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Prora. Kalles Wohnung
Оглавление16. Juli 2019. Kalle wachte am späten Morgen davon auf, dass ihn kurze rote Haare ungewohnt im Gesicht kitzelten. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar war, dass das nicht Raúls Federn, sondern Haare von Anna waren, die sich möglichst dicht an ihn gekuschelt hatte.
Ein glückliches Gesicht, strahlende wasserblaue Augen und viele niedliche Sommersprossen strahlten ihn an. „Guten Morgen“, flüsterte sie, als ob sie ihn nicht aufwecken wollte, was purer Unsinn war, wie sich gleich herausstellen sollte, „Приятного утра“6, sagte sie auf Russisch. Dann verschwand sie unter der Bettdecke, unter der sie eine ganze Weile verweilte. Als sie wieder auftauchte, lachte sie ihn an und sagte gebrochen deutsch sprechend, als ob sie es nicht richtig könne: „Maschinist nix mehr Havarie, Maschinist repariert...“.
Das hätte sie Kalle nicht zu erklären brauchen, das hatte der sofort gemerkt, als sie unter Zuhilfenahme von Händen, geschickten Fingern und sehr energischen Lippen mit der „Reparatur der Havarie“ befasst gewesen war.
„Bleib so liegen“, wies sie ihn an, um den Erfolg ihrer Reparaturmaßnahmen zu überprüfen. Ihre Prüfungsmethode war interessant und sehr befriedigend, fand Kalle. Sie schien auch zufrieden...
Aber wir blenden uns sicherlich zur Enttäuschung einiger Leser*innen, die „gute Stellen“ im Text suchen, aus und lassen unser altes Paar allein. Die beiden werden auch ohne uns wissen, was sie zu tun haben – und Sie wissen es auch. Wir können zwischendurch ja einmal ausrechnen, wie viele Jahre, Monate, Tage und Stunden (weiter wollen wir nicht gehen, denn das wäre pseudogenau) sie einander verpasst haben. Ich erspare Ihnen das unangenehme und wegen der Schaltjahre vielleicht fehlerbehaftete Gerechne – für so etwas gibt es in Russlands Internet verschiedene ganz brauchbare Apps, aber da wir uns im kapitalistischen Westen befinden, verwenden wir ganz schnöde einfach Excel: Das Ergebnis lautet 37 Jahre und 319 Tage, insgesamt also 13.834 Tage. Im Nachhinein betrachtet erscheint mir das noch weitergehende Berechnen der Stunden als deutlich zu intim. Aber jetzt blenden wir uns wieder in das Geschehen ein.
Irgendwann lagen sie wieder erschöpft, aber glücklich nebeneinander auf dem Bett. „Aufstehen, Faulpelzin“, lachte Kalle, „irgendwann müssen wir mal frühstücken. Ich mache Kaffee, während du duscht...“
„Das ist das Schlimme an euch alten Männern“, lachte sie, „irgendwann können oder wollen sie nicht mehr, schade...“
„Ich denke, ihr seid hier, um mich zu überzeugen?“, rief Kalle ihr auf ihrem Weg in die Dusche nach.
„Das habe ich gehört“, rief sie zurück, „was soll ich denn noch tun?“
„Orlow wartet bestimmt schon auf uns“, gab Kalle zu bedenken.
„Alexei Iwanowitsch kann warten“, nuschelte sie, „wäscht du mir den Rücken? Und dann muss ich ganzheitlich eingecremt werden“. Also dauerte es wieder, bis sie sich an den Frühstückstisch setzen konnten.
„Keine Eier?“, fragte Anna harmlos, „oder Eier leer?“