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(4) Der Vertrauensgrundsatz bei der Teamarbeit zwischen Arzt und nichtärztlichem Personal
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Im Verhältnis zwischen Chefarzt (Arzt) und seinen nichtärztlichen Mitarbeitern gelten im Prinzip dieselben Grundsätze. Typisch für diese Unterform der vertikalen Arbeitsteilung ist, „dass sie sich im Bereich der fachlichen Weisungsrechte und Weisungspflichten vollzieht“[265]. Deshalb muss der Arzt, der sich im Rahmen der Krankenbehandlung der Hilfe anderer Personen bedient, gegen „die bei der Arbeitsteilung auftretenden besonderen Gefahrenquellen“[266] – Qualifikationsmängel, Informationslücken, Missverständnisse, Eigenmächtigkeiten – Vorsorge treffen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er „stets auf Sorgfaltsmängel gefasst“ sein müsste, „die buchstäblich überall und nirgends vorkommen können“[267], vielmehr darf er sich, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, auf das sorgfaltspflichtgemäße Verhalten seiner Hilfskräfte im Hinblick auf deren eigene unmittelbare „Primärverantwortlichkeit“ verlassen.
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Dies gilt insbesondere für Mitarbeiter, die ihre Kenntnisse und Erfahrungen durch Prüfungszeugnisse nachgewiesen haben oder unter staatlicher Aufsicht stehen. Hier darf der Arzt „im Allgemeinen davon ausgehen, dass andere geprüfte Medizinalpersonen“ (z.B. Pflegekräfte, medizinisch-technische Assistentinnen) „diejenigen Kenntnisse besitzen“, die zum Prüfungsstoff gehören[268], oder in ihrer Berufstätigkeit von staatlichen Stellen überwacht werden wie z.B. die Hebamme[269]. So richtig es ist, dass sich der Arzt nur „zunächst auf Zeugnisse und Prüfungen verlassen“ darf, „sich dann aber selbst ein eigenes Bild von der Sachkunde und Zuverlässigkeit des Mitarbeiters machen muß“[270], so unrichtig wäre jedoch die Forderung nach einer lückenlosen Überwachung, besonders bei gefährlichen Verrichtungen wie etwa der Mithilfe bei einer Narkose, Operation, Röntgenbestrahlung u.a. „Eine derart ausgedehnte Kontrollpflicht würde die Arbeitsteilung faktisch beseitigen“[271] und die Geltung des Vertrauensgrundsatzes aufheben, da dann „auch befähigten und erprobten Hilfskräften niemals ohne einzelne Kontrolle“ mit Gefahr verbundene Tätigkeiten anvertraut werden dürften. Es würde dem Sinn der Arbeitsteilung geradezu zuwiderlaufen, nach der Übertragung einer Aufgabe auf einen bewährten, zuverlässigen Mitarbeiter diesen ununterbrochen zu überwachen[272].
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Die Anforderungen an die sekundären Sorgfaltspflichten des Arztes dürfen deshalb nicht überspitzt werden, wenn die Arbeitsteilung in der Praxis funktionieren und nicht ad absurdum geführt werden soll. Konkret bedeutet dies: Der Arzt haftet „für die sorgfältige Auswahl des Mitarbeiters, also für die Prüfung seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation, für die Erteilung der erforderlichen generellen und speziellen Weisungen und für die ordnungsgemäße Überwachung“[273]. Ist eine Hilfsperson „als für die in Frage kommenden Maßnahmen so geschult, erprobt, erfahren und zuverlässig“ anzusehen, „dass ein von ihr begangener Fehler außerhalb des Rahmens gewöhnlicher Erfahrung und der besonderen Wissensmöglichkeiten des Arztes“ liegt,[274] scheidet dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit aus. Der Arzt genügt seiner Überwachungspflicht, wenn er bei Assistenzpersonen, die sich „in langer Zusammenarbeit als fachlich qualifiziert und zuverlässig erwiesen“ haben, regelmäßig „stichprobenartige Überprüfungen“ vornimmt.[275] Sobald sich aber eindeutige Tendenzen zu „Schludrigkeit“ und zum „Schlendrian“ zeigen[276] oder andere Umstände „das Vertrauen in den ausgebildeten Mitarbeiter“ zu erschüttern geeignet sind, muss der Arzt handeln, das heißt, die Überwachung verstärken, entsprechende Anweisungen und Instruktionen erteilen, evtl. Kompetenzen einschränken, Fortbildungskurse einrichten, etc., um die Mängel zu beseitigen. Insoweit ist der Vertrauensgrundsatz nicht mehr gerechtfertigt und der Bereich der sekundären Sorgfaltspflichten des Arztes entsprechend erweitert. Dies gilt auch für gesonderte Hinweise bei gefährdeten Patienten, z.B. zur Beobachtung eines Infusionssystems[277] oder eines Liegegeschwürs (Dekubitus)[278].
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In welcher Weise die Reichweite des Vertrauensgrundsatzes von der Qualifikation, Schulung, Erfahrung und Zuverlässigkeit des nichtärztlichen Personals abhängt, zeigt ein Blick in die Judikatur: