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Auf Schusters Rappen – Fußwandern aktuell
ОглавлениеVon den heutigen flugunfähigen Fußwanderern sind es vor allem Pinguine, die teilweise auch recht lange Fußmärsche unternehmen. Die Brutgebiete einiger Arten in der Antarktis und auf den subantarktischen Inseln liegen sehr weit, oft mehrere Hundert Kilometer entfernt vom eisfreien Wasser. Wenn sich dann Tausende dieser Vögel im „Gehrock“ watschelnd und hüpfend oder auf ihren Bäuchen schlitternd über die endlos wirkenden Eis- und Schneeflächen in Richtung Nahrungsgewässer fortbewegen, ergibt das bewegende Bilder. In ihren Schlitterphasen nutzen die Pinguine ihre Füße und flossenartigen Flügel als Antrieb und kommen so schneller vorwärts als Skilangläufer. Damit ist ihre Fortbewegung streng genommen eher „Schneepaddeln“ als Fußwandern. Ebenso außergewöhnlich wie bemerkenswert sind Fußwanderungen von flugfähigen Vogelarten. Bei Curry-Lindahl (1982) finden sich dazu mehrere Beispiele. Die amerikanische Bergwachtel (Oreortyx pictus) hat ihre Sommerlebensräume in den über 3000 m hohen Gebirgsregionen der kalifornischen Sierras. Mit den einsetzenden Schneefällen im September wandern die Bergwachteln dann in Trupps von 10 bis 30 Individuen zu Fuß nach unten auf etwa 1500 bis 1800 m in ihre Überwinterungsgebiete, um im Frühjahr wieder in ihre hochgelegenen Sommergebiete zurückzulaufen. Damit machen sie nichts anderes als andere Hochgebirgsvögel auch: saisonale Höhenwanderungen, aber halt zu Fuß. Höhenwanderungen per Flügel sind auch von einer Reihe afrikanischer Vogelarten bekannt, vor allem von den bis in große Höhen (bis über 4500 m) vorkommenden hübschen Nektarvögeln. Vom Ruwenzori (5119 m) kennt man auch einige Tagespendler. Darunter die Oliventaube (Columba arquatrix) als partielle Fußläuferin. Sie wandert täglich aus 3000 bis 4000 m Höhe zu Fuß in die Buschsavanne und kehrt nachmittags wieder zu den Übernachtungsplätzen in den wolkenumhüllten Bergflanken des Ruwenzori-Gebirges zurück. Ein weiterer Fußläuferkandidat ist, besser war, das amerikanische Wildtruthuhn (Meleagris gallopavo). Die Stammform unseres Haustruthuhns durchwanderte millionenfach weite Gebiete des östlichen Nordamerikas zu Fuß oder fliegend, als der Kontinent noch vor der menschlichen Erschließung weit und wild war. Eine für flugfähige Vögel eher außergewöhnliche Wanderung zu Fuß beschreibt Curry-Lindahl (1982) für das Indianerblässhuhn (Fulica americana). Individuen dieser eng mit unserem Blässhuhn (Fulica atra) verwandten Art machten sich an einem Maimorgen in einem Trockengebiet in Oregon nahe zur Randzone eines großen Sumpfgebiets auf den Weg Richtung Norden. In vier Tagen konnten insgesamt 10.000 dieser „Fußindianer“ gezählt werden. Etwas vom „Auszug aus Ägypten“ hatte die Odyssee von 25.000 noch flugunfähigen jungen Zwergflamingos (Phoeniconaias minor). Wegen des sinkenden Wasserstands um vier Brutkolonien herum in der südafrikanischen Etoscha-Pfanne waren die Tiere im Juli 1971 gezwungen, ihren Geburtsort in Richtung restlicher Wasserstellen zu verlassen. Auf dem sechs Wochen dauernden 80-km-Marsch in kleinen Gruppen und von ein paar Altvögeln begleitet, schafften die Zwergflamingo-Jungen täglich etwa 3 km. Versorgt wurden sie dabei von ihren Eltern, die täglich Pendelflüge von über 100 km auf sich nahmen, um den „Kindergarten“ mit ausreichend Nahrung versorgen zu können. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass auch mausernde, flugunfähige Gänse Fußwanderungen unternehmen, so Saatgänse in der sibirischen Tundra.
33 Weil flugunfähig, gehen Pinguine zu Fuß und schwimmend auf Wanderschaft (hier: Adeliepinguine).
34 Normalerweise verlassen Flamingos ihr Brutgewässer erst, nachdem die Jungen flugfähig sind (hier: Zwergflamingos [Phoeniconaias minor] am Nakuru-See im kenianischen Nakuru-Nationalpark). Als das Wasser in der südafrikanischen Etoscha-Pfanne einmal verschwand, machte sich ausnahmsweise ein ganzer Zwergflamingo-Kindergarten in Begleitung von Erwachsenen auf einen Überlebensfußmarsch von 80 km.
35 Vor der menschlichen Erschließung durchwanderten Wildtruthühner in großer Zahl auch zu Fuß weite Gebiete im östlichen Nordamerika.