Читать книгу Zen und die Kunst des Bügelns - Klaus Bodenstein - Страница 7

Оглавление

Es gibt nichts Richtiges im Falschen

»Das kommt natürlich alles irgendwo aus dem Kopf«, sagte Benjamin vorsichtig, nach einigem Überlegen. »Ich habe mich und andere beobachtet, überall, beim Sport, in der Disco, bei Interaktionen in großen Gruppen.« Er trank einen Schluck Tee, und Charlotte sah ihn interessiert und fragend an.

»Was mich immer gestört hat, war diese Fremdsteuerung, diese Unterwerfung unter unsere so vieles beherrschende Triebe, wie Automaten mit nur wenig Spielraum für anderes. Wir sind wie Paviane, wie Schimpansen«, erklärte er.

»Wir müssen uns gegen andere durchsetzen, den Frauen imponieren, uns rausputzen, andere weghauen. Fast alles ist vom Sex durchdrungen und bestimmt, unser ganzes Streben. Es geht immer darum, sich die besten Partner zu sichern, wenn du gesund und satt bist und ein Dach über dem Kopf hast. Oder gleich alle, auch wenn wir das gar nicht schaffen können. Wie bei den Löwen, den Hirschen, den Schimpansen. Der Stärkste begattet alle.« Charlotte sah ihn nur spöttisch an.

»Eine Zeit lang hat mich diese Erkenntnis befreit«, gab er zu. »Ich fand es affig, dieses ständige Hinterherlaufen hinter Sex und Geltungsbedürfnis. Ich fand es lächerlich, befremdlich. Ich selbst konnte richtig aufatmen und innerlich jubeln, als ich das für eine Weile los war. Ich war frei wie ein Vogel. Glaubst du vielleicht nicht, aber das war eine sehr glückliche Zeit in meinem Leben. Zu können, aber nicht zu müssen.«

»Aber das ist doch ganz natürlich, Zen«, gab Charlotte zu bedenken. »Wir alle wollen das. Wir müssen das. Darwin. Wir sind bestrebt, uns durchzusetzen, unsere Gene überleben zu lassen. Nur dadurch können wir uns anpassen, nur so als Art überleben. Wir würden uns sonst nicht weiterentwickeln. Sex macht uns stark.«

»Schon«, gab Benjamin zu. »Aber bei uns Menschen ist das viel komplexer. Bei Darwins Finken und anderen Tieren reicht es, angepasst zu sein. Eine Eigenschaft zu entwickeln oder zu verändern, um sich anzupassen. Und dann der Erfolgreichste oder der Stärkste zu sein und die Anpassung weiterzugeben. Schön und gut. Aber bei uns ist das anders.«

Benjamin setzte sich anders hin. »Menschen haben viele soziale Schichten. Du kannst von Brad Pitt und Angelina Jolie träumen, aber für einen Bauarbeiter ist es wichtiger, dass er ein Auto und ein kleines Häuschen hat und seinen Job behält, um eine adäquate Frau zu finden, der das genügt und die das gut findet. Und auch in anderen Schichten gilt das. Du musst nicht groß und stark, wenn du Bill Gates bist. Geld und Macht sind attraktiv genug. Sportwagen sind sexy. Geld ist sexy. Erste Klasse Fliegen ist sexy. Angesagte Klamotten. Kenntnisse über die neuste Musik. Den heißesten Schuppen. Die modernste Sport-Uhr und das geilste Handy. Wissen. Tausende von Nischen, Tausende von Talenten. Tausend Wege, einen Partner zu finden, auch wenn du an die besten vielleicht niemals rankommst. Irgendein Talent hat jeder, um zu seinem Topf einen Deckel zu finden. Nur stark und klug war gestern.«

Benjamin seufzte tief. »Die klassischen Mechanismen von Darwin sind außer Kraft gesetzt. Na ja, mit Ausnahmen vielleicht.«

Charlotte sah ihn fragend an.

»Na ja, die schöne Frau, die mit dem reichen und kahlen Architekten verheiratet ist, aber mit dem attraktiven Gärtner vögelt. Die Prinzessin, die den Reitlehrer ihrem Mann Charles vorzieht. Der Mann für die Absicherung, aber der Kerl fürs Bett.«

»Also funktioniert Darwin immer noch«, schloss Charlotte daraus.

