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Verstärkung

Nach dem Mittagessen ging Benjamin nach Haus, um sich Tickets zu besorgen. Von Göttingen nach Düsseldorf mit dem Zug, von dort nach Exeter in Cornwall, weiter zum St. Mary’s Flughafen auf Maypole, der Hauptinsel der Scillys, und schließlich mit einer Fähre nach Tresco, einer weiteren Insel der Gruppe. Dort lebte sein Bruder Alexander in einem alten Steinhäuschen direkt am Tresco Abbey Garden. Viel zurückgezogener ging es nicht.

Benjamin war erst einmal dort gewesen, und er wusste, dass die Reise sich auch ohne besonderen Grund lohnte. Tresco war ein subtropisches Paradies im Westen vor der Küste Cornwalls, eine Orgie an Blüten aus aller Welt, ein abgeschiedener, paradiesischer Ort, der zur Meditation einlud.

Er fand einen günstigen Tarif für Sonntagmorgen. So schön es auf der Insel auch war, die Idee gefiel ihm zunehmend weniger. Eigentlich wollte er nicht weg aus Göttingen.

Klar, er konnte auch mit Alexander telefonieren oder skypen. Er hatte ihn mehrere Jahre lang nicht gesehen, und heikle Themen wollte er übers Netz lieber nicht mit ansprechen.

Die Reise konnte er sich leisten. Er brauchte Rat. Benjamin buchte.

Am Abend wollte Charlotte, die für den Nachmittag in ihr Institut geradelt war, ihn mit Mia und Daniel bekannt machen. Die beiden konnten ihnen helfen, hatte sie gesagt.

Benjamin setzte sich hin und definierte Aufgaben für sein Team an der Uni, die es während seiner Abwesenheit bearbeiten konnte.

Er hatte noch ein paar Stunden Zeit, die er mit einem Spaziergang im Göttinger Stadtwald verbrachte, bevor er sich für eine Weile hinlegte.

Zum Schluss ging Benjamin in die Goldschmidtstraße und arrangierte mit seinen Assistenten und Studenten, was in den nächsten Tagen zu tun war. Eine Gruppe war dabei, die Umgebung eines Geysirs auf Island im Labor nachzuahmen, um dort Stämme eines hitze- und schwefelresistenten Bakteriums auf ihre Überlebensfähigkeiten zu prüfen. Die meisten anderen waren mit Sequenzierungen von Mikro-Organismen beschäftigt.

*

Was Craig Venter im großen Stil auf den Weltmeeren gemacht hatte, machte Benjamin mit seinem Team mit Kleinstlebewesen aus europäischen Flüssen. In dieser Woche wurden in der Leine, der Werra und der Rhume gesammelte Wasserproben gefiltert und durch die Maschinen gejagt, um das Genom auch noch des unbedeutendsten Flussbewohners zu finden, zu dokumentieren und abzuspeichern.

Es war erstaunlich, dass diese Flüsschen der Region den Weltmeeren kaum an Artenreichtum nachstanden. Das waren trotzdem Routinearbeiten, Benjamin hatte wenig Mühe, dies an seine eifrigen Mitarbeiter zu delegieren, die daraus gleich noch ein paar Themen für Bachelor- und Master-Arbeiten herausschlugen.

Um sieben waren sie im Sambesi verabredet, nur ein paar Schritte von seiner WG entfernt. Benjamin wusste nicht, was für Leute die beiden sein würden, und was er tragen sollte. Er warf sich in bunte Sachen, die gut zu dem afrikanischen Restaurant passten. Er hatte sogar noch Klamotten von einem Kenia-Urlaub. Als er sich damit im Spiegel sah, fand er das lächerlich und zog er sich wieder seine Jeans, ein T-Shirt und eine leichte Herbstjacke an, immerhin in Sahara-Beige.

