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20. März. Die Debatte

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19.00 Uhr. Sie hatten sich bei Hanna verabredet, weil sie die größte Wohnung hatte. Das „Treffen zuhause“ war insofern kein Problem, als Hanna, Sarah, Wolf-Dieter, Udo, Edgar, der Graf und nur nicht die alte Tante Greten, die nicht nur so gerufen wurde, sondern – wie schon gesagt – tatsächlich eine echte Tante von Hanna war, tatsächlich alle auch im selben Haus wohnten. Sie kannten sich seit Jahren, waren auch lange schon miteinander befreundet.

Nachdem seinerzeit Hannas Mann auf Mallorca gestorben (worden!) war, hatte Hanna die zwei Häuser in der Hübnerstraße an der Ecke Fuetererstraße geerbt und hatte später den anderen den Vorschlag gemacht, das ziemlich damals etwas heruntergekommene größere Haus zu einer Alten-WG umzubauen.

Die Kosten dafür hatte Hanna getragen, die das weitere Haus verkauft und mit dem Geld, „ihr“ Haus modernisiert hatte. Einige Mietparteien waren vor Umbaudreck und –lärm geflohen, andere hatten sich mit einer Prämie versehen froh in Vororte verabschiedet.

Jetzt hatten sie das Haus längst fast allein für sich. Im Erdgeschoss war noch eine Metzgerei und ein kleines italienisches Restaurant erhalten geblieben, im ersten Stock wohnten zwei Familien mit kleinen Kindern. In die anderen Stockwerke waren die Freunde eingezogen.

Die Familien hatten sich erst gefreut und sie hatten den Vorschlag gemacht, dass die Alten ja ab und zu auf die Kinder aufpassen könnten, so im Sinne eines „Mehrgenerationen-Hauses“ mit den Familien leben sollten. Die „Alten“ hatten ob dieses Ansinnens und dessen Implikationen innerlich aufgeschrien und den Jungen schnell klar gemacht, dass jedes Mietshaus apriori ein Mehrgenerationen-Haus sei, weil da eigentlich immer Alte und Junge zusammen lebten und zweitens wurde die Idee, sich um die fremden Schratzen zu kümmern, aber so etwas von rundheraus ohne Diskussionen abgelehnt, dass den Familien sehr deutlich wurde, aus ihren Plänen würde nichts werden.

Ganz im Gegenteil, die Jungen sollten, bitteschön, aufpassen, dass die „Blagen“, die Mittags- und sonstigen Ruhezeiten einhielten, denn dieses Haus sei schließlich ein Mehrgenerationenhaus. Heißt: Da wohnen auch ältere und alte Menschen, die zumindest ab und zu ihre Ruhe haben wollten und auch brauchten. Capito?

Nun, das Verhältnis war danach etwas abgekühlt, aber das machte den Alten nichts aus. Hanna hatte im Hof einen Fahrstuhl zu den oberen Etagen der Alters-WG bauen lassen, da damals auch schon abzusehen war, dass sie eines Tages zumindest zeitweise einen Rollstuhl brauchen würde – und Tante Greten war sowieso dankbar für jede Stufe, die sie bei ihren eher seltenen Besuchen bei Hanna nicht steigen musste.

Hannas Dachwohnung war die größte und schönste, schließlich war das Ganze ja eine Alters-WG und keine kommunistische Zelle. Hier war sie natürlich ein wenig gleicher als die anderen, aber das fanden alle irgendwie „Okay“ – schließlich war es Hannas Haus und Hannas Geld.

Hanna hatte sich auch eine Dachterrasse mit einem Wintergarten darauf bauen lassen, das war einfach cool, fand sie und sie konnte ihr Geld schließlich nicht „mitnehmen“, wenn sie einmal sterben würde. Und Geld hatte sie genug, fand sie gleichfalls. Selbst nach all den Investitionen noch, und sie war großzügig aber doch nicht blöd!

Jetzt saßen sie alle an Hannas Tisch im Wintergarten. Der kleine Italiener im Erdgeschoss hatte Antipasti, Pizzabrot und ein paar Sandwiches im „italienischen Stil“ geliefert, also viele Tomaten und Pesto.

