Читать книгу Zen und die Kunst des Bügelns - Klaus Bodenstein - Страница 10

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Der Weg zurück nach vorn

Am nächsten Tag um vier brachte Benjamin Charlotte eine Packung Darjeeling-Tee mit, für den er sich im Teeladen zehn Minuten lang beraten lassen hatte. Diesmal gab sie ihm wieder ein Küsschen zum Empfang.

Charlotte setzte Tee auf, Benjamin nahm den gleichen Platz ein wie am Vortag.

»Was machst du eigentlich als Biologe?«, setzte sie das Gespräch fort, als sie bequem vor ihrem Tee saßen, umwabert von Räucherstäbchen-Duft. »Und wenn du ein Jahr Auszeit genommen hast, wie hat sich dieses Sabbatical auf deine Arbeit ausgewirkt?«

Jetzt musste Benjamin nachdenken. Hatte das seine Arbeit beeinflusst?

»Na ja.« Er blies die Backen auf und stieß die Luft aus wie nach einer überstandenen Gefahr. »Vielleicht. Vielleicht hat sich mein Interesse an anderen Lebensformen verstärkt und sich das Interesse an Menschen, na ja, relativiert. Vor allem, wenn ich sehe, wie wir Menschen mit der Natur umgehen, und welchen Reichtum, welche Schönheit wir da gedankenlos vernichten.« Charlotte nickte.

»Weißt du, wir machen nur ein Drittel Promille der weltweiten Biomasse aus, aber wir nutzen weit mehr als die Hälfte aller Landflächen, Südpol, Sibirien und Grönland mitgezählt, wir verbrauchen zwei Drittel allen Süßwassers, das gesamte Grundwasser, alle Rohstoffe und einen Großteil aller Nahrungsmittel für uns selbst. Für die Natur bleiben nur Brosamen.« Benjamin hatte sich erregt bei seiner Aufzählung wiederholt auf den rechten Schenkel geklopft, und Charlotte sah gebannt auf seine Hand.

»Ja.« Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. »Das ist mir bekannt. Aber was willst du machen? Das Rad zurückdrehen geht nicht. Zurück zur Natur? Schön wär’s. Wir würden alle zugrunde gehen, die Verteilungskriege würden die Welt dann vollends vernichten.«

»Hm.« Benjamin war nicht überzeugt. »Technologie hat uns hierhergebracht, Technologie muss uns auch wieder rausbringen. Außerdem müssen wir diesen Raubbau zurückfahren. Wir müssen sparsamer mit allem umgehen, nicht mehr entnehmen, als wir zurückgeben. Eigentlich müssten wir sogar mehr zurückgeben, als wir entnehmen. Frag mich nicht wie. Wir sind so viele, über sieben Milliarden. Von denen will jeder am Liebsten so leben wie die Reichsten unter uns. Völlig unmöglich.«

Er sog hörbar Luft durch die Nase ein. »Ich fürchte, angesichts dieser weiter wachsenden Zahl werden alle wie auch immer gearteten Bemühungen scheitern. Das macht mich traurig und nimmt mir den Mut.« Benjamin ließ die Hände auf seinen Schoß gleiten und starrte auf seine Strümpfe. Die Schuhe hatte er diesmal gleich ausgezogen.

»Wir haben nur diesen einen Planeten, und wir gehen rücksichtslos damit um, wir vernichten und verdrängen alles andere, Tiere, Pflanzen, das Leben im Meer, zum Schluss dann auch uns selbst. Wie die Hefe in der Maische. Sie vermehrt sich so lange, bis sie am Alkohol erstickt, den sie selbst erzeugt. Wir sind zu viele, viel zu viele für diese Welt, so wie wir leben, so wie wir alle Ressourcen nur in eines verwandeln, in Müll. Auf dem Land, in allen Ozeanen, sogar auf dem Mount Everest ist alles zugemüllt.«

Benjamin seufzte, erschöpft und betreten angesichts seines Gefühlsausbruchs.

