähle was hier abläuft.
„Wir sollten nicht den ganzen Tag im Bett liegen. Es ist so schön draußen. Fahren wir zum See?“, meint sie plötzlich. Themenwechsel. Das passt zu ihr. Immer wenn ihr ein Thema zu tiefgründig wird tut sie das.
„Ich könnte schon den ganzen Tag mit dir im Bett verbringen. Es ist schließlich so, dass ich ein Ziel habe“, schmunzle ich.
„Ein Ziel?“ Sie sieht mich neugierig an.
„Das Kribbeln ausbauen, außer es ist mir heute schon zufriedenstellend gelungen? Also?“
Sie lacht ein bisschen und zieht sich die Decke über den Kopf. „Du bist albern.“
Ich stecke meinen Kopf ebenfalls zu ihr unter die Decke und küsse sie stürmisch. „Nein…Das ist wichtig.“
„Julian…Ich liebe dich“, haucht sie und sieht mir tief in die Augen, dann zieht sie meine Lippen an ihre. „Und ja…Ich hätte nie gedacht, dass Sex so gut sein kann.“
„Sex mit mir“, füge ich hinzu.
Sie verdreht belustigt die Augen. „Natürlich.“
Anna ließ sich einen Besuch am See nicht ausreden. Sie hat wie es aussieht Ella versprochen, dass wir hinkommen. Ich wäre zwar lieber mit ihr allein, aber ich kann ihr auch keinen Wunsch abschlagen. Sie ist selbst mit dem Fahrrad hingefahren, bei mir mitfahren ist zu riskant. Schließlich fällt den Leuten hier im Dorf alles auf, irgendwelche Idioten erzählen es dann wieder ihrem Vater und wenn der sie noch einmal anfasst, gibt es hier Tote. Besser gesagt einen Toten. Ich parke die Vespa unter dem schattigen Baum beim Eingang und warte auf sie. Es ist so warm und jetzt muss sie auch noch mit dem Fahrrad herstrampeln. Ich seufze für mich als mich eine Stimme aufreißt.
„Wo ist denn dein Mäuschen?“ Janine sieht mich böse an und geht an mir vorbei. Ich hatte sie die letzten Tage komplett verdrängt. Scheiße. Ich hoffe nur, sie macht nichts Unüberlegtes. Kurz denke ich darüber nach etwas zu ihr zu sagen, doch sie sieht sich nicht mehr um und Anna kommt angefahren. Plötzlich steigt ein schrecklich schlechtes Gewissen im mir auf. Anna schließt ihr Fahrrad neben dem Mofa ab.
„Puhh…Es ist so heiß. Ich muss dringend ins Wasser“, stöhnt sie.
„Ja…“, murmle ich und gehe ihr hinterher.
„Was hast du denn?“, meint sie und bleibt stehen.
„Nichts…Gar nichts…Ja…Es ist heiß“, stammle ich.
Am Seegelände sehe ich Janine dann nicht mehr. Zum Glück. Anna geht mit Ella gleich ins Wasser, wie es aussieht gibt es viel zu besprechen. Sie haben sich wegen mir auch nicht oft gesehen die letzten Tage. Ich beschließe uns ein Eis zu holen. Als ich zurückkomme und sehe, dass Janine bei Anna steht, bekomme ich fast einen Herzinfarkt. Panisch versuche ich nicht gleich durchzudrehen. Sie wird schon nichts sagen. Ich atme ein und aus. Anna sieht mich erst an als ich neben ihr stehe. Ich würde ihr gerne gleich das Eis geben, aber ich glaube meine Hände zittern.
„Hi“, sage ich daher möglichst lässig zu Janine, die in gewohnt herablassender Art ihre Augenbrauen hochzieht. Scheiße was ist mir nur dabei eingefallen mit ihr zu pennen? „Und? Alles klar?“, füge ich noch etwas zu cool hinzu.
„Tja sicher. Bei dir auch?“, grinst sie.
„Ja…“ Ich muss aufpassen, dass meine Stimme nicht kippt. Ich gebe Anna das Eis, sie lächelt mich an. Etwas Anspannung fällt von mir ab. Wie es aussieht, hat sie nichts gesagt.
