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Die Herren der Ringe und ihre Helfer

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Der dänische Lehrer Hans Christian Cornelius Mortensen (1856–1925) hatte 1899 die Idee, Vögel zu fangen und ihnen Metallringe um das Bein bzw. den Lauf zu legen, die er mit einer Seriennummer und einer Rückmeldeadresse versah. Zwar gab es sogar schon in der Antike derartige Kennzeichnungen, wie Plinius berichtet. Auch Marco Polo erwähnt in seinen Berichten über seine Asienreise (1271–1295), dass chinesische Falkner ihre Vögel mit Fußringen mit Eigentümernamen kennzeichnen. In Deutschland kam 1722 von Gottlieb Röhlichen der Vorschlag, dass man doch zur Erforschung ihres Winteraufenthalts Störche mit einem Ring an Fuß, Schnabel oder Flügel kenntlich machen sollte. Nur zwei Jahre später band Johann Leonard Frisch Rauchschwalben rote Fäden an die Füße. Damit wollte er prüfen, ob Schwalben nach weit verbreiteter Ansicht in Gewässern ihren Winterschlaf halten. Wenn ja, würde die rote Farbe durch Einwirkung des Wassers verschwinden. Weil die Schwalben im nächsten Frühjahr mit ihren roten Fäden zurückkehrten, schloss Frisch daraus, dass sie ebenso wie andere Vögel nach Süden gezogen waren. Eine unbeabsichtigte Kennzeichnung brachte ein Weißstorchweibchen mit, das 1822 mit einem Speer ostafrikanischer Herkunft im Hals bei Wismar geschossen wurde. Die berühmte „Pfeilstörchin“ war der erste Beweis, dass heimische Vögel nach Afrika ziehen. Es war ebenfalls ein Weißstorch, den eine Gräfin in Deutschland mit einem Silbermedaillon markiert hatte und der 1846 in Palästina gefangen wurde.

Weil Mortensen jedoch als Erster die Kennzeichnung von Vögeln mit Ringen systematisch betrieb, gebührt ihm zu Recht die Ehre als Erfinder der Vogelberingung. Der Däne begann mit dem Beringen von 184 Staren. Von diesen Ringstaren kamen bereits so viele Rückmeldungen von weggezogenen und anderswo geschossenen oder wiedergefundenen Individuen, dass derartige Beringungsexperimente als vielversprechende Methode schon 1902 in Deutschland und den USA eingeführt wurden. Johannes Thienemann institutionalisierte die Beringung bereits 1903 in Rossitten als erster Leiter der Vogelwarte. Dies erbrachte sehr bald so spannende Erkenntnisse, dass sich eine große Zahl freiwilliger Helfer fand, die diese Untersuchung durch Beringung von Altvögeln und Nestlingen unterstützten. Am Anfang der „Beringungsperiode“ wurden grundsätzlich flugunfähige Jungvögel beringt, die man vorsichtig aus dem Nest holte oder, wie etwa bei Enten- oder Hühnervögeln, in Fallen fing. Danach wurden Methoden entwickelt, die es ermöglichten, flügge Vögel in größerer Zahl zu kennzeichnen. Man errichtete Fanganlagen und Fallen an für Massenfänge günstigen Plätzen.

Noch heute an einigen Forschungsstationen in Gebrauch, wurden die Techniken des für die Vögel ungefährlichen Fangens zum Zweck der Vogelberingung immer weiter verfeinert. Auch in Sachen Vogelfang setzte die Vogelwarte Helgoland Maßstäbe. Wer sich über die Fülle von Methoden beim Fang von Vögeln grundlegend informieren möchte, dem seien die fünf Bände von Hans Bub aus der neuen Brehm-Bücherei empfohlen (Bub 1966, 1967, 1968, 1969, 1974). Kleinvögel können in großen Reusen, als Helgolandreusen bekannt, in hohen Quoten gefangen werden. Sehr bewährt hat sich der Einsatz leichter Nylonnetze für den Fang von Kleinvögeln. Diese sogenannten „Japannetze“ sind gegen den richtigen Hintergrund wie etwa dichte Vegetation, für anfliegende Vögel sehr schwer zu sehen. Damit die sich darin verfangenen Tiere nicht verletzen oder unnötig gestresst werden, müssen die Netze in kurzen Abständen kontrolliert und entleert werden. Der Fang großer und schwerer Vögel, wie etwa von Wildgänsen geschieht mit sogenannten Raketen- oder Kanonennetzen. Dabei wird ein großes Netz mit synchronisierten Raketen oder sprengstoffgetriebenen Projektilen über Gänsetrupps in offenem Gelände geschossen. Das Netz wird zuvor gut getarnt am Rand der Fläche ausgelegt. Jungvögel großer, koloniebrütender Arten (z.B. Flamingos) oder auch flugunfähige Mausergänse können zum Fang in ein eingezäuntes Gelände getrieben werden.