»Ist das der Sinn unserer Zivilisation? Müll? Manchmal habe ich exakt diesen Eindruck.«

Er nahm seine Tasse und trank den Tee in einem Zug durstig aus. »Das ganze Wachstum, dieses allein selig machende Allheilmittel, dieses viel gepriesene Wachstum, ist doch am Ende nur die Summe dessen, was wir verbraucht und weggeworfen haben. Am Ende landet alles auf dem Müllplatz, und ich fürchte, wir auch.«

Charlotte schnaufte durch die Nase. Benjamin war nicht sicher, ob das ein Lachen oder Widerspruch gegen das war, was er gesagt hatte. Ihr schöner Busen zappelte, als sie bei diesem Schnaufer den Kopf leicht zurückwarf. »Putzig«, sagte sie schließlich.

»Wie bitte?«, fragte Benjamin ungläubig nach. Putzig?

»Du hast mir zwar nichts von deiner Arbeit erzählt, aber mich an meine eigene Arbeit erinnert«, sagte sie und griff zu ihrer Teetasse, trank aber noch nicht. Stattdessen lehnte sie sich im Sessel zurück und stellte die Tasse auf ihren hochgezogenen Knien ab.

»Genau damit beschäftige ich mich seit einer Weile, am Institut«, erklärte sie. »Mit der Bevölkerungsproblematik, dem exponentiellen Wachstum. Egal wie wir wirtschaften, egal wie viel Kohlendioxid wir einsparen, egal ob wir alle aufhören, Fleisch zu essen oder Auto zu fahren. Mit einem exponentiellen Wachstum der Menschheit ist alles von vornherein verloren. Es ist schrecklich. Dass wir selbst das sind. Wir beide eingeschlossen.«

So betrübt hatte Benjamin sie noch nicht gesehen. Wo war ihre allgegenwärtige Fröhlichkeit geblieben?

»Aber am meisten zerstören wir durch unsere Aggressivität«, seufzte sie. »Überall wo du hinschaust, gibt es Krieg und Zerstörung. Wir sind zu aggressiv. Schimpansen. Alles, was erfunden wird, kann und wird als Waffe verwendet werden. In dem Bereich findest du das allergrößte Wachstum und die größten Profite. Macht bewegt die Starken. Vernichtung ist egal, solange es die Vernichtung der anderen ist. Das Streben nach Macht, das ist unser größtes Übel, nicht Sex, und die aus dem Machtstreben folgende Vernichtung von Menschen, Kultur und Werten.« Sie bemerkte seinen offenen Mund. »Und der Natur, ich weiß, was du sagen willst.« Sie fuhr fort. »Der Krieg ist der Vater allen Unheils. Schau dir nur all die vielen Millionen Flüchtlinge weltweit an.«

Sie erhob sich, ging in den Küchentrakt und setzte einen neuen Kessel mit Wasser auf. »Vielleicht kann man was tun«, rief sie Benjamin zu. »Vielleicht können wir ja etwas ändern. Wir beide. Du und ich.«

Eine Weile war es still in der Wohnung. Dann stand Ben auf und ging ihr nach.

»Selbst wenn wir alle friedlich wären, sind wir trotzdem einfach zu viele«, behauptete er. »Wenn alle reich genug sind, werden wir vielleicht weniger. In hundert Jahren. Aber können wir darauf warten? Die meisten Leute auf der Erde sind jung, gerade in Indien, China und Afrika, die werden noch lange leben und viele Kinder kriegen.« Jetzt reden wir schon übers Kinderkriegen, dachte er.

