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Die Kunst des Bügelns

Charlotte kam mit einem stark gebrauchten Bügelbrett mit blauen Mustern und einem Dampfbügeleisen zurück. Sie stellte das Brett neben der Küchentür auf und hielt ihm die Schnur des Eisens hin, mit einem hilflosen Lächeln auf den vollen Lippen. Benjamin fummelte den Stecker in eine Steckdose unter einer Anrichte, während Charlotte einen Korb mit Wäsche aus der Küche holte.

»Hier.« Sie warf ihm eine noch leicht feuchte Bluse zu. »Dann fang mal an.«

Die Biologin setzte sich an den Tisch und goss sich den letzten Rest Tee in die Tasse. Sie schlug die langen Beine übereinander und lehnte sich beobachtend zurück. Benjamin fielen ihre nackten Füße auf, und die Sauberkeit auf dem Fußboden. Und er lief hier in seinen Straßenschuhen rum. Peinlich. Schon wieder. Er zog seine Treter aus und brachte sie zur Tür und stellte sie auf einem Regal ab, das ihm vorhin entgangen war.

Was hat das jetzt mit Zen zu tun, fragte er sich, als er zurückkam. Brauchte sie nur einen Idioten für ihre Wäsche?

Was sollte er jetzt machen? Sie sagte ihm nichts und sah nur erwartungsvoll und ein wenig belustigt zu, wie er da mit der feuchten Bluse und einem Bügeleisen in seinen Händen in ganzer Länge vor dem für ihn viel zu niedrigen Bügeltisch mit den blauen Karos stand.

Er hob den Tisch an und hakte den Ständer am letzten Rastpunkt ein. Jetzt hatte er die richtige Höhe.

Was nun? Am Bügeleisen fand er einen Regler, auf dem Temperaturen und Stoffarten standen. Aha. Er suchte nach einer Waschanleitung in der Bluse und fand sie unten an einer Naht.

Die Bluse war ein Gemisch aus Seide und Baumwolle. Seide hatte die geringere Temperatur. Er stellte den Regler auf Seide, die höhere Temperatur für Baumwolle hätte der Seide vermutlich geschadet. Logisch. Er schaute hinüber zu Charlotte. Die schaute ausdruckslos zu, vielleicht ein wenig spöttisch.

Weiter.

Benjamin kam sich blöd vor. Er tippte kurz mit einem angefeuchteten Finger auf die Sohle des Eisens, er hatte das als Kind bei seiner Mutter gesehen. Das Eisen wurde schnell warm, und eine Kontrollleuchte ging aus. Temperatur erreicht? Musste wohl.

Benjamin sah sich das Bügeleisen genauer an. Es hatte noch ein paar Knöpfe, daneben Symbole für Wasser und Dampf, wenn er das richtig las. Dann war das ein Dampfbügeleisen. Er schüttelte das Eisen, da schwappte nichts. Für voll war es zu leicht.

»Hast du Wasser?«, fragte er Charlotte. Sie ging wortlos zur Spüle, öffnete eine Tür darunter und reichte ihm eine blaue Plastikflasche. »Destilliertes Wasser«, sagte sie. »Sonst verkalken die Düsen.«

»Ich dachte, Göttingen hätte so weiches Wasser«, entgegnete Benjamin. Er fragte sich, wozu er das hier machte, und kam sich entsetzlich blöd vor.

»Schon. Aber ganz weich eben doch nicht. Und ich möchte das Eisen noch eine Weile behalten. Hier.«

»Danke.« Benjamin fand den Einfüllstutzen, schraubte den Verschluss von der Flasche und goss vorsichtig Wasser ein. Bisher hatte er wohl alles richtiggemacht.

Charlotte hatte sich wieder hingesetzt, die Beine übereinandergeschlagen, und nippte am Tee. Er mochte gar nicht zu ihr hinsehen, so, wie er sich hier gerade blamierte.

Benjamin stellte das Eisen hochkant auf die Ablage des Brettes und nahm die Bluse in die Hand. Es war eine von Charlotte, wie er an den langen Abnähern unschwer erkennen konnte. Die sollte er nun also bügeln und dabei womöglich ein Zen-Erlebnis haben. Irgendwie wünschte er sich, er hätte lieber einen VHS-Kurs für Bogenschießen belegt. Bügeln, ausgerechnet Bügeln! Bescheuert. Alles sträubte sich in ihm. Hätte er ein Fell besessen, würden sich jetzt seine Rückenhaare aufrichten.

Zurück konnte er auch schlecht. Er musste hier durch.

»Vorbereitung ist die halbe Arbeit«, sagte er vage in ihre Richtung, während er sich überlegte, wie er am besten anfangen sollte. Das Bügeleisen klickte.