»Ja, natürlich«, sagte Benjamin. »Aber das ist gar nicht mein Punkt. Dieser gewaltige Aufwand, den wir treiben müssen, um einen oder viele gute Partner zu finden. Geile Autos, die unser Ego transportieren. Autobahnen, die dann diese Autos transportieren. Das gute Haus mit Garten, das uns attraktiver macht, und die riesigen Wohnsiedlungen, die unsere Landschaften zerstören.« Benjamin ließ den Kopf hängen, sah aber sofort wieder auf und Charlotte ins Gesicht.

»Der Wille zu beherrschen, uns alles andere untertan zu machen, jeden Tag Fleisch auf dem Teller zu haben. Und dafür den Verbrauch von Land, Energie, Wasser, Futtermitteln statt Gemüse auf solche Höhen zu treiben, dass wir dafür den ganzen Planeten dafür umgraben müssen. Wir ruinieren die Erde für Habgier, Sex und Geltungsdrang. Ich könnte da noch viel, viel mehr aufzählen. Und das alles auch wegen unserem affigen Imponiergehabe und unserer steinzeitlichen Gene, die dem heutigen Leben nicht mehr angemessen sind.«

Benjamin lehnte sich zurück und atmete erschöpft aus.

Charlotte war kaum beeindruckt. »Aber das ist doch nicht nur das Bestreben, gute Partner zu finden und seine Gene zu verbreiten. Ganz so simpel sind wir nicht gestrickt, Zen. Das ist auch Bequemlichkeit, der Wunsch nach einem angenehmen Leben. Der Wohlfühlfaktor.« Sie beugte sich vor.

»Und mit all unseren neuen Technologien beanspruchen wir doch immer weniger an Ressourcen. Es wird doch auch vieles besser, kleiner und effektiver. Es gibt doch auch positive Entwicklungen«, warf sie ein.

»Genau damit beruhigen wir uns immer«, fand Benjamin. »Aber wir schränken uns nicht ein. Wir könnten bequem per Skype oder WhatsApp mit Leuten rund um die Welt Konferenzen abhalten. Aber trotzdem nimmt zum Beispiel der Flugverkehr nicht ab, sondern zu. Wir nutzen einfach alles, auf das wir zugreifen können, ganz einfach aus einem Grund: Weil wir es können. Wir machen alles, was technisch möglich ist. Alles. Bis zum Anschlag. Because we can.«

Er dachte an sein Fahrrad. »Du könntest heute Elektroauto fahren. Du könntest bald ein autonomes Auto herbestellen und auf ein eigenes ganz verzichten. Das alles wird entwickelt. Aber was tut sich? Die Autoproduktion, und zwar von konventionellen Fahrzeugen, hat im letzten Jahr in Deutschland um sieben Prozent zugenommen. Und statt kleinerer Autos werden SUVs verkauft, immer größere. Alles nur Feigenblätter.«

Charlotte senkte den Kopf und dachte nach. Benjamins Blick fiel auf ihren strammen Pullover. Er spürte, wie sein Verlangen sich meldete, und dränge es beiseite. Er musste sich konzentrieren.

»Das Problem ist, dass wir zu viele sind«, fuhr er fort. »Viel zu viele Menschen. Es kann durchaus sein, dass wir das mit neuer Technologie hinkriegen, den sparsamen Umgang mit Ressourcen, den Rückbau der Zivilisation zugunsten der Natur. Wenn wir noch fünfzig bis hundert Jahre dafür hätten. Wir könnten uns das leisten, hier bei uns. Deutschland ist ein reiches Land. Aber es drängen Milliarden nach, vor allem aus armen Ländern. Dort ist das Leben härter, es gibt Kriege und Katastrophen, die Ressourcen dort sind bereits erschöpft. Wir brauchen jetzt schon zwei, drei Erden, wenn wir so weitermachen wie bisher. Das macht mich nachdenklich. Pessimistisch.«

Benjamin senkte den Kopf. Es war ihm peinlich, sein Inneres so nach außen zu kehren. So gut kannte er Charlie nicht.

