Читать книгу Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer - Страница 127

(e) Richtlinien bezüglich der Vornahme intravenöser und intramuskulärer Injektionen

Оглавление

303

Die weitere Frage, welche Injektionen ärztlichem Hilfspersonal übertragen werden dürfen, ist noch nicht abschließend für sämtliche Fallkonstellationen entschieden, doch ergeben sich aus den bisher vorliegenden Urteilen folgende Maßgaben:

304-

310

1. Approbierten, also voll ausgebildeten und geprüften Pflegekräften dürfen intramuskuläre Injektionen überlassen werden, wenn der Leitende Arzt sich von ihrer Qualifikation überzeugt hat und außerdem „für die Überwachung und Beaufsichtigung durch die vorhandenen Ärzte“ gesorgt ist[304]. Entscheidend ist stets das individuelle Wissen und Können der Pflegekraft, ihre Erfahrung im Einzelfall.
2. Dies gilt auch für intravenöse Injektionen sowie Infusionen und Blutentnahmen aus der Vene. „Die intravenöse Injektion stellt eine rein ärztliche Tätigkeit dar, die in der Praxis nur in Ausnahmefällen an erfahrenes und nach spezieller ärztlicher Anleitung mit Injektionen vertrautes Assistenzpersonal übertragen werden darf, sofern wegen der Art der Erkrankung und der Lokalisierung der Spritze keine besonderen Komplikationen drohen“[305].
3. Die Übertragung von Injektionen auf ausgebildete Krankenpflegehelfer oder -helferinnen mit mehrjähriger Lehrzeit hat der Bundesgerichtshof nicht schlechthin für inakzeptabel und damit sorgfaltswidrig erklärt, doch spricht seiner Ansicht nach „vieles dafür…, weil die fehlerhafte Ausführung von Injektionen zu typischen schwerwiegenden Schäden“ – gemeint sind Lähmungen sowie Spritzenabszesse – „führen kann“[306].
4. Daher wird die Delegation intravenöser Injektionen auf „Assistenzpersonal unterhalb der Schwelle ausgebildeter“ Krankenpflegehelfer und -helferinnen allgemein für „völlig unvertretbar“ gehalten[307]. Keine Pflichtwidrigkeit liegt dagegen vor, wenn Krankenpflegeschüler und -schülerinnen „zum Zwecke der Ausbildung unter unmittelbarer Aufsicht und Anleitung des Arztes oder einer entsprechend qualifizierten Krankenpflegeperson subcutane und intramuskuläre Injektionen vornehmen“.
5. Medizinstudenten, auch nicht sog. Famuli kurz vor dem Examen, dürfen mangels ausreichender Erfahrung und Ausbildung keine intramuskulären oder intravenösen Injektionen übertragen werden[308]. Wenn also ein Medizinstudent im 2. vorklinischen Semester als Aushilfspfleger während des Nachtdienstes eingesetzt wird und dabei nach einem nachmittäglichen Probetraining mit einer Apfelsine (!) seine erste intramuskuläre Injektion überhaupt vornimmt, die unglücklicherweise zu einem Spritzenabszess bei dem Patienten führt, so ist dem für die Diensteinteilung und Überwachung verantwortlichen Arzt ein Delegationsfehler vorzuwerfen.
6. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg führte ein Ermittlungsverfahren unter anderem gegen eine Studentin im Praktischen Jahr wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.[309]

