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1972: Kunst oder Kekse? (Kekse, Klappe – die erste!)

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„I Go To Extremes“, singt Billy Joel auf seiner CD „Storm Front“. Ich bin stolz auf diese Gemeinsamkeit mit ihm! Hätte mein Vater geahnt, dass ich als musischer Spätentwickler schon bald dermaßen „übers Ziel hinausschießen“ würde (ein Vorwurf, den er mir gerne und oft auch in anderen Lebensbereichen macht), hätte er das Erlernen eines Instrumentes mit Sicherheit aus meinem persönlichen Bildungskanon gestrichen. Aber so nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Eines Tages stellte er mir im Flur die Frage, ob ich lieber Klavier oder Akkordeon lernen wollte. Ich überlegte blitzschnell, dass ein Akkordeon kleiner ist als ein Klavier und schloss daraus, es wäre leichter zu erlernen. Darum entschied ich mich spontan dafür. Worauf mir mein Vater seinen bereits feststehenden Beschluss mitteilte: „Du lernst erst Klavier. Das ist eine gute Grundlage fürs Akkordeon.“ Bei meiner Einführung in die Welt der Musen hatte er immerhin versucht, sich pädagogisch richtig zu verhalten und in der „Dressur“ eine Art Freiwilligkeit vorgetäuscht. Ich hatte nur die falsche Antwort gegeben. Damit war die Frage als Scheinfrage enttarnt und eine Weiche für mein Leben gestellt.

Meine Schwester erhielt bereits Klavierunterricht. Und zwar von Käthe Hermine Dorothea Kieckbusch-Schlotfeld, geborene Schlotfeld. Geboren 1906, gestorben 1994. Sie war Konzertpianistin und Frau des Bischofs Wilhelm Kieckbusch (1891–1987), der im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden war. Ein Schülervorspiel im Kieckbusch’schen Heim wurde für mich der Eintritt in die Welt der klassischen Musik. Nach dessen Ende fragte mich Frau Kieckbusch, was mir am besten gefallen hätte. Ich spürte, dass von mir jetzt eine Antwort wie: „Den Mozart, den meine Schwester gespielt hat, fand ich besonders schön!“ erwartet wurde, entschied mich aber für die Wahrheit und sagte: „Die Pause!“

Dass das nicht die richtige Antwort war, hatte ich vorher gewusst.

Allerdings war mir nicht klar, welch eine verheerende Auswirkung diese beiden Worte um ein Haar auf mein Leben haben sollten! Meine Karriere als Musiker stand auf der Kippe, noch bevor sie begonnen hatte. Wäre – mein Vater – nicht rettend eingeschritten! Was er heute vermutlich bitter bereut. Aber wofür ich ihm sehr dankbar bin! Ich hatte ja damals keine Erfahrung damit, dass meine Worte auf mein Leben irgendeinen Einfluss haben könnten. Meine Meinung war egal. Wenn ich zum Beispiel nicht „Otto“ sein oder Akkordeon statt Klavier lernen wollte. Und nun wurde ich plötzlich ernst genommen! Zu ernst.

Was die Mädchen, es war nur ein Junge dabei, vortrugen, fand ich nicht schlecht. Aber die Pause hatte mir tatsächlich ausnehmend gut gefallen. Da konnte ich nämlich mit ihnen alleine – ohne die Erwachsenen dazwischen – sitzen. Frau Kieckbuschs Küche war kurzerhand zur Künstlergarderobe umfunktioniert worden. Und die Mädels schnatterten mit erröteten Gesichtern aufgeregt durcheinander. Über die bereits mehr oder weniger erfolgreich erledigte oder kurz bevorstehende Darbietung ihrer Stücke. Aber noch mehr als die anregende weibliche Gesellschaft begeisterte mich die riesige Schüssel mit leckeren Keksen, die Frau Kieckbusch für alle bereit gestellt hatte. Ich vertilgte sie in Rekordzeit fast im Alleingang. Die Pause war wirklich das Beste! Aber leider hörte auch bei Frau Kieckbusch, wie bei vielen klassischen Musikern, bei der Kunst der Spaß auf. Kunst oder Kekse!