„Ok…Ich geh dann mal wieder. Ach ja…Julian…Erzähl doch Anna was noch so alles passiert ist. Du weißt schon, auf deiner Party, nachdem sie gegangen ist.“ Mir stockt der Atem und gleichzeitig habe ich das Gefühl mein Mageninhalt will meinen Hals hoch. Es ist, als hätte man mir gerade eine Kugel mitten in den Schädel gejagt. „Warum bist du denn überhaupt so früh gegangen?“, meint sie noch schulterzuckend zu Anna. Bevor diese eine Antwort darauf gehen kann, geht sie grinsend davon. Anna hält ihr Eis in der Hand und sieht mich an. Ich kann ihren Blick nicht einordnen und habe keinen Plan was ich jetzt tun oder sagen sollte. In meinem Hals pumpt das Blut. Sie sinkt nachdenklich auf ihr Badetuch.
„Was war denn?“, fragt sie leise.
Ich versuche unbemerkt nach Luft zu schnappen. „Nichts. Dein Eis wird warm“, lächle ich und setze mich neben sie. Jetzt zittern meine Hände definitiv.
„Darum bist du jetzt so rot?“ Sie sieht mich komisch an. Ich kann sie nicht anlügen, ich darf sie nicht anlügen, aber ich habe ganz schrecklich Angst davor ihr die Wahrheit zu sagen, auch wenn es absolut nichts bedeutet hat und ich mich noch nicht einmal daran erinnere. Ich reibe mir die Stirn und überlege wie ich anfangen soll, doch sie wird langsam ungeduldig.
„Julian. Was war? Janine kommt nicht so aus Freundschaftlichkeit zu mir, also, los raus damit!“
Ich sehe sie an und streiche über ihre Wange. Ich hoffe mich zu täuschen, aber etwas tief in mir sagt mir, dass gleich alles anders sein wird. Warum habe ich es ihr nicht einfach aus freien Stücken vor ein paar Tagen erzählt. Auch wenn es damals schon Scheiße geklungen hätte, jetzt ist es eine katastrophale Scheiße.
„Ich kann mich nicht erinnern…“, stammle ich nach den richtigen Worten suchend. „Keine Ahnung…“
„Woran erinnerst du dich nicht?“ Ihr Blick verengt sich und sie wird ungeduldig. Shit.
„Sie lag am Morgen nach der Feier neben mir. Ich kann mich nicht erinnern aber…“ Ich kann den Satz nicht zu Ende sprechen, weil sie mich unterbricht.
„Hast du mit ihr geschlafen?“ Ihre Worte sind ruhig, aber so wie ihre Augen weit geöffnet in meine blicken weiß ich, sie ist nicht ruhig.
„Sie sagt ja.“ Ich senke meinen Blick, weil ich sie beim Gesagten nicht anschauen kann, aber ich kann hören wie sie durchatmet. „Es hat nichts bedeutet und ich erinnere mich gar nicht“, versuche ich irgendwie die Kurve zu bekommen. Doch das scheint nicht zu wirken. Im Gegenteil. Sie steht auf, beginnt ihre Sachen zusammen zu suchen und stopft alles in ihre Tasche. Ich greife nach ihrem Arm, doch sie schüttelt mich ab.
„Anna…Bitte, schau mich an. Ich hätte es dir sagen sollen, aber…“
„Aber was?“ Plötzlich ist ihre Stimme laut. Bebend. Tränen sammeln sich in ihren Augen. Ich habe das Gefühl sie bringt kein Wort mehr heraus und schüttelt darum nur gekränkt ihren Kopf.
„Bitte…“, murmle ich. „Lauf jetzt nicht weg, meine Gefühle für dich sind echt, das weißt du doch.“
Ihr Mund verzieht sich zu einem gekünstelten Grinsen, sagen tut sie nichts mehr darauf. Ich will sie noch einmal zurückhalten, doch ihr Blick gibt mir zu verstehen, dass das keine gute Idee ist.
„Was ist denn los?“ Ella sieht zuerst Anna, dann mich fragend an als sie vom WC zurückkommt. Anna stapft wütend davon, jetzt laufen Tränen über ihre Wangen. In mir krampft sich alles zusammen, ich muss etwas tun. Ich laufe ihr hinterher.
„Anna…Ich weiß…Ich habe einen Fehler gemacht.“ Sie dreht sich nicht um. „Ich liebe dich doch“, das sage ich so laut, dass sich ein paar Leute schmunzelnd umsehen, nur sie nicht. Ich bleibe stehen. Ella läuft ihr nach. Jetzt bin ich es, der ihr wehgetan hat. Keine Ahnung was ich jetzt tun soll. Vielleicht beruhigt sie sich ja wieder. Ich schließe kurz kopfschüttelnd meine Augen. Fuck.