Читать книгу Zen und die Kunst des Bügelns - Klaus Bodenstein - Страница 11

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Da reden wir beim Essen drüber

Das Alfredo hatte geschlossen. Kurze Zeit später saßen Charlotte und Benjamin stattdessen in der Junkernschänke, sahen aneinander vorbei und studierten die Speisekarte. Dem introvertierten Zen erschien dieses erste Essen miteinander wie ein Date; ihr war eher das Lokal peinlich.

Benjamin spürte ihre Präsenz überdeutlich, auch wenn er nicht hinsah. Schließlich bestellte er sich ein Curry, und während Charlotte sich etwas aussuchte, suchte er vergeblich nach einem unverfänglicheren Thema.

»Mir ist etwas eingefallen«, sagte er schließlich, als die lustlos wirkende Kellnerin gegangen war. »Es müssten doch alle, also wirklich alle Frauen ihre Periode verlieren oder verkürzen, wenn das klappen soll. Mit einer künstlich herbeigeführten Absenkung der Fruchtbarkeit beim Menschen.«

Charlotte sah ihn interessiert an und nickte unmerklich. »Ich sage dir gleich noch was dazu.«

»Ich kenne den idealen Vektor dafür«, sagte Benjamin leise. Es saß zwar niemand in der direkten Nähe, aber er hatte sich schon oft dabei erwischt, dass er viel zu laut sprach, wenn er aufgeregt war. »Du warst doch bestimmt schon oft Ski laufen, oder?«

»Leider nicht.« Charlotte schüttelte unbehaglich den Kopf.

»Aber du hast schon von diesen künstlichen Schneekanonen gehört.«

Sie nickte.

»Die verwenden dabei eine Bakterienart, die kaltes Wasser bei ein paar Grad über null auskristallisieren lässt. Wenn es eigentlich noch zu warm für Schnee ist.« Benjamin vergewisserte sich, dass Charlotte ihm zuhörte. Wie entspannt sie aussah!

»Wenn Pseudomonas, das sind die Bakterien, die ich meine, in der Luft schweben, kristallisiert das kalte Wasser schon bei zwei Grad plus aus, es bilden sich Tröpfchen, Wasserdampf, Wolken.«

»Pseudomonas? Wie kommen die in die Luft?«, wollte sie wissen.

»Pseudomonas syringae. Tja, wie kommen die in die Luft? Man hat das anfangs wegen der Frostschäden an Pflanzen untersucht. Solche Bakterien regnen täglich vom Himmel. Sie steigen bei der Verdunstung mit den Wassermolekülen von der Wasseroberfläche aus auf, und sie werden als Bodenbakterien vom Wind aufgewirbelt und können leicht Hunderte von Kilometern zurücklegen. Auf diese Art hat dieses Bakterium das Reisen gelernt, ganz im Sinne von Darwin und natürlicher Auslese. Es nutzt den Regen und den Schnee massiv zu seiner eigenen weiten Verbreitung. Es ist praktisch überall, mit jedem Niederschlag kommt auch jede Menge von denen mit vom Himmel. Du atmest sie ein, sie landen auf deiner Haut. Zwei Unterarten werden sogar als Pestizide verwendet, vor allem auf Äpfeln. Sie verhindern den Befall mit Schimmelpilzen.«

»Tatsächlich.« Das hatte unterkühlt geklungen. Nahm sie ihn nicht ernst?

»Ja. Du nimmst sie auch zu dir, Waschen bringt nichts. Pseudomonas ist normalerweise völlig ungefährlich für Menschen. Die gehen ab zweiunddreißig Grad nach einiger Zeit ein.«

»Ja. Das weiß ich doch alles. Ich verstehe bloß nicht, worauf du hinauswillst.«

»Du arbeitest doch an RNA-Schnipseln, die den weiblichen Zyklus steuern.«

Charlotte zog die Stirn in Falten und spitzte den Mund. Ihre hübschen Grübchen verschwanden. »Und du möchtest diese RNA in deine Bakterien einbauen und damit verbreiten. Aber haben die nicht ein viel zu einfaches Erbgut?«

»Nee, gar nicht. Über sechs Millionen Basenpaare, glaub ich. Aber die Chromosomen der Bakterien lassen wir mal außen vor. Wir bauen deine Mikro-RNA in die Plasmide ein, das E-Mail-System der Bakterien.«

»So was hab ich schon gemacht, zur künstlichen Insulin-Erzeugung«, erinnerte sich Charlotte. »Leicht. Dauert mit CRISPR und anderen neuen Technologien keine halbe Stunde. Aber was bekommst du dann? Ein Bakterium, das keinen menschlichen weiblichen Zyklus bekommt. Pech fürs Bakterium. Das eingeht, wenn es länger auf der Haut oder im Magen verbleibt.«

»Ach so.« Jetzt sah Benjamin etwas dämlich aus seiner schlecht gebügelten Wäsche.