Weil die Sterblichkeit bei Nestlingen und Jungvögeln sehr viel größer als bei Altvögeln ist, ist bei Letzteren die Wahrscheinlichkeit eines Wiederfundes höher. Umgekehrt lässt sich der genaue Geburtsort nur bei einem noch nicht flüggen Jungvogel bestimmen. Zur individuellen Kennzeichnung verwendet man bis heute Aluminiumringe unterschiedlicher Größe, die eine fortlaufende Nummer und den Namen der jeweiligen Vogelwarte enthalten. In Großbritannien und Russland wurde die organisierte Beringung 1909 eingeführt. Bereits 1914 wurden Vögel auf allen Kontinenten beringt. Durch Beringung war es erstmals möglich, die Aufenthaltsorte der individuell wiedererkennbaren Vögel außerhalb ihrer Brutgebiete sowie ihre Zugwege und Überwinterungsgebiete zu ermitteln. Schon 1931 konnten Schüz und Weigold den europaweit ersten europäischen Ringfundatlas herausgeben. Auf 262 Einzelkarten wurden darin 9200 Wiederfunde beringter Vögel dargestellt. Der Atlas enthielt so spektakuläre Ergebnisse wie die Überwinterung europäischer Rauchschwalben im 10.000 km fernen Südafrika. Aktuelles Nachfolgewerk ist der großartige „Atlas des Vogelzugs“, herausgegeben von einem Autorenteam der Vogelwarten Helgoland und Radolfzell (Bairlein et al. 2014). Obwohl gerade in jüngster Zeit die individuelle Kennzeichnung von Vögeln vor allem dank Hightech auch anders möglich ist, hat die nun über 100-jährige Vogelberingung nie ihren Wert verloren und wird auch künftig ihren Platz in der Erforschung der Vögel haben. Beim Beringen werden die Vögel in der Regel gleich noch vermessen, gewogen und nach Parasiten untersucht (die dann entfernt werden können). Soweit möglich (z.B. anhand von Mausergrenzen) wird auch das Alter der beringten Vögel bestimmt und dokumentiert. Die Altersbestimmung ist beispielsweise ein wesentlicher Bestandteil des „Integrierten Monitorings von Singvogelpopulationen“, einem bundesweit standardisierten Fang- und Beringungsprogramm. Anhand der Altersstrukturdaten der Vogelpopulationen kann etwa festgestellt werden, ob genügend Individuen in fortpflanzungsfähigem Alter vorhanden sind.

Die Ringe sind extrem leicht und schaden dem Vogel in der Regel nicht. Der einzelne Vogel kann damit identifiziert werden, wenn er erneut gefangen oder tot aufgefunden wird. Neben Aluminiumringen, die seit dem Beginn der Beringung Verwendung finden, sind heute auch zusätzlich Farbringe im Einsatz. Diese ermöglichen die genauere Überwachung kleinerer Populationen in bestimmten Gebieten. Mit unterschiedlichen farbigen Ringen können beispielsweise bei Vogelarten mit nur geringen Geschlechtsunterschieden (gering ausgeprägter Geschlechtsdimorphismus) die Geschlechter so markiert werden, dass sie auch auf größere Entfernung mit einem Fernglas oder Spektiv unterscheidbar sind. Auch das Geburtsjahr, das über farbige Ringe erkenntlich gemacht wird, kann bei Vögeln mit einer längeren Lebenserwartung (z.B. Greifvögel, Störche) Aufschluss über den Bruterfolg und das Sozialverhalten im Verlauf ihres Lebens liefern. Zusätzliche Ringe mit großen Zahlen, die vor allem bei Enten, Gänsen oder Störchen eingesetzt werden, lassen sich ebenfalls mithilfe von Fernglas oder Spektiv ohne Störung der Tiere ablesen. Während Farbringe und andere Sondermarkierungen meist zur Klärung besonderer Fragestellungen in speziellen Forschungsprojekten Verwendung finden, liegt die „klassische Beringung“ mit den von den drei Beringungszentralen in Deutschland als „Herren der Ringe“ ausgegebenen Aluminiumringen hauptsächlich in der Hand engagierter ehrenamtlicher Beringer. Bis ein Beringer mit einem Ausweis ausgestattet diese verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben darf, ist es ein langer Weg. Interessierte Neulinge gehen in der Regel zunächst bei erfahrenen Beringern in die Schule.