Ein Patient litt unter einer akuten lymphoblastischen Leukämie (c-ALL). Die behandelnden Ärzte hatten ein Chemotherapieschema angeordnet, was bedeutete, dass dem Patienten Medikamente intravenös, oral und intrathekal verabreicht werden sollten. Im Behandlungsverlauf war für den Patienten an einem Tag sowohl eine intrathekale als auch eine intravenöse Medikation vorgesehen, wobei beide Lösungen in 10 ml-Spritzen enthalten waren. Die intrathekale Injektion sollte die PJ‚lerin unter Aufsicht und Anleitung des Stationsarztes Dr. X durchführen. Dieser traf am Patienten bereits vorbereitende Maßnahmen zur Punktion. Als die PJ‚lerin kurze Zeit später hinzutrat, war der Patient bereits sitzend gelagert, die Punktionsstelle von Herrn Dr. X markiert und beide tasteten gemeinsam den richtigen Punktionspunkt ab. Nach Abdeck- und Desinfektionsmaßnahmen sowie Lokalanästhesie nahm die PJ‚lerin die Punktion auf, wobei ihr Herr Dr. X nochmals den richtigen Punktionswinkel erläuterte; sie punktierte mit einer Nadel, bis Liquor heraustropfte. Im Weiteren reichte Herr Dr. X das zu injizierende Medikament an, woraufhin die PJ‚lerin die Spritze auf die Nadel setzte und sich insbesondere auf eine richtige Nadelposition konzentrierte, damit diese nicht weiter in den Punktionsbereich hineingleite. Nach Applikation des Medikaments entfernte sie die Nadel samt Spritze, öffnete ihre Hand und erkannte sofort, dass die falsche 10 ml-Spritze Einsatz gefunden hatte, nämlich die intravenös zu verabreichende Medikation (Vincristin). Laut internistischem Fachgutachten realisierte sich aufgrund der fehlerhaften Applikation von Vincristin ein dramatischer Krankheitsverlauf bei toxischer Hirnschädigung, was zum Tode des Patienten führte.

Im Ermittlungsverfahren machte die Verteidigung für die PJ‚lerin geltend, ihr sei nach Maßgabe des Vertrauensgrundsatzes die fehlerhafte Medikation nicht zuzurechnen, weshalb gegen sie auch kein Schuldvorwurf zu erheben sei. Dem folgte die Staatsanwaltschaft und stellte das Ermittlungsverfahren gegen die PJ‚lerin gem. § 170 Abs. 2 StPO ein.

7. Anders gestaltete sich eine Medikamentenverwechslung durch einen PJ‚ler, der vom Amtsgericht Bielefeld wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 1.800 € verurteilt wurde. Auf seine Berufung bestätigte das Landgericht Bielefeld den Schuldspruch, änderte allerdings das Strafmaß: Zwar muss der Student eine Geldstrafe in Höhe von – nach wie vor – 1.800 € zahlen, doch wurde dabei die Tagessatzanzahl von 120 auf 90 reduziert, weshalb keine im polizeilichen Führungszeugnis erscheinende „Vorstrafe“ mehr gegeben ist. Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:[310]

Der Student im praktischen Jahr hatte einem Säugling, der an akuter myeloischer Leukämie erkrankt war, fehlerhaft ein für die orale Gabe bestimmtes Antibiotikum intravenös injiziert. Das 9 1/2 Monate alte Kind starb infolgedessen an einem anaphylaktischen Schock. Kurz vor der Medikation hatte sich der PJ‚ler mit einer Krankenschwester über einen Tal-Berg-Spiegel für das Antibiotikum Refobacin unterhalten. Nachfolgend war er bei dem Säugling mit einer Blutabnahme beschäftigt, als die Krankenschwester eine Spritze in das Zimmer brachte. Der PJ‚ler hielt den milchigen Inhalt der unbeschrifteten Spritze für das Antibiotikum Refobacin, weshalb er es in einen zentralvenösen Zugang injizierte. Tatsächlich enthielt die Spritze „Cotrim-K-Saft“, der zur oralen Gabe bestimmt war. Der angeklagte Student meinte, er habe einen „Gesamtauftrag“ zum anstehend erforderlichen Behandlungsagieren, und die Schwester habe geäußert: „Hier ist das Medikament“. Demgegenüber bekundete die Krankenschwester als Zeugin, der PJ‚ler habe lediglich den Auftrag zur Blutentnahme gehabt, und bei ihrem Hinzutreten habe sie hinsichtlich der mitgebrachten Spritze geäußert: „Hier ist das orale Antibiotikum“.

Mithin wurde zur Verurteilung von einem „eigenmächtigen“ Handeln des PJ‚lers ausgegangen. Allerdings warf der in der Berufungsverhandlung zu Tage getretene Sachverhalt weitergehende Problemstellungen auf, weshalb die Staatsanwaltschaft Bielefeld nunmehr ein Ermittlungsverfahren gegen Organisationsverantwortliche[311] der Klinik eingeleitet hat. Eventuell ermangelte es gehöriger organisatorischer Maßgaben, damit die Medikamentenverwechslung von vornherein hätte unterbunden werden können.

Arztstrafrecht in der Praxis

Подняться наверх