Die Kellnerin kam mit dem Besteck. Charlotte bekam mehr als er. Vermutlich hatte sie ein komplettes Menü bestellt.

»Wir haben diese genetischen Instruktionen aber schon mal an die Frau gebracht«, fuhr er fort, als die Kellnerin verschwunden war. »Jetzt brauchen wir nur noch eine Stafette ins weibliche Genom.«

»Das müssten die Frauen aber auch an ihre Kinder vererben«, überlegte Charlotte laut. »Dann müsste das auch in die Eizellen übertragen werden.«

»Warum eigentlich?« Benjamin lehnt sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. Charlotte runzelte kaum merklich die Stirn. »Wenn Pseudomonas weiter vorhanden ist, muss das nicht vererbt werden. Und wir wollen die Menschheit ja nicht aussterben lassen, nur die übergroße Zahl friedlich auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Wenn ich diese hypothetische Überlegung weiterführe, auch wenn das alles totaler Quatsch ist.«

»Das mit dem Quatsch musst du mir gleich noch erklären, immer eins auf einmal.« Charlotte wirkte gelangweilt. »Spielen wir das mal durch. Bakterien ändern sich innerhalb kürzester Zeit. Wenn ihnen diese Gen-Schnipsel nichts nutzen, geht das extrem schnell wieder verloren. Innerhalb von Tagen.«

»Da hast du recht.« Benjamin überlegte. »Man müsste den Bakterien einen Bonus geben, damit sie das behalten. Mit etwas kombinieren, das von Vorteil für ihre Verbreitung ist. Für ihre Ernährung. Für ihr eigenes Überleben.«

Die Kellnerin brachte den Aperitif, den er bestellt hatte. Swanenfogel Royal, Sekt mit Hibiskussaft und einer Hibiskusblüte darin. Benjamin fand den Anblick der treibenden Blüte sehr erotisch und hoffte insgeheim, dass Charlotte das ähnlich sah. Sie stießen miteinander an und blickten sich dabei in die Augen.

»Was hat das Glatt-Streicheln der Wäsche eigentlich mit Zen zu tun?«, fragte er unvermittelt.

Charlotte lachte. »Nix. Das war immer noch zum Warmwerden. Mehr die erotische Komponente des Bügelns, hast du ja bemerkt.« Sie sah ihn leicht spöttisch an. »Zum Zen-Teil kommen wir erst, wenn du nicht mehr danach fragst.« Benjamin sah sie fragend an.

»Das kommt irgendwann aus dir selbst, wenn du nicht mehr danach suchst. Das kann man nicht lehren oder lernen. Du wirst schon sehen. Eine Garantie kann ich dir nicht geben, das weißt du.«

»Na gut, schon okay.« Benjamin kam auf sein anderes Thema zurück. »Gensequenzen irgendwo einzubauen wäre ein Kinderspiel. Wir bräuchten ein Taxi.«

»Was, willst du etwa schon nach Haus? Das schaffen wir locker zu Fuß«, neckte sie ihn. »Wenn du ein Gen-Taxi meinst, kannst du Adenoviren oder was anderes nehmen, steht auch reichlich zur Verfügung. Über die Technik brauchst du dir keine Sorgen zu machen, das ist doch heute ein Kinderspiel. Eher über die Ethik.«

Benjamin legte den Kopf zurück und sah zur nackten Decke mit ihren vielen Rohrleitungen und den Lampen dazwischen. »Gut, dass du das sagst, Charlie.« Er lehnte sich zurück und sah ihr in die hellblauen Augen, die ihn aufmerksam prüften.

»Wenn ich was gelernt habe, in meinem Sabbatical, meine ich, dann das. Statt zu handeln, einzugreifen, sollten wir Dinge lieber lassen, in Ruhe lassen, sich selbst entwickeln lassen.« Er lehnte sich im Stuhl zurück.