Im Lokal saß Charlotte bereits mit zwei anderen Leuten am Tisch, ebenfalls in Alltagskleidung, mit gefüllten Weingläsern vor sich. Er war der Letzte.

Charlotte zeigte mit dem Kopf in Benjamins Richtung, als sie ihn erspäht hatte, und die beiden am Tisch sahen neugierig zu ihm herüber.

Charlotte stand auf und stellte ihn vor. Benjamin Abendschein«, sagte sie, zu den anderen gewandt, »Mia Taylor.« Benjamin gab Mia die Hand. »Daniel Junghans.« Benjamin und Daniel begrüßten sich ebenfalls, er setzte sich neben Charlotte, die beiden anderen saßen ihnen gegenüber. Benjamin fühlte sich unwohl und fehl am Platz, fremd, und das in Wurfweite seines Zimmers.

»Zen für euch«, sagte er den beiden. »Kurz für Zeno, mein zweiter Vorname.« Die beiden nickten brav. Anscheinend hatten sie keine Spitznamen.

»So! Jetzt bestellen wir uns was Leckeres, ich habe Hunger!« Charlotte klatschte in die Hände und freute sich sichtlich, mit Freunden im Restaurant zu sein.

Die anderen hatten sich offenbar schon für ihre Speisen entschieden, Mia schob Benjamin die Karte hin. Sie war voll von exotischen Gerichten, vor allem Fleisch. Benjamin entschied sich für eine Suppe und in Teig gebackene Gemüse mit Hirse und einer scharfen Soße. Daniel Junghans, der einen gestreiften Pullover trug, bestellte ein Filet vom Zebra. Mia Taylor nahm ein Krokodil-Steak, Charlotte bestellte Strauß süßsauer. Benjamin orderte eine Flasche südafrikanischen Wein für alle.

Ihm fiel auf, dass die beiden und Charlotte vertraut miteinander umgingen. Mia setzte die Sätze fort, die Charlotte begann, und umgekehrt, wie ein altes Ehepaar. Mia stieß Daniel bei witzigen Bemerkungen den Ellbogen in die Rippen, und beide Mädchen lachten pflichtschuldig über Daniels Witze, die sie offenbar schon oft gehört hatten.

Charlotte überkreuzte oft ihre Arme vor sich auf dem Tisch, wenn sie mit Daniel sprach. Sie verschloss sich ihm gegenüber, beobachtete Ben, als ob sie sich vor ihm schützen musste.

Daniel starrte Charlotte laufend mit seinen Bernhardineraugen an, meist mit offenem Mund. Wenn er nicht so ein blasser und pickliger Nerd gewesen wäre, hätte man seinen Hundeblick glutäugig nennen können. Benjamin mochte seine Frisur nicht. Daniel war an beiden Seiten geschoren, oben hatte er seine braunen Haare und die blond gefärbte Strähne darin gegelt und strikt nach hinten gekämmt, wo sie in einen schmalzigen Zopf ausliefen.

Wenn Charlotte woanders hinsah, sank Daniels Blick sofort herunter auf ihre Brüste, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Benjamin war das nicht entgangen.

»Benjamin ist Biologe, wie ich«, erklärte Charlotte gerade. »Wir haben ein paar Ideen, wir wollen was unternehmen, außerhalb der Uni und vom MPI. Vielleicht so eine Art Start-up in Biotech. Irgendwas Cooles, um die Welt zu retten. Wir wollten eure Meinung dazu hören, als Unbeteiligte.«

Benjamin staunte, wie unbefangen Charlotte an diese Sache heranging. Er selbst hätte sich das nie getraut. Hoffentlich fiel sie nicht gleich mit der Tür ins Haus. Sie hatten doch nur rumgesponnen. Nahm sie das jetzt ernst?

»Wir wollen zum Beispiel die Wüsten bewässern«, fuhr sie fort. »Aber nicht mit Kanälen oder so. Wir könnten bestimmte Bakterien derart konditionieren, dass wir es auch dort regnen lassen, wo die Feuchtigkeit sonst nicht ausreicht.«

»Gibt es das nicht schon?«, fragte Daniel.