»Wenn wir nicht so viel wollen würden, ohne all diese Ansprüche, mit einer bescheideneren Menschheit – dann könnten wir alle gut überleben, auch die Natur, die wir so rücksichtslos zerstören. Nicht du und ich persönlich, wir alle zusammen.«

Charlotte sah ihn kritisch an. Er hatte sie noch nicht überzeugt. Er sah ihren Blick und sprach weiter.

»Weißt du, in der Evolution waren wir oft die Benachteiligten. Ein schwaches und langsames Tier mit unterlegenen Sinnen, im Vergleich zu erfolgreicheren Raubtieren. Ein Underdog. Das mussten wir wettmachen. Die junge Menschheit war zu Zeiten nicht größer als ein paar Dutzend Personen. Trotzdem hat sie überlebt.«

»Mit Werkzeug«, versuchte Charlotte.

»Genau. Feuer, Bekleidung, Arbeitsteilung, Medizin. Werkzeuge aller Art. Alles was uns unabhängiger von den Launen der Natur gemacht hat.«

»Und deshalb wolltest du nichts mehr mit Frauen zu tun haben?«, fragte sie ihn und schüttelte den Kopf. »Weil Menschen Werkzeuge benutzen?«

Benjamin grinste. »Im Gegenteil. Das hat es uns ermöglicht, das ganze Jahr über zu können, Kinder kriegen zu können, statt nur in der Brunst, wie andere Tiere. Großer Fortschritt. Die Befreiung der Fortpflanzung von natürlichen Notwendigkeiten.«

»Wir können und wollen immer«, grinste Charlotte. Benjamin horchte auf. War das eine Aufforderung?

»Gekochtes Essen, bessere Behausungen, weniger Krankheiten, mehr Essen, bessere Hygiene, bessere Infrastrukturen, und schon gab es mehr Geburten als Tote«, fuhr er fort. »Und das geht exponentiell. Wir fressen den Planeten immer schneller kahl. Und wenn wir einen neuen Planeten fänden, würden wir den genauso schnell oder noch schneller kahl fressen.«

»Und du glaubst, du könntest das ändern, wenn du an diesem Zirkus nicht mehr teilnimmst?«, fragte Charlotte ihn ungläubig.

Benjamin schüttelte den Kopf. »Nee, das trifft es nicht.« Sie hob fragend die Brauen.

»Diese allgemeinen Erkenntnisse teilen wir alle, oder viele von uns. Wir wissen das. Und doch, wir meckern, wir beklagen uns, wir schimpfen. Aber wir ändern unser Verhalten nicht. Schuld sind immer die anderen.«

»Mein Gott, du zerfrisst dich ja, Zen«, warf Charlotte ein. »Denk doch mal nach. Das kann ein Einzelner gar nicht ändern«, bemerkte sie.

»Und doch trifft es das immer noch nicht«, fuhr Benjamin fort. »Ich habe die Leute lange beobachtet. Mir fiel auf, dass ganz vieles letzten Endes auf Sex abzielt, direkt oder indirekt. Die Art, wie wir tanzen; Werbung. Wie wir sprechen. Wie wir uns anziehen. Wie wir konsumieren und der Mode folgen. Was unsere Ziele im Leben sind. Alles oft nur dafür, um so viel und so guten Sex wie möglich zu haben, oder zumindest haben zu können. Biologisch, um möglichst viele Nachkommen zu haben, ob uns das bewusst ist oder nicht. Wir sind unseren Trieben weitgehend unterworfen, auch wenn der Verstand das gern leugnet. Nur umfassen unsere Balztänze unser gesamtes Leben, nicht nur ein paar Tage im Jahr.«

Charlotte musste lachen. Sie ging ins Bad und kam mit einer Handvoll Sachen zurück. »Hier. Die Pille. Meine alte Spirale. Wer vögelt denn heute noch, um Kinder zu kriegen? Alle wollen doch nur ihren Spaß.« Sie grinste ihn an. Er grinste zurück. Genug diskutiert? Ab ins Bett? War das jetzt angesagt?