Der Rücken war die größte ebene Fläche, und Benjamin breitete die halbfeuchte und knittrige Bluse so gut es ging auf dem Bügelbrett aus, beugte sich darüber, das Eisen in der Hand, und setzte es zaghaft an. Während er es vorsichtig nach vorn schob und sich der Stoff unter dem Eisen entspannte und glättete, wie er zufrieden feststellte, schob sich der Stoff an der Spitze des Eisens wie Wellen vor einem Schiff zusammen.

Sobald er das Eisen weiterbewegte, verdichtete es die Wellen zu Falten. So ging das schon mal nicht.

Er legte die Bluse um und begann neben dem handtellergroßen glatten Stück erneut. Das ging ein kleines Stück gut, dann zog sich der Stoff wieder unter das Eisen, einschließlich des schon gebügelten Eckchens. Da war Spannung im Stoff, überall zog und zerrte es, der Stoff gehorchte ihm nicht.

Er musste ihn so auf das Brett legen, dass keine Zugspannungen im Stoff entstanden. Nur wie?

Er schaute sich die Bluse genau an. Er hatte von der Innenseite her gebügelt. Kein Wunder, dass das nicht ging, dachte er.

Die Ärmel, die seitlich herunterhingen, zerrten am Stoff, und auch die Vorderteile. Er drehte die Bluse um, so dass er den Rücken von hinten bügeln konnte; der Stoff fiel jetzt etwas natürlicher an den Seiten herunter. Das sah viel einfacher aus. Schon hatte er den größten Teil des Rückenstückes geglättet, mit nur einer größeren und einer kleineren Falte. Die mussten noch weg.

Benjamin legte sich den Stoff erneut zurecht und setzte das Eisen vom unteren Rand her an der großen Falte an. Er schob das Eisen darüber, aber jetzt hatte sich die ehemalige Falte eine faltige lange Raute verwandelt. Das musste doch rausgehen!

Letzten Endes war das angewandte Physik. Er hatte die Falte ja mit Wärme und Druck erzeugt, der Stoff war dabei getrocknet. Benjamin drückte auf den Knopf mit dem Dampfsymbol. Ein kleiner Strahl schoss schräg aus dem vorderen Teil des Eisens, eher kleine Tröpfchen als echter Dampf. Er lenkte den Strahl auf die halb geglättete Falte und versuchte es dann erneut mit dem Eisen. Bingo - die Falte war verschwunden. Benjamin sah triumphierend zu Charlotte hinüber.

»Du machst das viel zu technisch«, sagte sie. »Aber so weit, so gut. Mach mal weiter.«

Benjamin war jetzt im Schwung. Er verschob die Bluse und nahm sich den Bereich zwischen Rücken und Seitennaht vor, von unten bis hoch zum Ärmelansatz, nach dem gleichen Verfahren. Ein paar kleine Fältchen waren zwar da, aber entschuldbar, fand er. Das Gleiche auf der anderen Seite. Jetzt war er schon ziemlich weit, und es waren gerade mal zehn Minuten vergangen.

Jetzt die Vorderseite! Er nahm sich die rechte Seite vor, diesmal von vorn. Aufgrund ihres Gewichtes rutschte die Bluse ständig an der Seite herunter. Er stellte einen Stuhl neben das Bügelbrett, als Verlängerung, und legte den Rest der Bluse darauf ab, ohne größere Verwerfungen.

Der untere Teil war einfach, die Knöpfe waren auf der anderen Seite. Die Leiste mit den Knopflöchern fügte sich dem Eisen bereitwillig, und auch der Bereich zwischen Naht und Knopfleiste. Weiter oben wurde es kritisch. Wie er die Bluse auch hinlegte, Falten zwischen dem leicht gebogenen langen Abnäher, dem Busenteil der Bluse, und der Knopfleiste ließen sich nicht vermeiden. Das konnte er sich, der Bluse, dem Busen und Charlotte nicht antun.

Er dachte daran, wie sich ihre andere weiße Bluse stramm und elegant über ihr Fleisch gespannt hatte, vorhin im Café. Er sah zu ihr hin. Sie trug sie noch, und er konnte keine Falten erkennen. Vielleicht glättete sich der Stoff unter dem Druck des warmen Körpers ja auch von allein?

Das war nichts, woran er jetzt denken wollte. Er musste das glatt kriegen. Nur wie?

Das Bügelbrett hatte eine leicht abgerundete Spitze. Benjamin stellte den Stuhl um und einen zweiten dazu, auf den er den größten Teil der Bluse drapierte. Die Spitze des Bügelbretts lag jetzt da, wo sonst die Spitze der Brust liegen würde. Dennoch lag der Stoff nicht glatt; wie sollte er auch ein dreidimensional gestaltetes Gewebe, eine Riemannsche Fläche, komplett auf zwei Dimensionen reduzieren?

