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1966 bis 1971: Glückliche Kindheit in Celle – Omas Goldjunge und doofe Kekse.

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Irgendwann im Zweiten Weltkrieg traf irgendwo an der Ostfront eine Luftmine ein Gebäude. Ich verlor einen meiner Opas und Paula Patzwahl ihren Ehemann. Später floh sie mit meiner Mutter und deren kleinem Bruder Peter aus Pommern. Nach dem Krieg lernte sie in Celle Paul Raasch aus Berlin kennen, der hier hängen geblieben war, weil er in den letzten Kampfhandlungen bei Bad Fallingbostel Verletzungen erlitten hatte. Ich vermute durch eine Handgranate, denn ich erinnere mich an Opa Pauls Narben an den Beinen und wie er mir als kleinem Jungen erfolglos versucht hatte zu erklären, wie Handgranaten funktionieren.

Oma Paula und Opa Paul müssen nach dem Krieg unglaublich hart gearbeitet haben, um nur mit dem Verkauf von Blumen (sind die nicht genauso überflüssig wie Musik?) ihr eigenes Haus im Eulenpfad in Celle bauen zu können. Für meine Mutter und meinen Onkel Peter blieb dadurch vermutlich wenig Zeit. Da Oma Paula ein gutes Herz hatte, muss sie darunter gelitten haben. Als das Haus gebaut war und das Wirtschaftswunder für bescheidenen Wohlstand gesorgt hatte, wurde ihr 1966 ein Säugling in die Arme gelegt. Ich glaube, sie hat ihm all die Zuwendung gegeben, die sie ihren Kindern aufgrund der äußeren Umstände nicht geben konnte. Ich war ihr „Goldjunge“! Ich schlief oft zwischen Oma Paula und Opa Paul in der „Besucherritze“.

Mit viel Nutella im Magen beherrschte ich später auf meinem Kettcar alle Straßenzüge rund um den Eulenpfad. Bewaffnet war ich mit einer zweiläufigen Korkenpistole, die ich mit kleinen Steinchen lud. Ich fühlte mich so sehr geliebt und angenommen, dass ich manchmal selber überrascht war, wie ich beim Spielen mit viel älteren Kindern den Ton angab. In Celle herrschte Leben in der Bude. Meine Cousine Kati, die erste Tochter von Onkel Peter, ist genau vier Tage jünger als ich. Sie kämpfte beim Spracherwerb ein bisschen mit den Konsonanten und brüllte oft den schönen Satz „Laus, komm Laukeln!“ nach mir.

Wenn wir nicht schaukelten oder Indianer spielten, bewegte ich mich auf vier Rädern zielsicher und meist unfallfrei zwischen allen Bekannten in der nahen Umgebung hin und her, die uns Kinder ständig mit Süßigkeiten verwöhnten. Als ich dabei einmal zu stürmisch war und auf der Auffahrt einer Nachbarin mit meinem Kettcar umkippte, was sie leider peinlicherweise beobachtete, besiegte mein männlicher Stolz meinen Hunger und ich brüllte ihr zu: „Du bist doof und Deine Kekse sind auch doof!“ Über diesen Satz haben die Erwachsenen in unserer Straße noch lange gelacht. Es war ein kleines Paradies.

Als es für meinen Vater an der Zeit war, dass ich von vier Rädern auf zwei umsatteln, also Fahrrad fahren lernen sollte, parkte ein Auto unglücklicherweise so nah neben meiner ersten Übungsstrecke, dass ich zum Nähen der Platzwunde ins Krankenhaus musste. Ein Erlebnis, das meine Begeisterung für die Medizin, den Beruf meiner Eltern, nicht sonderlich schürte. Ich teilte meiner Mutter unumwunden mit, dass ich „ihr Krankenhaus doof fand“. Bis heute komme ich mir in Krankenhäusern fehl am Platze vor. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass mir schon die Zeit im Brutkasten zu lang war.

Die einzige andere Sache, mit der ich damals auf Kriegsfuß stand, war Wasser! Wenn ich nach dem Haarewaschen in der Badewanne den Kopf unter Wasser halten sollte, um den Schaum abzuspülen, dachte ich jedes Mal, ich müsste ertrinken und schrie wie am Spieß. Wie die Erwachsenen damals mit meiner Angst umgingen, stufe ich heute, gelinde gesagt, als pädagogisch bedenklich ein: Sie wussten, dass ich nicht ertrinken würde und ließen mich, davon genervt, einfach schreien. Dagegen war ein Kinderbuch, das heute pädagogisch umstritten ist, mein Lieblingsbuch. Ich kannte meinen „Struwwelpeter“ in- und auswendig. Gelegentlich trug ich, um anzugeben, Teile daraus öffentlich vor. So, als könne ich bereits lesen.