»Ja, mit Silberjodid«, lachte Benjamin. »Das gibt es schon lange. Funktioniert nicht so toll, aber immerhin haben zum Beispiel die Chinesen 2008 ihre Olympiade bei trockenem Wetter durchgezogen. Anschließend gab’s dann aber monatelang Sandstürme. Mit unserem Verfahren wäre es nicht trocken, sondern so was von grün.«

»Ist das nicht gefährlich? Mit Bakterien?«, sorgte sich Mia.

Charlotte schüttelte den Kopf. »Dein Körper enthält zehnmal so viel bakterielle Zellen wie menschliche, und ungefähr hundertmal so viele genetische Informationen von Bakterien wie deine eigene DNA«, erklärte sie ihr. Mia fasste sich spielerisch an den Arm. »Merkt man gar nix von.«

»Nee, aber wenn sie weg wären, würdest Du’s merken«, sagte Benjamin. »Du hättest zum Beispiel enorme Verdauungsschwierigkeiten, und würdest vermutlich alle möglichen Krankheiten kriegen, angefangen mit allen nur denkbaren Hautleiden.« Er sah zu Daniel hinüber und ärgert sich gleich darüber. Der Nerd hatte es nicht mitbekommen.

»Ich dachte, die verursachen die ganzen Krankheiten«, wunderte sich Mia. Sie grifft nach ihrer teuer aussehenden Handtasche und kramte eine Tube mit Hautcreme heraus. »Hier, lies! Antibakteriell. Mir hilft das.«

»Die meisten feindlichen Keime, werden von deiner Hautflora bekämpft«, erklärte ihr Charlotte. »Und das sind zum größten Teil kommensale, also freundliche Bakterien, was wir so Flora nennen. Eigentlich müsste es Hautfauna heißen. Freundliche, kooperative Keime. Deine Creme hilft nur gegen ganz wenige schwarze Schafe, die es natürlich auch immer gibt. Die weißen Schafe killt sie dann gleich mit.«

»Sie sind außerdem an dich angepasst, oder umgekehrt«, ergänzte Benjamin. »Du könntest ein paar Tausend Arten auf dir haben, die ich zum Beispiel nicht habe. Da hat sich über viele Jahre eine Art ökologisches Mini-Gleichgewicht entwickelt, basierend auf deiner Ernährung, deinen Gewohnheiten, aber auch deren Ernährungsgewohnheiten und Vorlieben. Ihr seid ein großes, symbiotisches, einmaliges Ganzes.«

Mia sah ungläubig auf ihre Hände, die Finger weit abgespreizt. »Ihr wollt mich verarschen.«

»Nee«, lachte Charlotte. »Wir wollen dir unser Konzept erklären. Weißt du, na, wie soll ich das sagen, wir…« sie sah Benjamin von der Seite an, »wir wollen die im Luftraum befindlichen Mikroben dazu nutzen, Krankheiten zu bekämpfen, um im Beispiel zu bleiben. Oder eben Regen über Wüsten zu erzeugen. Auf biologische Weise. Durch die Luft.«

»Klingt mir verdächtig nach Terrorismus«, warf Daniel ein. »Erinnert mich an einen Science-Fiction-Film, den ich letzte Woche gesehen habe. Monster-Mikrobenmutanten greifen an, oder so was.« Er griff zu seinem Handy und schlug nach, wurde dann aber von einer Twitter-Nachricht abgelenkt.

»Was war das denn für ein Film?« Mia verbrachte viel ihrer Freizeit im Kino und gab gern mit ihrem Wissen an.

»Keine Ahnung. Habe nur einen Ausschnitt auf Youtube gesehen. Die besten Szenen. Irgendwas mit ganz winzigen Außerirdischen.«

»Also damit haben wir nichts am Hut«, grinste Charlotte.