»Was nötig wäre für die Menschheit, wäre weniger statt mehr, Lassen anstelle von Handeln, Schrumpfen statt Wachsen. Eigentlich möchte ich selbst der Letzte sein, der Prometheus spielen und die Welt verändern will. Das haben wir zur Genüge getan, und was ist das Ergebnis? Artensterben, Klimakatastrophe, Kriege und Hunger.«

Charlotte sagte nichts.

»Wir dürfen also gar nichts tun«, schob er nach. »Nur dann können wir etwas verändern. Durch Nicht-Handeln.«

Sie sah ihn weiter an, ohne zu blinzeln, sagte diesmal aber etwas.

»Wovon lebst du eigentlich, Zen?«

»Jobs und Projekte am Institut. Förderungen von der EU dafür. Gegenwärtig arbeite ich an einem Projekt für die Reduzierung des Methan-Anfalls bei der Viehzucht.«

»Siehst du?«, fragte sie. »Du würdest verhungern, wenn du als kleines Schräubchen aus dem Apparat aussteigst, und niemand würde es bemerken. Ein anderes Schräubchen wäre schnell gefunden. Was der Zauberlehrling angefangen hat, muss er weitermachen, das ist unser Fluch, Zen. Wenn kein Meister kommt und uns den Besen wegnimmt, bleibt alles beim Alten. Du kannst das nicht stoppen, wenn du dich einfach nur verweigerst. Ich hoffe, das ist dir klar, mein Lieber. Denn den Meister gibt es leider nicht.«

»Vielleicht doch. Das ist schwierig, lass uns da ein andermal drüber reden, Charlie«, schlug er vor. »Ich möchte diese blöde Idee weiter in Gedanken durchspielen, mehr nicht.«

Die Bedienung kam mit dem Wein, einem Barolo von 2006 für siebenundvierzig Euro, den sie ausgesucht hatte. Benjamin hatte fast ein schlechtes Gewissen. Den konnte er sich eigentlich nicht leisten.

Er nahm das Glas auf und probierte. Der Wein war sehr gut. Benjamin nickte der Kellnerin zu. Die sagte nichts, schenkte erst Charlotte ein und dann ihm. Sie zog wortlos davon, nachdem sie die Flasche laut auf den Tisch geknallt hatte.

»Bisschen muffig, die Kleine, was?«, bemerkte Benjamin.

»Hat vermutlich ihre Tage«, mutmaßte Charlotte, der Kellnerin nachsehend. »Vielleicht können wir ihr ja helfen, das loszuwerden.«

»Rein theoretisch.«

»Genau. Theoretisch könnten wir der Menschheit die Lust am Kinderkriegen nehmen, Zen, aber rein praktisch kommt da hinten meine Suppe«, sagte Charlotte. »Und das hat jetzt Vorrang. Zum Wohl, mein Lieber!« Sie hielt ihm ihr Glas hin, er hob seines, beide nahmen einen Schluck und sahen sich in die Augen. Wenn man das nicht tat, gab es sieben Jahre lang schlechten Sex, wie beide wussten.

Charlotte rieb sich die Hände und freute sich wie ein Kind. »Jetzt essen wir erst mal was!«

Benjamin hatte keine Vorspeise bestellt. Er sah Charlotte zu. Wie sie strahlte, von innen heraus, wie sie beim Essen und Freuen leicht in den Schultern hüpfte, wie ihr Busen vibrierte, wie sie beim Sprechen mit den Händen flatterte. Eine fantastische Frau. Er seufzte.

Da ging er hin, sein selbst gewählter Zölibat. Er stellte sich vor, wie sie sich aufbäumte, wie sich ihre Lust anhörte, wie sie sich in seinen Brusthaaren verkrallte. Er hatte sich ganz schön verändert in diesen Tagen. Wo war seine innere Ruhe geblieben, diese ätherische Freude am Sein?

Und nun wollte er mit dieser wunderschönen Frau vor ihm, halb im Scherz, halb als Fantasie, den gentechnischen Umbau der Gesellschaft anstoßen? Wollte er nicht lieber viele, viele Kinderchen aus ihr herauspurzeln sehen? Seine Kinder? Warum kam sein Geist nur auf so völlig unterschiedliche Ergebnisse wie sein Körper? Hatte sein Bauch nicht sonst auch immer recht gehabt?