Ab und an machte ich mit meiner Oma Paula Camping am Fischleger Strand in der Nähe vom heutigen Damp 2000, das damals noch nicht existierte. Als ich später längst zu meinen Eltern nach Lübeck gezogen war, besuchte ich sie im August 1977 noch einmal dort. Als ich eines Morgens beim Kiosk die Brötchen für uns holte, diskutierten alle Erwachsenen aufgeregt die Schlagzeile der dort ausliegenden Boulevardzeitung. Sie lautete: „DER KING IST TOT!“


Camping mit Oma Paula am Fischleger Strand.

Früher in Celle vergaß Opa Paul nie mich zu wecken, wenn es galt in den frühen Morgenstunden am Fernseher mitzuerleben, wie Mohammed Ali, damals hieß er noch Cassius Clay, in Amerika jemanden elegant verdrosch. Mein nicht leiblicher Opa war ein sehr kleiner, rundlicher, immer fröhlicher Mann, der mir oft „Mein Hut, der hat drei Ecken“ vorsang. Die Lieblingsschlager von Oma Paula waren „Püppchen, du bist mein Augenstern“ und „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“. Als ich später über 1,80 m groß wurde, meinte Opa Paul naiv und ohne böse Hintergedanken, dass man mich deswegen zu seiner Zeit beim Militär in eine gewisse Eliteabteilung gesteckt hätte. Die Komplikationen, die eine eingehende Ahnenforschung dabei verursacht hätte, wurden in meiner Familie nie offen diskutiert.

Ich muss viel Zeit in Oma Paulas kleinem Blumenladen an der Heese verbracht haben. Sie war fest davon überzeugt, dass ich mich mit Blumen bestens auskennen würde, was bis heute nicht der Fall ist. Als sie das einmal stolz einer Kundin demonstrieren wollte und auf die Blumen vor mir deutete, deren Namen ich nennen sollte, sagte ich stattdessen den Verkaufspreis. Damit hatte ich mich elegant aus der Affäre gezogen und wieder einmal die Lacher auf meiner Seite.

Wie in den Kapiteln übers „Booking“ zu lesen sein wird, muss ich heute als selbstständiger Musiker endlos mit Veranstaltern telefonieren. An das allererste Telefonat meines Lebens habe ich eine zärtliche Erinnerung. Meine Schwester war nicht zu Hause und meine Eltern telefonierten mit ihr. Dann verlangte sie ihren kleinen Bruder zu sprechen, und so wurde mir der Hörer gereicht. Sie redete auf mich ein und ich lauschte, unfähig, selber etwas zu sagen, mit aufgerissenen Augen ihrer Stimme, die irgendwo aus dem Nichts kam. Als wir sie dann ein paar Tage später vom Bahnhof abholten und sie vor mir stand, konnte ich meiner Begeisterung darüber Ausdruck verleihen, dass sie mir einen Spitznamen gegeben hatte, der das Wort „Mann“ enthielt. Es platzte – grammatikalisch nicht korrekt, aber voller Inbrunst – aus mir heraus: „Hast Du mir Klausimann gesagt?!“ Frühe Erinnerungen an meine Mutter habe ich bis auf das Fahrrad fahren lernen keine und an meinen Vater nur wenig gute. Im Sommer sorgte er dafür, dass ein Planschbecken aufgestellt wurde, das wir die kleine Ostsee“ nannten.

Der Wochenendbesuch meiner Eltern verlief immer gleich: als Erstes fragte mein Vater Oma Paula, was ich in der Zeit seit ihrem letzten Besuch angestellt hatte. Sie war leider eine so ehrliche Haut, dass sie ihm einiges davon erzählte. Ich wurde dann aus der Garderobe gezerrt, in die ich mich wohlweislich verkrochen hatte und bekam, ohne zu wissen wofür, denn ich hatte es längst vergessen, ein paar Ohrfeigen. Damit sah mein Vater seine Aufgabe als Erziehungsberechtigter als erledigt an. Er setzte sich dann mit einer Flasche Bier zufrieden zurück in die fröhliche Runde der Erwachsenen. Wir beide sind uns auch später nie richtig ans Herz gewachsen. Interessanterweise sieht er die Schuld dafür bei mir. Ich erinnere mich, wie Opa Paul damals zu mir sagte, dass die Kindheit die schönste Zeit im Leben ist, und dass ich sie genießen solle. Das tat ich bereits auch ohne diesen weisen Rat. Celle war für mich (ohne meine Eltern) nichts weniger als der Himmel auf Erden.

Es gibt Leute, die behaupten, dass die Zeit eine Illusion ist. Vor ein paar Jahren stand ich morgens auf dem Weg zu einem Frühschoppen in der Nähe von Celle lange vor einer geschlossenen Bahnschranke. Den Abend davor hatte ich einen Auftritt und somit viel zu wenig Schlaf bekommen.

Ich fühlte mich elend und begann mich aus der Situation wegzuträumen. Am liebsten wäre ich aus dem Auto gestiegen, hätte die Gegenwart und den „Piano Man“ hinter mir gelassen und wäre durch Raum und Zeit hindurch einfach nach Hause gegangen. In den Eulenpfad, Ende der 60er Jahre, in Celle.

Kunst oder Kekse

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