»Du isst doch auch probiotische Joghurts und so was. Und du atmest ständig Millionen von Bakterien ein. Kann man was draus machen. Ein neues Projekt. Biologische IT. Ohne Netzwerk, einfach durch die Luft. Ein Internet of Life.«

Daniel wurde eine Spur wacher und beugte sich über den Tisch. »Klingt interessant. Ein organisches IT-Netzwerk. Hätte was.«

Er schaute in Richtung Küche, aber vom Essen war noch nichts zu sehen. Er nahm einen Schluck von seinem Wein. »Aber mit Bakterien, Krankheiten, und so weiter? Hallo? Kriegst du nur Stress mit. Macht lieber was gegen den Dreck.« Er lehnte sich wieder zurück und tippte mit beiden Daumen etwas in sein Handy.

»Hätte ich was anzubieten«, sagte Benjamin locker. Nach seiner Putzorgie am Morgen waren ihm die guten Ideen und Einsichten nur so zugeflogen, er hatte sich gefühlt, als ob er gute Gefühle und Ideen magnetisch anzog; als ob dies der Tag war, an dem einfach alles passte.

»Wir könnten das kombinieren. Unsere Kleinen könnten in einer dicken Schicht, ein paar Kilometer hoch, das Kohlendioxid in der Luft abgreifen, das die Pflanzen nicht mehr verarbeiten können. Wie, das müssten wir uns noch überlegen. Geh mal davon aus, dass das klappt. Und wir haben gerade ein paar passende Gene dafür gefunden.« Er sah Charlotte an. »Was meinst du? Kriegen wir das hin?«

Obwohl sie saßen, hakte sich Charlotte fröhlich bei ihm ein. Benjamin sah, wie Daniels Schultern nach unten sackten, obwohl er sie beim Tippen nur aus den Augenwinkeln wahrnahm. »Klar geht das! Super Idee! Genial! Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe!«

Benjamin fühlte sich ermuntert. »Na ja, die Dinger, die wir meinen, sind ja wirklich in rauen Mengen in der Atmosphäre vorhanden, also einige Arten davon. Die würden sich selbst in den Wolken noch vermehren, die brauchen die Feuchtigkeit. Die gleichen Bakterien, die den Regen machen würden, könnten den Luftraum regelrecht besiedeln und praktisch überall das überschüssige CO2 in Zucker und Luft umwandeln. Den Zucker brauchen sie zum Leben. Und das von einem Computerspezialisten! Toll!«

»Dann habt ihr beide es ja«, sagte Daniel, etwas sarkastisch.

Charlotte legte ihm ihre Hand auf die seine und strahlte ihn an. »Ohne dich schaffen wir das nie, Daniel! Weißt du, das ist ein Netzwerk, das ist nicht einfach ein Bakterium, eine genetische Info, das ist ein wahnsinnig riesiges Netz, mit allen möglichen Verbindungen, mit Informationsflüssen, mit Energiebilanzen, du weißt schon. Und ob du’s glaubst oder nicht, die stimmen sogar darüber ab, was sie machen. Ein Bio-IT-Netz. Und vielleicht mit mehr Fantasie für Investoren als all die letzten IT-Projekte der letzten Zeit, da läuft doch kaum noch was. Das ist gigantisch! Was meinst du?«

Daniel blies sich wieder ein wenig auf und wirkte etwas voller. Das hat Charlotte prima gemacht, dachte Benjamin. Hätte er selber niemals so hingekriegt.

»Es gibt doch so was wie vernetztes Rechnen«, setzte er nach. »Wie die Leute, die zu Hause am Rechner Proteine falten oder RNA zusammensetzen. So was bräuchten wir dann auch.« Daniel sah von seinem Telefon auf und Benjamin stirnrunzelnd an.

