Читать книгу Zen und die Kunst des Bügelns - Klaus Bodenstein - Страница 20

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Heimvorteil

Als er mit Charlotte in seine WG trat, überkam Benjamin große Lust, auch seinen eigenen Fußboden zu wischen. Der hatte es nötig, außerdem hing er diesem Gefühl nach, diesem kurzen Schluckauf im Gewebe des Universums. Das kribbelte immer noch in ihm.

Charlotte musste etwas Ähnliches gedacht haben, als sie die Führung durch Bens Wohngemeinschaft hinter sich hatte. Die anderen Mitbewohner waren nicht da, sie warfen trotzdem einen Blick in deren Zimmer. Da Benjamin einen großen Schreibtisch hatte, der fast den halben Raum einnahm, und ein ebenso riesiges Bett, saßen sie in der WG-Küche, die ein energisches Aufräumen mehr als verdient gehabt hätte.

»Warst du sauer heute Morgen? Weil du meinen Boden wischen solltest?«, fragte sie besorgt.

»Nee. Ganz im Gegenteil. Hat mir plötzlich Spaß gemacht. Oder anders gesagt, nicht Spaß.«

»Sondern?«

»Weiß nicht. Schwer zu beschreiben.«

»Versuch’s mal.«

»Na ja. Du machst irgendeine alltägliche Tätigkeit, Hausarbeit. Du denkst gar nicht weiter daran. Irgendwas in dir oder von dir geht auf Wanderschaft, und plötzlich gibt sich das Universum einen Ruck. Irgendwo öffnet sich ein Ventil. Plötzlich sprudelt was.«

»Musstest du vielleicht mal?« Charlotte verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen.

Benjamin haute ihr spielerisch auf den Kopf und lachte. »Nee, aber ich geh jetzt mal, für alle Fälle. Soll ich noch ein Fläschchen Chianti aufmachen? Eins ist noch da.«

»Dann geh du mal«, grinste sie. Benjamin ging.

Als er wiederkam, war Charlotte in sein Zimmer gegangen und lag auf dem Bett, ohne Schuhe, aber mit Hose und mit einem seiner sehr dünnen Baumwoll-Unterhemden bekleidet, was ihr außerordentlich gut stand.

»Hol den Wein«, verlangte sie. Benjamin holte.

»Da bist du ja wieder«, sagte sie, als er mit der Flasche, zwei Gläsern und einem weißen Tuch über dem Unterarm zurückkam, einen Kellner mimend. »Madame wünschen?«

»Ich habe nachgedacht«, erklärte Charlotte. »Ich bleibe heute Nacht bei dir, wenn du nichts dagegen hast. Du musst zwar früh raus, aber das stört mich nicht. Ich wäre gern bei dir. Bisschen quatschen. Bisschen kuscheln. Dich ein wenig spüren. Dir zuhören, wie du atmest.«

»Schnarchst, meinst du wohl. Bei dir sollen ja die Balken gezittert haben, letzte Nacht.«

Charlotte lächelte ihn an, nicht übermäßig deutlich, aber warm und gütig.

Sie sagte nichts zu seinen Worten. Als ob es ihr völlig egal sei, ob er schnarchte oder nicht, als ob sie auch das gütig lächelnd belauschen würde. Benjamin öffnete den Wein, goss ein, gab ihr ein Glas und schickte sich an, sich mit seinem eigenen Wein aufs Bett zu setzen.

»Setz dich noch einen Moment auf den Stuhl«, sie zeigte auf seinen Schreibtisch und den Bürostuhl davor. »Sonst verschütten wir alles auf deinem Bett. Lass uns noch reden, ja?«

Angesichts des sich in seinem Unterhemd trägerfrei wölbenden Busens, der sich ins Gewebe spannte und alles zeigte, hätte Benjamin den Wein gern Wein sein lassen. Aber Charlotte würde über Nacht bleiben. Rasch trank er sein Glas halb aus.

»Weißt du, ich würde jetzt gern mit dir schlafen«, gestand sie, »aber ich habe auch ein wenig Angst dabei.« Sie seufzte und nahm ein Schlückchen.

»Dann ist es passiert, und das erste Mal kommt niemals wieder, weißt du.« Sie trank erneut, um ihre Kehle anzufeuchten.

»Das ist zwar völlig irrational und blöd, aber ich weiß ja auch nicht, ob es dann nachher anders ist. Danach. Alles schon mal erlebt. So lange kennen wir uns auch noch nicht. Lust auf einen Kater danach habe ich nicht. Klingt blöd, aber ich möchte nicht einfach vernascht werden, verstehst du?«

Sie warf ihm ein Luftküsschen zu. »Wie gesagt, ich möchte unheimlich gern, so gern, dass es fast schon wehtut, aber lass uns noch ein wenig warten. Ist das okay für dich?« Sie lächelte ihn wieder an wie La Gioconda, aber auch ein wenig wie ein Osterlamm kurz vor dem Schlachten.

