Читать книгу Zen und die Kunst des Bügelns - Klaus Bodenstein - Страница 15

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Ein neuer Plan

Im Halbschlaf direkt vor dem Aufwachen hatte Benjamin eine Vision. Er wachte davon auf, rieb sich die Augen, sprang aus dem Bett und stürmte hinaus in das Loft.

»Charlotte! Wir nehmen Flugunterricht«, rief er, als er sie auf dem Sofa lesend entdeckte. Charlotte sah über ihren Brillenrand hinweg auf sein rotseidenes Höschen und lächelte. »Was machen deine Kopfschmerzen?«, fragte sie. »Und wieso Flugunterricht?«

»Oh.« Benjamin wunderte sich selbst, jetzt, wo sie das sagte. »Weg. Danke für die Tablette.« In einem Wäschekorb neben dem Sofa erspähte er seine Sachen vom Vortag. »Sind die trocken?«

Charlotte nickte unmerklich und sah hin. »Ja. Ich denke schon.«

»Du entschuldigst, wenn ich die nicht erst bügle«, sagte er, nahm den kompletten Satz Wäsche an sich und verschwand damit im Schlafzimmer. Er kam sich blöd dabei vor. Zum einen, weil sie seine Sachen hatte reinigen müssen und er nicht einmal genau wusste, wie er sie beschmutzt hatte, und zum anderen, weil er sich nicht traute, sich vor ihr umzuziehen. Feigling.

Er schnupperte an seiner Unterhose, bevor er sie anzog. So gut hatten seine Sachen noch nie gerochen. Ben fühlte sich gleich wieder besser. Wohin jetzt mit dem roten Slip, der ohne Zweifel Charlotte gehörte? Als Trophäe einstecken? Nee. Den hatte er sich nicht verdient. Er drapierte ihn aufs Bett. Vielleicht konnte er ihn Charlotte eines Tages ausziehen; dann durfte er ihn behalten.

»Hast Du Lust auf was zu essen?«, fragte sie ihn, als er bekleidet im Wohnbereich wiederauftauchte. Benjamin überlegte. So gut fühlte sich sein Magen noch wieder nicht an.

»Nee, danke, irgendwie nicht.« Er sah hinüber in Richtung Küche. Von einem Frühstück oder Mittagessen konnte er nichts erkennen. Ob sie schon gefrühstückt hatte?

Vor der Küche stand das Bügelbrett, davor ein Korb mit Wäsche.

Charlotte bemerkte seinen Blick und nickte. »Zum Dank dafür, dass ich dir die Wäsche gewaschen und dich ins Bett gebracht habe, darfst du mir meine Blusen bügeln. Ist heute auch umsonst. Dein Kurs geht weiter, ob du willst oder nicht. Oder musst du heute in die Uni?«

Benjamin schüttelte den Kopf. Freitags arbeitete er meist zu Hause. Aber bügeln? So erschlagen, wie er sich fühlte, hatte er zu gar nichts Lust. Außerdem wollte er Charlotte von seiner Idee erzählen. Er zögerte.

»In Japan müsstest du auch mit einem Riesenkater die Klosterbohlen schrubben«, erklärte sie ihm. »Bügeln wird dir guttun.«

Japan! Da war was gewesen. Sie hatte ihm etwas von Japan erzählt, genau. Jetzt kam die Erinnerung wieder, in Bruchstücken. Aber das kurze Aufblitzen der Erinnerung war schon wieder im grauen Nebel des müden Gehirns verschwunden. Irgendwas mit einer Bar, in der sie gewesen war.

Er stand unschlüssig zwischen Sitzgruppe und Küche im Loft herum. Er wollte sich weder ihrer Aufforderung widersetzen, noch wollte er bügeln. Er wollte sich nicht hinsetzen, aber auch nicht stehen bleiben.

»Du hast mir doch gestern was von Japan erzählt?«, wunderte er sich. »Warst du da etwa in einem Kloster?«

Charlotte verzog etwas unwillig das Gesicht. »Da reden wir später drüber. Du kannst mir beim Bügeln von deiner Idee erzählen. Flugunterricht, hattest du gesagt. Los geht’s. Nachher mach ich uns dann was zu essen.«

Benjamin spürte einen gehörigen Widerstand. Bügeln war das Letzte, was er jetzt gern gemacht hätte. Andererseits hatte er eine Art Vereinbarung mit Charlotte.

Also gut; er fügte sich.

Wortlos nahm er eine Bluse aus dem Korb, legte sie auf das Bügelbrett, steckte den Stecker der Bügeleisenschnur in die Steckdose und stellte die Temperatur ein. »Wo hast du das Wasser?«

»In der Küche.«

Benjamin ging suchen, fand die blaue Flasche mit destilliertem Wasser und sah, dass der Kaffeeautomat noch an war. »Willst du auch noch einen Kaffee?«, rief er aus der Küche hinaus.

»Gern, Zen.« Sie klang distanziert. Benjamin hätte zu gern gewusst, was er gestern alles falsch gemacht hatte, trotz ihrer Beteuerungen, es wäre ein schöner Abend gewesen.