»Wir müssen anders leben. Wir müssen zurück. Auf einer technologisch höheren Stufe, die uns ein gutes Leben ermöglicht, aber trotzdem zurück, mit weniger leben, damit die ganze Welt überleben kann.«

»Da hast du schon recht, Zen«, antwortete sie sanft. »Das ist der Natur aus dem Ruder gelaufen, dass wir uns so vehement vermehren, ohne Kontrolle, ohne Gegengewicht. Normalerweise regelt sich das von selbst. Über Fressfeinde. Über Seuchen. Über Selbstregulierung. Über Kriege. Und da ist der Punkt, wo ich die Kurve nicht kriege. Da komme ich mit meinem Ansatz nicht weiter. Wenn wir weniger aggressiv wären, gäbe es noch weit mehr Kinder. Wenn wir wie die Bonobos alle Konflikte friedlich lösen würden. Müssen wir so aggressiv sein? Ist das unser Auftrag? Das ist doch schrecklich!«

Sie sah zum Kessel, der stumm blieb. Stattdessen trat sie zu ihm und schmiegte sich mit ihrem Kopf an seine Brust. So als ob er sie von nun an behüten sollte.

»Tja«, stimmte Benjamin ihr zu und schluckte. »Für uns gibt es keine natürliche Regulierung mehr. Wir haben alle Fressfeinde ausgerottet und alle Krankheiten besiegt. Glauben wir zumindest.«

Charlotte löste sich von ihm und sah ihn an.

»Glauben?«

»Unsere wirklich gefährlichen Fressfeinde werden wir niemals besiegen. Bakterien, Viren, Pilze. Die haben wir eine kurze Zeit lang, hundert, hundertfünfzig Jahre, in Schach gehalten. Aber bald haben wir mehr resistente Arten, als wir Mittel dagegen entwickeln können. Schon heute gibt es Arten, gegen die auch noch so gute Breitband-Antibiotika nicht mehr helfen. Die tauschen ihr Erbgut schneller untereinander aus, als wir hoppla sagen können.«

»Bakterien? Ich dachte, zum Tausch von Genen braucht man Sex?« Sie trat näher an ihn heran, ihr Busen berührte ihn unter seiner Brust. Benjamin fühlte seinen Atem schneller gehen.

»Schon richtig«, pflichtete er ihr bei. »Sex ist wichtig.« Und jetzt reden wir über Sex. Rein wissenschaftlich, natürlich. Benjamin machte einen Schritt zurück, als ob er den Teekessel überprüfen wollte.

»Bei komplexen Mehrzellern wie uns, ja. Da hat Sex sich als Vorteil erwiesen.« Benjamin konnte sich nicht recht konzentrieren. Wo war er stehen geblieben? Er fühlte, wie sein Glied sich regte und wie sich seine Hoden langsam hin und zurück drehten. Die Präsenz von Charlotte war zu überwältigend.

Ach ja. Er hatte seinen Faden noch. »Bakterien. Die brauchen keinen Sex. Wenn genug davon versammelt sind, werden sie richtig kommunikativ und sehr basisdemokratisch. Quorum Sensing nennt man das, das kennst du bestimmt. Das ist wie bei einer Abstimmung. Sie tauschen dabei massiv Informationen aus.«

Sie grinste. Er musste seine Theorie verteidigen.

»Wirklich, die reden miteinander, über chemische Signale, über kleine Moleküle. Über die reden sie untereinander und sogar mit uns, mit unseren Darmzellen zum Beispiel. Ihre Plasmide besitzen ringförmige DNA-Abschnitte, mit denen sie Resistenzen und andere nützlichen Informationen übertragen können, auch an andere Bakterienarten oder sogar an Mehrzeller wie uns.« Benjamin dachte kurz nach.

»Die verändern sich schneller als die Polizei erlaubt. Vor Kurzem haben Forscher ein Virus beobachtet, das sich in einer neuen Umgebung innerhalb von zwei Wochen selbst so umgebaut hat, dass es Bakterien knacken konnte, die es vorher noch nie getroffen hatte. Noch nie. In zwei Wochen.«

Charlotte sagte nichts und trat an den Herd. Der Kessel fing für ihn erst zu pfeifen an, als sie ihn bereits erreicht hatte. Was für ein feines Gehör, dachte Benjamin.

»Das sind die dominanten Arten auf dem Planeten«, fuhr er fort, während sie den Tee aufgoss. Sie gingen zurück ins Wohnzimmer und setzten sich. Benjamin fuhr fort.

