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cc) Organisationsverschulden versus Sicherheitsrecht (Nebenstrafrecht)
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Wie bereits ausgeführt,[31] indiziert nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH ein planwidriger Behandlungsverlauf bzw. das Eintreten einer Komplikation bzw. ein Behandlungsmisserfolg keine dem zugrundeliegende Sorgfaltspflichtverletzung, sei es als Behandlungsfehler oder als Organisationsverschulden. Dieses fundamentale Tatbestandsmerkmal der Fahrlässigkeitsdelikte §§ 222 und 229 StGB bedarf vielmehr im Ausgangspunkt positiver Feststellung, um auf dieser Grundlage – bei Erfüllung weiterer Tatbestandsmerkmale samt „Rechtswidrigkeit“ und „Schuld“ – ein strafbares Handeln konstatieren zu können.[32] Umgekehrt: Nicht jede Sorgfaltspflichtverletzung – sei es als Behandlungsfehler oder als Organisationsdefizit – führt zu einer – kurz gesagt – Schädigung von Patienten im Sinne tatbestandlichen Erfolgs als Körperverletzung oder gar Tod. D.h., dass für den medizinischen Alltag[33] gewiss Sorgfaltspflichtverletzungen im Behandlungs- und Organisationszusammenhang zu konstatieren sind, ohne dass daraus Strafbarkeit resultieren könnte (geschweige denn festgestellt würde). Zudem verhält es sich aus der Natur der Sache folgend so, dass im Einzelfall die Schädigung von Patienten aus unentdeckten Sorgfaltspflichtverletzungen – sei es wiederum als Behandlungsfehler und/oder Organisationsdefizit – resultiert, was nur einer letztlich von niemandem quantifizierbaren „Dunkelziffer“ zugeordnet werden kann. Mag sich einerseits das Strafbarkeits- und Haftungsrisiko potentiell groß und dabei faktisch gleichwohl überschaubar gestalten, darf daraus andererseits nicht der Schluss gezogen werden, die infrastrukturellen Gegebenheiten in deutschen Kliniken und Arztpraxen seien „doch“ durchgängig einwandfrei. Solche Betrachtung würde zum einen die Problematik „versteckter Risiken“ vernachlässigen. Zum anderen muss es selbstverständlich darum gehen, potentiell jedem Patienten eine insgesamt dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zuteilwerden zu lassen. Dies entspricht auch gerade dem Ethos aller Ärztinnen und Ärzte sowie sonstiger Medizinalpersonen.
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In diesem Zusammenhang darf auch nicht verkannt werden, dass rechtliche Risiken im Zusammenhang mit infrastrukturellen Gegebenheiten und daraus resultierenden Organisationserfordernissen nicht nur im Hinblick auf die hier abzuhandelnden Fahrlässigkeitsdelikte, sondern auch aus einer Vielzahl sicherheitsrechtlicher bzw. nebenstrafrechtlicher Normen drohen. Hier seien nur beispielhaft das Arbeitszeitgesetz, das Medizinproduktegesetz, das Arzneimittelgesetz, das Betäubungsmittelgesetz, das Transfusionsgesetz und das Infektionsschutzgesetz mit ihren – auch empfindlichen – Sanktionsfolgen bei Verstößen genannt. Von entsprechenden Sanktionskonsequenzen können insbesondere die Organisationszuständigen auf allen Ebenen betroffen sein. Dabei löst die potentielle Sanktion tatbestandlich der Normverstoß als solcher aus, ohne dass es – wie im Falle der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung nach dem StGB – auf eine tatsächliche Schädigung des Patienten ankäme.
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Auf den Auffangtatbestand des § 130 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), der den Inhaber eines Betriebs oder Unternehmens sowie die ihm gem. § 9 OWiG Gleichgestellten, z.B. Vorstände, Geschäftsführer oder sonstige vertretungsberechtigte Organe, betrifft, soll hier nur hingewiesen werden.[34] Die Vorschrift ahndet das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen, die erforderlich sind, um im Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. So kann die Aufsichtspflichtverletzung insbesondere auch in einem Organisationsmangel bestehen, etwa „wenn die Verantwortung undurchsichtig verteilt ist“, woraus z.B. „Kompetenzüberschneidungen“ resultieren, oder wenn eine „erkennbar überforderte Aufsichtsperson bestellt wird“ sowie auch „die Verantwortung zu tief nach unten verlagert wird“.[35]