Er stellte zwei Tassen unter den Auslass, nahm das Wasser und brachte es zum Bügelbrett. Als er mit dem Einfüllen fertig war, hörte auch das Zischen der Kaffeemaschine auf. Er holte den Kaffee und stellte eine vor Charlotte ab. »Schwarz, war doch richtig, oder?« Sie nickte. Seine eigene Tasse stellte er in der Nähe es Bügelbrettes ab, nachdem er einen ersten Schluck getrunken hatte.

»Weißt du«, begann er, und legte sich gleichzeitig die Bluse zurecht, »wenn wir unsere Schnapsidee wirklich durchziehen wollten, wäre es doch blöd, wenn wir darauf warten würden, bis sich ein paar Bakterien aus einem Gewässer dazu bequemen, sich über die Verdunstung in die Wolken begeben.«

Er zupfte den Kragen der Bluse zurecht und setzte das Eisen an. »Du erreichst viel mehr, wenn du die Wettersysteme studierst und in die Wolken reinfliegst und dann eine Emulsion mit unseren kleinen Heilsbringern in die Wolken reinsprühst.«

Das Bügeleisen klickte, es war zu heiß. Er stellte es ab und trank von seinem Kaffee.

»Wir müssten Flugunterricht nehmen, für kleine Flugzeuge, solche, die nicht zu schnell fliegen, damit man das Fenster aufmachen kann, und in großer Höhe fliegen können müssen die auch nicht. Cessna oder so.«

Während des Sprechens hatte er, ohne groß nachzudenken, mit dem Bügeln weitergemacht und die meiste Zeit Charlotte angesehen. »Rein hypothetisch. Wir könnten dann aktiv weite Bereiche abdecken. Von diesen Bereichen können sich unsere Vektoren dann weiter ausbreiten. Egal, wofür die sein sollen. Gegen Aggression oder gegen Fruchtbarkeit.«

»Du könntest auch Luftballons mit Proben in die Luft schicken«, meinte Charlotte. »Wird vermutlich auch viel billiger.«

Sie stand auf und lehnte sich an die Heizung vor dem Fenster und sah ihm zu.

»Ich hatte eine ganz andere Idee, Zen. Du arbeitest doch mit Extremophilen. Die können die unwahrscheinlichsten Dinge, oder? Warum bringen wir denen nicht bei, sich von Sprengstoffen zu ernähren, oder von Uran und Plutonium? Keine Waffe würde mehr funktionieren, keine Atombombe mehr explodieren. Wenn einer Krieg führen wollte, müsste er selbst zu Axt und Messer greifen und sich mit Blut besudeln. Könnten deine Bakterien das? Den Sprengstoff der Welt auffressen, wenn wir ihnen das beibringen?«

»Hm.« Benjamin bügelte weiter und überlegte.

»Klar, das kann ich mir vorstellen. Zwei Jahre Forschung, und du hast deine Sprengstoff-Fresser. Würde ich hinkriegen.« Er faltete die Bluse zusammen und legte sie beiseite.

»Ob es eine gute Idee ist, weiß ich noch nicht. Gut, Massenvernichtungswaffen und Gewehre würden nicht mehr funktionieren. Aber die Aggression kriegst du damit nicht weg. Auch im Mittelalter haben sich Millionen von Leuten mit Hellebarden und Schwertern umgebracht und es genossen.«

Er nahm sich die nächste Bluse vor. »Trotzdem, das ist eine reizvolle Idee. Das Problem bleibt dabei dasselbe. Du musst Vektoren haben, die unsere kleinen Freunde ins Ziel tragen.« Benjamin hatte den Rücken und die Ärmel fertig und drehte die Bluse um. »Ballon, hast du gesagt. So ein Ballon trägt nicht viel. Wenn der mit Helium gefüllt ist, kann der vielleicht gerade mal ein Kärtchen tragen. Ein paar Gramm vielleicht. Und dann hast du auch keinen Auslösemechanismus. Die Fracht würde ja wieder mit nach unten kommen.« Er strich den Stoff unter den Abnähern glatt.

»Es gibt noch ganz andere Möglichkeiten, was wir mit unserem Wissen anstellen könnten, Charlie«, Benjamin sah zu ihr hinüber, wie sie da hingegossen auf dem Sessel hing. »Wir könnten mit Pseudomonas auch das ganze CO2 aus der Atmosphäre holen, mit kleinen Änderungen am Genom.«

»Dann ist dir der Friedensnobelpreis gleich sicher«, neckte sie ihn.

»Klar. So was von. Oder tatsächlich für Regen sorgen, Wasser fehlt überall, die Wetterextreme nehmen überall zu. Noch besser, wir verbinden das alles miteinander. Möglich wäre das alles. Aber es sind alles nicht mehr als Schnapsideen, es sei denn, dass wir das als Wissenschaftler alles bis zum Ende durchdenken und dann entsprechend handeln.«

Er hatte ein Hemdchen von ihr vor sich liegen und strich gedankenverloren mit der Hand darüber, gefühlvoll, als ob er ihr über die Brust strich.