Sein Geist sagte ihm, dass diese Geilheit und Lust genau das war, was er doch loswerden wollte, das Übel, das die Menschheit die Natur ruinieren ließ.

Sein Bauch dachte heute ganz anders. Er erklärte ihm, dass er schon immer am besten gewusst hätte, was gut für Benjamin war, dass er langsam mal zum Schuss kommen sollte, und dass der Kopf nicht so rumspinnen sollte. Der würde sowieso immer nur die Hälfte verstehen und die auch noch falsch interpretieren.

Nimm sie dir, sagte der Bauch. Aber der Kopf drängelte sich vor, wenn der Bauch Sprechpause hatte.

»Weißt du was«, sagte er schließlich, nachdem er ihr dabei zugesehen hatte, wie sie die Suppe in Angriff nahm, »wir müssen da mal ganz nüchtern drüber reden, ob das tatsächlich Sinn macht. Und wir sollten auch mit niemand anderem darüber reden.«

»Ist ja nur ein Gedankenspiel«, sagte Charlotte zwischen zwei Löffeln Suppe. »Lecker, übrigens. Hättest dir auch eine bestellen sollen.« Sie stießen mit ihren Gläsern an und tranken noch einen Schluck. »Aber interessant ist die Idee doch. Wir können das doch als reines Gedankenexperiment weiterverfolgen. Nimm dir was von meinem Brot«, forderte sie Benjamin auf. »Das ist echt lecker.«

Benjamin nippte nachdenklich an seinem Wein und aß ein Stück Brot. Er nickte. Es war lecker.

Charlotte suchte in seinem Gesicht nach seinen Gedanken.

Sie hatte ihre Suppe ausgelöffelt und wischte sich mit ihrer Serviette den Mund.

»Nehmen wir mal an, das klappt alles. Aber weißt du, wie groß die genetischen Datenmengen sind, die du brauchst, um den kompletten weiblichen Zyklus umzustellen? Das schaffen deine Bakterien nie. Vielleicht sollten wir ganz woanders ansetzen.«

Sie faltete ihre Serviette wieder zusammen.

»Vielleicht sollten wir als erstes den Männern die Aggressivität nehmen, denke ich. Wäre ein guter erster Schritt. Ich glaube nämlich, dass es das ist, was unsere Zivilisation so destruktiv macht. Die Aggression, unsere Schimpansen-Gene. Vielleicht sollten wir die in Bonobo-Gene umtauschen. Schluss mit Krieg und Aggression machen. Gegeneinander und gegen Frauen. Die ist nämlich auch alltäglich, mein Lieber.«

Benjamin sah seine Vision von einer triebbefreiten menschlichen Gesellschaft, die die Natur in Ruhe ließ, dahinschwinden. »Das wäre viel schwieriger. Und beides können wir nicht durchziehen. Aggressivität ist viel tiefer verankert. Da kommen wir niemals ran.«

Er sah den Unwillen, der ihre Mundwinkel nach unten zog. Ihr war das wichtig. Hatte sie da was erlebt? Als Frau?

Er goss Charlotte und sich nach. Die Flasche war schon fast leer, und langsam spürte er die Wirkung des Weins. Er schaute auf dem Etikett nach. »Dreizehn Umdrehungen«, teilte er Charlotte mit, während er seinen Blick stabilisierte. Er hatte schon zu viel getrunken und war den Alkohol nicht gewohnt. Doch das durfte er sich als Mann nicht anmerken lassen.

Sie ergriff ihr Glas und trank es fast aus. »Guter Geschmack hat auch was mit Salz zu tun«, sagte sie. »Man trinkt dann einfach mehr.«

»Da verdienen die auch mehr dran als am Essen«, steuerte Benjamin bei. »Ich glaube, ich bestelle noch mal ein Fläschchen Wasser für uns und zwei Gläser Wein zum Hauptgang.« Er schaute sich nach der Kellnerin um. Da sie fast allein in dieser Ecke des Restaurants saßen, war niemand zu sehen.

»Ich mag jetzt nicht an Arbeit denken«, gestand Benjamin. »Lass uns das Thema ein andermal fortsetzen.« Er klopfte an sein leeres Glas.