18 Kleinvögel können in großer Anzahl in sogenannten „Helgolandreusen“ zum Beringen gefangen werden.


19 Eine bewährte Methode des Kleinvogelfangs ist das Aufstellen von „Japannetzen“. Sie sind auf die sich in den dünnen, schwer sichtbaren Nylonfäden verfangenden Vögel in kurzen Abständen zu kontrollieren.

Vogelberingung erfordert viel Sorgfalt, Sicherheit und Geschicklichkeit im Umgang mit den Fanggeräten und den gefangenen Vögeln bis hin zur Kenntnis der rechtlichen Grundlagen. Dies lässt sich am besten durch Mitgehen und Üben bei Beringungsaktionen lernen und trainieren. Dabei erfahren die Neuen, was es heißt, Beringer zu sein. Zum Beringen gehören frühes Aufstehen, weites Tragen von schwerer Ausrüstung, „Geländegängigkeit“ und ausdauernde Kondition ebenso dazu wie viel Zeit und oft noch mehr Geduld. Erst nach dieser Übungsphase folgt ein Lehrgang an der zuständigen Beringungszentrale. Dort werden die Teilnehmer mit den Hintergründen, Aufgaben und Zielen der Vogelberingung, der Durchführung und Organisation, dem Rechtsrahmen sowie den Fang- und Markiermethoden vertraut gemacht. Auch werden sie im Umgang mit lebenden Vögeln ausgebildet. Erst wenn der Beringer die gesamte Schulung absolviert hat, kann er den Antrag auf Erteilung einer Fanggenehmigung zum Zweck der Vogelberingung stellen, die die enge Zusammenarbeit mit der zuständigen Beringungszentrale und deren Vorhaben einschließt. Seit 2002 unterstützt der Verein ProRing e. V. in Abstimmung mit den Beringungszentralen die ehrenamtlichen Beringer, bietet günstige Sammelbestellungen von Beringungsbedarfsgegenständen an und fördert einzelne Projekte. Während nur für die Beringer der Fang erlaubt und der Wiederfang Ziel ist, können dennoch alle von uns etwas zu dieser Form der Vogelforschung beitragen: Jeder, der einen beringten Vogel oder einen Ring findet, sollte diesen Fund über das Formular der europäischen Beringungszentrale (EURING) unter www.ring.ac melden. Wer Unterstützung braucht, kann sich auch direkt an die für den Fundort zuständige Beringungszentrale in seiner Region wenden. Der tatsächliche Fundort ist dabei entscheidend, nicht die Inschrift auf dem Ring. Markierte Vögel tragen in aller Regel an einem Bein einen Metallring, der mit der Inschrift des Namens der Beringungszentrale und einer individuellen Kennung aus Ziffern und oft auch Buchstaben versehen ist. Beim Fund eines beringten Vogels ist die richtige Ablesung und Übermittlung dieser Ringinschrift besonders wichtig, um alle Daten zuordnen zu können. Diese Daten sind auch dann sehr interessant, wenn ein Vogel tot gefunden wurde oder eventuell nur der Ring selbst vorliegt.

Für bestimmte Untersuchungen werden Vögel auch mit farbigen Ringen (die dann oft eine kurze und gut lesbare Inschrift aus Buchstaben und/oder Ziffern tragen), mit Flügelmarken oder in seltenen Fällen mit Sendegeräten markiert. Dennoch sollte ein so gekennzeichneter Vogel immer auch einen Metallring tragen, der dann zur Identifikation ausreicht. Auch gezüchtete Vögel sind oft mit Ringen versehen. Dies betrifft vorrangig Brieftauben, aber auch Vögel aus Zoos oder Privathaltungen. Diese Ringe tragen dann keine Inschrift einer Beringungszentrale. Wer unsicher ist, ob er einen solchen Vogel vor sich hat, kann den Ringfund aber in jedem Fall melden.

Es sollte also ein in Hessen gefundener beringter Vogel prinzipiell an die Beringungszentrale Helgoland (mit Sitz in Wilhelmshaven) gemeldet werden. Und zwar unabhängig davon, ob er einen Ring der Vogelwarte Helgoland, Hiddensee, Radolfzell oder auch einer ausländischen Beringungszentrale trägt. Das gilt gleichermaßen auch für Ringfunde im Ausland, etwa im Urlaub. Auch solche Daten sind für die Vogelforschung sehr wertvoll. Die meisten Länder unterhalten eigene Beringungszentralen. Diese Funde können ebenfalls über die Internetseite www.ring.ac gemeldet werden. Bei Unsicherheiten wird auch jede deutsche Beringungszentrale oder ProRing weiterhelfen.