»Nicht der Homo sapiens, der doch eher ein Homo fatuus ist. Der dumme Mensch. Bakterien leben seit Milliarden von Jahren hier, die haben alle Bereiche erobert, von den unwirtlichsten Stellen der Erde über unsere Därme und unsere Haut bis in die Atmosphäre, sie machen die Hälfte der gesamten Biomasse aus, sie entwickeln sich fortwährend weiter und sind hoch anpassungsfähig. Sie haben uns kolonisiert. Die überstehen jede Katastrophe, wir nicht. Die benutzen uns wie wir unser Vieh. Die sind die Herren des Planeten, nicht wir.«

Hatte sie ihm eigentlich zugehört? Sie schien nachzudenken, hatte ihre Position auf dem Sessel wieder eingenommen, mit überkreuzten Beinen, zurückgelehnt in den Polstern, die Hände im Schoß. Sie sah ihn an oder durch ihn hindurch, so genau konnte er das nicht erkennen.

»Ich arbeite an etwas ganz anderem«, sagte sie nach einer Weile. »Nämlich der Beziehung zwischen der Verfügbarkeit von Nahrung und sexueller Vermehrung. Tee?«

»Gleich. Äh – wo ist denn deine Toilette?« Sie lachte. »Ach so. Da drüben.« Sie zeigte auf eine Tür schräg hinter sich.

Als er zurückkam, hatte sie ihm bereits neuen Tee eingegossen. Im Hintergrund perlte leise Klaviermusik. Benjamin setzte sich wieder.

»Was ich meine, ist was anderes«, fuhr Charlotte fort, »Bei Nahrungsmangel bleibt bei vielen sich sexuell fortpflanzenden Spezies der Zyklus aus, auch bei Säugetieren. Mit der Ernährung verschiebt sich über die Zeit alles. Du kennst das«, behauptete sie.

»Die Mädchen heute bekommen ihre Periode früher und früher und die Frauen bleiben länger fruchtbar.« Sie sah ihn an.

Benjamin schloss die Augen und zog die Knie nach oben. Er durfte sie nicht so ansehen, wenn sie über Fruchtbarkeit redete.

»Das war nicht immer so«, erklärte sie. »Es gibt Gensequenzen, die all das regeln. Das kann sich auch wieder umkehren. Oder umkehren lassen. Verstehst du?«

»Willst du die Leute aushungern? Das ist doch nicht dein Ernst, Charlie.« Benjamin glaubte ihr nicht.

Sie lachte. »Nee. Was man früher für DNA-Müll gehalten hat, ist eher die eigentliche Software, die kodierenden Sektionen der DNA sind eher der Speicher, die Bibliothek. Nicht alles läuft über Proteine.« Sie knipste eine Stehlampe neben sich an, es war dunkel im Raum geworden. »In den nicht kodierenden Abschnitten befinden sich die eigentlichen Schätze, die Moderatoren der kodierenden DNA. Die hat noch niemand wirklich gehoben.«

»Ich verstehe den Zusammenhang nicht«, gab Benjamin zu.

»Na ja – ich habe ein paar Sequenzen entdeckt, die die weibliche Periode verkürzen oder verlängern können oder sogar komplett ausfallen lassen. Bei den Schimpansen am Primatenzentrum hat das funktioniert.«

»Ihr experimentiert mit Menschenaffen?«, empörte er sich.

Sie schüttelte den Kopf. »Nee, so war das nicht. Eine Schimpansin war krank, sie hatte riesige Probleme mit ihrer Regel, die dauerte zwei Monate, viel länger als die üblichen fünfunddreißig Tage, und sie hatte die ganze Zeit wahnsinnige Schmerzen. Durch sie bin ich überhaupt erst auf dieses Phänomen gestoßen.«

»Die haben fünfunddreißig Tage lang ihre Tage?«, fragte Benjamin ungläubig.