»Dieser Preis ist übrigens immer noch nicht vergeben, soweit ich weiß«, bemerkte Mia. »Vielleicht habt ihr da ja auch eine Chance.«

»Welcher Preis?«, fragten Benjamin und Charlotte wie aus einem Mund.

»Fünfundzwanzig Millionen Pfund. Von Al Gore und Richard Branson, unterstützt von Prince Charles, glaube ich. Für den, der ein gutes Verfahren findet, das Mehr an Kohlendioxid elegant aus der Atmosphäre zu entfernen.«

»Das isses doch!« Daniel schien sich entschieden zu haben und haute auf den Tisch. »Dann lass uns das machen! Ich bin dabei.« Er hechelte Charlotte freudestrahlend an. Benjamin fragte sich, an welche Belohnung der Hund in ihm wohl dachte.

Zwei Kellner kamen mit dem Essen, jeder mit zwei Tellern, zugedeckt mit Messing-Hauben. Sie platzierten es vor sie und nahmen die Hauben gleichzeitig ab.

»Voilà! Wir wünschen einen sehr guten Appetit!«, sagte ihnen einer der Kellner, und strahlte Benjamin an. Der sah auf seinen Teller. Im Vergleich mit den anderen, die wahre Berge an exotischem Fleisch und Beilagen vor sich hatte, wirkte sein Essen sehr Nouvelle Cuisine. Je weniger, desto teuer. Benjamin dachte an den Preis von mehr als dreißig Euro. »Guten«, wünschte er den anderen. Sein Magen meldete sich, als Benjamin das Essen sah. Er hatte Hunger und fragte sich, ob seine Portion ausreichen würde. Vielleicht konnte er sich später noch ein Dessert bestellen.

Für eine Weile hörte man nur Essgeräusche und den einen oder anderen lobenden Kommentar und Vergleiche zwischen den Speisen. Das Restaurant war eine gute Wahl gewesen, fand Benjamin. Die anfängliche Fremdheit zwischen ihnen war komplett verschwunden. Dieser Daniel, auch wenn er Charlotte immer so ansah, was Zen nicht gefiel, hatte ihn auf eine gute Idee gebracht.

Chlorophyllähnliche Komplexe gab es in vielen Bakterien. Einige waren sowohl zu aerober und anaerober Atmung fähig. Dazu gehörte Pseudomonas syringae, sein Kandidat für künstliche Beregnung und für den Stafettenlauf ins menschliche Genom, den er mit Charlotte besprochen hatte. Pseudomonas bezog seine Energie zumeist anaerob von den Pflanzen, auf denen es saß und von denen es sich ernährte.

Das war jedoch kein großes Problem. Den aeroben Teil, die Sauerstoff-Erzeugung durch die Fotolyse von CO2 und Wasser, konnte er mit Sicherheit verstärken. Oder sie würden es gleich ganz durch ein vorhandenes und besseres bakterielles Fotolyse-System ersetzen. Er hatte da schon eines im Auge.

Vor Mia lag ein bleiches Stück vom Krokodil-Steak, das aussah wie das herausgelöste Sixpack eines Sportlers.

»Wenn ihr so was machen wollt«, sagte sie und schnitt das Fleisch in drei Teile, »CO2 aus der Luft rausholen, weltweit, Regen machen, über all den Wüsten, und euern Heil und Segen auf die Leute regnen lassen wollt«, sie schob sich ein Stück in den Mund, biss es in zwei Teile, kaute kurz und schluckte, »echt lecker, Leute.« Sie leckte sich die Lippen.

»Wenn ihr das machen wollt, braucht ihr Geld. Viel Geld. Mehr Geld, als ihr euch vorstellen könnt. Viel mehr.« Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Krokodil. »Würde man nicht denken, dass in einer überdimensionierten Handtasche so was Zartes steckt.«

»Wir dachten eigentlich, du könntest mitmachen«, charmte Charlotte sie an.