Die Kellnerin war in der Küche gewesen, war aber in Gedanken bei ihnen gewesen. Sie erschien mit dem Hauptgang, einer Lammhaxe vom Harzer Weidelamm für Charlotte und rotem Thai-Curry mit gebratenem Tofu für Benjamin. Das Lamm roch verführerisch, selbst für den Vegetarier Benjamin. Fett, Salz und karamellisierter Zucker, alles was ein menschlicher Jäger und Sammler vor zehntausend Jahren noch dringend benötigt hätte, dachte er. »Können wir bitte zwei Gläser von dem Barolo bekommen, bitte?« Die Kellnerin nickte, sammelte Charlottes Teller und Löffel ein und schlich davon.

»Das Ganze wäre eine Art Stafettenlauf«, fing Benjamin wieder mit seinem Thema an. »Eine Information wird über Vektoren weitergegeben. Wir haben die Werkzeuge dafür. Aber wir bräuchten auch eine Art Software, ein Programm, das steuert, wie das Ganze ablaufen kann und soll. Sonst ist das völlig chaotisch. Versuch und Irrtum. Ein amorphes Netzwerk, ein biologisches Internet, ohne Kopf, aber mit vielen Schwänzen.«

Charlotte grinste ihn spöttisch an. Männer.

Benjamin grinste zurück.

»Ich glaube, ich kenne da wen«, sagte Charlotte vorsichtig. »Ein völliger Netzwerk-Freak. Du weißt schon.« Sie wedelte erklärend mit den Händen in der Luft und hüpfte dabei ein wenig auf und ab, was schöne wellenförmige Schwingungen über ihren Oberkörper laufen ließ. Komm, wir lassen das Essen stehen und gehen zu dir, hätte er fast gesagt. War das der Alkohol?

Charlotte leckte sich die Lippen und griff zu ihrem Besteck. »Das können wir unmöglich kalt werden lassen«, freute sie sich. So viel zum Thema Essen stehen lassen, dachte Benjamin. Er machte sich ebenfalls an sein Curry. Es war wunderbar aromatisch und auch scharf genug für seinen Geschmack.

»Daniel könnte uns helfen«, fuhr sie fort. »Ein Software-Spezialist, ein Freund, den ich kenne.«

Daniel. Ein Typ also. Irgendwie törnte ihn das wieder ab. Hatte Charlotte eigentlich einen Freund? Er war noch nicht dazu gekommen, das herauszufinden. Er kannte sie erst seit Kurzem, auch wenn ihm das vorkam wie eine ganze Woche.

»Ja«, krächzte er. Soeben hatte er doch eine schärfere Chili-Schote erwischt. Eine höllisch scharfe, und ausgerechnet die war ihm ans Zäpfchen geraten. Charlotte tupfte sich mit der Serviette etwas Fett von den vollen Lippen, die verführerisch glänzten. Es schien ihr zu schmecken.

»So was zu entwickeln würde einiges kosten. Geh mal von etlichen zehntausend Euro aus. Pro Version. Da kommen leicht ein paar Hunderttausend Euro zusammen.«

»Wenn man das übrighätte«, überlegte Benjamin. »Und wenn wir das wirklich machen würden, ist ja nur ein Gedankenspiel.«

Sie sah ihn nachdenklich an und kaute weiter. Beim Kauen traten ihre dreieckigen Grübchen jedes Mal zum Vorschein. Sie schluckte und leckte sich mit einer kleinen, leicht spitzen rosa Zunge über die Lippen. Das allein ließ Benjamin wieder tiefer atmen, vielleicht war es auch ihr Duft. Das Fenster hinter ihr stand leicht offen und wehte ihr Chrysanthemen-Zimt-Aroma zu ihm hin. Benjamin spürte, wie sich seine Hoden erneut hin und her wälzten, wie in Vorfreude.

»Was Geld angeht, lässt sich vielleicht auch was machen«, sagte Charlotte schließlich. »Ich könnte mal mit meiner Anlageberaterin reden, Amy. Die kann ich dir auch gern vorstellen«, sagte sie, während sie mit dem Messer das Fleisch des Lamms von den Knochen löste. »Das ist immer das beste Stück«, freute sie sich, als sie seinen Blick bemerkte. »Vielleicht könnte die uns helfen. Kennt sich gut mit Fonds aus. Mein Geld verwaltet sie auch.« Sie kostete und sah glücklich aus.

