Читать книгу 10 Minuten für die Selbstliebe - Kim Fleckenstein - Страница 10

Flucht in die Bulimie

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Das Wort „Sucht“ kommt von „suchen“. Mit 17 suchte ich vor allem nach Liebe. Ich war schon als Kind sehr dünn und wurde oft auf mein Gewicht angesprochen. Das empfand ich nicht als unangenehm. Im Gegenteil: Ich genoss die Aufmerksamkeit, die ich dadurch erhielt. Ich wog damals rund 40 Kilo und kontrollierte täglich mein Gewicht.

Eines Abends ging ich mit einer Freundin aus und lernte einen Jungen kennen. Wir unterhielten uns stundenlang und ich fand ihn ziemlich gut. Auch er fragte mich, wie viel ich denn wiege, und ich erzählte ihm, wie wichtig mir mein Gewicht sei.

Am nächsten Tag besuchte ich ihn mit meiner Freundin im Geschäft seiner Eltern. Ich erinnere mich noch genau an die Szene: Er schaute mich an und fragte zur Begrüßung, wie viel ich denn heute wiegen würde. Ich antwortete „40,5 Kilo“. „500 Gramm mehr als gestern? Fette Sau!“

Das war wohl als Scherz gemeint. Doch ich nahm seine Bemerkung bitterernst. Als ich wieder zu Hause war, steckte ich mir zum ersten Mal in meinem Leben den Finger in den Hals, um so viel Essen zu erbrechen, wie ich nur konnte.

Mein Selbstwertgefühl maß sich jahrelang an meinem Gewicht und dem Aussehen meines Körpers. Ich machte den Erfolg oder das Scheitern eines Tages daran fest, welche Zahl auf der Waage stand. Manchmal stieg ich bis zu dreimal am Tag auf die Waage.

Bulimie hat viel mit Kontrolle zu tun. In meinem Leben lief einiges aus dem Ruder – aber mein Gewicht und das, was ich in meinen Körper ließ, konnte ich steuern. So fühlte ich mich einerseits sehr stark, dann aber auch wieder unendlich schwach – nämlich in den Momenten, in denen ich völlig unkontrolliert Essen in mich hineinschlang. Es war ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Genau deshalb aber hatte mich die Sucht auch so gut im Griff, bestimmte sie doch lange Zeit meine Gefühle. Und zwar die Gefühle einer vermeintlichen Kontrolle.

In den folgenden Jahren spezialisierte ich mich geradezu darauf, hochkalorische Gerichte zuzubereiten. Schließlich wusste ich, dass ich hinterher alles wieder auskotzen würde. Das war und blieb mein Geheimnis, ich verriet es niemandem. Insgeheim jedoch hoffte ich, dass mich meine Eltern auf den sauren Geruch im Bad oder in meinem Zimmer ansprechen würden. Oder dass sie mich fragen würden, warum ich abends nach dem Essen noch so oft rausging, um den Müll runterzubringen.

Ich habe Jahre später, als ich zu meiner Bulimie stehen und darüber reden konnte, von Verwandten erfahren, dass meine Eltern von meiner Erkrankung wussten. Ich selbst habe nie mit ihnen über meine Sucht sprechen können. Ich hatte zu große Angst vor dem Satz: „Wir haben das damals schon vermutet.“ Denn dann hätte ich sie fragen müssen: „Warum habt ihr nichts getan?“

10 Minuten für die Selbstliebe

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