»So eine Wolke kann viele Tonnen wiegen«, fuhr er fort. »Und in einem Wettersystem sind viele Wolken unterwegs, viele Tausende von Tonnen Wasser. Du brauchst eine große Menge an Vektoren, wenn sich das ausreichend verbreiten soll. Ein paar Hundert Kilo pro Flug, so viel wie so ein kleiner Flieger halt trägt«, dozierte er. Das Hemdchen war fertig, er gab ihm an zwei Stellen den letzten Schliff und legte es zusammen.

Ihr Gesicht konnte er im Gegenlicht vor dem Fenster nicht erkennen. Hörte sie ihm zu?

»Red weiter.« Ihre Stimme klang nach gespannter Erwartung. Benjamin nahm sich die nächste Bluse aus dem Korb.

»Wir müssten oft fliegen. Bei großen Einzugsgebieten brauchst du jede Menge von dem Zeug. Deshalb die Idee mit dem Fliegen.«

Er bügelte schneller und dachte nach. »Wir könnten die doch getrocknet mit nach oben nehmen, als Pulver. Dann hast du nur noch einen Bruchteil des Gewichtes, die bestehen fast nur aus Wasser.«

»Du klingst fast so, als ob du das alles ernst meinst.« Charlotte schlenderte zurück zur Sitzgruppe und sah zu ihm herüber.

»Na ja. Ich denke nur über die theoretische Möglichkeit nach«, antwortete er. »Als Gedankenspiel. Was wäre, wenn.« Sie nickte.

Benjamin wandte sich dem Vorderteil zu und brachte mit der einen Hand den Stoff in Form, während er mit dem Eisen hinterherfuhr.

»Da fliegen doch ständig Leute rum, die Wolken impfen, damit es regnet«, sagte er schließlich. »Vielleicht kann man sich da bewerben. Wenn man einen Flugschein hat. Und als Biologen könnten wir das mit Pseudomonas statt mit Silberjodid sehr glaubhaft vertreten. Ich glaube, das macht wirklich Sinn, je länger ich darüber nachdenke, weißt du das? Vielleicht können wir das gleich als Uni-Projekt oder als EU-Projekt durchziehen. Und ich glaube, einige Länder oder Regionen würden uns sogar dafür bezahlen, wenn wir ihnen Regen machen.«

Er hatte die Bluse fertig und legte sie weg.

»Und du würdest einfach so Millionen von Menschen solchen Versuchen aussetzen?«, fragte Charlotte. Ben hörte Angst in ihrer Frage mitschwingen.

»Wir würden dafür doch nur ganz harmlose Pseudomonas einsetzen, um niemandem zu schaden, als Test«, fuhr er fort, während er sich eine Hose vornahm. »Also tatsächlich zum Beregnen, um zu sehen, ob das funktioniert. Vielleicht mit bestimmten Bakterien, die wir vorher konditionieren. Um zu sehen, ob sie das überleben, und was sie am Boden machen. Außerdem haben wir doch gar nichts, das wir wirklich zu anderen Zwecken einsetzen könnten. Eine schöne Übung wäre es allemal. Und überleg mal. Wir nehmen Flugunterricht und gehen zusammen in die Luft. Ich bin jetzt schon ganz aufgeregt.«

»Wir müssten das sehr sorgfältig testen. Nicht dass wir da was Brandgefährliches zusammenbrauen und in die Welt entlassen.« Charlotte sah ihm beim Bügeln zu.

»Klar.« Benjamin stellte das Bügeleisen um, von Seide auf Baumwolle, und musste ein wenig warten, bis das Eisen heiß genug war. Er sah zu Charlotte hinüber.

Gestern mussten sie sich ziemlich nahegekommen sein. Im Moment fühlte er sich zu wackelig für eine weitere Annäherung.

»Ich würde mir als Erstes die Zeit nehmen, alle ethischen Aspekte mit meinem Bruder durchzusprechen. Ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob das mit der allmählichen Verkleinerung der Weltbevölkerung wirklich eine gute Idee ist. Vermutlich ist das alles völliger Unsinn. Das ist doch wieder ein Versuch, alles durch Handeln zu verbessern, und letzten Endes bewirkt es das Gegenteil, wie beim Geo-Engineering, wie bei der Düngung der Ozeane mit Eisen, klappt alles nicht. Am besten halten wir die Füße still und tun gar nichts.«

Charlotte hatte auch ihre Zweifel. »Mir ist auch unwohl bei dem Gedanken.«

Benjamin knöpfte sich das nächste Kleidungsstück vor.

»Ich denke das trotzdem mal zu Ende. In Kassel-Calden gibt es Kurse für einmotorige Maschinen, glaube ich«, bemerkte Charlotte. »Mein Vater bewirtet dort manchmal Gäste, als Catering. Ich war da auch schon zweimal und habe geholfen. Ganz nett dort. Ob wir das machen wollen oder nicht: Lust, mit dir in die Luft zu gehen, habe ich ohne Ende.«

Benjamin trank seinen Kaffee aus und sah sie an.