»Mit fünfundzwanzig Millionen Pfund von dem Preisgeld könnten wir doch ’ne Menge anfangen«, überlegte Benjamin, der seinen Teller schon geleert hatte. »Gott, so viel Geld hab ich noch nie auf einem Haufen gesehen.«

»Ach, wie schnuckelig«, fand Mia. »Fünfundzwanzig Millionen. Ein Mückenschiss. Fünfundzwanzig Mios sind schneller weg als ihr ›aber wir wollten doch noch‹ sagen könnt. Ihr braucht ’ne Milliarde. Zwei, drei Milliarden. Hundert Mios für den Anfang, sag ich mal, und dann laufend mehr. Das ist gigantisch, und gerade deshalb. Ohne Kohle geht gar nix.«

»Nun mach mal halblang«, wunderte sich Charlotte über ihre Freundin. »Wo sollen wir denn soviel Geld hernehmen, wenn ich mal fragen darf?«

»Ist kein großes Problem, heutzutage«, sagte Daniel, der seinem Zebra wohl weniger abgewinnen konnte, als er gedacht hatte. Mehr als die Hälfte des dunkelroten Fleisches lag noch unangerührt auf dem Teller. Vielleicht hatte er mehr gestreiftes Muskelfleisch erwartet.

»Damals in München haben wir mit einer Idee für eine Webseite schon Hunderte von Millionen eingenommen, mit irgendeinem Webservice sind viele Milliardäre geworden.«

»Das ist lange her, der ganze IT-Hype. Heute verdienen nur noch die Großen daran. Und bei Bakterien werden die Leute eher auf die Barrikaden gehen, wenn sie davon hören, als uns ihr sauer verdientes Geld zu geben«, fand Benjamin. »Denk doch nur mal daran, was die Leute sagen, wenn sie bloß das Wort Gentechnik hören.«

Er positionierte sein Besteck auf halb vier. »Heute kriegst du für solche Ideen nicht mal ‘nen Teller Suppe.«

»Ach ja? Und was ist mit Facebook, Dropbox, Skype? Weißt du, wie viele Milliarden da über die Theke gegangen sind? Und was Mini-Firmen mit Apps wie Angry Birds, Infinity Blade oder irgendwelchen Grafik-Apps täglich verdienen? Die Minions auf dem iIPhone? Werbung fürs Quiz-Duell? Millionen, mein Freund. Millionen. Täglich.« Er drehte sein Handy um und blättere kurz durch die vielen Apps auf seinem Schirm. »Neunundneunzig Cent pro App. Aber hundert Millionen Mal verkauft.«

Benjamin hatte einen guten Tag und nickte aufrichtig und freundlich. »Okay.« Das hatte ich vergessen. Aber so was wollen wir ja auch. Programme, die jeden Tag millionenfach runtergeladen werden. Genetische Programme. Und kostenlos.«

»Und wie willst du dann damit Geld verdienen? Wenn das nichts kostet? Und was ist mit rechtlichen Problemen? Deine genetischen Programme werden nicht nur kostenlos verteilt, sondern vermutlich ja auch noch ungefragt, und ohne die Möglichkeit abzulehnen, oder?«

Charlotte hatte sich Daniels Handy genommen und tippte nachdenklich ein paar Apps an. »Da sind ja auch viele kostenlose dabei.«

»Die machen aber Werbung damit oder haben ein Upgrade. Und das kostet dann was«, erläuterte Mia, die ihr letztes Stück Fleisch in Angriff nahm. Daniel nickte.

»Warum geben denn Al Gore und Branson Geld für eine gute Idee her?«, fragte Benjamin und sah Mia an. »Ich denke jetzt an die Kohlendioxid-Geschichte, nicht an medizinische Zwecke.«

Daniel nahm Charlotte das Handy wieder weg und suchte nach Artikeln dazu, alles mit dem rechten Daumen. Sein Essen hatte er vorher in gabelgerechte Stücke zerlegt, die er ab und zu mit der Linken aufspießte und sich in den Mund schob, die Augen immer auf dem Bildschirm.