20 Ein gerade am Bein eines Weißstorchs angebrachter genormter Aluminiumring mit Ringinschrift zur Identifizierung beim Wiederfund oder -fang.

Ringe und andere Markierungen an Vögeln können durch jahrelanges Tragen, Abnutzung oder starke Verschmutzung unleserlich oder beschädigt sein. Wer einen solchen Ring, etwa an einem toten Vogel, findet, sollte ihn per Post an die jeweils zuständige Beringungszentrale schicken. Der Ring sollte weder verbogen noch flach gedrückt oder aufwendig gereinigt werden, sondern im gefundenen Zustand und mit einer Notiz der Funddaten und einer Adresse für eventuelle Rückfragen möglichst geschützt verpackt per Post versandt werden. Die Spezialistinnen und Spezialisten in den Beringungszentralen haben viel Erfahrung mit dem Entziffern der Inschrift auch auf schlecht lesbaren Ringen. Als „Finderlohn“ erhält jeder Melder nach erfolgter Verarbeitung der Daten eine Rückmeldung mit den Informationen zum „Lebenslauf“ des Ringvogels. Auch wenn farbberingte Vögel entdeckt werden und durch ein Fernglas oder Spektiv der Code abgelesen werden kann, ist die Weitermeldung ihrer „Entdeckung“ für die Forscher ebenfalls hilfreich. Wichtig dabei ist, dass man die Vogelbeine immer aus der Perspektive des Tiers beschreibt: Schaut einen ein beringter Vogel frontal an, so sieht man sein linkes Bein aus unserer Sicht rechts. Insbesondere bei Vögeln, die eine Kombination aus Farbringen tragen, ist es entscheidend, auf welcher Seite sich welcher Ring befindet. In unsicheren Fällen können auch Zeichnungen hilfreich sein.


21 Für das Vermessen und Beringen der Vögel sind die passenden Ringgrößen, eine Beringungszange zum Anlegen des Rings am Vogelbein sowie viel Geschick und Übung nötig.


22 Gefangene Graugans mit einem auch aus der Distanz „ablesefreundlichen“ Halsring.

Den Beringungszentralen ist immer dann besonders geholfen, wenn sie von den Findern neben dem Ring und dem Fundort noch folgende Informationen erhalten:

• Vogelart (wenn möglich auch Alter und Geschlecht)

• Beringungszentrale, Ringnummer oder Ringkombination und ggf. Farbe(n) sowie Markierungstyp (Fußring, Halsring, Flügelmarke)

• Datum und Uhrzeit der Ablesungen

• möglichst exakte Beschreibung des Fund- oder Beobachtungsortes (mindestens den nächstgelegenen Ort mit Landkreis und Bundesland angeben), idealerweise Angabe der geografischen Koordinaten

• Angaben zu den Fundumständen, z.B. ob der Vogel frisch tot oder schon länger liegend gefunden oder ob er lebend gegriffen werden konnte

• vollständige Adresse mit E-Mail-Adresse oder Telefonnummer des Finders/Beobachters


23 Nach Fang und Beringung freigelassene Graugänse. Diese Tiere wurden zur Klärung spezieller Fragestellungen gleich mehrfach beringt (Altvogel an Hals und Bein, Jungtier mit aus der Entfernung ablesbarem Ring am rechten und mit „klassischem“ Aluminiumring mit Daten der Beringungszentrale am linken Bein).

Allein in Deutschland sind inzwischen etwa 20 Millionen Vögel beringt, von denen bisher mehr als 1 Million Rückmeldungen erfolgten. Hinzu kommen 150.000 Nachweise in Deutschland von im Ausland beringten Vögeln. Aus der Masse dieser Daten lässt sich nach wissenschaftlichen Auswertungen viel über das Leben und die Lebenswege der Vögel herausarbeiten. Dazu braucht es neben den Beringungszentralen und dem Heer engagierter Beringer auch unsere Mithilfe beim Fund eines beringten Vogels. In Deutschland sind zurzeit etwa 800 Beringer aktiv, europaweit sogar etwa 8600. Die meisten Beringer arbeiten heute in Programmen mit, in denen ganz spezielle Fragestellungen bearbeitet werden und die von den nationalen Zentralen oder sogar europaweit koordiniert werden. Interessierte, die als Beringer künftig mitarbeiten wollen, können sich an die zuständige Beringungszentrale oder an die für ihr Bundesland zuständige Vogelschutzwarte wenden.

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