Читать книгу Kunst oder Kekse - Klaus Porath - Страница 19
1979: „Lampenfieber“ – Mein Coming-out als Komponist.
ОглавлениеVor einigen Jahren war ich auf einer Hochzeit in Neumünster engagiert. Unter den Gästen befand sich ein ca. 13-jähriges Mädchen, das mich mit großen Augen anschaute. Ich empfand das aufgrund Ihres Alters als unangenehm. Ich lächelte einmal zurück und dachte gleichzeitig, dass man so etwas nicht tut. Dabei war ich einem Missverständnis aufgesessen, das sich schnell aufklären sollte: In einer Pause lief sie mir mit ein paar Noten unter dem Arm über den Weg und fragte, ob sie auf meinem „Flügel“ etwas spielen dürfe. Natürlich willigte ich ein und wartete erleichtert und gespannt auf das, was kommen würde. In diesem Alter freiwillig und scheinbar ohne jedes Lampenfieber vor etwa 100 Erwachsenen etwas vortragen zu wollen, ist schon etwas Besonderes! Und sie spielte nicht nur, sie sang auch noch dazu! Es war musikalisch nicht perfekt, aber in dem Lied schwang eine große Menge ihrer Persönlichkeit mit. Das veranlasste mich dazu, am Ende der Feier ihren Vater aufzusuchen. Ich fragte ihn, ob er schon wüsste, dass seine Tochter Musikerin werden würde. Ja, das war ihm bekannt.
Ich füge diese kleine Anekdote hier an, weil ich mir sicher bin, dass alle Erwachsenen mit Gespür genau dasselbe auch bei mir bereits in so jungen Jahren hätten feststellen können. Meiner Musiklehrerin war mein über das „Klavierschülermusizieren“ Hinausgehende nicht verborgen geblieben. So bekam ich zum Beispiel, wenn wir im Schulchor Händels „Te Deum“ oder seinen „Messias“ einstudierten, statt der Tenorstimme wie selbstverständlich immer einen Klavierauszug. Damit ich auch die anderen Stimmen und die Begleitung mitverfolgen konnte, um so die ganze Komposition zu begreifen. Wenn wir Dienstagmorgen in der ersten Stunde Volkslieder wie „Schwesterlein, Schwesterlein, wann gehen wir nach Haus?“ sangen, durfte ich auch schon mal an den Flügel, um das Lied ohne Noten zu begleiten. Nichts anderes mache ich heute als Piano Man: Lieder auf dem Klavier nach den Harmonien frei begleiten! Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es heute mit 35 Jahren Übung etwas flüssiger geht.
Meine eigenen Kompositionen wurden immer länger, und 1979 gab ich einem aufgeregt überhasteten Stück den Titel „Lampenfieber“. Dieses „Opus Magnum“ gestattete mir meine Musiklehrerin zur feierlichen Abiturientenentlassung am 3. Juli 1979 vor ca. 500 Eltern und Schülern am großen Steinway-Flügel in der Schulaula vorzutragen. Klavier zu spielen und zu komponieren war für mich das Normalste auf der Welt. Insofern fühlte ich mich nicht als etwas Besonderes. Mein Lampenfieber beim Vortrag von „Lampenfieber“ hielt sich zum Glück in erträglichen Grenzen. Das ziemlich schnelle Stück spielte ich nicht perfekt, aber den Umständen entsprechend recht ordentlich. Als nach dem Schlussakkord vor allem die älteren Schüler wie wild anfingen zu klatschen, weil das Stück wirklich ein bisschen „abging“, war ich dann doch etwas stolz. Auch einzelne Lehrer klopften mir in den nächsten Tagen noch auf die Schulter, was meine Leistungen im Unterricht eher selten auslösten.
Sollte der ein oder andere Klavierspieler unter meinen Lesern neugierig geworden sein, so findet er auf meiner Homepage nicht nur eine Aufnahme meines ersten „Pop-Instrumentals“, sondern auch die Noten zum Nachspielen! In denen hat der junge, aufstrebende Komponist es sich in aller Bescheidenheit nicht nehmen lassen, auch seinen „Urtextfingersatz“ der Nachwelt zu empfehlen.