»Ich auch. Wahnsinn, das machen wir! Vielleicht fangen wir mit Segelfliegen an. Da soll es sehr still sein, hoch oben in der Luft. Das würde mir gefallen.«

Dann kann ich dich gleich meinen Eltern vorstellen, wenn wir in Kassel sind, lag Charlotte auf der Zunge. Sie konnte es sich gerade noch verkneifen. Sie kannte Benjamin erst drei Tage. Ob sie ihn mögen würden, einen Vegetarier, der all ihre französischen Pasteten und Schnecken verschmähen würde?

Bisher kannte sie nur seine Schokoladenseiten. Oder fast nur. Betrunken war er auch noch lustig. Vor allem war er im Suff nicht aggressiv geworden. Sie kannte Männer, die ihr sofort an die Wäsche gegangen wären, drei Vergewaltigungsversuche hatte sie gerade noch abwehren können. So einer war er nicht.

Wer weiß, was noch alles in ihm steckt, dachte sie.

»Weißt du, was das kostet?« Die Idee würde wie immer am Geld scheitern, dachte Benjamin. Dabei wäre er gern mit Charlotte ganz allein ganz oben gewesen.

»Ach, egal.« Charlotte kam mit einer wegwerfenden Handbewegung zu ihm herüber. Sie nahm ihm einen Slip aus der Hand und warf ihn zurück in den Korb. »Meine Unterwäsche bügele ich selber. Vergiss die Kosten, Geld ist nicht das Thema. Ich bezahle das.«

Sie nahm die Hosen vom Stapel Blusen herunter und begutachtete seine Arbeit.

»Du machst Fortschritte. Für heute ist es genug.« Sie umarmte ihn und küsste ihn flüchtig auf den Mund. »Ich mache uns was zu essen. Die bessere Welt kann solange noch ein wenig warten.«

Während Charlotte Spaghetti Puttanesca zubereitete, ihm zuliebe ein Gericht ohne Fleisch, las sich Benjamin auf seinem Handy die Nachrichten, seine Mails und seine Tweets durch. Nichts wirklich Wichtiges, aber etwas Privates.

Seiner Mutter in Bovenden ging es nicht so gut. Seitdem sie nach dem Tod seines Vaters dorthin gezogen war, weil sie dort ein paar gleichaltrige Freunde vermutete, war sie nicht mehr dieselbe. Er musste da mal wieder vorbei.

Er stand auf und half ihr, den Tisch zu decken. Sie setzten sich.

»Ich habe da noch mal drüber nachgedacht«, sagte Charlotte, während sie ihre Nudeln mit der Gabel aufrollte, »eigentlich ist das doch alles völliger Blödsinn. Ich meine, okay, die menschliche Bevölkerung ist wirklich zu groß, viel zu groß, das ist ja alles richtig. Viel zu aggressiv sind wir auch. Aber wer sind wir denn, das zu ändern? Haben wir das Recht dazu? Außerdem, zwei kleine Biologen, und so ein großes, weltbewegendes Projekt? Überleg mal. Was wir uns da so ausdenken, kann doch überhaupt nicht funktionieren. Irgendwie ärgert mich das jetzt, dass wir uns die ganze Zeit mit so einem Quatsch befassen.«

Benjamin war hungrig und aß weiter. Er senkte den Kopf, damit sie sein Stirnrunzeln nicht sah. Charlotte sprach weiter.

»Schau mal, du willst massiv in die Natur eingreifen. Eigentlich ist doch der ganze Zweck unserer Gene, dass wir sie weitergeben, dass wir uns vermehren. Die Natur würde sich massiv wehren. Das kann gar nicht gehen, diese Schnapsidee.« Sie steckte sich die aufgerollten Nudeln in den Mund und sprach mit vollem Mund weiter. »Wir sollten uns was anderes überlegen, Zen. Vergessen wir das lieber.«

Benjamin hielt beim Kauen inne und sah sie etwas verstört an. »Ich dachte, wir hätten da gerade eine gemeinsame Idee entwickelt«, sagte er leise. Er schluckte, eine Olive kratzte ihm im Hals, der sich noch nicht wieder gut anfühlte. »Klar, natürlich nur theoretisch. Ich dachte, du wärst genauso fasziniert von solchen Möglichkeiten. Davon, was wir beide zustande bringen können, mit moderner Technik. Wie wir auf einen Schlag die Welt in Ordnung bringen können. Wir sind doch beide fit. Ich dachte…«

Er setzte den Satz nicht fort und schob sich mit dem Löffel Soße über die Nudeln.

»Das ist ja wirklich nur ein Gedankenspiel.« Er schnaubte. »Aber auch wenn das alles Quatsch ist, Quatsch mit Soße«, Benjamin häufelte noch etwas mehr Tomatensoße über seine Spaghetti. »Ich fand das schon irgendwie faszinierend. Als Idee. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass so was wirklich funktioniert, minimal. Aber… ach, Charlie, ich weiß auch nicht.«

Er schob sich das Essen in den Mund, mit gesenktem Kopf. Irgendwie war er enttäuscht. Charlotte sah von ihrem Essen auf. War etwas mit der Soße nicht in Ordnung? Ihr schmeckte es.