»Ja.« Sie nickte ernsthaft. »Aber nicht so regelmäßig wie Menschen. Bei vielen Säugetieren ist das saisonal bedingt. Du weißt doch, Katzen und Hunde. Einmal im Jahr, vielleicht zwei- oder dreimal. Das kann völlig unterschiedlich sein. Bonobos zum Beispiel können und wollen immer, wie Menschen.« Benjamin nickte mit gerunzelter Stirn. Langsam gingen ihm die Hinweise auf das Lustverhalten dieser Hippie-Affen auf den Keks.

»Andere Arten haben im Leben überhaupt nur zwei, drei Mal die Chance zur Fortpflanzung, und müssen dann unbedingt erfolgreich sein, sonst gehen sie unter.« Charlotte war bei ihrem Thema und geriet in Fahrt. »Und dann ist da die Anzahl des Nachwuchses. Auch bei Menschen gibt es ja Zwillinge und Mehrlinge, bei anderen Arten ist das eher die Regel, aber die leben auch nicht so lange wie wir.«

»Andere Strategien.«

»Ja. Aber die sind an die Umwelt angepasst. Das Erstaunliche dabei ist, dass die Gene dafür fast identisch sind, ob Mensch oder Schwein, Schmetterling oder Alge. Wir gehen alle nur unterschiedlich mit unseren Programmen um, und die Arbeitstiere in den Zellen, die vielen verschiedenen RNAs, entscheiden, was sie dazu an- oder abstellen müssen. Das ist so unendlich viel dynamischer, als wir bisher alle dachten.«

»Epigenetisch, über Methylgruppen.« Benjamin hatte darüber gerade etwas gelesen.

»Ja. Unter anderem.«

»Du könntest also die menschliche Periode später eintreten lassen, weniger oft auftreten lassen, und früher enden lassen. Oder sie komplett abschalten. Die Menschen würden später und weniger Kinder bekommen. Oder gar keine. Rein hypothetisch.«

»Rein hypothetisch.«

»Aber wie soll das funktionieren? Die Natur würde das sofort wieder korrigieren. Sie lässt so etwas nicht zu. Unser komplettes genetisches Programm steht dagegen. Es gibt doch bestimmt jede Menge andere Programmteile, die sicherstellen, dass wir uns optimal vermehren.«

»Vermutlich. Aber ich wüsste auch gar nicht, wie ich das anstellen sollte. Bei einer einzelnen Schimpansin vielleicht. Bei einer einzigen Patientin, die ich dazu genau studieren müsste. Da ginge das. Aber im größeren Stil vermutlich eher nicht. Das wäre völlig abwegig. Wir können der Natur doch nicht ins Handwerk pfuschen.«

»Machen wir doch jeden Tag. Wir rotten die komplette Natur um uns herum aus.«

»Na ja.« Charlotte war sich nicht so sicher. »Aber wenn das rein theoretisch tatsächlich ginge, dann wäre nicht nur die Möglichkeit zu Fortpflanzung, sondern bald auch der Trieb weg. Wie in deinem letzten Jahr, Zen. Kaum Sexualhormone, keine Lust. Keine sexuellen Glücksgefühle mehr, keine Erotik. Ein anderes Leben, ein graues Leben. Würdest du das wirklich wollen?«

»Also ich jetzt gerade nicht«, kam es spontan aus Benjamin heraus. Er hatte Lust, Lust auf mehr. Das war es doch, oder nicht? So einer reizenden und gut riechenden Frau im Dämmerlicht gegenüber zu sitzen, einer hinreißenden Frau, mit ihrem erregenden und irritierenden Körper, mit diesem Chrysanthemen-Zimt-Brausepulver-Duft, der in Wellen zu ihm herüber waberte, mit diesem physikalisch fast unmöglichen Busen, diesem süßen Wackelpudding, darauf sollte er verzichten?

Charlotte schlug gerade betont langsam ihre langen Beine übereinander. Nee. Nie im Leben. Auch wenn er kurze Zeit vorher noch ganz anders gedacht und gefühlt hatte.