»Ich bin halt konservativ erzogen«, schickte sie matt hinterher. »Für One-Night-Stands bin ich nicht zu haben, Zen.«

»Schon okay«, bekam er irgendwie aus sich heraus, überraschend leise. Obwohl er angesichts ihres wunderbaren Körpers, ihres Dufts, der vom Hemd kaum gebremst wurde, und des Geständnisses, dass sie jetzt gern mit ihm im Bett wäre, seinen Körper sich vorbereiten fühlte, war er nicht enttäuscht. Aufgeschoben war nicht aufgehoben. Und wollte er denn selbst? Nach einem Jahr Zölibat war er alles andere als sicher. Eher nicht, dachte er. Andererseits summte und rauschte und pumpte es in ihm, seine Atmung ging schneller, seine Lenden hatten sich mit Blut gefüllt. Benjamin schluckte.

»So schlimm?«, fragte sie.

»Nee. Geht schon. Ich bin ein wenig aufgeregt. Und vermutlich hab ich’s komplett verlernt«, sagte er mit einer linkisch schlenkernden Bewegung seiner freien Hand.

Benjamin trank sein Glas aus und schenkte sich nach, leicht vornübergebeugt, damit sie seine Erektion nicht so sah.

»Es hat sich was geändert bei mir, seitdem wir uns begegnet sind. Ich will das eigentlich schon die ganze Zeit. Nicht, weil es lange her ist. Du – du sprichst mich halt auf ganz besondere Weise an.«

Benjamin fühlte sich nicht wohl, er auf dem Stuhl und sie aufs Bett geschmiegt, in seinen Sachen. Egal, ob sie es jetzt machen würden oder nicht.

»Ich fühle mich ganz anders als sonst. Sehr froh und irgendwie voller Jubel, aber auch voller Aufregung und Unsicherheit.«

»Klingt ja ganz so, als wärst du verliebt«, lächelte sie, und musste unwillkürlich an die Nacht zwei Tage vorher denken, an die er sich nicht erinnern konnte. Sie trank noch einen Schluck und stellte ihr Glas dann auf einer Kommode neben dem Bett ab.

»Na komm schon her, Großer.« Sie streckte die Arme nach ihm aus, Benjamin streifte seine Schuhe ab, die er immer noch trug, und legte sich neben sie. Sie umarmten sich lange, keiner sagte etwas, sie hielten sich beide fest, klammerten sich aneinander wie zwei Magnete, Plus an Minus, Yin an Yang. Nach einem langen, atemlosen Kuss atmeten sie beide tief aus und legten sich eng nebeneinander.

»Wir könnten ja was anderes machen«, schlug Benjamin vor.

»Du weißt genau, wohin das führt«, erwiderte Charlotte. »Ich nehme an, du meinst nicht Monopoly spielen oder Fernsehen.«

Benjamin grinste. Daran hatte er dabei bestimmt nicht gedacht. Unwillkürlich legte er seine Rechte auf seinen Schritt, wo sein Leben nach außen drängte. »Lass den mal, wo er ist.« Charlotte zog seine Hand vorsichtig von dort fort und legte sie an ihren Busen. Benjamin beruhigte sich etwas.

»Ich weiß eigentlich noch gar nichts von dir.«

Benjamin wusste, was sie meinte. »Na ja, ein wenig weißt du schon. Von meinem Sabbatical habe ich dir erzählt, und vieles Drumherum. Vorher war ich eine Zeit lang eher ein etwas, na ja, umtriebiger, wilder Kerl«, gab er zu. »Jedenfalls manchmal.«

Er nahm seine Hand von ihrer Brust, widerstrebend, griff zu seinem Weinglas und begann ihr behutsam aus seinem Leben zu erzählen, die ganze Zeit eng an sie geschmiegt. Charlotte hörte interessiert zu und stellte ab und zu eine kleine Frage.

»So in etwa habe ich mir das schon gedacht«, kommentierte sie schließlich. »Aber so, wie du heute bist, gefällst du mir doch wesentlich besser.«

»Von dir weiß ich aber auch nicht allzu viel.« Benjamin rieb seinen Kopf an ihrer Schulter, wobei seine Wange leichten Kontakt mit der Brust in seinem Unterhemd hatte. Wo sie das so schnell gefunden und angezogen hatte, während er auf dem Klo war, blieb ihm ein Rätsel. Wo sie ihre Sachen gelassen hatte, auch. Im Bad?

»Du hast nur die Hälfte gleich wieder vergessen, weil du hacke zu warst«, meinte Charlotte grinsend. Dennoch erzählte sie ihm zwanzig Minuten lang ihr Leben noch einmal in Kurzform. Auf ihre Zeit in Düsseldorf und Japan ging sie nicht ein.