Nachdem der größte Hunger gestillt war, wurden in der Runde ein paar Zigaretten angezündet und es wurde gemütlich. Tante Greten saß in einem tiefen Sessel und hatte sich zum Gläschen Rotwein („ist gut für die Gefäße...“) einen Zigarillo angesteckt („mein Körper ist so alt, das merkt die Lunge gar nicht mehr, dass ich an der kleinen Zigarre lutsche, mein Kind“, hatte sie zu Hanna gesagt, als die einmal zu ihr gesagt hatte, Rauchen sei jetzt in Bayern out...).

„Na, Mannder und Weiberleut“, sagte Hanna, „die Trauerfeier war nicht besonders schön, aber auch nicht scheußlich. Mehr hätte Hannelore, glaube ich, auch gar nicht gewollt – und ihr erbringt jetzt noch ein Rauchopfer, dann können wir ja zur Tagesordnung übergehen. Ach übrigens, ich finde, die Blumenbuben haben sich mal wieder selbst übertroffen.“

„Hat denn das gesammelte Geld gereicht?“, fragte Tante Greten, „ich will auch mal so etwas haben.“

„Hat ja noch Zeit, Tante Greten“, sagte Hanna liebevoll in Richtung der dichtesten Rauchwolken. Dann schüttelte sie den Kopf, „nein, es hat nicht gereicht, aber das muss ja keiner wissen“, sagte sie, „das war ja der einzige Blumenschmuck für die Arme.“

„Der Brief war schwer okay, fand ich“, ergänzte Udo, „vor allem der Satz, dass sie alles allein und ohne Hilfe gemacht hätte.“

„Hat sie doch auch“, sagte Wolf-Dieter, „naja, fast“.

„Das Entscheidende hat sie alleine gemacht“, gab der Graf zu Bedenken, „sie hat sich ganz alleine entschieden, ihn umzupusten, sie ist ausgestiegen, sie hat geschossen – und zur Not wäre sie auch alleine mit einem Taxi zur Salvatorkirche gekommen. Wir haben also keine signifikante Hilfestellung zur Tat geleistet, sondern waren eigentlich nur höflich zu einer alten Dame, finde ich.“

„Schon“, meinte Udo, „aber ich finde ihre Idee einfach Klasse... einfach einen alten Feind umzupusten - das hat doch ´was …, oder?“

„Willst du das jetzt auch?“, fragte Sarah und schmunzelte.

„Warum denn nicht?“, antworte Udo, „und ich meine das ganz ernst. Wer hier am Tisch hat den niemanden, dem er es noch gerne einmal zeigen würde?“

„Damit allein ist es ja nicht getan“, gab der Graf zu bedenken, „Hannelores Situation war doch schon sehr speziell: Nur noch kurze Zeit zu leben, sehr kurze.“

„Naja“, sagte Udo darauf nachdenklich, „weißt Du, ich kann mit meinem Aneurysma im Gehirn auf dem Klo beim Scheißen nicht mal richtig drücken, sonst zerfetzt es mir womöglich das Ding im Kopf. Wenn das man keine besondere Situation ist. Und Wolf-Dieter hier“, er deutete auf Wolf-Dieter, „wie lange hast du noch, du mit Deinem Lungenkrebs?“

Wolf-Dieter machte eine vage Geste, „ich weiß nicht genau, ein Jahr allerhöchstens, wahrscheinlich weniger, kommt darauf an, wie viele Zigaretten ich noch rauche...“, und dabei schaute er genüsslich auf den rauchenden Glimmstängel zwischen seinen Fingern und musste ein paarmal husten, „seht Ihr, geht eher in Richtung „weniger“, glaube ich.“

„Und du Edgar?“, fragte der Graf, „auch kurz vor dem großen Sprung?“

„Diabetes, Gicht und Rheuma und zwei Herzinfarkte... Reicht das?“

„Wie lange?“

„Ein Jahr noch, vielleicht, falls ich fleißig abnehme!“

„Was mich betrifft“, begann der Graf, „Ihr wisst es wahrscheinlich noch nicht, Prostatakrebs, inoperabel – noch ein paar wenige Jahre, höchstens...“

„Das nenne ich mal eine tolle Auswahl hier“, sagte Udo und lachte trocken, „wenn ich richtig mitgerechnet habe, dann überleben nur unsere Damen hier länger als ein Jahr.

„Wir sind eben das stärkere Geschlecht“, gab Sarah für die Fraktion Frauen zur Antwort.