Kampflos wollte er seine früheren Argumente dennoch nicht aufgeben. »Für mich war das wundervoll. Nicht grau. Bunt, so bunt wie alle Blumen in der Natur zusammen. Die Befreiung von dieser ständigen sexuellen Not war für mich eine Art Glückseligkeit. Ist sie irgendwie noch. Das schwächt sich über die Zeit leider ab. Oder Gott sei Dank, da bin ich mir nicht so sicher, Charlie.«

»Das würde dann allen Männchen so gehen. Ohne Östrus kommen die nicht in Gang. Das ist bekannt. Wenn die Hündin nicht heiß ist, sind auch dem Rüden andere Dinge wichtiger.«

»Hm.« Hatte sie gerade Männchen gesagt?

»Doch. Sprache, Verhalten, Gebärden, das alles verändert sich, ob du's merkst oder nicht. Das geht automatisch. Die Gene haben das voll im Griff.«

»Ich denke schon, dass ich das merke,«, grinste Benjamin. Charlotte lachte. Das war offensichtlich, so wie er sie anschaute. Charlotte fuhr in ihrer Überlegung fort.

»Selbst wenn das funktionieren würde, das kann man nie auf globaler Basis hinkriegen. Bei ein paar Frauen vielleicht. Aber wenn nur einige wenige diese veränderten Gene oder die richtige RNA hätten, würde es doch wahnsinnig viele Generationen brauchen, bis sich das ausgebreitet hätte.« Charlotte zog eine nachdenkliche Schnute.

»Nee. Das würde überhaupt nicht klappen.« Benjamin beugte sich etwas vor, ihrem Duft folgend. »Die wären den normalen Frauen gegenüber im Nachteil. Die würden sich nicht vermehren, oder nicht so früh und so oft wie andere. Großer evolutionärer Nachteil. So eine Mutation würde sofort wieder aussterben. Keine Chance.«

»Siehst du«, pflichtete sie ihm bei. »Du hast recht. Entweder alle oder keine. Und das kann nicht funktionieren. Wir wollen uns ja schließlich nicht selbst ausrotten.«

Benjamin lehnte sich in seinem Sessel zurück, streckte die Arme nach hinten und die Beine weit von sich. Eigentlich hätte er Charlotte jetzt gern an sich gezogen und sie geküsst. Und umarmt. Und womöglich langsam ausgezogen. Aber sie hatte ihm keine Zeichen gegeben. Von selbst mochte er nicht initiativ werden.

Ob er schon wieder so weit war, wusste er auch nicht.

»Gott, nee. Nicht wirklich. Aber ein geordneter Rückzug aus der Natur, um sie zu erhalten, das wäre schon okay«, fand er. »Nur noch ein Kind, mit dreißig, fünfunddreißig. Zwei erst wieder, wenn die Weltbevölkerung auf eine Milliarde oder weniger zurückgegangen ist. Eine sinkende Tendenz. Wir sind ja eine langlebige Art. Vielleicht sollten nur wenige Frauen überhaupt noch Kinder bekommen.«

Er musterte ihr im Halbdunkel liegendes, geheimnisvoll wirkendes Gesicht, merkte aber, wie sein Blick sich automatisch auf ihre Brust und ihre Hüften senkte. »Ist doch bei vielen Arten so. Ameisen und Bienen zum Beispiel. Oder Wölfe. Nur das Alphamännchen und das Alphaweibchen paaren sich.«

Er sah ihr direkt in die Augen.

»Und du wärst dann das Alphamännchen, was?«, neckte sie ihn. Benjamin wurde schon wieder rot. Charlotte bemerkte es und überspielte die Situation.

»Weißt du was? Ich habe jetzt Hunger«, sagte sie, und stellte ihren Tee auf den Tisch. »Trink aus. Komm!« Sie stand auf, reichte ihm die Hand und zog ihn aus seinem Sessel. »Wir zwei gehen ins Alfredo, was essen. Ich möchte jedenfalls nicht aussterben!«

Zen und die Kunst des Bügelns

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