»Aber erst mal müssten wir wissen, was wir überhaupt wollen, wenn wir überhaupt was wollen.« Sie fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum. »Bin ich gar nicht von überzeugt. Ich selbst fände es wichtiger, die menschliche Aggressivität zu besiegen. Damit wäre unserem Planeten mehr geholfen. Auch wenn das schwieriger sein dürfte. Lieber bessere, friedlichere Menschen als weniger. Aus denen werden dann doch rasch wieder mehr, und es war alles umsonst.«

»Sprich doch mal mit ihr.« Benjamin wunderte sich, in was der Koch die Tofu-Stücke eingelegt hatte. Das war jedenfalls nicht der marinierte Tofu aus dem Bioladen.

Balsamico mit Honig? Irgend so etwas. »Lecker, das Essen.« Er ahmte die Bewegung ihrer Zunge über seinen eigenen Lippen nach. Außerdem war es jetzt schärfer geworden als anfangs. Chili mit Nachbrenner. Er nahm einen großen Schluck Wasser und goss beiden nach, da Charlottes Glas auch schon wieder fast leer war. Das fühlte sich alles so gut an! Er genoss das Genießen wieder.

»Wir müssten ein eigenes kleines Labor haben, du weißt schon. Sequenz-Analysatoren, PCI, Inkubatoren, CRISPR-Sets, was weiß ich, den ganzen Sums eben.«

Sie nickte, sah aber an ihm vorbei ins Restaurant. Dann wandte sie sich wieder ihrem Teller zu und schien über etwas nachzudenken.

»Was?«

Sie schüttelte den Kopf.

Benjamin hatte sein Curry schon fast geschafft und las ein paar Gemüsestückchen vom Rand des Tellers auf. »Platz sollte auch nicht das Problem sein. Es gibt da einen völlig unbenutzten Keller unter der alten Augenklinik in der Geiststraße. Ich kenne die Leute da. Wenn wir da reinkönnen, das wär doch was. Und Freunde von mir haben ein altes Bauernhaus in Geismar, der Keller dort steht auch komplett leer. In der Uni geht vielleicht auch was.«

»Das macht Sinn«, fand sie. Charlotte war beim letzten Rest ihres Lamms angelangt. »Wenn wir einen offiziellen Grund, ein Forschungsprojekt oder ein Projekt für die Industrie finden, können wir das locker auch im MPI laufen lassen. Oder im Primatenzentrum. Projekte gibt es doch genug. Vielleicht sogar mit einer Finanzierung. Wir müssten das verpacken oder verkleiden, damit wir Fördermittel bekommen können. Nur so als Gedanke, natürlich. Verstehst du? Wir tarnen das als anderes geiles Projekt, was Offizielles, mit dem wir unser Gedankenspiel finanzieren könnten, das aber auch als eigenes Projekt schon Sinn macht. Etwas richtig Gutes. Das ist dann unser Schaufenster. Die Menschheit behandeln wir dann im Hinterzimmer.«

»Du nimmst das tatsächlich ernst?«, fragte er ungläubig.

»Ach Quatsch«, lachte sie. »Ich spinne doch nur rum.«

Sie faltete ihre Serviette sorgfältig zusammen, legte sie auf den Tisch und stand auf. »Du, ich muss mal raus«, sagte sie leise, »bin gleich wieder da.« Sie strich ihm im Vorbeigehen sanft über sein dunkelbraunes Kurzhaar, ging einen Schritt in Richtung Toilette, kam aber nach drei Schritten wieder zurück und drückte ihm schmatzend einen satten Kuss auf die Lippen. »Bis gleich, du!«

Benjamin leckte sich unwillkürlich die Lippen und sah ihr nach. Sie schwankte ein wenig, aber wie sie dabei ihr rundliches Hinterteil wie bei einem Slalomkurs durch Tische und Stühle schwenkte, war sehenswert. Benjamin stellte sich vor, wie sie sich gleich auf der Toilette die Hose herunterziehen würde.

»Zahlen, bitte!«, rief er der Kellnerin zu. Hoffentlich hatte Charlotte nicht noch einen Nachtisch bestellt. Auf einmal hatte er es irgendwie eilig.

Zen und die Kunst des Bügelns

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