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(f) Weitere Gegenstände chefärztlicher Organisationszuständigkeit

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Zu den typischen Organisationspflichten gehört ferner z.B. die Aufstellung der Operationspläne und die Sicherung der Operationsindikation[223] sowie die Regelung der Medikamentengabe innerhalb der Abteilung, verbunden mit dem Hinweis an die Mitarbeiter, auf die Möglichkeit von ernsten Gefahren einer Medikamentenbehandlung zu achten.[224] Auch die Überwachung und Sicherung der Kranken im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren ist eine Aufgabe, die der Krankenhausträger meist an den Chefarzt delegiert.[225] Praktische Relevanz haben diese Sorgfaltspflichten bei altersschwachen, unruhigen und vor allem gegenüber suizidgefährdeten Patienten (insbesondere) in einem psychiatrischen Krankenhaus. Insoweit führte der BGH aus:

„Ein Suizid während des Aufenthalts in einem psychiatrischen Krankenhaus kann niemals mit absoluter Sicherheit vermieden werden, gleich, ob die Behandlung auf einer offenen oder einer geschlossenen Station unter Beachtung aller realisierbaren Überwachungsmöglichkeiten durchgeführt wird. Eine lückenlose Überwachung und Sicherung, die jede noch so fern liegende Gefahrenquelle ausschalten könnte, erscheint nicht denkbar. Zudem sind stets die Erfordernisse der Medizin zu beachten, die nach moderner Auffassung gerade bei psychisch Kranken eine vertrauensvolle Beziehung und Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt sowie Krankenhauspersonal auch aus therapeutischen Gründen als angezeigt erscheinen lassen. Entwürdigende Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen, soweit sie überhaupt zulässig sind, können nach heutiger medizinischer Erkenntnis eine Erfolg versprechende Therapie gefährden. Ein zum Selbstmord Entschlossener findet ohnehin Mittel und Wege, seinen Plan auszuführen.“ [226]

Auch das OLG Zweibrücken belässt dem Oberarzt „im Zielkonflikt zwischen einer möglichst ungezwungenen, therapiefreundlichen Atmosphäre und dem notwendigen Sicherungsbedürfnis auf einer offenen Station einen Entscheidungsspielraum.[227]

Dass die Anforderungen an die Sicherungsvorkehrungen im Einzelfall aber durchaus strenger sein können, zeigt ein Beschluss des OLG Stuttgart[228]:

„Der Direktor der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie hatte die stationäre Behandlung einer 17-jährigen latent suizidgefährdeten Patientin mit dem Versprechen an die Eltern übernommen, ihre Tochter sei in der Klinik „sicher“, ohne vorher sie selbst und ihr Gepäck auf selbstmordgeeignete Gegenstände zu durchsuchen. Drei Tage nach ihrer Aufnahme erhängte sich das Mädchen mit einem mitgebrachten Kälberstrick.

Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft bejahte der Senat den hinreichenden Tatverdacht der fahrlässigen Tötung, da der Klinikdirektor infolge seiner persönlichen Zusicherung den Eltern gegenüber eine „gesteigerte Sorgfaltspflicht“ gehabt habe und deshalb aufgrund seiner Garantenstellung gewährleisten musste, dass die kranke, minderjährige Patientin keine für einen Selbstmord geeigneten Gegenstände bei sich habe und ununterbrochen überwacht werde.

Das Verfahren wurde im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens in entsprechender Anwendung des § 153a StPO eingestellt – eine rechtlich umstrittene, aber zweifellos salomonische Lösung.