„Wohl wahr“, bestätigte der Graf und fragte dann „und was bedeutet das jetzt?“

„Dass ihr Männer in Hannelores Situation seid“, sagte Hanna leise, „oder fast.“

„Und mich fragt niemand?“, gab Tante Greten laut aus der Rauchwolke, „Ihr glaubt wohl, ich sei zu alt dafür?“

„Nein“, sagte Hanna, „hier wird niemand ausgeschlossen, willst du denn dabei sein?“

„Und wie“, bestätigte Tante Greten „wobei?“.

„Willkommen im Club“, sagte Wolf-Dieter zu Tante Greten, die ihren Zigarillo inzwischen aufgeraucht hatte, „es stellt sich die Frage, wollen auch wir tun, was Hannelore getan hat?“, sagte Wolf-Dieter.

„Oder besser, wollen wir das in allen Konsequenzen?“

„Wie meinst du das?“

„Ich meine, mit Selbstmord.“

„Wenn sich`s vermeiden lässt, ohne...“, sagte Udo und schaute in die Runde.

„Sagt mal, meint ihr das ernst?“, fragte Sarah.

Alle schauten sich an. „Weiß nicht?“, sagte der Graf, „irgendwie schon... oder?“. Er schaute erst Wolf-Dieter und dann Udo an, dann auch Edgar, der gerade die Tagesfächer seiner Pillenschachtel kontrollierte.

Edgar schaute zu Boden, als ob er dort die Antwort finden könne, dann sagte er: „Man müsste es mal ausprobieren – ich meine, ob man es kann, also einen umzubringen, meine ich, man ist ja schließlich nicht als Mörder auf die Welt gekommen, oder... Und man sich die Frage beantworten, will ich so aus der Welt gehen? Nicht alleine? Aber die große Frage ist doch: Wen und wie? Und kann ich überhaupt jemanden um die Ecke bringen?“

„Wen?“, sagte der Graf, „Das findet sich, die andere Frage ist das Wie? Waffen gibt es nicht an der Ecke zu kaufen.“

„Man muss doch nicht immer schießen“, sagte Wolf-Dieter leise, „es gibt Gift, Messer, Eisenstangen, Strom, Unfälle... Man kann vom Balkon stürzen. Wahrscheinlich gibt es fast so viele Arten zu sterben, wie es Menschenleben gibt.“

„Naja schon, vielleicht. Aber jemanden zu erstechen, also, denkt nur mal, zum Beispiel dreimal zustechen, um sicher zu sein, dass man eine große Aorta oder so getroffen hat... all das Blut! Ekelhaft! Ich weiß nicht, ich glaube, das könnte ich nicht.“

„Ja, im Fernsehen werden auch fast alle erschossen, andererseits, neulich wurde eine Frau in der Badewanne ertränkt.“

„Nun komm erst mal an jemanden heran, der oder die nackt in der Badewanne sitzt, da musst du schon sehr eng mit der oder dem sein. Nee, das Erschießen scheint mir noch am einfachsten zu sein. Zielen, Finger krumm machen und... Bumm!“

„Ja, Finger krumm und bumm... das hört sich einfach an – aber du musst auch erst einmal eine Wumme haben.“

„Wumme?“, fragte Sarah, „Du meinst eine Pistole?“

„Pistole, Revolver, Gewehr.“

„Wo hatte Hannelore ihre denn her?“

„Von ihrem Vater, aus dem Krieg, hast ja gehört.“

„Und die hat noch funktioniert?“

„Offenbar, ganz offensichtlich.“

„Aber mit Pistole oder Revolver ist es ja nicht getan. Du brauchst Munition!“

„Hat denn nicht jemand eine?“, fragte Hanna.

Alle schauten sich an, dann schüttelte der Graf den Kopf: „Offenbar nicht.“ Tante Greten stand leise auf und murmelte, dass sie gleich wieder da sein würde.

„Warum habt ihr denn die von der Hannelore nicht mitgenommen, die hat sie doch nicht mehr gebraucht.“

„Weil die Bullen dann sofort gewusst hätten, dass da noch jemand am Tatort gewesen war.“

„Ach so, ja, klar - und dann hätten die natürlich gesucht.“

„Also brauchen, ich meine, im Falle eines Falles bräuchten wir Pistolen. Kennt sich denn jemand damit aus? Und woher kriegen wir die?“

„Kriegt man die nicht im Bahnhofsviertel?“, fragte Sarah, „ich meine, ich brauche ja keine, aber...“

„Ich weiß nicht so recht“, sagte der eher praktisch veranlagte Udo, „da kann man doch schlecht auf einen verdächtig aussehenden Typen im Hauptbahnhof zugehen und ihn fragen, ob er zufällig eine oder mehrere Pistolen zu verkaufen hat.“

„Ausprobieren?“, fragte Edgar.