»Na ja«, sagte Mia und schob ihr Gemüse mit Messer und Gabel zusammen, »Al Gore wohl wegen der Klimakatastrophe. Aber Geschäftsmann ist der auch, genau wie Sir Richard. Nur aus Menschenfreundlichkeit sicher nicht. Vermutlich würden die eure Idee einfach übernehmen und daraus ein ganz anderes Produkt machen.« Sie fuchtelte mit der Gabel durch die Luft. »Die könnten den Kohlenstoff zurückgewinnen. Oder sie könnten irgendwelche Coupons an die Verschmutzer verkaufen. Und Virgin Atlantic könnte wieder unbeschwerter Kerosin verbrennen und die Preise erhöhen. Da kannst du einen drauf lassen, dass die damit Geld machen.«

»Rockefeller hat ja vor hundert Jahren auch in China Petroleum-Lampen verschenkt, weil er später mit dem Öl Geld verdienen wollte«, ergänzte Daniel. »Und es gibt Apps, die von Telekom-Firmen gesponsert werden, damit du mehr online bist und LTE und 5G nutzt. Das wird dann richtig teuer.«

»Und vergesst das Wasser nicht«, mahnte Benjamin. »Das ist oder wird in vielen Ländern bald kostbarer als Öl.«

Charlotte hörte andächtig zu und widmete sich ansonsten ihrem Strauß, den sie sehr langsam zu sich nahm.

»Also schön«, fand Mia. »Da wird’s schon was geben, aus dem man was machen kann. Ohne eine fast sichere Profit-Erwartung gibt dir aber keiner was. Aber wenn ihr eine gute Idee habt, besorge ich uns, was wir brauchen. Das kann ich.« Benjamin hatte das ›uns‹ mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen.

»Wir können uns ja morgen treffen und in Ruhe darüber reden«, schlug Charlotte ihrer Freundin vor. »Benjamin ist morgen unterwegs. Ich meine«, sie blickte zu Daniel, der so aussah, als ob er gleich vorschlagen würde, doch auch dabei zu sein, »wir haben doch mal einen Fonds gegründet. Du weißt schon, Mia. Vielleicht können wir das ausbauen.«

Mia lachte hell auf, trotz ihrer ansonsten eher tiefen Stimme.

»Süß«, fand sie. »Aber du hast recht. Wenn wir ein paar eigene Assets haben, bekommen wir wesentlich leichter noch viel mehr. Tolle Idee.«

Die beiden Männer wussten nicht, wovon die beiden sprachen.

»Wollen wir beide uns mal treffen, um über das verteilte Rechnen zu sprechen?«, fragte Benjamin Daniel. »Dann kann ich dir gleich mal genauer erklären, was ich mir da vorstelle.« Daniel nickte bejahend, sah aber nicht von seiner Instagram-Nachricht auf, die er gerade studierte.

»Kannst du morgen Abend um neun Uhr?« Charlotte stupste ihre Freundin mit dem Ellbogen an. »Vorher muss ich noch was tun.« Die kleinere Mia verschränkte ihre Finger mit denen von Charlottes Hand. »Gern, du. Freu mich drauf.«

Benjamin hatte eingeladen und ging bezahlen. Hungrig war er nicht mehr, wider Erwarten. Außerdem wollte er Charlotte seine Wohnung zeigen, nur ein paar Schritte über die Straße, und freute sich auf den Rest des Abends.

»Wir sehen uns dann, wenn ich aus England zurück bin«, winkte er den beiden anderen zu. »Tschüss, bis dann. Macht’s gut.«

»Tschö«, sagte der gebürtiger Kölner Daniel.

»Sayonara«, verabschiedete Mia sich. Charlotte warf den beiden ein ›Salut!‹ hinterher.

Zen und die Kunst des Bügelns

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