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Nach § 22 ArbZG handelt ordnungswidrig, „… wer als Arbeitgeber …“ gegen bestimmte Pflichten des Arbeitszeitgesetzes verstößt. Meist übertragen die Krankenhausträger im Rahmen der Dienstverträge mit ihren Chefärzten diesen die Verantwortung, für einen geregelten Arbeitsablauf in ihrer Abteilung und die Einhaltung der Arbeitszeit seitens der nachgeordneten Ärzte Sorge zu tragen. Daraus resultiert, dass Bußgelder gegen Chefärzte von Seiten der Gewerbeaufsichtsämter wegen Überschreitung der Höchstarbeitszeit ihrer Mitarbeiter verhängt werden.[229]

Fehlt eine ausdrückliche dienstvertragliche Übertragung dieser – nach dem Gesetz den Arbeitgeber treffenden – Überwachungspflichten oder ist der Chefarzt infolge Personalmangels nicht in der Lage, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes durch seine Mitarbeiter zu gewährleisten, darf er infolge Unzumutbarkeit der Pflichterfüllung mangels Schuld nicht mit einer Sanktion (Bußgeld wegen Ordnungswidrigkeit nach § 22 ArbZG) belegt werden. Ultra posse nemo obligatur!

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Wie umfassend – und deshalb nicht enumerativ darstellbar – die Organisationspflichten eines Chefarztes sind, zeigt auch der folgende Fall, der mit einer Einstellung nach § 153a StPO endete:

Eine Patientin wurde nach einer Sportverletzung am rechten Kniegelenk in Allgemeinnarkose operiert und nach einem komplikationslosen Operations- und Anästhesieverlauf im Aufwachraum an den Monitor angeschlossen, wo ein erfahrener Pfleger für ihre Überwachung zuständig war.

Da die Patientin über heftige Schmerzen im Wundbereich klagte, erhielt sie vom zuständigen Pfleger zunächst 5 mg Morphin und 45 Minuten später wegen wiederkehrender Unruhe und weiterhin starker Schmerzen erneut, verteilt über einen Zeitraum von einer Stunde, von einem anderen Pfleger je 10 mg Morphin, insgesamt also in knapp zwei Stunden 35 mg Morphin. 35 Minuten nach der letzten Morphingabe schlug der Blutdruckmonitor Alarm; es kam zu einem Atem- und Kreislaufstillstand und schließlich zum Tod der Patientin. Das Pulsoxymeter hatte aus nicht geklärter Ursache keinen Alarm gegeben.

Der hinzugezogene anästhesiologische Gutachter führte aus, dass ein Atem- und Kreislaufstillstand nicht plötzlich eintritt, sondern sich sukzessive entwickelt. Deshalb wurde gegen den zuletzt tätigen Pfleger ein Strafbefehl über 90 Tagessätze erlassen (und rechtskräftig),[230] da er die Patientin nicht engmaschig genug persönlich überwacht habe. Das Pulsoxymeter, so hatte der Gutachter festgestellt, sei nur ein „ergänzendes Hilfsmittel“, das die persönliche Kontrolle durch Augenschein nicht ersetzen könne.

Der Gutachter erhob aber auch gegen den Chefarzt der Abteilung einen Vorwurf, da Opiate als Wiederholungsdosen vom Assistenzpersonal stets nur nach Rücksprache mit einem Arzt gegeben werden dürften. Insoweit fehle hier angesichts des selbstständigen Tätigwerdens der Pflegekräfte eine klare organisatorische Regelung mit entsprechenden Hinweisen und Pflichten für die nichtärztlichen Mitarbeiter.

Ob diese Ansicht richtig ist, wird man im Falle eines „eingespielten“ Teams von Ärzten und Pflegekräften, insbesondere erfahrenem Personal, bezweifeln dürfen und ist auch noch nicht entschieden. Aber lehrreich ist der Fall allemal: Jedenfalls bedarf es im Krankenhaus vor allem auch perioperativ einer adäquaten Organisationsstruktur, die die konsequente persönliche Überwachung der Patienten im Hinblick auf mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen der Schmerzmittel sicherstellt und bei der Gabe von Opiaten oder anderen „gefährlichen“ Medikamenten die vorherige Rücksprache der Pflegekraft beim Arzt voraussetzt.[231]

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