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1979: Klaus spielt abends so schön auf dem Schifferklavier.

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Konsequenz in der Kindererziehung ist anstrengend, aber wichtig. Im Falle des schon vor dem Klavier avisierten Akkordeons war sie aber vonseiten meiner Eltern nicht uneigennützig. Denn wir verbrachten unsere Sommerwochenenden und -ferien ausnahmslos, man könnte auch sagen zwanghaft, auf dem eigenen Segelboot. Damit war auch gleich die Frage nach dem zu erlernenden Repertoire für mein Zweitinstrument geklärt: Seemannslieder! Was kann nach einem Segeltag in der dänischen Südsee oder den schwedischen Schären romantischer sein, als der Klang eines Schifferklaviers, der an einem lauen Sommerabend durch den Hafen schwebt und sich mit dem Schrei der Möwen im Abendwind vermischt? Da recken sich auf den umliegenden Booten alle Hälse in die Höhe und man will wissen, welche Crew mit dem Glück gesegnet ist, einen Musiker an Bord zu haben!


Traurig, aber wahr: Diese Idylle beschreibt die wenigen Momente in meinem Leben, in denen meine Eltern stolz auf mich waren. Und das vermutlich nur, weil dabei auch ein wenig Glanz auf sie abfiel. Ich war ein normales Kind, das ungefragte Beschallen fremder Erwachsener war mir immer peinlich.

Einmal fragte meine Mutter, ob mir selber eigentlich auch klar sei, dass ich nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte wäre. Aber man könne ja zum Glück noch was retten. Mit der Musik hätte ich nämlich die Chance, bei meinen Mitmenschen zu punkten! Wie immer widersprach ich meinen Eltern nicht. Auch wenn ich anderer Meinung war. Ich hatte mich selber noch nicht abgeschrieben und hielt es für möglich, dass in mir auch noch andere Gaben und Talente schlummerten.

Schließlich war ich erst dreizehn. Auch sah ich keinen Sinn darin, andere zu beeindrucken. Omas Goldjunge war mit sich selbst zufrieden.

Den schwebenden Klang des Akkordeons mochte ich. Und die Shantys spielte ich gerne, weil sie „schmissig“ waren. Ein Seemannslied gefiel mir vor allem wegen seines Textes. Der gab mir eine Vorahnung davon, dass es – in meinem späteren Leben – für mich doch Vorteile hatte, ausgewählte Exemplare der besseren Hälfte der Menschheit mit Musik umgarnen zu können:

„Hein spielt abends so schön auf dem Schifferklavier,

auf dem Schifferklavier seine Lieder.

Hein spielt sich in die Herzen der Mädels hinein,

und sie bitten den Hein immer wieder.

Jede denkt für sich, heut‘ spielt er für mich!

Jede ist so froh, jede liebt ihn so...“

Das klang verheißungsvoll! Aber wenn die Seefahrer-Lyrik im Zwischenmenschlichen allzu explizit wurde, verstand ich nur noch Bahnhof. „Schön sind die Mädels im Hafen. Treu sind sie nicht, aber neu“, ergab für mich als Zehnjährigen keinerlei Sinn und wurde mir auch nicht erklärt.

Der Mensch, der mir die Bedienung des Blasebalges und der Knöpfe mit der linken Hand beibrachte, hieß Gerhard Kerskes und war „staatlich geprüfter Akkordeonlehrer“. Was das war, wusste ich nicht, aber es verpasste ihm eine seriöse Aura. Herr Kerskes hatte im zweiten Weltkrieg als Funker an der Ostfront im russischen Frost fast seine Ohren verloren. Seine Ausführungen über den Besuch einer billigen Tanzrevue gleich nach dem Krieg, als man nach jahrelanger Gefangenschaft „auch mal wieder eine Frau sehen musste“, konnte ich nicht nachvollziehen.

Er war so entsetzt über die mangelnde Allgemeinbildung seiner Akkordeonschüler, dass er uns alle gemeinsam einmal im Monat einberief und kostenlos neben allgemeiner Musiktheorie auch noch die großen deutschen Flüsse und Ähnliches mit uns paukte. Meine Eltern fanden so viel Engagement löblich, nannten diese Stunde aber leicht spöttisch „Akko-T.“ – „Akkordeon theoretisch“. Wer bei den Nebenflüssen der Donau versagte oder sich im Gruppenunterricht verspielte, wurde von Herrn Kerskes liebevoll mit: „Du Weihnachtsmann!“ gerügt. Mich traf das oft, aber ich hatte an dieser Pädagogik alter Schule nichts auszusetzen.

Sein Unterricht fand in einem winzigen Hinterhof-Kabuff in der Breiten Straße statt, das nur über ein Labyrinth aus dunklen, muffigen, mit Linoleum ausgelegten Gängen zu erreichen war. Ein Wunder, dass ich damals dort nie verloren ging. Er gab auch Unterricht an der Hammondorgel. Wenn keine Schüler da waren, nahm er mit zwei Tonbandgeräten düstere Klangkollagen auf, die wie gewaltige Eruptionen auf fernen Planeten klangen. Dafür war er nicht „staatlich geprüft“. Sein Unterricht begann irgendwann immer häufiger auszufallen, weil er Probleme mit dem Herzen hatte. Als letztes kam dann eine Postkarte seiner Frau mit der traurigen Mitteilung, er sei verstorben. Anders als Frau Kieckbusch würde ihm heute bestimmt gefallen, was ich mache.

Ich hatte viel bei ihm gelernt. Aber mein Instrument war und blieb das Klavier. Das Akkordeon war für mich ein guter Klavierersatz, im wahrsten Sinne ein Schifferklavier. Während unserer fünfwöchigen Segeltouren im Sommer war ich froh, Tasten „in abgespeckter Form“ griffbereit zu haben. Wieder zu Hause angekommen, ging mein erster Weg immer sofort ans Klavier. Nach der langen Abstinenz hörte es sich jedes Mal wieder ganz neu und großartig an.

Kunst oder Kekse

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