»Ich hab’ da auch kein gutes Gefühl bei.« Sie schob ihren Teller ein kleines Stück von sich weg. »Wir würden da in Dinge eingreifen, die viel zu groß für uns sind. Und ich bezweifle, dass wir das überhaupt können. Viel zu viele Schnittstellen, viele zu viele Unsicherheiten, an jeder Stelle kann was schieflaufen. Nachher sterben Millionen Menschen an Krebs, was weiß ich. Und wir sind es dann natürlich nicht gewesen.«

Sie zog ihren Teller wieder an sich und aß weiter. »Wir können doch nicht einfach mal Gott spielen.«

»Ist ja auch Blödsinn«, sagte Benjamin bockig. Er hatte von Anfang an gewusst, dass das Ganze nur eine Idee war, eine Seifenblase. Aber es hatte ihm Spaß gemacht, diese Idee mit ihr auszuspinnen und von einem Gedanken auf den nächsten zu kommen, bis hin zum Traum vom Fliegen. Aber jetzt zerstörte Charlotte das mit ihren Zweifeln alles wieder. Er spürte, wie sich die Härchen auf seinen Oberarmen aufrichteten.

Charlotte bemerkte seinen Widerwillen nicht.

Als mittleres Kind war Benjamin es gewohnt, Niederlagen einstecken zu müssen. Vielleicht hatte er deshalb stets danach gestrebt, zu den Siegern zu gehören, im Sport und in jungen Jahren beim Erobern von weiblicher Beute. Trotzdem konnte er mit Niederlagen noch immer nicht gut umgehen. Eine seiner Reaktionen darauf war Zynismus.

»Wir wissen doch, wie Krebs ausgelöst werden kann. Da muss man halt aufpassen.« Er wusste genau so gut wie sie, dass das in dieser einfachen Form nicht stimmte. Gerade bei genetischen und vor allem epigenetischen Eingriffen konnten krebsartige Prozesse ausgelöst werden. Ihre auf einmal so negative Ansicht reizte ihn zum Widerspruch. »Das lässt sich doch locker umgehen.«

»Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht stimmt.« Jetzt war auch Charlotte verstimmt. Wieso versteifte sich der Kerl plötzlich auf einen so unhaltbaren Standpunkt? »Wenn du beim Genom was falsch machst, provozierst du alle möglichen krankhaften Veränderungen. Vor allem Krebs. Das weißt du doch.«

Benjamin mochte keine Belehrungen, aber er hasste Streit. »Na ja, wahrscheinlich hast du recht. Vielleicht ist das wirklich alles Quatsch.« Er aß lustlos weiter, obwohl er Hunger hatte und es ihm schmeckte.

»Ich will nur nicht, dass wir uns in etwas verrennen und unsere Zeit für etwas verschwenden, über das wir uns nachher ärgern«, sagte Charlotte versöhnlich und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Benjamin hob den Arm, um weitere Nudeln aufzudrehen. Charlotte zog ihre Hand wieder zurück.

Warum streiten wir uns jetzt wegen dieser dämlichen Schnapsidee, fragte sich Benjamin. Mehr war es doch wirklich nicht. »Lass uns mal über was anderes reden. An was arbeitest du eigentlich am Max-Planck-Institut?«

Charlotte nahm ihr Besteck wieder auf. »Tja, eher am genauen Gegenteil von dem, was wir hier so planen.«

Sie lachte auf, sie fand das lustig, aber Benjamin ließ sich nicht anstecken. »An Problemen der Fertilität, vor allem bei Haustieren, und natürlich wie immer bei Mäusen. Vor allem bei Kühen und Säuen gibt es immer mehr Probleme mit der Fruchtbarkeit, liegt wahrscheinlich an der industriellen Tierhaltung. Die Natur wehrt sich dagegen.«

»Ha.« Benjamin identifizierte eines seiner Lieblingsthemen. »Genau das, was Natur und Umwelt zerstört. Ein Viertel aller Treibhausgase kommt aus der industriellen Tierhaltung. Kuhpupse und Rülpser.«

Charlotte sah beim letzten Wort auf. »Ich weiß. Können wir gern in Ruhe und ausführlich besprechen, Benjamin. Du wolltest doch gerade wissen, was ich mache.«

Gott, warum dieser belehrende Ton, fragte sich Benjamin. Was war denn nur los?

»Na ja, sorry, wenn ich wieder damit anfange«, lachte Charlotte bitter. »Aber das ist die gleiche Geschichte, nur andersrum. Wir untersuchen, warum Säugetiere unfruchtbar werden, und wir versuchen, das zu ändern. Zum Positiven. Wir wollen mehr freundliche, fruchtbare Kühe, die uns gern noch mehr von ihrem Fleisch und ihrer Milch abgeben. Etwas Positives.«

Benjamin hörte zu. Aha. Und was er sich da ausgedacht hatte, war wohl etwas Negatives. Etwas Böses.

Sie erzählte weiter. Er hörte nur mit halbem Ohr zu.

Das Essen hatte Benjamin müde gemacht. Die Tablette und die Nachwirkungen des Alkohols taten ein Übriges. Dazu kam diese blöde Missstimmung mit Charlotte.

Heute war nicht sein Tag. Die große Nähe, die er zu ihr verspürt hatte, war wie weggeblasen. Er stand auf, nahm die beiden Teller und das Besteck und brachte alles in die Küche. »Du, ich glaube, wir lassen es für heute dabei. Ich werde mich zu Haus noch ein wenig hinlegen. Meiner Mutter geht’s nicht so gut. Ich fahr da heute mal vorbei.«

»Lass, ich mach das schon«, sagte Charlotte, obwohl Benjamin schon mit dem Tablett auf dem Weg war. »Deine Mutter? Wo musst du denn hin?«

»Nicht so weit. Bovenden.« Benjamin nahm seine Jacke, die über dem Stuhl hing, gab ihr zwei Küsschen auf die Wangen und wandte sich zum Gehen. Eigentlich war ihm eher zum Heulen.

»Ich melde mich dann wieder. Ciao.«

Charlotte brachte ihn zur Tür und hielt sie ihm auf. »Okay. Pass auf dich auf, Zen.« Sie schloss die Tür hinter ihm. Warum zum Teufel konnte sie bloß ihre Zunge nicht besser im Zaum halten? Und warum war dieser große Kerl nur so eine verdammte Mimose?

Benjamin ging nach Haus. Vermutlich hatte er ihr am Abend vorher nur noch Quatsch erzählt oder sie beleidigt. Oder schlimmer, angegrapscht.

Er ärgerte sich über seinen Filmriss. Wahrscheinlich hatte er alles verbockt.

In seiner Wohnung angekommen, legte er sich für eine Weile auf sein Sofa. Die Verstimmung mit Charlotte machte ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hätte.

Er rollte sich auf dem Sofa zusammen. Eine Stunde später wichen seine schwarzen Gedanken einem unruhigen Schlaf.

*

Charlotte brachte die gebügelte Wäsche zu ihrem Schrank und legte sie weg. Du blöde Kuh, dachte sie, das war dumm gelaufen, aber warum war der Typ auch so empfindlich?

Erst kotzte er ihr die Straße und die Treppe voll, ließ sich sauber machen und ins Bett bringen wie ein Riesenbaby und schnarchte dann die ganze Nacht durch. Sie hatte kaum ein Auge zugemacht. Sie hatte ihm seine beschmutzten Sachen gewaschen, obwohl sie sich vor der Kotze ekelte, und er? Er ließ sich bekochen und bedienen, und dann rastete er auch noch aus, wenn sie berechtigte Bedenken vorbrachte. Absolut berechtigte Bedenken, berechtigter ging es gar nicht.

Trotzdem, warum musste sie ihm so auf seine verkaterte Seele treten? Blöde Kuh.

Sie machte sich eine Tasse Kaffee, klein, stark, schwarz, und setzte sich an den Tisch. Ihr war eine andere Szene vom Ende der letzten Nacht eingefallen.

Charlotte ging hinüber zum Kühlschrank und sah ins Eisfach. Was sie nachts hineingestellt hatte, war jetzt natürlich alles eingetrocknet und gefroren. Vielleicht ist da noch Leben drin, unschuldiges Leben, dachte sie. Von dem er nichts wusste. Vielleicht war das noch zu retten. Sie hätte das ins Klo kippen sollen, aber jetzt oblag der Inhalt ihres Zahnputzbechers ihrer Verantwortung.

Das Institut hatte eine Samenbank, eingerichtet für die Nutztier-Forschung. Charlotte packte die Tasse in eine Kühltasche aus dem Supermarkt und machte sich auf den Weg. Sie hatte freitags sowieso noch im Institut zu tun. Jetzt tat ihr Benjamin schon wieder leid. Warum hatte sie ihn nur so runtergemacht? Dabei war ein Gedanke, der ihr während des Gespräches gekommen war, gar nicht so abwegig. Sie dachte an ihre Familiengeschichte und fasste sich unwillkürlich an den Busen.

Ihre Großmutter war an Brustkrebs gestorben. Ihre Mutter hatte aus dem gleichen Grund beide Brüste verloren, schöne, große Brüste wie ihre eigenen, und litt seitdem an massiven Depressionen. Sie selbst hatte fast alle der bekannten BR-Gensequenzen, die Brustkrebs auslösten.

Dieses Schicksal wollte sie nicht erleiden. Das war ein weiterer Grund für die Wahl ihres Studiums gewesen.

Sie hatte sich die Brüste längst verkleinern wollen, obwohl sie sehr an ihnen hing. Sie musste lachen; umgekehrt stimmte der Satz zum Glück noch nicht. Auch mit einer Verkleinerung stiegen ihre Chancen, dem Monster zu entgehen. Sie hatte es nur wieder und wieder aufgeschoben, aus Lebensfreude und weil sie sich nicht trennen mochte, obwohl ihr ihre Orthopädin dazu geraten hatte. Das Gewicht der Dinger wäre zu groß für ihre Wirbelsäule, sie müsste mit einer Verkrümmung rechnen.

Andererseits war sie stolz auf das, was sie hatte. Sie wusste, dass sie damit Macht ausübte, auch wenn sie das niemals zugeben würde. Klar, sie war entschlossen, sie verkleinern zu lassen, bald. Rechtzeitig. Ein wenig Zeit würde schon noch sein. So lange es ging, wollte sie sich noch an diesem Geschenk erfreuen.

Sie hatte das Problem eingehend studiert.

Es gab einen eindeutigen biologischen Zusammenhang zwischen Östrogen-Spiegel, der Länge der Fruchtbarkeitsperiode bei Frauen und einigen Arten von Brustkrebs.

Mädchen bekamen heute manchmal schon mit neun, zehn Jahren ihre Menses, der Rekord lag inzwischen bei sechs Jahren. Ein gerade eingeschultes Mädchen.

Je länger die fruchtbare Phase im Leben einer Frau anhielt, desto größer war die Chance, Brustkrebs zu bekommen. Das Eintreten der Periode hing mit dem Körperfett-Anteil zusammen, wie Charlotte wusste. Je fetter die Mädchen waren, desto früher. Die kleinen Dicken erwischte es als Erstes. Sie selbst hatte ihre Periode mit elf bekommen. Wirklich mager durfte sie sich nicht nennen.

Die Chance, es ihrer Großmutter und Mutter nachzutun, war riesig. Anders als viele andere Frauen, denen ihre großen Brüste peinlich waren, liebte sie ihre. Ein Teil ihres Lebens, auf das sie ungern verzichten wollte.

Natürlich war der Krebs genetisch bedingt, mit der Größe hatte er nichts zu tun. Sogar Männer konnten ihn bekommen.

Sie kannte vier Gen-Abschnitte, die mit dem Eintreten der Menses zu tun hatten, und vierzehn für das Eintreten der Menopause. Sie glaubte auch zu wissen, wie sie beides beeinflussen konnte. LIN28B hieß eines der Gene, das man abschalten könnte.

Es sorgte für das Wachstum der Brüste, das Eintreten der Periode und auch für das Wachsen des Schamhaares bei Jungen. Heute rasierte sich ja sowieso jeder, dachte sie.

Wenn man dieses Gen abschaltete, würden die Mädchen im Nymphenstadium verbleiben, und ohne dieses Gen brauchten sich die Männer wenigstens ihre faltigen Säcke nicht mehr abzuschaben.

In gewisser Weise würden sie alle jung bleiben.

Vor allem würde sich das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, massiv verringern. Vielleicht sollte sie der Idee mehr Aufmerksamkeit schenken, in ihrem ganz eigenen Sinn. Der Bus hielt, sie musste ihre Sitznachbarin durchlassen und setzte sich ans Fenster.

Sie bemerkte, dass sie trotz ihrer Kommentare weiter über Zens Ideen nachdachte.

Es gab weitere Möglichkeiten. Viele Sportlerinnen litten an hypothalamischer Amenorrhö, kriegten also ihre Tage nicht mehr. Die waren meist klapperdürr und hatten einen sehr niedrigen Fettanteil im Body Mass Index. Manche Läuferinnen bekamen seit vielen Jahren keine Periode mehr und hatten allergrößte Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Sexuelle Lust empfanden sie dabei durchaus noch, wenn auch weniger als andere, aber sie waren deshalb nicht asexuell, wie sie wusste.

Das Leben war also auch für eine unfruchtbare Frau gar nicht so eingeschränkt. War das ein Ansatz?

Vielleicht war das der Weg. Dafür gab es genetische Schalter.

Wie war das andersherum: wenn die Frauen nur die Lust verlören? Charlotte dachte an ein paar ihrer vielen Freundinnen, die wenig Lust auf und selten bis nie Spaß am Sex hatten. Zwei davon spürten beim Verkehr absolut gar nichts, nur die mechanische Belastung. Zwei davon ekelten sich vor vaginalem Sex und vor dem Gewese, das die Männer dabei machten. Gevögelt wurden sie von ihren Männern und Freunden trotzdem, wenngleich selten, und schwanger würden sie auch werden. Das würde also nicht funktionieren, außer wenn die Männer ihre Lust ebenfalls verlieren würden. Aber das war ein so stark verankerter Trieb, dagegen würde sich die Natur erfolgreich wehren. Keine Chance.

Immerhin, bei Frauen griff die Medizin schon lange in den Hormonhaushalt ein, mit der Pille. Eine automatische Pille durch Beregnung mit Plasmiden? Na ja. Daran mochte sie immer noch nicht recht glauben. Aber davon hatte Benjamin mehr Ahnung. Vielleicht hatte er ja doch recht.

Sie hätte lieber etwas gegen Krieg und Aggression unternommen, wenn sie schon die Werkzeuge dafür besaßen.

Auf der anderen Seite stand die große Wahrscheinlichkeit, früher oder später an Brustkrebs zu erkranken. Dabei konnte sie ihre Kenntnisse einbringen.