Aber er ignorierte die Anspielung. Sie sprachen ja nur darüber, mit Worten. Ihre Körpersprache sagte nichts Intimes.

»Natürlich, du hast recht. Im Kopf wissen wir das, dass nicht aus jeder Nummer ein Kind entsteht. Trotzdem verhalten wir uns so, als ob es kaum etwas anderes gäbe. Und meist verdrängen wir das, andere Erklärungen finden wir immer. Und irgendwann passiert es dann doch, gewollt oder ungewollt. In vielen Ländern immer noch absolut gewollt, ganz nebenbei. Die Bevölkerung wächst ungebrochen. Und wir haben immer nur eines im Kopf. Dabei gibt es so viele andere wichtige Dinge im Leben.«

Charlotte gefiel diese Diskussion nicht. »Das ist doch Quatsch, sorry, Zen, aber sieh dich doch mal um. Die Bevölkerung in Deutschland, in Europa, in Japan, sie schrumpft. Auf einem hohen Stand der Technik ist es vorbei mit dem Wachstum der Bevölkerung. Wir werden irgendwann bei zehn Milliarden, vielleicht auch elf oder zwölf, zum Stillstand kommen. Und das ist auch gut so. Da stimme ich dir voll zu.«

Benjamin wollte erwidern, dass das die großen Ausnahmen waren. Insgesamt ging das exponentielle Wachstum weiter, in fast mathematisch reiner Form. Wenn nicht hier, dann woanders. Und irgendwann kam dann das Woanders hierher. Aber er hielt sich zurück; das war nicht sein Punkt.

»Ich meine was anderes. Der Bauch regiert, der Kopf erklärt das nur und legt uns die richtigen Argumente dafür zurecht.«

»Mich stört das nicht«, sagte Charlotte genüsslich und zog ihre Knie auf den Sessel, die Waden an die Oberschenkel geschmiegt. »Solange alles friedlich zugeht. Die Kriege und Kämpfe, die du erwähnt hast, die machen mir viel mehr Sorgen.«

»Weißt du, Charlie, ich hatte so ein Schlüsselerlebnis, ich kann das gar nicht richtig beschreiben.« Benjamin wollte seinen Faden nicht verlieren. »Da fiel etwas von mir ab. Ich sah das, erkannte es, und schwupps, war dieses Hamsterrad im Kopf weg. Nicht mehr da. Total. In diesem Moment und den Wochen und Monaten danach fand ich das alles eher komisch, wie sich da alle bemühten, wie sie den größten Teil ihrer Energie darauf richteten, ihren Trieben zu folgen. Direkt und indirekt nach Sex zu streben, nach den damit verbundenen kurzen Zuckungen, dem Glücksgefühl, das wir dafür von der Natur als Bonus bekommen. Egal ob es zum Erfolg führt oder nicht. Wenn wir jung sind, ordnen wir dem vieles unter. Im Alter mag das nachlassen, das kann ich nicht beurteilen.«

»Und was soll daran schlecht sein?« Charlotte verstand ihn nicht. »Das hat uns dahin gebracht, wo wir heute sind. Wann ging es uns jemals so gut? Sieh dich doch mal um. Wir leben doch in einem Paradies auf Erden.«

»Mag sein. Klar, das Leben ist schön. Trotzdem, das war eine Befreiung für mich. Ich hatte so viel Energie, so viele Erkenntnisse, so viel Freude. An der Natur, am Leben, an allem, was uns umgibt. Und Trauer, wenn ich sehe, was wir alles jeden Tag zerstören. Eine Million Arten ist schon ausgestorben. Den nächsten Millionen gibt das Klima den Rest. Und lange vorher sind auch wir fällig, Charlie.«

Charlotte sagte nichts, studierte ihn nur.

»Es war die beste Zeit meines Lebens«, fand Benjamin. »Diese Befreiung davon. Aber jetzt ist das langsam vorbei. Jetzt hat mich das wieder, das Leben. Und ob du’s glaubst oder nicht, jetzt gefällt es mir wieder.«

Zen und die Kunst des Bügelns

Подняться наверх