„Was? Jemanden fragen?“

„Nein. Ich meine, man müsste sich da mal ein bisschen rumtreiben und erst mal schauen.“

„Ich habe mal gehört, dass auf dem Flohmarkt in Riem…“

„Das ist doch dasselbe Problem. Wie erkennt man, ob jemand eine Waffe zu verkaufen hat. Da schreibt doch niemand auf sein Schild, dass es bei ihm Knarren gibt, wie neu, kaum gebraucht und auch sehr preiswert, wie stellst du dir das denn vor?“

„Also ich hätte immer Schiss, auf einen Undercover-Agenten zu treffen.“

„Gibt es so etwas in Riem?“

„Keine Ahnung, vielleicht?“

„Also was nun, Leute, ein großer Plan schnell beerdigt?“

„Nein, wir machen das wie die Politiker.“

„Hä?“

„Arbeitsgruppe! Wir bilden eine Arbeitsgruppe „Waffenbeschaffung.“

„Und was macht die dann?“

„Erst einmal die theoretischen Grundlagen schaffen.“

„Und die wären?“

„Erstens: Was gibt es für Waffen? Zweitens: Welche sind für uns geeignet? Drittens: Wo bekommen wir die her? Und viertens: Was kosten die?“

„Dafür braucht es doch keine Recherche: 22er Pistole. Steht in jedem vernünftigen Krimi. Die Waffe der Profikiller. Die Kugel geht in den Kopf rein aber nicht wieder heraus, sie prallt so lange von den Schädelknochen ab und flitzt dabei kreuz und quer durch das Gehirn, bis die Energie verbraucht ist. Absolut tödlich und sauber“, sagte Hanna, „das weiß doch jeder Krimileser!“

„Ach nee“, meinte der Graf, „dann bist du also das erste Arbeitsgruppenmitglied?“

„Nein, dazu braucht es Beine, die laufen könnten - und schau meine an... Ich käme nie weg, falls es einmal knapp werden sollte.“

„Mit dem Rennen tun wir uns alle schwer.“

„Nein, das meine ich ja nicht, bei mir ist es ja auch das Laufen im Sinne von Gehen; ich habe auch nicht die Nerven dafür. Und ich sehe euch schon durch Polen und durch die Ukraine fahren. Ich habe einen anderen Vorschlag: Ich mache den Finanzier! Diese Arbeit machen Udo und der Graf, schlage ich vor.“

„Per Akklamation angenommen“, sagte Wolf-Dieter, „dann legt mal los, ihr beiden! Ich schlage vor, ich mache erst ein paar Internetrecherchen in wechselnden Internet-Cafés natürlich, und dann sollte einer von uns in den Lesesaal der Staatsbibliothek gehen, da ist man ziemlich anonym. Ich habe da vor Jahren mal ein Buch gefunden, das ging über Rechtsmedizin – alle Arten zu morden waren darin beschrieben und wie die Polizei sie nachweist. Vielleicht finden wir es ja wieder?“

Er musste eine kurze Hustenpause einlegen und fuhr dann fort: „Ich meine, eigentlich könnten wir alten Zausel in unserer Situation ja sogar mit rauchender Pistole neben dem Opfer stehen bleiben, uns traut keiner was zu, aber was, wenn einer zwei oder drei Leute umnieten will – und man muss sich ja auch nicht gleich selber wegwerfen.“

„Sag mal“, sagte Sarah entgeistert, „sprichst du jetzt von Massenmord, oder was? Bist du krank? Ich meine, wir reden hier ernsthaft davon, dass und wie wir ein paar Leute umbringen, die uns früher mal etwas angetan haben, das ist ja schon krank genug, finde ich, aber jetzt jeder gleich mehrere bis viele vielleicht?“

„War nicht so gemeint“, lachte Wolf-Dieter sie an und dachte insgeheim, dass sie eigentlich ja Recht hätte.

„Nun mal halblang mit den jungen Pferden“, sagte der Graf, „noch machen wir gar nichts, weil wir gar nichts machen können.“

„Aber wenn, dann doch...“

„Aber erst dann!“

„Und wenn wir die Pistolen haben?“

„Dann?“

„Dann muss jeder für sich entscheiden, was er damit machen will. Keine Absprachen, kein Reingerede.“

„Aber man darf die anderen dabei nicht gefährden.“

„Nein, keinesfalls!“

„Fünfundneunzig Prozent der Morde werden aufgeklärt, weil enge Verwandte die Mörder waren, oder weil enge Beziehungen zwischen Opfer und Mörder bestanden“, sagte Hanna, „die findet die Polizei schnell.“

„Solche sind ausgeschlossen!“

„Und den Rest der Mörder kriegen sie, weil die dem Geld folgten. Unsere Opfer dürfen also keine Verwandten sein, zumindest keine nahen, und wir dürfen keinen Profit aus der Sache ziehen. Nur Befriedigung! Dann haben wir gute Chancen, davon zu kommen“, ergänzte Hanna.

„Obwohl das eigentlich nicht wichtig ist, das Davonkommen, meine ich“, gab der Graf zu bedenken, „aber gleich beim ersten Mal danach Selbstmord, nein danke!“

„Jetzt ist der schon wieder beim Massenmord“, stöhnte Sarah.

„Nein“, sagte der Graf, „aber ich bleibe auch nicht neben der Leiche stehen – oder vielleicht doch, wenn`s mich nämlich umhaut, moralisch oder so. Aber man kann`s doch auch sportlich sehen, oder?“

Sarah stöhnte nur lauter auf und sagte nichts.

„Naja“, sagte Hanna lächelnd in die Runde, „ich habe noch eine ganz besondere Flasche Champagner aufgehoben, vielleicht ist jetzt der Moment, sie zu köpfen? Sarah, wärest du so nett? Sie steht auf Eis in der Speis, und Wolf-Dieter, holst du die Gläser?“

Udo öffnete die Flasche ganz zart und goss die Gläser voll. Als er Tante Greten ihres geben wollte, schaute er suchend in die Runde: „Nanu, wo ist sie denn hin, unsere Alterspräsidentin?“

In dem Moment ging die Tür auf und Tante Greten kam herein. In ihrer Hand hielt sie einen in einen grauen Lappen eingewickelten Gegenstand, den sie auf den Tisch legte. „Hier“, kicherte sie, „ich bin bereit“, und damit wickelte sie eine alte Pistole aus, „was die Hannelore hatte, habe ich schon lange.“ Alle schauten sie verblüfft an. „Tante Greten“, sagte Hanna, „ich wusste ja gar nicht...“

„Ach, Kindchen“, sagte Tante Greten, „Du weißt so viel nicht! Von mir aus kann`s losgehen!“. Sie nahm ein Glas und sagte fröhlich in die Runde: „Prost! Habt ihr schon wen?“

„Was meinst Du?“, fragte Hanna.

„Ob ihr schon einen ausgeguckt habt? Ich bin bereit!“. Sie schaute jetzt listig in die Runde, „wisst Ihr, mit sechsundsechzig Jahren mag das Leben angefangen haben, sagt Udo, Udo Jürgens! Nicht Du, Udo. Aber mit achtundachtzig hat man nicht mehr viel Zeit. Da eilt das, alles, meine ich? Also wer?“

„So schnell schießen die Preußen nicht, Tante Greten“, sagte Udo lachend.

„Hab` ich mir doch gedacht, dass ihr nix gebacken kriegt!“, antwortete Tante Greten und wickelte die Pistole wieder ein, „naja, jedenfalls wisst Ihr, wo ihr eine herbekommen könnt.“ Drehte sich um, sagte „Gute Nacht!“, und verschwand.

Aber kaum war die Tür hinter ihr zu, öffnete sie sie wieder, schaute Udo an und fragte: „Udo, hast du morgen Vormittag mal Zeit, für mich – der Wasserhahn tropft, das nervt! Oder kommst du zum Frühstück? Dann bekomme ich auch mal Semmeln.“

„Klar“, sagte Udo, „ich hole Brötchen. Ich komme so gegen zehn.“

Jetzt verschwand Tante Greten endgültig.

Hanna schaute stolz in die stumme Runde, lachte laut auf und meinte: „Wer hätte das gedacht, meine Tante Greten...“

„Ab sofort: Unsere Tante Greten!“ sagte der Graf, der froh war, endlich zur Toilette gehen zu können „machen wir Schluss für heute.“ Und damit löste sich die Runde auf.

Morituri

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