Sie dachte an den Inhalt ihrer Tasche. Die hatten es gut, die Männer. Jeden Tag bildeten sie Millionen von Spermien neu, Hunderte von Millionen. Sie musste mit ihrem sparsamen Vorrat an Eiern auskommen. Um die Hunderttausend bei Geburt, davon blieben vielleicht ein paar Hundert übrig. Die wurden Monat für Monat verbraucht, und dann war es vorbei mit der Fruchtbarkeit. Die meisten Follikel reiften nicht und wurden ausgespült, in manchen Fällen starben sie einfach ab. Fälle von Follikel-Apoptose und Atresie, dem spontanen Absterben und dem Abgang von Eiern, gab es nicht nur bei Haustieren in der Massentierhaltung. Wenn der Vorrat an Eiern verbraucht war, setzte unweigerlich die Menopause ein.

Auch eine Möglichkeit?

Sie berührte nachdenklich ihre Brust. Sie war schon länger nicht mehr bei der Voruntersuchung gewesen. Eine verringerte Länge der Fertilitätsperiode, das hatte was!

Ein späteres Einsetzen von Menarche und ein früheres der Menopause, dann blieb den Frauen zumindest der Krebs erspart. Der weibliche Körper musste viel Energie aufwenden, um sich empfängnisbereit zu halten, sehr viel.

Mit dieser Energie lässt sich sicher auch was Besseres anfangen, dachte sie. Forschung, Kreativität.

Es war nicht so, dass die Menschheit akut vom Untergang bedroht war. Das traf auf alle anderen Arten viel eher zu, da hatte Benjamin wirklich recht. Weniger Menschen, dafür gesunde und kluge Menschen, die nicht nur blind ihren Impulsen und Trieben hinterherliefen. Frauen könnten physisch stärker werden, vielleicht sogar noch länger leben, nicht nur die sechs Jahre, die sie den Männern ohnehin voraushatten. Charlotte spürte eine gewisse Vorfreude in sich aufsteigen.

Vor ihr saß ein fettes Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt. Speckrollen über den Hüften, schwere, sackförmige Brüste, säulenförmige Oberschenkel, die sie gar nicht mehr zusammen bekam, schon in dem zarten Alter. Gott, dachte sie, da bin ich doch gut dran.

Was wäre, wenn man statt in den Hormonhaushalt in den Fettstoffwechsel eingreifen würde? Das wäre besser für die Gesundheit. Schlanke und sportliche Mädchen würden um einiges später sexuell bereit und aktiv werden. Periode mit achtundzwanzig. Menopause mit zweiunddreißig, nur vier Jahre empfängnisbereit. Solche Frauen wären immer noch schlank und rank und kräftig und intelligent, den Männern in keiner Weise unterlegen. Und ohne Brustkrebs. Sehr wenige Kinder, pro Paar nur eins oder keines. Die Menschheit würde sich schnell gesundschrumpfen.

Sie war da und stieg aus.

Im Institut kratzte sie mit einem Zahnstocher eine Probe aus der Tasse und legte sie unter ihr Mikroskop. Na bitte, etwa ein Drittel der kleinen Kaulquappen lebte noch. Sie schabte den Rest aus, streifte ihn mit dem Holzspatel in ein Glasröhrchen, beschriftete es – Nummer, Eigentum Dr. Faber, bitte nicht entnehmen – und versenkte das Röhrchen nach den notwendigen Vorbereitungen in den mit flüssigem Stickstoff gefüllten Behälter für Bullensperma.

Der Füllstand war zwar absolut erbärmlich, verglichen mit dem in den anderen Röhrchen, aber wer würde schon darauf achten, dachte sie. Sie schloss den Behälter und wandte sich ihrem Computer zu. Es gab einiges nachzulesen und zu tun.

Hoffentlich versuchte niemand, mit dem Inhalt dieser Röhre eine Kuh zu befruchten, dachte sie, dann bekämen sie einen Minotaurus mit Benjamins Gesicht. Sie lachte bei dem Gedanken laut auf und hatte ihre gute Laune wieder.

Sie summte ein Liedchen aus ihrer Kindheit.

Ein paar Stunden lehnte sie sich zurück, geschafft, aber zufrieden mit den Ergebnissen ihrer regulären Arbeit, die sie in der halben Zeit fertiggestellt hatte.

Sie griff zu ihrem Handy. Benjamin war fast sofort dran. Er war bereits zurück in Göttingen, seiner Mutter ging es gut, sie war nur ein wenig einsam gewesen.

»Tut mir leid wegen heute Morgen«, sagte sie. »Hast du nicht Lust, heute Abend bei mir vorbei zu kommen? Ich habe dir wohl auf die Seele getreten, vorhin. Ich möchte das wieder gut machen, und ich würde dich wirklich gern sehen.«

Benjamin sagte ja, ein wenig verwundert und selbst auch im Entschuldigungsmodus.

Charlotte kramte ihre Sachen zusammen und bestellte sich ein Taxi. Sie wollte vor ihm in der Theaterstraße sein und hatte es plötzlich fürchterlich eilig.

Zen und die Kunst des Bügelns

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