Sie ließ mich nach meiner unerwarteten Antwort einfach stehen und zog gleich zwei falsche Schlüsse daraus: Sie hielt mich erstens für frech und zweitens für unmusikalisch. Darum stellte sie an meinen Vater folgende Forderung: Sie wäre nur bereit, mich zu unterrichten, wenn ich mich „ausgekaspert“ hätte und die Grundlagen bereits mitbringen würde. Damit wollte sie wohl sichergehen, dass ich nie auf ihrer Klavierbank sitzen würde. Ausgekaspert habe ich mich bis heute nicht und dass ich in der Lage wäre die Grundlagen des Klavierspiels zu erlernen, hielt sie vermutlich für ausgeschlossen. Und sollte mir das zuvor bei einem anderen Lehrer tatsächlich gelungen sein, gab es keinen Grund, nicht bei ihm zu bleiben: Sehr schlau eingefädelt! Aber mein Vater nahm sie beim Wort und trickste sie aus!

Meine Eltern sind kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geboren. In ihrer Kindheit stellte sich die Frage nach dem Erlernen eines Instrumentes also nicht. Andererseits ist mein Vater genau wie ich niemand, der beim ersten Gegenwind das Ziel aus den Augen verliert. Er fand, dass das Tastenspiel für einen gebildeten Menschen am Anfang auch ohne Lehrer kein Problem sein konnte. Also besorgte er uns eine Klavierschule, entnahm ihr, welcher Fleck auf dem Notenpapier welcher Taste auf dem Klavier zugeordnet ist und gab sein frisch erworbenes Wissen postwendend an mich weiter. Mein allererster Klavierlehrer muss seine Sache gut gemacht haben, denn nach ein paar Monaten durfte ich bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zu Frau Kieckbusch nach Stockelsdorf fahren! In den ersten Jahren hatten meine Schwester und ich unsere Klavierstunden direkt nacheinander, damit wir den langen Weg aus Sicherheitsgründen zusammen zurücklegen konnten. Während der eine im Unterricht war, vergnügte sich der andere im Keller mit den zurückgelassenen Spielsachen der Kieckbusch’schen Kinder, die längst ausgezogen waren. Und dann gab es auch noch den dicken, schwarzen Kater Mulli.

Ich mochte die klassische Musik. Aber ich hatte eine innere Blockade, die mir den tiefen Zugang zu ihr verwehrte. Mit Noten konnte ich nie richtig was anfangen. Mit 21 war ich deswegen sogar einmal in der Seelsorge! Ich hoffte, Gott konnte mein Verhältnis zu den zwei mal fünf Linien verbessern. Das tat er aber nicht, und jetzt bin ich froh, vor kurzem meiner Freundin Ela einen größeren Teil meiner Notensammlung geschenkt zu haben. Ich habe den Rest nur noch in den Händen, wenn ich umziehe. Sie in den Altpapiercontainer zu stopfen wäre pietätlos. Außerdem hängen auch Erinnerungen dran.

Wenn Frau Kieckbusch mir im Unterricht etwas vorspielte, war ich sehr beeindruckt von ihrer Virtuosität und den Kompositionen der großen Meister. Sie schien alles spielen zu können. Gleichzeitig war ich traurig, weil ich wusste, dass ich nie so spielen würde. Noch ahnte ich nicht, dass auf mich ein anderer musikalischer Weg wartete. Trotzdem war jede Klavierstunde wichtig! Denn alle großen Pop-Pianisten, also Elton John, Billy Joel und ich haben als klassische Pianisten angefangen.


Mein erster Auftritt! Weihnachtsfeier der Gotthard-Kühl-Grundschule, 1975.

Kunst oder Kekse

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