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aa) Organisationsverschulden versus Übernahmeverschulden
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Die Verletzung der Sorgfaltspflicht zu adäquater Organisation durch den insoweit Zuständigen, beispielsweise einen Chefarzt betreffend sachgerechte Behandlungsabläufe in seiner Abteilung, wird üblicherweise kurz als „Organisationsverschulden“ bezeichnet. Ein solches mag darin liegen, dass von vornherein keine adäquaten Organisationsstrukturen geschaffen werden, defizitäre Organisationsstrukturen mangels Kontrolle unentdeckt bleiben oder auf erkannte Defizite schlicht nicht reagiert wird. Resultiert daraus kausal ein tatbestandlicher Erfolg im Sinne der Körperverletzung bzw. Tötung eines Patienten, ist der einschlägige Straftatbestand grundsätzlich erfüllt.
Prima facie könnte anderes gelten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Rahmen insuffizienter Organisation tätig werden und denen infolgedessen fehlerhafte Behandlungsentscheidungen unterlaufen. Allerdings wird beispielsweise dem zur Ausübung eines Bereitschaftsdienstes noch ungenügend qualifizierten Weiterbildungsassistenten grundsätzlich überhaupt nicht angelastet, etwa eine Befundauffälligkeit übersehen bzw. eine falsche Indikation gestellt zu haben. Vielmehr liegt der Vorwurf ihm gegenüber darin, dass er verkannt hat, in einer Behandlungssituation „überfordert“ gewesen zu sein. Er hätte erkennen können und müssen, im Eigentlichen nicht befähigt zu sein, die richtige Behandlungsentscheidung treffen zu können. Infolgedessen hätte er a priori gegen seine Diensteinteilung (für den Bereitschaftsdienst oder etwa auch zur selbständigen Durchführung eines operativen Eingriffs) remonstrieren oder in der konkreten Behandlungssituation den Hintergrunddienst aktivieren müssen. So hat im o. a. Fall eines fehlenden Aufwachraums zur postoperativen Überwachung der narkoseführende Arzt diese Unzulänglichkeit klar erkannt und sich gleichwohl auf eine Narkosedurchführung „eingelassen“. Genau darin liegt ein „Übernahmeverschulden“,[21] welches mit dem zugrundeliegenden Organisationsverschulden korrespondiert.
Entsprechendes gilt für den in den Fall involvierten Chefarzt der anästhesiologischen Abteilung, der – als „Mitarbeiter“ seines Dienstherrn bzw. der Klinikleitung – die Ausführung von Narkosen ohne adäquate postnarkotische Überwachung letztlich „zugelassen“ hat.