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(d) Verantwortlichkeit für die ausreichende personelle Besetzung der Abteilung
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Wie weit die Organisationsverantwortung des Chefarztes aufgrund seiner Leitungs- und Aufsichtspflicht reicht, „hängt von den jeweiligen Verhältnissen des betreffenden Krankenhauses, der Größe und Ordnung des Krankenhausbetriebs, der personellen Zusammensetzung des ärztlichen Dienstes usw. ab“[205] und lässt sich daher „nicht allgemein sagen“[206], sondern nur an Beispielen illustrieren. So ist etwa der Chefarzt der Anästhesieabteilung für die anästhesiologische Versorgung im Krankenhaus verantwortlich, das heißt, er muss Ärzte für die Anästhesie bei Operationen einteilen, die die notwendige Eignung, Fachkunde und Erfahrung für diese Tätigkeit besitzen.[207] Der Chefarzt muss deshalb alles in seiner Macht Stehende tun, dafür Sorge zu tragen, dass der Krankenhausträger genügend Anästhesisten einstellt und qualifiziertes Pflegepersonal zur Verfügung steht. Ein einmaliger Hinweis („Remonstration“) auf „personelle Engpässe“ genügt nicht[208], vielmehr muss auf den gegebenenfalls unzureichenden Stellenplan nachhaltig und wiederholt aufmerksam gemacht werden. Unter Umständen reichen selbst mehrfache, nachdrückliche Hinweise auf solche Missstände nicht aus, da Schutz und Sicherheit des Patienten absolute Priorität vor allen anderen Erwägungen haben. Wenn die „personelle ärztliche Unterversorgung den erreichbaren medizinischen Standard einer sorgfältigen und optimalen Behandlung des Patienten gefährdet“, müssen notfalls das Operationsprogramm „heruntergefahren“, Pflegestationen geschlossen oder Patienten an andere Krankenhäuser verwiesen werden[209]. In einem Urteil des LG Hamburg[210] heißt es dazu: Nach Ansicht der Kammer entlastet es den Leitenden Arzt nicht, „dass sechs Stellen für Narkosefachärzte im Krankenhaus unbesetzt waren trotz seines wiederholten Hinweises auf diese Situation… Jedenfalls bei Operationen, die ohne Gefahr hätten verschoben werden können, ist es nicht vertretbar, unter den dargelegten örtlichen und personellen Verhältnissen unter Anwendung der Intubationsnarkose zu operieren“.
Bestätigt wurde diese Ansicht vom BGH in dem gegen den Klinikträger gerichteten Parallelverfahren.[211] Wörtlich heißt es in der Entscheidung:
„Der Krankenhausträger hätte dafür Sorge tragen müssen, dass in seiner Klinik nur Operationen ausgeführt wurden, die anästhesiologisch ordnungsgemäß betreut werden konnten. Solange er nicht genügend Anästhesisten für seine Klinik bekommen konnte, hätte er notfalls auf eine Ausweitung der Chirurgischen Abteilung verzichten und weiter anordnen müssen, dass nach Erschöpfung der jeweils vorhandenen Kapazität die Patienten an andere Krankenhäuser zu verweisen seien. Jedenfalls aber bedurfte es klarer Anweisungen an die Ärzte, wie bei einem plötzlichen Engpass zu verfahren war. Es hätte etwa klargestellt werden müssen, dass und welche Operationen zurückzustellen seien, vor allem aber, welche noch in der Ausbildung befindlichen Ärzte oder welches Pflegepersonal bei der Anästhesie eingesetzt werden durften und wie sie dann wirksam angeleitet und überwacht werden konnten. Keinesfalls durfte die Streithelferin als Krankenhausträger vor den ihr bekannten Zuständen mit der Gefahr „illegaler Praktiken“ und sog. „Umimprovisationen“ die Augen schließen und darauf vertrauen, die in der Klinik tätigen Ärzte würden mit der jeweiligen Situation schon irgendwie fertig werden und sie würden sich nach Kräften bemühen, die Patienten trotz allem vor Schäden zu bewahren“.
Diese Ausführungen gelten in gleicher Weise für den jeweils vor Ort tätigen Organisationsverantwortlichen (Geschäftsführer, Klinikdirektor o.Ä. samt Stellvertreter und/oder den jeweils mit der konkreten Organisation Beauftragten), wenn die personelle Ausstattung nicht dem gebotenen Standard entspricht.
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Denn der Aspekt des Übernahmeverschuldens führt zwangsläufig dazu, dass derjenige, der seine Aufgabe nicht nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft erfüllen kann, sein Leistungsangebot zurücknehmen muss. „Diese Verpflichtung trifft primär die Krankenhausträger, aber es haftet daneben u.U. auch der Arzt, der trotz der Strukturmängel die Behandlung übernimmt“,[212] wenn es zu einem dadurch ausgelösten folgenschweren Zwischenfall kommt.[213] Gleiches gilt z.B. auch beim Einsatz nicht gehörig qualifizierter oder sonst überforderter, etwa übermüdeter Ärzte. Der Chefarzt einer Abteilung muss organisatorisch gewährleisten, dass er mit dem vorhandenen ärztlichen Personal seine Aufgaben erfüllen kann, und zwar nicht nur durch ausreichend erfahrene und geübte Operateure, sondern auch durch Ärzte, die im (d.h. in jedem) Einzelfall mit der erforderlichen Konzentration und Sorgfalt operieren können. Deshalb dürfen zur Operation keine Ärzte herangezogen werden, die durch einen vorhergehenden anstrengenden Nachtdienst übermüdet und deshalb nicht mehr voll einsatzfähig sind.[214] Anderenfalls liegt ein Organisationsverschulden des betroffenen Chefarztes – und daneben unter Umständen ein Übernahmeverschulden des vor Ort tätigen Arztes – vor[215], das im Falle einer dadurch bedingten (im Strafprozess allerdings wohl schwer beweisbaren) Schädigung des Patienten zur Strafbarkeit nach §§ 222, 229 StGB führen kann. Wenn der Chefarzt aber alle objektiv gebotenen und subjektiv zumutbaren Schritte unternommen hat, um Abhilfe zu schaffen und den erforderlichen Facharztstandard zu gewährleisten, entfällt trotz vorliegender Pflichtverletzung gegenüber dem Patienten die strafrechtliche Schuld.[216]