Das ging nicht, weder theoretisch noch praktisch.

Ben ging dazu über, den Stoff in diesem Bereich mit der Spitze des Eisens und viel Dampf Streifen für Streifen zu bearbeiten. Schließlich waren die gröbsten Falten verschwunden, der Rest, eher Wellen als Falten, würde sich unter der Wärme und dem Druck ihres Körpers entspannen und von selbst glätten, hoffte er. Er fragte sich, warum sie keine bügelfreien Blusen kaufte; oder war die etwa bügelfrei? Er linste herunter zum Etikett, konnte aber nichts erkennen. Das wäre ja eine schöne Blamage gewesen.

Nachdem er die linke Seite in ähnlicher Weise bearbeitet hatte, wobei er vorsichtig um die Knöpfe herum bügelte, kleine Unruhezonen um die Knöpfe herum hinterlassend, nahm er sich die Ärmel vor. Er breitete die Manschetten vor sich aus und schob das Eisen darüber. Nicht gut. Der Stoff wölbte sich an vielen Stellen auf, und wenn er das mit dem Eisen bearbeitete, bildeten sich Falten. Woran lag das? Das war zweilagiger Stoff, der normalerweise zu einem Zylinder geschlossen war. Also war die innere Lage ein wenig kürzer und die äußere länger. Wenn er das flach hinlegte, musste sich die längere äußere Lage wellen, um die Längendifferenz auszugleichen. Das war umgekehrt nicht so. Er krempelte den Ärmel auf links und bügelte die Manschette von innen. Da hätte er auch gleich drauf kommen können.

Er sah heimlich über ein leicht spiegelndes Bild an der Wand zu Charlotte hinüber; die schaute sich gerade sein Hinterteil an. Dabei wollte er sie nicht stören. Die Ärmel. Da war doch noch was.

»Hast Du so ein kleines Brett, für die Ärmel?«, fragte er. Auch das hatte er als Kind bei seiner Mutter gesehen.

»Brauchst du nicht.« Benjamin geriet in leichte Panik. Gott, was machte er hier eigentlich? Bügeln? Er bügelte einer fremden Frau die Wäsche? Gut, dass das niemand sah!

Die Vorder- und Hinterseiten der Ärmel waren einigermaßen gleich groß. Er konnte sie also aufs Brett legen und gemeinsam bügeln, erst von der einen, dann von der anderen Seite. Das war gut in der Theorie, aber als er den Ärmel umdrehte, waren auf der Unterseite doch zwei dicke Falten. Aber diese Seite wollte er ja noch bügeln. Er sprühte den Ärmel ein und bügelte die Falte vorsichtig aus. Jetzt war eine Falte auf der anderen Seite entstanden; immerhin nur noch eine. Er drehte den Ärmel noch einmal um, und jetzt sah es halbwegs ordentlich aus. Vielleicht waren noch ein paar Spuren von den Falten da, aber keine richtigen Falten mehr.

Benjamin wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn.

Nach dem anderen Ärmel, bei dem er ähnlich vorgegangen war, blieb noch der Kragen und die Schultern und das Oberteil des Brustbereiches. Er sah zu Charlotte hinüber; sie hatte schöne rundliche Schultern, die Bluse, die sie trug, saß wie angegossen, außer in der Mitte, wo mehrere Knöpfe offenstanden und den Blick auf ihr wunderschönes Dekolleté zuließen. Das gab ihm neuen Mut.

Das gleiche Problem; er musste Rundungen, eine dreidimensionale Form, auf eine Fläche projizieren. Er löste das Problem wieder dadurch, dass er den Rest der Bluse über die Stuhllehnen drapierte und die Rundungen nach und nach auf der Spitze des Bügelbrettes bearbeitete. Schließlich fand er, dass er jetzt fertig war. Mehr konnte er nicht mehr tun. Er hielt die Bluse hoch. Irgendwie fiel sie aber schief und sah merkwürdig unruhig und wellig aus.

»Hier.« Er reichte Charlotte sein erstes Meisterwerk. »Okay so?«

Sie lächelte ihn an. »Du hast Dir ja wirklich große Mühe gegeben«, freute sie sich.

»Du hast den Stoff gut analysiert. Physikalisch korrekt, würde ich sagen. Aber gebügelt hast du nicht. Das muss von selbst gehen, aus deinem Unterbewusstsein, sonst wird das nichts. Du musst eins mit der Bluse sein. Das muss von innen kommen, Zen.«

Sie nahm die Bluse entgegen, ging ein paar Schritte in die Küche hinüber und steckte sie wieder in die Waschmaschine, wie er von seinem Standort aus sehen konnte. Sie öffnete einen Schrank, nahm etwas heraus und kam zurück.

»Hier.« Sie drückte ihm ein dünnes Stück Pfefferminzschokolade in die Hand, und er fühlte, wie warm und weich ihre Hand war. »Für Deine Bemühungen.«

»Und?« Benjamins Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Wie war ich, hätte er fast gefragt, aber den Satz hatte er sich schon als Siebzehnjähriger abgewöhnt.

»Was meinst du denn selbst?«

»Das war mein erstes Mal. Gar nicht schlecht für den Anfang, oder?« Sie lächelte. »Na ja, vielleicht nicht gerade perfekt, aber doch mit viel – Enthusiasmus?«, fischte er nach einem Kompliment. Lob mich doch mal!

»Das besprechen wir in der nächsten Stunde, Zen. Ich muss jetzt los. Hast Du die fünfzig Euro?«

»Fünfzig Euro?« Benjamin bekam den Mund nicht mehr zu.

»Für den Kurs. Du sollst das schließlich ernst nehmen.«

»Ich bügele dir die Wäsche und soll noch dafür bezahlen?«

»Ja.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Das ist ein Kursus. Du wirst schon sehen. Da musst du dich schon ernsthaft drauf einlassen, sonst wird das nichts.«

Benjamin fragte sich, ob sie Geld brauchte. Die große Wohnung war bestimmt nicht billig, und was sie als Postdoc an Förderung bekam, konnte er sich nicht vorstellen. Viele bekamen gar nichts. Ob sie deshalb die andere Anzeige aufgegeben hatte?

Jetzt wollte er sich das gar nicht erst vorstellen. Das passte nicht zu ihr. Benjamin hatte mit Erstaunen wahrgenommen, dass er sie gut riechen konnte, er mochte ihren Duft, ihre Ausstrahlung. Und ihre Figur irritierte ihn nach wie vor, auf ganz animalische Weise.

Aber sie wollte gehen. Dann musste er auch gehen.

»Okay. Na gut. Ich weiß zwar nicht, ob das was bringt, aber lass uns das mal so machen. Außerdem … «, Benjamin schloss den Mund, schnaubte und entschloss sich, seinen Satz zu Ende zu bringen.

»Außerdem würde ich gern weiter mit dir reden. Wenn du Zeit hast, meine ich. Wir haben doch einiges gemeinsam, finde ich. Wie geht das jetzt weiter, Charlotte?« Er hatte sich ihren Namen langsam über die Zunge gehen lassen, wie ein köstliches Dessert. Wie eine Cassata Siciliana, assoziierte irgendein Speicher in seinem Gehirn. So eine süße Nachspeise hatte er letzte Woche serviert bekommen.

Benjamin wunderte sich über sich selbst. Er griff zu seinem Portemonnaie, nahm den Schein heraus und gab ihn ihr.

So bescheuert war er sich lange nicht mehr vorgekommen. Als ob er für schlechten Sex bezahlt hätte, den er nicht mal bekommen hatte.

»Danke, Zen. Du wirst das nicht bereuen, du wirst schon sehen. Kannst du morgen Nachmittag? Sagen wir, gegen fünf?«

»Ja. Gern!« Die Antwort war ihm leichtgefallen.

Sie hielt ihm die rechte Wange hin, Benjamin legte seine Wange dagegen und küsste die Luft vor ihrem Ohr. Der gleiche Duft wie im Café, der ihn so erregt hatte, stieg ihm schlagartig in die Nase; sie roch gut, warm und aromatisch, nach Chrysanthemen, Brausepulver und etwas nach Zimt. Sehr weiblich und sehr attraktiv. Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die linke Wange und bemerkte, wie rasch sein Herz hüpfte.

»Okay. Ich geh dann auch mal. Bis morgen, Benjamin Zeno«, lachte sie. »Ich freu mich drauf.«

Sie streckte sich und legte ihm ihre kleine und warme Hand sanft von vorn an die Schulter, unerwartet, eine überraschende Geste des Vertrauens.

»Du, ich auch«, hauchte er. »Ciao. Bis morgen, Charlotte.«

»Charlie für meine Freunde«, sagte sie und sah zu ihm auf. »Ciao.«

Benjamin hüpfte die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal. Er hatte kein Zen-Erlebnis gehabt und auch nicht viel übers Bügeln gelernt.

Aber er hatte etwas gewonnen. Er fragte sich nur, was das wohl war.

Charlie für meine Freunde, hatte sie gesagt.

Zen und die Kunst des Bügelns

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