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Vogelzug und -beringung Helgoland – ein Hotspot der Vogel(zug)forschung
ОглавлениеAls Fels im Meer ist die einzige deutsche Hochseeinsel Helgoland Anziehungspunkt für ziehende Vögel. Früh wurde Helgoland zum „Vogelherd“, auf dem jährlich viele Tausende Gefiederte gefangen und in den Kochtöpfen der Inselbewohner landeten. Schon im 16. Jahrhundert wusste der Inselvogt von unglaublichen Vogelschwärmen zu berichten, die im Herbst hier zusammenkommen. Zwei Jahrhunderte später, Anfang des 19. Jahrhunderts, lieferte der Helgoländer Schuster J. Koopmann erstmals Vogelbälge an das neu gegründete Bremer Museum, später auch an das Zoologische Museum Berlin, die die Aufmerksamkeit der Vogelsammler weckten. Mit der zunehmenden Zahl an Badegästen ab Mitte der 1830er-Jahre, kamen dann auch die Ornithologen nach Helgoland, um dort von den vielen Vögeln und dem freien Schießen und Fangen zu profitierten – eine Methode, die unter den Vogelkundlern dieser Zeit durchaus üblich war. Kein Geringerer als der große Vogelkundler und -sammler Johann Friedrich Naumann gerät im 11. Teil seiner berühmten „Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas“ und in zwei Abhandlungen von 1846 und 1854 ins Schwärmen über Helgoland als Sammelplatz ziehender Vögel und die deutsche Ornithologie. Als der 1814 in Brandenburg geborene, gelernte Maler Heinrich (Carl Ludwig) Gätke 1837 auf die Insel kam, dort 1841 heiratete und dadurch auch das Bürgerrecht und das Recht auf Grundbesitz erwarb, sollte aus dem Wirken des Seemalers in Verbindung mit seiner Jagdleidenschaft und seinem zunehmenden Interesse an den Vögeln, die er sammelte, präparierte und über die er schrieb, die spätere Vogelwarte Helgoland entstehen. Sie entwickelte sich zu einem Leuchtturmprojekt (im übertragenen wie im Wortsinn) der Vogelzugforschung – nicht nur für Deutschland. Der Leuchtturm von Helgoland, mit seinem Leuchtfeuer unzählige Vögel anziehend, ziert den Umschlag von Gätkes Werk „Vogelwarte Helgoland“ (Erstauflage 1890, zweite Auflage 1900, drei Jahre nach seinem Tod). Auf 114 Seiten breitet Gätke sein großes Wissen aus über den Vogelzug im Allgemeinen, über Richtung, Höhe und Schnelligkeit der Wanderzüge, darüber, welche meteorologischen Bedingungen die Züge beeinflussen, über den Zug nach Geschlecht und Alter, die Ausnahmeerscheinungen, darüber, was die Vögel während des Zugs leitet und was sie veranlasst, zum Zug aufzubrechen – alles Fragen, auf die Gätke teils richtige, teils spekulative Antworten fand, und die bis heute die Vogelzugforschung bewegen und auf die sie immer detailliertere Antworten zu liefern imstande ist.
Das 19. Jahrhundert war für die Vogelzugforschung ohnehin eine spannende Zeit. Da hinein fällt etwa die Entdeckung der Zugunruhe durch Johann Andreas Naumann, der die Zugaktivität gekäfigter Zugvögel beschreibt und diese im Sinne eines Zugzeitprogramms deutet. Wobei Naumann die Kenntnis der Zugrichtung als „in des Vogels Natur eingepflanzet“ ansieht.
17 Der Leuchtturm von Helgoland zieht mit seinem Leuchtfeuer wie ein Magnet unzählige Zugvögel an und wurde so zum Coverbild von Gätkes Buch „Vogelwarte Helgoland“.
Nachdem der erste Internationale Ornithologen-Kongress 1884 in Wien einen Beschluss zur Errichtung von Beobachtungsstationen zur systematischen Erforschung der Vogelwanderungen fasste, führte dies 1901 zur Gründung der ersten Vogelwarte Rossitten auf der Kurischen Nehrung an der Ostseeküste im damaligen Ostpreußen. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Heute ist die älteste Vogelwarte der Welt unter russischer Führung mit dem Namen Rybachy wieder aktiv. Die Nachfolge von Rossitten trat die Vogelwarte Radolfzell am Bodensee in Baden-Württemberg an, eine Forschungsstelle der Max-Planck-Gesellschaft von internationalem Ruf. Mit der allerersten Vogelwarte entstand aus der zuvor privat entwickelten Methode zur Kennzeichnung der Vögel mit Ringen ein ganzer Forschungszweig, der an allen Vogelwarten und Beringungsstationen intensive Anwendung fand und bis heute wichtige Ergebnisse zum Vogelzug zu liefern vermag.