»Daniel sieht dich immer so an«, platzte es aus Benjamin heraus.

»Du siehst mich auch immer so an«, konterte sie. »Aber das hast du schon richtig gesehen. Ja, da war mal was. Vor zwei, drei Jahren. Er hatte mir mit dem Computer geholfen, ich bin ja so doof in solchen Dingen, wir waren dann was essen, haben ziemlich viel getrunken, und er tat mir leid.«

»Und dann warst du mit ihm im Bett?«

Charlotte zog eine Schnute. »Tja. Er tat mir irgendwie leid. Aber die Sachen, die er wollte, das passte mir nicht. Ich hab’ ihn dann weggeschickt. Aber seitdem glaubt er, er hätte eine Art Anspruch auf mich. Bei mir war das eher Mitleid, ein furchtbarer Fehler, wie ich heute weiß. Sollte man nie machen.«

Benjamin setzte sich auf. »Warte mal. Er hilft dir mit dem Rechner, du pennst mit ihm. Und ich…«

Charlotte wusste genau, was er meinte. »Du bist doof«, sagte sie. »Bei dir ist das doch was ganz anderes. Mit dir habe ich kein Mitleid.«

Benjamin fühlte sich auf einmal ganz klein. Sie wollte nicht mit ihm schlafen, und Mitleid hatte sie auch nicht mit ihm. Hatte er da was ganz grundsätzlich missverstanden? Sie meinte das bestimmt anders. Aber er spürte, wie ihn ihre Worte irritierten. Das mochte an ihm selbst liegen; ein Stich blieb. Benjamin fühlte sich ungerecht behandelt.

Charlotte hatte gespürt, dass ihre Worte falsch rübergekommen waren. »So habe ich das nicht gemeint. Ich meine, ich mag dich doch. Ich bin gern mit dir zusammen, Benjamin Zeno.« Sie überwand sich noch ein wenig mehr. »Da könnte was draus werden, verstehst du, Zen?«

Aber bei Benjamin war etwas eingerastet. Vielleicht war es auch nur die wiedererwachte männliche Eitelkeit und der aus den Tiefen seines Körpers kommende Drang, zum Ziel zu kommen. Er war eingeschnappt, auf eine dem Verstand kaum zugängliche Weise. Das falsche Wort zur falschen Zeit hatte irgendwo angedockt, etwas hatte ihn übernommen. Gleichzeitig spürte er das in einem Winkel seines Bewusstseins, es ärgerte ihn, dass er einschnappte, trotzdem fühlte er sich wie ein Zombie, eine sexuell ferngesteuerte Marionette. Er antwortete nicht, stierte nur an die Wand. Eine beleidigte Leberwurst.

»Ach komm!« Charlotte stupste ihn an. Er sah etwas verletzt zurück. Sollte sie jetzt etwa nachgeben und sich hinlegen und die Beine breitmachen, dachte Charlotte. Das kann er wohl nicht erwarten. Er ist doch sonst so verständnisvoll und erwachsen. Das war auch nicht ihr Stil. So ging das nicht.

»Komm, das war doch nichts Ernstes«, sagte sie schließlich. »Mit dir ist das wirklich was anderes. Weißt du, ich bin müde. Sollen wir uns nicht hinlegen und etwas schlafen? Du musst früh raus, morgen. Und ich hätte gern deine starken Arme um mich, du.« Sie zog sein Unterhemd aus, und die von ihrem Oberkörper ausgehende Duftwolke überwältigte Benjamins Widerstand, zusammen mit dem Beschützerinstinkt, den sie bei ihm geweckt hatte.

»Ja. Ist doch schön, dass du hier bist«, sagte er leise zu ihr. »Ich freue mich wie ein Schneekönig, ehrlich.«

Er zog sich ebenfalls bis auf seine Unterhose aus und legte sich neben sie, seine pochenden Lenden an ihr pralles Hinterteil gepresst und die Arme um sie geschlungen, kreuzweise, der linke Arm unter ihrem Leib hindurch auf ihrer rechten Brust, der rechte auf der linken, seinen Kopf in ihrem duftenden Haar.

Fast wäre Charlotte schwach geworden, sie tastete kurz und unbewusst nach seinem Glied, als ob sie sich überzeugen wollte, ob es noch da wäre, oder ob er bereit wäre. Benjamin wollte ihre Hand dort festhalten. War das ein Angebot, eine Chance auf ein Weiterkommen? Charlotte zog ihre Hand wieder zurück. »Lass uns schlafen.« Sie löschte das Licht und lauschte seinem Atem, bis er eingeschlafen war.

Zen und die Kunst des Bügelns

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